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BVerwG - Entscheidung vom 18.02.2015

1 B 2.15

Normen:
AsylVfG § 32
AsylVfG § 33 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 18.02.2015 - Aktenzeichen 1 B 2.15

DRsp Nr. 2015/4705

Nachweis von bereits in anderen EU-Mitgliedsstaaten gestellten Asylanträgen

1. Zwar verletzt ein Gericht seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter oder ein Behördenvertreter nicht ausdrücklich beantragt hat. Die Tatsache, dass ein Beweisantrag nicht gestellt wurde, ist aber dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen.2. Lagen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bereits in anderen Mitgliedstaaten Asylanträge gestellt hat und diese in einem Mitgliedstaat zu einer Anerkennung geführt haben, hätte das Berufungsgericht etwaigen tatsächlichen Zweifeln hinsichtlich des von der Beklagten mit Unterlagen belegten Vorbringens nachgehen müssen. Allein der Umstand, dass der Erfolg weiterer Ermittlungsmaßnahmen von der Mitwirkung ausländischer Behörden abhängt, begründet für sich noch keine Unzumutbarkeit.

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Oktober 2014 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Normenkette:

AsylVfG § 32 ; AsylVfG § 33 Abs. 1 ;

Gründe

Die auch auf den Verfahrensmangel fehlerhafter Sachaufklärung (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO ) gestützte Beschwerde der Beklagten hat Erfolg. Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Berufungsentscheidung durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

1. Die Beklagte rügt zu Recht, das Berufungsgericht hätte die Berufung nicht mit der gegebenen Begründung zurückweisen dürfen, ohne zuvor den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufgeklärt zu haben. Zwar verletzt ein Gericht seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter oder - wie hier - ein Behördenvertreter nicht ausdrücklich beantragt hat. Die Tatsache, dass ein Beweisantrag nicht gestellt wurde, ist aber dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (stRspr, etwa BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 - 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 13 m.w.N.). Das ist hier der Fall.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren vorgetragen, dass bei ihr am 18. Februar 2013 zwei Eurodac-Treffer der Kategorie eins eingegangen seien. Danach habe der Kläger bereits in Italien und Finnland Asylanträge gestellt. Über eine DublinNET-Mail vom 22. September 2014 sei zwischenzeitlich aus Italien die Antwort zugegangen, dass für den Kläger eine anerkennende Entscheidung ("... was accepted in Rome on 25-9-09") ergangen sei. Damit lagen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 9. Oktober 2014 konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bereits in anderen Mitgliedstaaten Asylanträge gestellt hat und diese in einem Mitgliedstaat zu einer Anerkennung geführt haben. Bei dieser Sachlage hätte das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine behördliche Einstellungsverfügung nach §§ 32 , 33 Abs. 1 AsylVfG und der von ihm offengelassenen Möglichkeit der Aufrechterhaltung einer derartigen Verfügung - sei es durch Auswechseln der Rechtsgrundlage oder Umdeutung - wegen einer möglichen Antragstellung und Anerkennung in einem anderen EU-Mitgliedstaat etwaigen tatsächlichen Zweifeln hinsichtlich des von der Beklagten mit Unterlagen belegten Vorbringens nachgehen müssen. Stattdessen ist es ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts (und auch ohne weiteres Eingehen auf den Einwand anderweitiger Asylantragstellung) davon ausgegangen (UA S. 8 f.), dass zur tatrichterlichen Überzeugung des Gerichtes nicht feststehe, dass der Kläger in Italien eine Flüchtlingsanerkennung oder einen subsidiären Schutzstatus erhalten habe, weil sich der vom Bundesamt in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Erklärung der italienischen Behörden nicht entnehmen lasse, ob und welcher Schutzstatus dem Kläger angeblich zuerkannt worden sei. Die Aufrechterhaltung eines Bescheides unter einer anderen Rechtsgrundlage oder dessen Umdeutung komme im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz nicht in Betracht, wenn dies - wie hier - ohne weitere und umfangreiche Ermittlungen bei italienischen Behörden, die nicht der Amtshilfe des § 14 VwGO unterlägen, nicht möglich sei.

