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BVerfG - Entscheidung vom 29.01.2015

2 BvR 497/12

Normen:
GG Art. 13 Abs. 1
GG Art. 13 Abs. 2

Fundstellen:
DStR 2015, 14
StV 2016, 70

BVerfG, Beschluss vom 29.01.2015 - Aktenzeichen 2 BvR 497/12

DRsp Nr. 2015/8935

Verfassungsmäßigkeit der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei sowie der Beschlagnahme von Unterlagen

1. Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und der Verhältnismäßigkeit. Dabei ist auch das Ausmaß der Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen zu berücksichtigen. Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung, so bringt dies regelmäßig die Gefahr mit sich, dass Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten des Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Dadurch werden die Grundrechte der Mandanten berührt. Zudem liegt der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme.2. Die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts können der Durchsuchung entgegenstehen. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, können nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zugerechnet werden.3. Auch wenn eine freiwillige Herausgabe mangels gleicher Eignung die Erforderlichkeit der Maßnahme grundsätzlich nicht entfallen lässt, so kann ein solches Angebot in der Gesamtbetrachtung nicht völlig außer Betracht bleiben.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 18. Oktober 2011 - 29 Gs 2222/11 - und der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 1. Februar 2012 - 16 Qs 94/11 und 16 Qs 101/11 - verletzen die Beschwerdeführer zu 1), 2) und 3) in ihrem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 und Absatz 2 des Grundgesetzes . Der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 7. Februar 2012 - 29 Gs 275/12 - und der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 1. März 2012 - 9 Qs 13/12 - verletzen die Beschwerdeführer zu 2) und 3) in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes .

Der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 18. April 2012 - 29 Gs 837/12 - und der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 2. Mai 2012 - 18 Qs 27/12 - verletzen die Beschwerdeführerin zu 1) in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes .

Die Beschlüsse des Landgerichts Stuttgart vom 1. Februar, 1. März und 2. Mai 2012 werden aufgehoben und die Sachen zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen.

Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigen sich die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das Land Baden-Württemberg hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Normenkette:

GG Art. 13 Abs. 1 ; GG Art. 13 Abs. 2 ;

Gründe

Gegenstand der Verfassungsbeschwerden sind die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei sowie die Beschlagnahme von Unterlagen.

I.

Die Beschwerdeführerin zu 1) ist eine Rechtsanwaltskanzlei, die in der Form der Partnerschaftsgesellschaft von der Beschwerdeführerin zu 3) als Rechtsanwältin und Partnerin geführt wird. Diese ist seit 2010 mit dem Beschwerdeführer zu 2), der ebenfalls Rechtsanwalt ist, verheiratet.

1. Der Beschwerdeführer zu 2) arbeitet seit Januar 2011 als Angestellter in Teilzeit bei der Beschwerdeführerin zu 1). Er ist drei Kindern aus einer früheren Ehe zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet; Grundlage hierfür ist eine Scheidungsfolgenvereinbarung aus dem Jahr 2006. Mit der Begründung, er habe schwerwiegende gesundheitliche Beschwerden - unter anderem Zustand nach einer Hirnblutung und Burnout-Syndrom - beantragte er im Februar 2011 beim Amtsgericht Leonberg unter Vorlage eines ärztlichen Attestes die Abänderung des Kindesunterhalts. Im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens weigerte er sich jedoch, sich auf seine Arbeitsfähigkeit untersuchen zu lassen, weil er die Weitergabe von Details dieser Untersuchungen an seine frühere Ehefrau oder an seine Kinder verhindern wollte. Im Juli 2011 stellte er einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, dem im Oktober 2011 entsprochen wurde. Aus einem im September 2011 vorgelegten Bericht des vorläufigen Treuhänders ergab sich, dass der Beschwerdeführer zu 2) seit Mitte 2007 zahlungsunfähig war. Er habe allerdings über Jahre hinweg dem Kindesunterhalt den Vorrang eingeräumt und alle anderen Gläubiger "hingehalten". Psychisch sei er angeschlagen und dauerhaft in ärztlicher Behandlung. Pfändungsmaßnahmen der unterhaltsberechtigten Kinder gegen ihn seien insolvenzrechtlich anfechtbar, weil die Mutter der Kinder Kenntnis von der Vermögenslage des Beschwerdeführers zu 2) gehabt habe. Allerdings habe dieser gegenüber der Beschwerdeführerin zu 3) ein abstraktes Schuldanerkenntnis in Höhe von 160.000 € ausgestellt, ohne dass zugrunde liegende Forderungen nachgewiesen seien.

