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BAG - Entscheidung vom 14.06.2016

9 AZR 8/15

Normen:
GewO § 109
GewO § 109
BGB § 630

Fundstellen:
DB 2017, 1334

BAG, Urteil vom 14.06.2016 - Aktenzeichen 9 AZR 8/15

DRsp Nr. 2016/16617

Wesentliche Charakteristika des Arbeitszeugnisses Grundsatz der Zeugniswahrheit Prozessbeschäftigung und Arbeitszeugnis

1. Ein Arbeitgeber erfüllt den Zeugnisanspruch, wenn das von ihm erteilte Zeugnis nach Form und Inhalt den gesetzlichen Anforderungen des § 109 GewO entspricht. Auf Verlangen des Arbeitnehmers muss sich das Zeugnis auf Führung (Verhalten) und Leistung erstrecken (qualifiziertes Zeugnis), § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO . Dabei richtet sich der gesetzlich geschuldete Inhalt des Zeugnisses nach den mit ihm verfolgten Zwecken. Es dient dem Arbeitnehmer regelmäßig als Bewerbungsunterlage und ist insoweit Dritten, insbesondere möglichen künftigen Arbeitgebern, Grundlage für ihre Personalauswahl. Dem Arbeitnehmer gibt es zugleich Aufschluss darüber, wie der Arbeitgeber seine Leistung beurteilt. Daraus ergeben sich als inhaltliche Anforderungen der Grundsatz der Zeugniswahrheit und der in § 109 Abs. 2 GewO auch ausdrücklich normierte Grundsatz der Zeugnisklarheit (vgl. BAG 15. November 2011 - 9 AZR 386/10). 2. Das Zeugnis muss in erster Linie wahr sein. Als Bewerbungsunterlage des Arbeitnehmers und Entscheidungsgrundlage für die Personalauswahl künftiger Arbeitgeber muss das Zeugnis inhaltlich wahr und zugleich von verständigem Wohlwollen gegenüber dem Arbeitnehmer getragen sein. Es darf dessen weiteres Fortkommen nicht unnötig erschweren (BAG 20. Februar 2001 - 9 AZR 44/00). Die Wahrheitspflicht umfasst alle Fragen des Zeugnisrechts und damit den gesamten Inhalt eines Zeugnisses. Zwar soll ein Zeugnis das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht unnötig erschweren. Es kann aber nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein. 3. Mit der Prozessbeschäftigung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung wird kein Arbeitsverhältnis begründet oder die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vereinbart. Wird dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung gegen seinen Willen und unter Beeinträchtigung seiner Vertragsfreiheit aufgezwungen, schließen die Parteien regelmäßig nicht durch neue Willenserklärungen ein eigenständiges Rechtsgeschäft. Es wird vielmehr ein faktisches Beschäftigungsverhältnis begründet, welches entfällt, sobald das die Weiterbeschäftigungspflicht aussprechende Urteil aufgehoben wird. In diesem Fall besteht deshalb kein Anspruch auf Aufnahme einer Prozessbeschäftigung und deren Dauer in das Arbeitszeugnis.

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 17. November 2014 - 17 Sa 406/14 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Normenkette:

BGB § 630 ;

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Inhalt eines Arbeitszeugnisses.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 1994 als Flugbegleiter, zuletzt in der Funktion eines Pursers beschäftigt. Mit Schreiben vom 16. November 2011, dem Kläger am 17. November 2011 zugegangen, erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage des Klägers mit Urteil vom 21. Juni 2012 (- 11 Ca 8050/11 -) statt. Es stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch eine in der Folgezeit erklärte weitere Kündigung vom 2. Januar 2012 beendet wurde, und verurteilte die Beklagte, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Die Beklagte beschäftigte den Kläger zur Vermeidung von Vollstreckungsmaßnahmen ab dem 21. Juni 2012 bis einschließlich 23. Januar 2013 weiter. In der Zeit vom 18. November 2011 bis zum 20. Juni 2012 wurde der Kläger nicht beschäftigt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 21. Januar 2013 (- 17 Sa 904/12 -) die Entscheidung des Arbeitsgerichts und wies die Kündigungsschutzklage des Klägers ab. Die gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom Kläger eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde durch Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Juni 2013 (- 2 AZN 372/13 -), dem Kläger am 1. Juli 2013 zugestellt, zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 28. Februar 2013 übersandte die Beklagte dem Kläger ein Arbeitszeugnis. Dort heißt es im ersten Absatz wie folgt:

