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BVerwG - Entscheidung vom 12.01.2015

4 BN 19.14

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
BauGB § 1 Abs. 7

BVerwG, Beschluss vom 12.01.2015 - Aktenzeichen 4 BN 19.14

DRsp Nr. 2015/2513

Begründung einer Divergenz wegen fehlerhafter Anwendung von durch die Vorinstanz akzeptierten Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG); Überspannung der Anforderungen an die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO )

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. März 2014 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 ; VwGO § 47 Abs. 2 S. 1; BauGB § 1 Abs. 7 ;

Gründe

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1.

Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen einer Abweichung des Normenkontrollurteils von den diversen vom Antragsteller in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen.

Der Revisionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712). § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, dass der Tatbestand der Divergenz nicht nur durch die Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch Gegenüberstellung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze bezeichnet wird.

a)

Die Beschwerde zitiert das Bundesverwaltungsgericht mit den Rechtssätzen, dass

ein Antragsteller nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt ist, wenn er hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt wird,es für die Zulässigkeit des Antrags mithin ausreichend ist, wenn nach dem tatsächlichen Vorbringen des Antragstellers eine Verletzung des drittschützenden Abwägungsgebots nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise unmöglich ist, undsich eine prozessuale Handhabung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO verbietet, die im Ergebnis dazu führt, die an sich gebotene Sachprüfung als Frage der Zulässigkeit des Antrags zu behandeln.

Diesen Rechtssätzen widersprechende Rechtssätze des Oberverwaltungsgerichts arbeitet der Antragsteller aus dem angefochtenen Urteil nicht heraus. Er beschränkt sich auf den Vorhalt, das Oberverwaltungsgericht habe die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO verkannt und zu eng gefasst sowie bei der Prüfung der Antragsbefugnis Teile der Begründetheitsprüfung vorgezogen (Beschwerdebegründung S. 3). Eine fehlerhafte Anwendung von Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts, welche die Vorinstanz akzeptiert, begründet aber keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 ).

b)

Der Antragsteller entnimmt einer Reihe von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ferner die Rechtssätze, dass

eine planbedingte Zunahme von Lärmimmissionenauch unterhalb der Grenzwerte - grundsätzlich zum Abwägungsmaterial gehört und damit die Antragsbefugnis grundsätzlich begründet,dies nur dann nicht gilt, wenn der Lärmzuwachs geringfügig ist oder aber sich die Immissionen nur unwesentlich auf das Grundstück des Antragstellers auswirken,sich nicht nach festen Maßstäben beurteilen lässt, ob es sich bei Immissionen um geringfügige handelt, sondern es einer wertenden Betrachtung der konkreten Verhältnisse unter Berücksichtigung der jeweiligen Vorbelastungen und der Schutzwürdigkeit des jeweiligen Gebiets bedarf,grundsätzlich die durch eine Planung geschaffenen Konflikte auch durch den Bebauungsplan gelöst werden müssen,ausnahmsweise die Konfliktlösung auch im Rahmen der Vorhabenzulassung erfolgen kann, wenn sie dort sichergestellt wird,die Gemeinde prognostisch beurteilen muss, ob die Konfliktbewältigung auf der Ebene der Vorhabenzulassung möglich sein wird.

Diesen Rechtssätzen stellt er Rechtssätze des Oberverwaltungsgerichts mit dem Inhalt gegenüber, dass

Lärmimmissionen in gleichartigen Baugebieten unabhängig von einer wertenden Betrachtung des Einzelfalls stets geringfügig und daher nicht abwägungsbeachtlich sind (Beschwerdebegründung S. 14) undbei einer Ausweisung eines Gebiets als Kerngebiet mögliche planungsbedingte Konflikte nie durch planerische Vorkehrungen verhindert werden können, sondern in solchen Fällen die Konfliktlösung ausschließlich auf der Ebene der Vorhabenzulassung erfolgen muss (Beschwerdebegründung S. 17).