Im Juli 2011 erstattete die frühere Ehefrau des Beschwerdeführers zu 2) Strafanzeige wegen Prozessbetrugs und Verletzung der Unterhaltspflicht, unter anderem mit der Behauptung, er habe in der Scheidungsauseinandersetzung bewusst falsch vorgetragen, er sei nicht Partner seiner Anwaltskanzlei. Außerdem habe er gesundheitsbedingte Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit bewusst übertrieben, um durch eine Teilzeitbeschäftigung sein für Unterhaltsleistungen verfügbares Einkommen geringer darzustellen als es tatsächlich sei.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart nahm Ermittlungen gegen die Beschwerdeführer zu 2) und 3) auf. Die Beschwerdeführerin zu 3) bot im August 2011 an, sämtliche erforderlichen Unterlagen herauszugeben, um eine Durchsuchung der Rechtsanwaltskanzlei mit Folgen für Mandanten zu vermeiden.

2. Am 18. Oktober 2011 erließ das Amtsgericht Stuttgart den angegriffenen Durchsuchungsbeschluss, bezogen auf die Kanzleiräume der Beschwerdeführerin zu 1) und die Wohnung der Beschwerdeführer zu 2) und 3) zur Sicherstellung von Unterlagen über den Umfang der Beschäftigung des Beschwerdeführers zu 2) und seine Einkünfte und über finanzielle Absprachen zwischen den Beschwerdeführern zu 2) und 3). Die Durchsuchung wurde am 7. November 2011 durchgeführt. Es wurden - ohne ausdrückliche vorherige richterliche Beschlagnahmeanordnung - einige Ordner, unter anderem mit Buchhaltungsunterlagen, sowie ein Terminkalender beschlagnahmt.

Das Landgericht Stuttgart wies durch den angegriffenen Beschluss vom 1. Februar 2012 die hiergegen erhobene Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) als unzulässig zurück und verwarf die Beschwerde der Beschwerdeführer zu 2) und 3) als unbegründet. Falls der Beschwerdeführer zu 2) in höherem Umfang erwerbstätig sein könne als im Arbeitsvertrag festgelegt und von ihm selbst angegeben, habe dies möglicherweise Bedeutung für die ihm zur Last gelegten Taten. Die freiwillige Herausgabe von Unterlagen sei kein ebenso wirksames milderes Mittel. Denn die Strafverfolgungsbehörden hätten noch gar nicht gewusst, welche Aktenstücke sich konkret in den Räumlichkeiten befunden hätten und was anzufordern gewesen wäre. Zudem hätte die theoretische Möglichkeit bestanden, dass die Unterlagen nicht vollständig herausgegeben werden.

3. Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 7. Februar 2012 bestätigte das Amtsgericht Stuttgart die Beschlagnahme in dem Verfahren gegen die Beschwerdeführer zu 2) und 3). Das Landgericht Stuttgart verwarf die hiergegen gerichtete Beschwerde durch Beschluss vom 1. März 2012. Der Tatverdacht ergebe sich insbesondere daraus, dass der Beschwerdeführer zu 2) sich nicht vom gerichtlich bestellten Sachverständigen habe untersuchen lassen. In dem Umstand, dass vor der Beschlagnahme nicht einmal eine telefonische Entscheidung des Ermittlungsrichters herbeigeführt worden sei, könne eine willkürliche Missachtung des Richtervorbehalts nicht gesehen werden, weil die beschlagnahmten Objekte ihrer Art nach bereits im Durchsuchungsbeschluss hinreichend bezeichnet gewesen seien und weil bei der Durchsuchung eine Staatsanwältin anwesend gewesen sei. Auch die Art und Weise der Durchsuchung sei nicht zu beanstanden.

4. Im April 2012 wandte sich die Beschwerdeführerin zu 1) erneut an das Amtsgericht und erinnertean ihren Antrag, die Beschlagnahme nicht zu bestätigen. Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 18. April 2012 bestätigte das Amtsgericht Stuttgart die Beschlagnahme insoweit. Die dagegen gerichtete Beschwerde verwarf das Landgericht Stuttgart mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 2. Mai 2012.

II.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer im Wesentlichen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 13 und Art. 2 Abs. 1 GG . Anstelle der Untersuchung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen habe der Beschwerdeführer zu 2) ein ärztliches Attest vorgelegt. Dies reiche aus. Im Übrigen haben die Beschwerdeführer vor allem den Vortrag aus den instanzgerichtlichen Verfahren wiederholt.