"Herr S, geboren am 1971, war vom 1. Dezember 1994 bis zum 17. November 2011 in unserem Unternehmen als Flugbegleiter und Purser tätig."

Im vorletzten Absatz des erteilten Zeugnisses heißt es:

"Das Arbeitsverhältnis endet am 17. November 2011."

Das Zeugnis enthält das Ausstellungsdatum 17. November 2011.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Zeugnis mit teilweise geändertem Text zu erteilen. Er hat dabei den vollständigen Zeugnistext im Klageantrag wiedergegeben. Hinsichtlich des ersten Absatzes ("bis zum ... als Flugbegleiter und Purser tätig"), des vorletzten Absatzes ("Das Arbeitsverhältnis endet am ...") und des Ausstellungsdatums hat der Kläger das Datum 17. November 2011 im Hauptantrag ersetzt durch das Datum 30. Juni 2013 und im Hilfsantrag durch das Datum 28. Juni 2013. Im äußersten Hilfsantrag ist das Datum 17. November 2011 angegeben. Darüber hinaus hat er hinsichtlich des weiteren Zeugnistextes Änderungen geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 30. Januar 2014 schlossen die Parteien einen Teilvergleich. Dort heißt es, soweit maßgeblich, wie folgt:

"1. Die Beklagte verpflichtet sich, in Abänderung des bereits erteilten Zeugnisses vom 17. November 2011 folgendes Zeugnis zu erteilen:

Herr S, geboren 1971, war vom 1. Dezember 1994 bis zum 17. November 2011 in unserem Unternehmen als Flugbegleiter und Purser tätig. ...

...

Das Arbeitsverhältnis endet am 17. November 2011.

...

Frankfurt am Main, 17. November 2011

2. Die Parteien sind sich einig, dass mit der Erfüllung des Vergleichs zu Ziffer 1 sämtliche Änderungsverlangen des Klägers erledigt sind, mit Ausnahme des Beendigungsdatums und des Ausstellungsdatums."

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf Aufnahme des 30. Juni 2013 als Beendigungs- und Ausstellungsdatum des Arbeitszeugnisses. Das Arbeitsverhältnis habe erst mit der Zustellung des die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts sein Ende gefunden. Durch das Ausstellungsdatum 17. November 2011 werde er erheblich in seinem beruflichen Fortkommen behindert. Der Zeugnisanspruch schließe auch die Zeiten seiner Prozessbeschäftigung mit ein. Er habe auch in dieser Zeit seine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht. Zumindest habe er Anspruch auf Aufnahme des 23. Januar 2013 als Beendigungs- und Ausstellungsdatum. Zu diesem Zeitpunkt habe seine Prozessbeschäftigung geendet.

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, im Zeugnis das Beendigungsdatum im ersten und im vorletzten Absatz und das Ausstellungsdatum vom 17. November 2011 in 30. Juni 2013, hilfsweise in 28. Juni 2013, äußerst hilfsweise in 23. Januar 2013 abzuändern.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, das Datum 17. November 2011 sei zutreffend im Zeugnis wiedergegeben. Das Arbeitsverhältnis habe rechtlich, wie gerichtlich festgestellt, am 17. November 2011 geendet. Dies sei auch das für die Ausstellung des Zeugnisses maßgebliche Datum. Die Prozessbeschäftigung über diesen Zeitraum hinaus habe für den Zeugnisanspruch keine Bedeutung.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Revision des Klägers ist insgesamt unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

I. Der Kläger hat nach § 109 Abs. 1 GewO keinen Anspruch auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses mit den begehrten Daten.