Mit dieser Begründung hat das Berufungsgericht unter den hier gegebenen Umständen die sich aus § 86 Abs. 1 VwGO ergebenden Pflichten verkannt. Danach hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Eine sachgerechte Handhabung dieses Grundsatzes hat zwar unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung und der Prozessökonomie zu erfolgen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. April 2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188 <196>). Dies enthebt die Tatsachengerichte aber nicht von der Verpflichtung, hinreichend konkret dargelegten Einwänden eines Beteiligten nachzugehen und den Sachverhalt - ggf. auch unter Mitwirkung der Beteiligten - weiter aufzuklären, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 1983 - 8 C 76.80 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 21). Allein der Umstand, dass der Erfolg weiterer Ermittlungsmaßnahmen hier von der Mitwirkung ausländischer Behörden abhängt, begründet für sich noch keine Unzumutbarkeit.

2. Liegt somit ein Verfahrensmangel vor, auf dem die Berufungsentscheidung beruht, macht der beschließende Senat im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von der Vorschrift des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, ohne dass es einer Entscheidung über die weiteren von der Beklagten geltend gemachten Revisionszulassungsgründe bedarf.

3. Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat allerdings auf Folgendes hin:

Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens nach §§ 32 , 33 Abs. 1 AsylVfG nicht vorlagen, ist auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden. Insoweit fehlt es entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht an einer tragfähigen Begründung, weshalb die Verfahrenseinstellung nicht zumindest auf die zweite Betreibensaufforderung gestützt werden könnte. Das Berufungsgericht hat sich in diesem Zusammenhang nicht lediglich darauf gestützt, dass angesichts der erfolgreichen Eurodac-Treffer nicht auszuschließen sei, dass schon die erste Abnahme von Fingerabdrücken diese herbeigeführt habe. Ergänzend hat es - im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -BVerwGE 147, 329 Rn. 17) - ausgeführt, dass eine Betreibensaufforderung einen bestimmten Anlass voraussetzt, der geeignet ist, Zweifel an dem Bestehen oder Fortbestehen des Sachentscheidungsinteresses zu wecken. In Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht hierzu entwickelten Kriterien (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 - BVerwGE 147, 329 Rn. 29) hat es schlüssig dargelegt, dass allein eine mögliche Unverwertbarkeit der einem Schutzsuchenden abgenommenen Fingerabdrücke noch keinen Manipulationsverdacht rechtfertigt und die Beklagte weder bei der ersten noch bei der zweiten erkennungsdienstlichen Maßnahme etwaige auf eine Manipulation hindeutende Indizien dokumentiert habe. Damit fehlte es nach Auffassung des Berufungsgerichts auch noch bei Erlass der zweiten Betreibensaufforderung vom November 2011 an einem hinreichenden Verdacht für die Verletzung einer Mitwirkungspflicht seitens des Klägers. Unerheblich ist, dass anlässlich der dritten erkennungsdienstlichen Behandlung Ende November 2011 Abschürfungen an den Fingerkuppen festgestellt und dokumentiert wurden, denn die Beklagten hat diesen Umstand nicht zum Anlass für eine (erneute) Betreibensaufforderung genommen.

Kann der angegriffene Bescheid nicht auf §§ 32 , 33 Abs. 1 AsylVfG gestützt werden, kommt es somit in tatsächlicher Hinsicht darauf an, ob und mit welchem Ergebnis der Kläger bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat. Hierzu wird das Berufungsgericht den Sachverhalt weiter aufzuklären und sodann auf dieser neuen Tatsachengrundlage der Rechtsfrage nachzugehen haben, ob der Bescheid auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten oder umgedeutet werden kann.

4. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Vorinstanz: VGH Bayern, vom 09.10.2014 - Vorinstanzaktenzeichen VGH