III.

1. Der Generalbundesanwalt hat Stellung genommen. Die Verfassungsbeschwerden seien jedenfalls unbegründet. Die möglichen Straftaten seien in den Beschlüssen hinreichend konkretisiert worden. Die Durchsuchung sei verhältnismäßig gewesen. Die freiwillige Herausgabe von Unterlagen sei nicht in Betracht gekommen, da bei einem Rückgriff allein auf von den Beschuldigten ausgesuchtes Material keine Gewähr bestanden hätte, den Sachverhalt erschöpfend aufzuklären. Dass die aus der Anwaltstätigkeit der Beschwerdeführer zu 2) und 3) folgenden besonderen Anforderungen beachtet worden seien, ergebe sich aus dem Rubrum der Beschlüsse, wo beide als Rechtsanwälte bezeichnet seien.

2. Das Justizministerium Baden-Württemberg hat eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Stuttgart vorgelegt. Im Hinblick auf das vom Beschwerdeführer zu 2) ausgestellte abstrakte Schuldanerkenntnis über 160.000 € sei eine freiwillige Vorlage von Unterlagen unzureichend gewesen; es habe auch die Gefahr bestanden, dass die Durchsuchung "vorbereitet" worden wäre.

3. Der wesentliche Inhalt der Ermittlungsakte des Strafverfahrens gegen die Beschwerdeführer zu 2) und 3) lag vor.

IV.

Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere hinsichtlich der besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung im Falle einer Durchsuchung bei Berufsgeheimnisträgern - bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ; vgl. BVerfGE 113, 29 <47 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 2010 - 2 BvR 223/10 -, BayVBl 2011, S. 315 f.), und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 , Art. 2 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG ). Die Verfassungsbeschwerde ist überwiegend offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ).

1. Der Durchsuchungsbeschluss vom 18. Oktober 2011 und der diesen bestätigende Beschluss des Landgerichts vom 1. Februar 2012 verletzen die Beschwerdeführer zu 2) und 3) in ihrem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG .

a) Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche 16 Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in den mit einer Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird (vgl. BVerfGE 42, 212 <219 f.>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Dem Schutz unterfallen auch beruflich genutzte Räume wie Rechtsanwaltskanzleien (vgl. BVerfGE 32, 54 <69 ff.>; 42, 212 <219>; 96, 44 <51>).

Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Zwangsmaßnahme muss zur Ermittlung und zur Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein. Auch muss der jeweilige Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 59, 95 <97>; 96, 44 <51>; 115, 166 <197>).

Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO ) gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei zudem die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGK 17, 550 <556>). Die Strafverfolgungsbehörden haben dabei auch das Ausmaß der - mittelbaren - Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen zu berücksichtigen. Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung, so bringt dies regelmäßig die Gefahr mit sich, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Dadurch werden die Grundrechte der Mandanten berührt. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt darüber hinaus auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme (vgl. BVerfGE 113, 29 <47 ff.>).

Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfGE 115, 166 <198>): Für die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat spricht, wenn sie nicht von erheblicher Bedeutung ist. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, können nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zugerechnet werden (vgl. BVerfGE 124, 43 <64>).

b) Diesen Maßstäben werden die vorliegenden Entscheidungen nicht gerecht.

aa) Ob sich ein hinreichender Tatverdacht gegen die Beschwerdeführer zu 2) und 3) aus den Ausführungen der Fachgerichte ergibt, kann offen bleiben.

Es entspricht der herrschenden und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass nicht nur die tatsächlichen, sondern auch die fiktiv erzielbaren Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese "bei gutem Willen" ausüben könnte (vgl. BVerfGK 6, 25 <28>). Das offenbar nicht auf reale Forderungen gestützte Schuldanerkenntnis des Beschwerdeführers zu 2) und seine Weigerung, sich durch den Sachverständigen untersuchen zu lassen, begründen einen gewissen Verdacht, er habe über seinen Gesundheitszustand und seine Verdienstmöglichkeiten die Unwahrheit gesagt. Sollte er - was möglich erscheint - den Plan verfolgt haben, nur scheinbar auf eine Teilzeitstelle zu wechseln und tatsächlich voll weiterzuarbeiten, so dürfte ferner die Beschwerdeführerin zu 3) als seine Ehefrau und Vertreterin der Arbeitgeberin davon Kenntnis gehabt und ihn unterstützt haben.