II. Ein Arbeitgeber erfüllt den Zeugnisanspruch, wenn das von ihm erteilte Zeugnis nach Form und Inhalt den gesetzlichen Anforderungen des § 109 GewO entspricht. Auf Verlangen des Arbeitnehmers muss sich das Zeugnis auf Führung (Verhalten) und Leistung erstrecken (qualifiziertes Zeugnis), § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO . Dabei richtet sich der gesetzlich geschuldete Inhalt des Zeugnisses nach den mit ihm verfolgten Zwecken. Es dient dem Arbeitnehmer regelmäßig als Bewerbungsunterlage und ist insoweit Dritten, insbesondere möglichen künftigen Arbeitgebern, Grundlage für ihre Personalauswahl. Dem Arbeitnehmer gibt es zugleich Aufschluss darüber, wie der Arbeitgeber seine Leistung beurteilt. Daraus ergeben sich als inhaltliche Anforderungen der Grundsatz der Zeugniswahrheit und der in § 109 Abs. 2 GewO auch ausdrücklich normierte Grundsatz der Zeugnisklarheit (vgl. BAG 15. November 2011 - 9 AZR 386/10 - Rn. 9 mwN, BAGE 140, 15 ).

III. Es kann dahinstehen, ob das dem Kläger von der Beklagten erteilte Zeugnis diesen Anforderungen genügt. Jedenfalls hat dieser keinen Anspruch auf die verlangten Änderungen der im Zeugnis enthaltenen Daten. Dies widerspräche dem Grundsatz der Zeugniswahrheit.

1. Die Klageanträge bedürfen zunächst der Auslegung. Der Kläger begehrt eine Änderung der Daten im ersten und im vorletzten Absatz des erteilten Zeugnisses sowie eine Änderung des Ausstellungsdatums. Die Auslegung ergibt, dass die Beklagte an diesen drei Textstellen des Zeugnisses zwar ein geändertes, aber einheitliches Datum eintragen soll. Denn der Kläger hat vor Abschluss des gerichtlichen Teilvergleichs in seine Klageanträge aus den Schriftsätzen vom 27. September 2013, 6. Dezember 2013 und 28. Januar 2014 den vollständigen Text des begehrten Zeugnisses aufgenommen. Dort war an den betreffenden Textstellen jeweils dasselbe Datum wiedergegeben. Auch der im gerichtlichen Teilvergleich vom 30. Januar 2014 niedergelegte Zeugnistext enthält an diesen Textstellen jeweils dasselbe Datum (17. November 2011). Nach Ziff. 2 des Teilvergleichs sollten nur Beendigungs- und Ausstellungsdatum weiter streitig sein. Deshalb hat der Kläger zuletzt beantragt, diese Daten auf den 30. Juni 2013, hilfsweise den 28. Juni 2013 und äußerst hilfsweise auf den 23. Januar 2013 abzuändern. Der Kläger begehrt damit nicht die Erteilung eines Zeugnisses, bei dem an den betreffenden Textstellen unterschiedliche Daten eingetragen werden, etwa die Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. Juni 2013 (vorletzter Absatz des Zeugnisses) und als Ausstellungsdatum der 23. Januar 2013. Das von der Beklagten an diesen Textstellen eingetragene Datum 17. November 2011 soll vielmehr insgesamt ersetzt werden durch den 30. Juni 2013, hilfsweise durch den 28. Juni 2013 und äußerst hilfsweise durch den 23. Januar 2013. Damit kann die Klage nur Erfolg haben, wenn die Beklagte verpflichtet wäre, die vom Kläger begehrten Daten einheitlich an allen drei Textstellen des Zeugnisses einzutragen. Eine nur teilweise Abänderung von Daten wird nicht beantragt.

