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BFH - Entscheidung vom 10.03.2016

VI R 72/14

Normen:
§ 33 Abs 1 EStG 2009
§ 33 Abs 2 EStG 2009
EStG VZ 2009
EStG § 33 Abs. 1 S. 2

BFH, Urteil vom 10.03.2016 - Aktenzeichen VI R 72/14

DRsp Nr. 2016/11935

Abzugsfähigkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastungen

NV: Prozesskosten, die im Zusammenhang mit mangelhaften Werkleistungen entstehen, können nicht als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden.

1. Kosten einer zivilprozessualen Auseinandersetzung sind als außergewöhnliche Belastungen nur insoweit abziehbar, als der Prozess existentiell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. 2. Hiervon kann nicht ausgegangen werden, wenn wesentliche Ursache für den Streitfall die Beschädigung von Fenstern aufgrund der unsachgemäßen Verlegung von Parkett ist, da die mangelhafte Ausführung von Werkleistungen keineswegs unüblich und insbesondere nicht mit ungewöhnlichen Schadensereignissen vergleichbar ist.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 16. Oktober 2014 8 K 981/12 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussrevision der Kläger wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Normenkette:

EStG § 33 Abs. 1 S. 2;

Gründe

I. Strittig ist die Anerkennung von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen.

Die Kläger, Revisionsbeklagten und Anschlussrevisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr (2009) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung.

Der Kläger ist Eigentümer eines Anwesens in E. Eine in diesem Gebäude gelegene Einliegerwohnung war vermietet; im Übrigen wurde das Anwesen von den Klägern selbst genutzt. Im Sommer 2004 beauftragte er die Firma J mit der Verlegung von Parkett im gesamten Anwesen. J verlegte im Spätherbst das Parkett am Boden ohne Fuge bzw. Zwischenraum direkt bis an die bodentiefen Fenster mit der Folge, dass im Sommer durch die feuchtigkeitsbedingte Ausdehnung des Parketts die Fenster nach außen gedrückt und beschädigt wurden. J kürzte daraufhin das Parkett an den Fensterfronten, allerdings so stark, dass es im Randbereich nun nicht mehr den gesamten Boden bedeckte. In der Folge war eine Neuverlegung des Parketts im Randbereich der Räume erforderlich. Nachdem der Kläger nicht den gesamten Rechnungsbetrag bezahlte, machte J im Juni 2007 vor dem Amtsgericht E restlichen Werklohn geltend. Gegen diesen Anspruch verteidigte sich der Kläger mit Zurückbehaltungsrechten und Schadensersatzansprüchen wegen der mangelhaften Werkleistung. Darüber hinaus machte er im Streitjahr Schadensersatzansprüche gerichtlich geltend.

Die auf den selbstgenutzten Teil des Hauses entfallenden Zivilprozesskosten machte der Kläger im Streitjahr als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) geltend. Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte die Aufwendungen nicht.

Nach insoweit erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Kläger Klage und begehrten die Berücksichtigung von Aufwendungen für den Zivilprozess in Höhe von 4.588,67 € als außergewöhnliche Belastungen. Die Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 408 veröffentlichten Gründen insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) Prozesskosten in Höhe von 2.887,30 € als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigte.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Mit der Anschlussrevision begehren die Kläger die Berücksichtigung von Zivilprozesskosten in Höhe von insgesamt 4.588,67 € als außergewöhnliche Belastungen.

Das FA beantragt,

1. das Urteil des FG München 8 K 981/12 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

2. die Anschlussrevision zurückzuweisen.

Die Kläger beantragen,

1. die Revision zurückzuweisen,

2. das Urteil des FG München sowie den Einkommensteuerbescheid 2009 dahingehend abzuändern, dass Zivilprozesskosten in Höhe von 4.588,67 € als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.