Der sich hieraus möglicherweise ergebende Tatverdacht ist allerdings von geringer Intensität. Denn bereits die Strafanzeige der ehemaligen Ehefrau enthielt hinsichtlich der Scheidungsfolgenvereinbarung Widersprüchlichkeiten und zudem äußerst fernliegende Behauptungen wie diejenige, der Arzt ihres ehemaligen Ehemannes habe sich ihr gegenüber ohne Weiteres selbst belastet und zugegeben, ein Gefälligkeitsattest erstellt zu haben. Es ist daher in Betracht zu ziehen, dass die Anzeigeerstatterin ihren - wenige Tage nach dem Eigenantrag des Beschwerdeführers zu 2) auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellten - Strafantrag aus Ärger und Enttäuschung über den Verlauf des familiengerichtlichen Verfahrens mit Unwahrheiten oder jedenfalls Übertreibungen angereichert haben könnte.

Dass der Beschwerdeführer zu 2) sich dauerhaft in ärztlicher Behandlung befunden hatte, jedenfalls 2006 an einem Burnout-Syndrom und 2008 an einer Gehirnblutung litt, wird durch die vorliegenden Atteste dokumentiert und ist auch den Angaben des vorläufigen Treuhänders zu entnehmen. Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen, dass er tatsächlich krank war und sich - wie von ihm angegeben - nur deshalb nicht vom Amtsarzt untersuchen lassen wollte, weil er verhindern wollte, dass Details seiner gesundheitlichen Schwierigkeiten ins Verfahren eingeführt werden. Auch die teils chaotische Handhabung seiner finanziellen Situation lässt das Vorliegen eines Burnout-Syndroms nicht als fernliegend erscheinen. Dem Beschwerdeführer zu 2) waren seine Angelegenheiten ersichtlich jahrelang über den Kopf gewachsen.

bb) Unabhängig von der Frage, ob ein Tatverdacht von hinreichender Intensität vorgelegen hat oder nicht, werden die angegriffenen Beschlüsse den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Richtervorbehalts gemäß Art. 13 Abs. 2 GG jedoch schon deshalb nicht gerecht, weil sie sich nicht mit den besonderen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgern auseinandersetzen. Im Durchsuchungsbeschluss vom 18. Oktober 2011 finden sich überhaupt keine Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung und ihrer Durchführung im Einzelnen. Der Beschluss des Landgerichts vom 1. Februar 2012 beschränkt sich auf den Hinweis, eine freiwillige Herausgabe der Akten könne gegenüber der Durchsuchung nicht als gleich wirksames Mittel angesehen werden. Die Problematik einer Durchsuchung bei Berufsgeheimnisträgern findet jedoch gleichfalls keine Erwähnung. Erst recht lässt der Umstand, dass die Beschwerdeführer im Rubrum der Beschlüsse als Rechtsanwälte beziehungsweise Anwaltskanzlei bezeichnet sind, nicht auf eine intensive Prüfung der Verhältnismäßigkeit der angeordneten Durchsuchung schließen.

Eine kritische Prüfung der Verhältnismäßigkeit hätte vorliegend jedoch besonders nahegelegen. Denn zum einen sind, wie ausgeführt, bei der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei die Grundrechte der Mandanten sowie das Interesse der Allgemeinheit an einem Vertrauensverhältnis zum Berufsgeheimnisträger in besonderer Weise zu berücksichtigen. Zum anderen muss im vorliegenden Fall die Bereitschaft der Beschwerdeführerin zu 3) gewürdigt werden, sämtliche relevanten Unterlagen herauszugeben. Auch wenn eine freiwillige Herausgabe mangels gleicher Eignung die Erforderlichkeit der Maßnahme grundsätzlich nicht entfallen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2008 - 2 BvR 1800/07 -, ZAP Fach 23, S. 797 f., [...]), so kann ein solches Angebot in der zur Angemessenheit anzustellenden Gesamtbetrachtung nicht völlig außer Betracht bleiben. Schließlich ist von erheblicher Bedeutung, dass bei Erlass der angegriffenen Beschlüsse die ausführliche Ausarbeitung des vorläufigen Treuhänders bereits vorlag, aus der sich insbesondere ergibt, dass der Beschwerdeführer zu 2) über Jahre hinweg zahlreiche Gläubiger nicht befriedigt hat, um seinen von ihm als vorrangig angesehenen Unterhaltspflichten nachzukommen. Allein dieser Gesichtspunkt hätte für sich genommen hinreichenden Anlass geboten, die Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung von Kanzleiräumen mit ihren möglichen Folgen für nicht betroffene Mandanten in Frage zu stellen.