Die beanstandeten Rechtssätze sind nach Ansicht des Antragstellers in der Textpassage zur Randnummer 18 des Urteils enthalten. In ihr hat das Oberverwaltungsgericht der Antragsgegnerin attestiert, dass sie die Sorge des Antragstellers, durch gewerbliche Lärmemissionen aus den neu festgesetzten Gebieten MK 1 und MK 2 beeinträchtigt zu werden, nicht in die Abwägung habe einzustellen brauchen. Bei der Ausweisung von Gebieten, deren plangemäße Nutzung mit Lärmemissionen verbunden sei, seien die zu erwartenden Immissionen in der Nachbarschaft in die Abwägung einzustellen, wenn durch die Pla-

nung Gebiete mit unterschiedlichem Störpotenzial und unterschiedlichem Schutzanspruch in räumlicher Nähe zueinander gebracht würden. Betreffe die Planung nur bauliche Nutzungen, die auch in der Nachbarschaft zulässig seien, so sei ein planerischer Konflikt ausgeschlossen; denn das Störungspotenzial und die Schutzbedürftigkeit seien durch die gleichartigen Gebietsausweisungen aufeinander abgestimmt. Planerische Schutzvorkehrungen zum Schutz der in gleichartigen Baugebieten liegenden Grundstücke seien grundsätzlich nicht erforderlich. Auch die vom Antragsteller gerügte Verletzung des Trennungsgebots (§ 50 BImSchG ) komme dann nicht in Betracht. Diese Grundsätze gälten auch für das Verhältnis der neuen Gebiete MK 1 und MK 2 zu dem vorhandenen Gebiet MK, in dem das Grundstück des Antragstellers liege; denn alle Kerngebiete im Bereich des Bebauungsplans Nr. 6 B seien hinsichtlich ihres Störungspotenzials und ihrer Störempfindlichkeit gleichartig. Das mit dem bestandsgeschützten Wohnhaus bebaute Grundstück des Antragstellers genieße deshalb den gleichen Schutz vor Immissionen wie alle anderen Grundstücke in den im Bebauungsplan ausgewiesenen Kerngebieten. Planerische Vorkehrungen seien angesichts der Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten, die allen Grundstücken in den Kerngebieten offen ständen, kaum möglich. Konflikte, die durch kerngebietstypische Nutzungen innerhalb der Kerngebiete aufträten, ließen sich in sinnvoller Weise nur bei den Einzelzulassungen über das Gebot der Rücksichtnahme lösen.

Der Senat kann offen lassen, ob das Oberverwaltungsgericht die vom Antragsteller beanstandeten Rechtssätze aufgestellt hat und diese von den in Bezug genommenen Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts abweichen. Denn auf einer etwaigen Differenz würde das angefochtene Urteil nicht beruhen. Das Oberverwaltungsgericht hat - seiner Entscheidung insoweit eigenständig tragend ("Unabhängig von den oben genannten Erwägungen ...") - die Abwägungserheblichkeit potenzieller gewerblicher Störungen aufgrund der geänderten Planung auch deshalb verneint, weil das Grundstück des Antragstellers durch das bisherige Gebiet MK 1 gleichartigen Störungen ausgesetzt gewesen sei (UA Rn. 19). Die Flächen des bisherigen Gebiets MK 1 hätten sogar näher an seinem Grundstück gelegen als die Flächen des jetzigen Gebiets MK 2. Hinsichtlich des jetzigen Gebiets MK 1, dessen Fläche vorher dem Gebiet MK zugeordnet gewesen sei, sei keine Änderung erfolgt. Der Befund des Oberverwaltungsgerichts, dass sich die Immissionslage durch die beanstandete Planung nicht zu Lasten des Grundstücks des Antragstellers verschlechtert, und die daraus gezogene rechtliche Schlussfolgerung bleiben in der Beschwerde unbeanstandet. Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision indes nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4). Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert.

2.

Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die Fragen, ob

Lärmimmissionen grundsätzlich nicht abwägungsbeachtlich im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB sind, wenn sich der Betroffene mit seiner bestandsgeschützten Wohnnutzung in einem Baugebiet (hier Kerngebiet) befindet, welches dem mit dem Bebauungsplan neu ausgewiesenen Baugebiet entspricht,planerische Konflikte ausgeschlossen sind, wenn die Planung nur bauliche Nutzungen betrifft, die auch in der Nachbarschaft zulässig sind, weil das Störungspotenzial und die Schutzbedürftigkeit durch die gleichartige Gebietsausweisung aufeinander abgestimmt sind,planerische Schutzvorkehrungen zum Schutz der in gleichartigen Baugebieten liegenden Grundstücke nicht erforderlich sind, obwohl aufgrund der bereits bestehenden Umstände erhebliche Vorbelastungen aufgrund von Lärmimmissionen für die Bewohner bestehen,

stellen sich für den Antragsteller wegen der Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts unter der Randnummer 18 des Urteils (Beschwerdebegründung S. 23). Auf ihre Beantwortung käme es wegen der selbständig tragenden Begründung unter der Randnummer 19 des Urteils, die der Antragsteller nicht mit

einem Grund für die Zulassung der Revision angreift, in einem Revisionsverfahren jedoch nicht an.

3.

Die Revision ist schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Das vorinstanzliche Urteil ist nicht mit dem Verfahrensfehler behaftet, dass das Oberverwaltungsgericht die Anforderungen an die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO überspannt hat.

Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (stRspr, BVerwG, Urteil vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 137). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es - wie hier - um das Recht auf gerechte Abwägung geht. Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <218 f.>). Antragsbefugt ist hiernach, wer sich auf einen abwägungserheblichen Belang, d.h. ein Mehr als nur geringfügig schutzwürdiges Interesse (BVerwG, Beschluss vom 28. Juni 2007 - 7 B 4.07 - [...] Rn. 10 m.w.N.), berufen kann.

Für die Prüfung der Antragsbefugnis kommt es im Ausgangspunkt auf die Darlegungen des Antragstellers im Normenkontrollverfahren an. Enthalten sie keine Tatsachen, welche die unzureichende Beachtung eines abwägungserheblichen Belangs möglich erscheinen lassen, ist die Antragsbefugnis zu verneinen. Umgekehrt ist die Antragsbefugnis nicht schon dann zu bejahen, wenn solche Tatsachen im gerichtlichen Verfahren schlicht behauptet werden. Zwar ist die Prüfung der Antragsbefugnis nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 -BVerwGE 107, 215 <218>) und darf sie nicht in einem Umfang und einer Intensität erfolgen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt (BVerwG, Be-schluss vom 8. Juni 2011 - 4 BN 42.10 - BauR 2011, 1641 Rn. 8). Das Normenkontrollgericht ist insbesondere nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Andererseits ist es berechtigt, wenn nicht gar verpflichtet, Tatsachenvortrag auf seine Schlüssigkeit und voraussichtliche Belastbarkeit zu prüfen.

Hieran gemessen hat das Oberverwaltungsgericht die Antragsbefugnis zu Recht verneint. Das Gericht hat im Hinblick auf eine schalltechnische Untersuchung vom 30. Oktober 2012, nach deren Berechnung die planbedingte Zunahme der Verkehrsimmissionen am Wohnhaus des Antragstellers ca. 2 dB(A) betragen wird und die zu erwartenden Beurteilungspegel weit unter den für Kerngebiete geltenden Orientierungs-/Grenzwerten liegen werden, angenommen, dass abwägungsbeachtliche Belange des Antragstellers (durch die Veränderung der Straße "Zur Mühlau") nicht berührt sein können. Den an der Plausibilität der Untersuchung geäußerten Zweifeln des Antragstellers im Hinblick auf ein in einem anderen Bebauungsplanverfahren eingeholtes Gutachten vom 15. September 2004 durfte das Oberverwaltungsgericht bereits bei der Prüfung der Antragsbefugnis nachgehen und sie als nicht stichhaltig entkräften (UA Rn. 21). Ein unzulässiger Vorgriff auf die Prüfung der Begründetheit des Normenkontrollantrags liegt darin nicht, weil das Oberverwaltungsgericht ohne nennenswerten Aufwand, vor allem ohne Rückgriff auf den Sachverstand des Urhebers der schalltechnischen Untersuchung, ermitteln konnte, dass sich die im Gutachten vom 15. September 2004 ausgewiesenen Beurteilungspegel nicht auf das Wohnhaus des Antragstellers beziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Schleswig-Holstein, vom 26.03.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 1 KN 32/13