2. Das Zeugnis muss in erster Linie wahr sein. Als Bewerbungsunterlage des Arbeitnehmers und Entscheidungsgrundlage für die Personalauswahl künftiger Arbeitgeber muss das Zeugnis inhaltlich wahr und zugleich von verständigem Wohlwollen gegenüber dem Arbeitnehmer getragen sein. Es darf dessen weiteres Fortkommen nicht unnötig erschweren (BAG 20. Februar 2001 - 9 AZR 44/00 - Rn. 17, BAGE 97, 57 ). Die Wahrheitspflicht umfasst alle Fragen des Zeugnisrechts und damit den gesamten Inhalt eines Zeugnisses. Zwar soll ein Zeugnis das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht unnötig erschweren. Es kann aber nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein (BAG 9. September 1992 - 5 AZR 509/91 - zu III der Gründe).

3. Der Kläger hat schon keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm im vorletzten Absatz des Zeugnisses bescheinigt, das Arbeitsverhältnis habe am 30. Juni 2013, am 28. Juni 2013 oder am 23. Januar 2013 geendet. Damit verstieße sie gegen ihre Wahrheitspflicht, denn mit der die Kündigungsschutzklage abweisenden, rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts vom 21. Januar 2013 steht fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Zugang der außerordentlichen Kündigung beim Kläger am 17. November 2011 endete. Entgegen der Auffassung der Revision ändert sich dies nicht durch die Prozessbeschäftigung des Klägers in der Zeit vom 21. Juni 2012 bis zum 23. Januar 2013.

a) Mit der Prozessbeschäftigung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung wird kein Arbeitsverhältnis begründet oder die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vereinbart. Wird dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung gegen seinen Willen und unter Beeinträchtigung seiner Vertragsfreiheit aufgezwungen, schließen die Parteien regelmäßig nicht durch neue Willenserklärungen ein eigenständiges Rechtsgeschäft. Es wird vielmehr ein faktisches Beschäftigungsverhältnis begründet, welches entfällt, sobald das die Weiterbeschäftigungspflicht aussprechende Urteil aufgehoben wird (BAG 8. April 2014 - 9 AZR 856/11 - Rn. 28 und 39).

b) Das Landesarbeitsgericht hat insoweit zutreffend angenommen, dass der vorletzte Absatz des Zeugnisses ("Das Arbeitsverhältnis endet am 17. November 2011") nicht die tatsächliche Beschäftigung ausdrückt, sondern auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses abstellt. Dies zeigt auch der Vergleich zum ersten Absatz des Zeugnisses ("war vom 1. Dezember 1994 bis zum 17. November 2011 in unserem Unternehmen ... tätig"). Dort wird im Unterschied zum vorletzten Absatz der Zeitraum der tatsächlichen Tätigkeit/Beschäftigung beschrieben und nicht zwangsläufig der Zeitraum des rechtlichen Bestands des Arbeitsverhältnisses.

c) Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beklagte wegen ihrer Wahrheitspflicht auch bei der vom Kläger geforderten Berücksichtigung der Zeiten der Prozessbeschäftigung nicht das Ende des seit dem 1. Dezember 1994 bestehenden Arbeitsverhältnisses zu einem der vom Kläger begehrten Daten im Jahr 2013 bescheinigen darf. Denn die Prozessbeschäftigung begann erst ab dem 21. Juni 2012. Trotz der Unterbrechung seit dem Zugang der außerordentlichen Kündigung am 17. November 2011 würde die Beklagte dem Zeugnisleser wahrheitswidrig suggerieren, der Kläger habe seit dem 1. Dezember 1994 bis zu einem der von ihm begehrten Beendigungsdaten im Jahr 2013 in einem ununterbrochenen Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten gestanden.

B. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Vorinstanz: LAG Frankfurt/Main, vom 17.11.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 17 Sa 406/14
Vorinstanz: ArbG Frankfurt/Main, vom 30.01.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 11 Ca 7016/13
Fundstellen
DB 2017, 1334