II. 1. Die Revision und die Anschlussrevision sind zulässig. Die Anschlussrevision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung einzulegen (§ 155 der Finanzgerichtsordnung —FGO—, § 554 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 der Zivilprozessordnung ). Die Revisionsbegründung wurde den Klägern am 26. Januar 2015 zugestellt. Die Anschlussrevision ist am 26. Februar 2015 rechtzeitig beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen.

2. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO ). Das FG hat die geltend gemachten Prozesskosten zu Unrecht als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG berücksichtigt. Die Anschlussrevision der Kläger ist unbegründet, da kein Anspruch auf Anerkennung von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen besteht. Sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO ).

3. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG ). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des BFH vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380 , BStBl II 1990, 418 , und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326 , BStBl II 2015, 9 ).

a) Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, BFHE 67, 379 , BStBl III 1958, 419 ; BFH-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171 , BStBl II 1986, 745 ; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12 , BStBl II 1996, 596 ; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94 , BStBl II 2002, 382 ; vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16 , BStBl II 2004, 726 , und vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553 ). Derartige Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war (BFH-Urteil in BFHE 181, 12 , BStBl II 1996, 596 ). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess (BFH-Urteile in BFHE 206, 16 , BStBl II 2004, 726 , und in BFH/NV 2009, 553 ). Vielmehr sei es in der Regel der freien Entscheidung der (Vertrags–)Parteien überlassen, ob sie sich zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs einem Prozess(kosten)risiko aussetzten (vgl. BFH-Urteile in BFHE 181, 12 , BStBl II 1996, 596 ; in BFHE 206, 16 , BStBl II 2004, 726 , und in BFH/NV 2009, 553 ). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (BFH-Urteile in BFHE 181, 12 , BStBl II 1996, 596 , und in BFH/NV 2009, 553 ).

b) Demgegenüber nahm der Senat in seinem Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30 , BStBl II 2011, 1015 ) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Auffassung hat auch das FG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

c) Der Senat hält an seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30 , BStBl II 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 (BFHE 250, 153 , BStBl II 2015, 800 ) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30 , BStBl II 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des BFH zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in BFHE 250, 153 , BStBl II 2015, 800 Bezug genommen.

4. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

a) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.

b) Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen allerdings in der Sache selbst entscheiden. Die vom Kläger getragenen Prozesskosten sind nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen.

Im Streitfall war die wesentliche Ursache, die zur Geltendmachung der (vermeintlichen) Ansprüche führte, die Beschädigung der Fenster aufgrund der unsachgemäßen Verlegung des Parketts durch die Firma J. Die mangelhafte Ausführung von Werkleistungen ist indes keineswegs unüblich und insbesondere nicht mit ungewöhnlichen Schadensereignissen vergleichbar. Ebenso wie die gleichfalls nicht unüblichen Baumängel, die nach der ständigen Rechtsprechung des BFH grundsätzlich nicht die Ermäßigung der Einkommensteuer nach § 33 EStG erlauben (Senatsbeschluss vom 11. Februar 2009 VI B 140/08, BFH/NV 2009, 762 ; BFH-Beschluss vom 19. Juni 2006 III B 37/05, BFH/NV 2006, 2057 ; Senatsurteil vom 20. Januar 2016 VI R 19/14, BFH/NV 2016, 909 ), können Prozesskosten, die im Zusammenhang mit mangelhaften Werkleistungen entstehen, nicht als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden. Im Streitfall sind außergewöhnliche Umstände, die es rechtfertigen, abweichend von diesem Grundsatz zu entscheiden, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ein Abzug der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen scheidet daher aus.

5. Da die Revision bereits aus anderen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung führt, muss der Senat nicht entscheiden, ob dem FG ein Verfahrensfehler unterlaufen ist.

6. Die Anschlussrevision ist zurückzuweisen, weil im Streitfall Prozesskosten dem Grunde nach nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Entsprechend konnte das Begehren der Kläger nach einer weitergehenden Berücksichtigung der Aufwendungen für den Zivilrechtsstreit keinen Erfolg haben.

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 und Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG München, vom 16.10.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 8 K 981/12