Es kommt hinzu, dass der die Durchsuchung auslösende Tatverdacht weder sehr intensiv war noch sich auf besonders schwere Delikte bezog. Die Verletzung der Unterhaltspflicht wird gemäß § 170 StGB im Höchstmaß mit drei Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Für den versuchten Betrug gemäß §§ 263 , 22 , 23 StGB liegt eine Strafmilderung auf ein Höchstmaß von drei Jahren und neun Monaten wegen des Versuchs gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 StGB nahe. Auch ist in den Beschlüssen nicht dargetan, welche Umstände im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten der Beschwerdeführer zu 2) und 3) zu berücksichtigen wären. Erst recht fehlt es an Überlegungen dazu, welche für sie günstigen Gesichtspunkte sich aufdrängten. Soweit ersichtlich, sind die Beschwerdeführer zu 2) und 3) nicht vorbestraft. Der gesundheitlich in erheblichem Maße angeschlagene Beschwerdeführer zu 2) befand sich angesichts der Privatinsolvenz in einer prekären finanziellen Situation. Er war nach Einschätzung des vorläufigen Treuhänders bereits dreieinhalb Jahre vor der Tathandlung zahlungsunfähig. Vor diesem Hintergrund liegt es sehr nahe, dass es einer Täuschung gar nicht bedurft hätte, um die Unterhaltszahlungen an die Kinder zu reduzieren, weil der Beschwerdeführer zu 2) zur Tatzeit längst Privatinsolvenz hätte anmelden können. Ein Unterhaltsanspruch seiner Kinder gegenüber der Insolvenzmasse hätte dann allenfalls noch in geringem Umfang bestanden; dies folgt auch daraus, dass die gezahlten Unterhaltsbeträge nach Einschätzung des Treuhänders möglicherweise insolvenzrechtlich angefochten werden können. Es erschien daher zumindest möglich, dass im Falle einer Verurteilung letztlich nur eine sehr geringe Strafe verhängt werden würde. Bezüglich der Beschwerdeführerin zu 3) gilt dies erst recht, weil bei ihr eine weitere Milderung im Hinblick auf § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB zu erwarten war.

2. Die Bestätigungen der Beschlagnahme vom 7. Februar 2012 beziehungsweise 18. April 2012 sowie die durch das Landgericht am 1. März 2012 beziehungsweise 2. Mai 2012 erfolgten Zurückweisungen der dagegen gerichteten Beschwerden stellen jedenfalls Verstöße gegen das Grundrecht der Beschwerdeführer 1) bis 3) aus Art. 2 Abs. 1 GG dar (vgl. BVerfGE 113, 29 <45>), auf das sich auch die Beschwerdeführerin zu 1) berufen kann (Art. 19 Abs. 3 GG ). Denn auch diese Beschlüsse stellen Verhältnismäßigkeitserwägungen allenfalls im Zusammenhang mit der Art und Weise der Durchsuchung an, ohne sich mit den Anforderungen an Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgern zu befassen.

3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Art und Weise der Durchsuchung und der Beschlagnahme richten, nimmt das Bundesverfassungsgericht sie nicht zur Entscheidung an. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG ).

4. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG . Das Bundesverfassungsgericht muss nicht sämtliche angegriffenen verfassungswidrigen Entscheidungen aufheben, sondern kann die Sache auch an ein Gericht höherer Instanz zurückverweisen, zumal wenn dieses - wie hier - als Beschwerdegericht gemäß § 308 Abs. 2 StPO zu eigenen Sachverhaltsfeststellungen nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juli 2011 - 2 BvR 2413/10 -, EuGRZ 2011, S. 521 <524>, [...]).

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG .

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigen sich mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden.

Vorinstanz: LG Stuttgart, vom 01.02.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 16 Qs 94/11
Vorinstanz: LG Stuttgart, vom 01.02.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 16 Qs 101/11
Vorinstanz: AG Stuttgart, vom 18.10.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 29 Gs 2222/11
Vorinstanz: LG Stuttgart, vom 02.05.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 18 Qs 27/12
Vorinstanz: AG Stuttgart, vom 18.04.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 29 Gs 837/12
Vorinstanz: LG Stuttgart, vom 01.03.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 9 Qs 13/12
Vorinstanz: AG Stuttgart, vom 07.02.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 29 Gs 275/12
Fundstellen
DStR 2015, 14
StV 2016, 70