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BSG - Entscheidung vom 28.05.2015

B 9 SB 6/15 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 28.05.2015 - Aktenzeichen B 9 SB 6/15 B

DRsp Nr. 2015/10587

Zuerkennung des Merkzeichens Blindheit Verfahrensrüge Nichtverfolgung eines Beweisantrages ohne hinreichende Begründung Sich widersprechende Gutachten

1. Die Wendung "ohne hinreichende Begründung" in § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 SGG ist nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne zureichenden Grund" zu verstehen, weil § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG die Revisionszulassung erkennbar nur davon abhängig macht, ob das Verfahren des LSG tatsächlich an einem Mangel leidet. 2. Einen allgemeinen Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein "Obergutachten" sehen die Prozessordnungen - auch das SGG - nicht vor. 3. Bei widersprechenden Gutachten ist das Gericht lediglich gehalten, sich mit dem Gutachten, dem es nicht folgt, auseinanderzusetzen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Dezember 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe:

I

Mit Urteil vom 18.12.2014 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung des Merkzeichens Blindheit (Bl) verneint. Der Anspruch der insoweit beweisbelasteten Klägerin sei zu verneinen, weil die objektiven Messungen keine hinreichend eindeutigen Ergebnisse erbracht hätten und die von ihrer Mitarbeit abhängigen Sehschärfemessungen aufgrund der eindeutigen nachgewiesen Aggravation der Klägerin ungeeignet seien, den Nachweis der Blindheit zu erbringen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt und gerügt, das LSG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der behauptete Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Das BSG muss grundsätzlich allein aufgrund des Vorbringens der Beschwerdebegründung zur Beurteilung der Frage in der Lage sein, ob die Revision zuzulassen ist oder nicht; der Beschwerdeführer kann nicht erwarten, dass sich das BSG den maßgeblichen Sachverhalt selbst aus den Akten heraussucht (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 13 mwN). Bereits einen solchen geordneten und strukturierten Vortrag lässt die Beschwerde vermissen. Insbesondere gibt sie den Inhalt der von ihr in Bezug genommenen Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen, auf deren Inhalt sie ihre Angriffe gegen das LSG-Urteil stützt, nicht aus sich heraus verständlich und hinreichend vollständig wieder.

Darüber hinaus kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG der geltend gemachte Verfahrensmangel auf die von der Beschwerde gerügte Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn wie sich unter anderem aus § 359 ZPO ergibt, ist notwendiger Inhalt eines Beweisantrags eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache ( BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN).

An dieser Darlegung fehlt es, obwohl die Benennung eines präzisen Beweisantrags angesichts der bereits vorhandenen mehreren Begutachtungen mit unterschiedlichem Ausgang, die die Beschwerde erwähnt, umso wichtiger gewesen wäre. Soweit die Beschwerde sich im Übrigen gegen die Würdigung der widerstreitenden Gutachten durch das LSG wendet, übersieht sie, dass insoweit § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG die Beweiswürdigung des LSG der Überprüfung durch das Revisionsgericht entzieht.

Schließlich hat die Beschwerde auch nicht dargelegt, warum sich das LSG zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen sollen. Allein der Hinweis der Beschwerde, das LSG habe seinen Verzicht auf ein weiteres augenärztliches Gutachten überhaupt nicht begründet, genügt dafür nicht. Denn die Wendung "ohne hinreichende Begründung" in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ist nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne zureichenden Grund" zu verstehen, weil § 160 Abs 2 Nr 3 SGG die Revisionszulassung erkennbar nur davon abhängig macht, ob das Verfahren des LSG tatsächlich an einem Mangel leidet (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG , § 160 SGG RdNr 83 mwN).

Auch unabhängig davon fehlt es an der Darlegung, was das LSG zu weiterer Beweiserhebung hätte drängen sollen, obwohl es bereits auf mehrere augenärztliche Gutachten zurückgreifen konnte. Das Gericht ist in der Würdigung der Sachverständigengutachten grundsätzlich frei; es kann auch ohne Einholung eines weiteren Gutachtens von ihnen abweichen ( BSG Beschluss vom 6.12.1989 - 2 BU 146/89). Einen allgemeinen Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein "Obergutachten" sehen die Prozessordnungen - auch das SGG - nicht vor ( BSG Beschluss vom 17.11.2003 - B 3 P 23/03 B; Beschluss vom 1.4.2014 - B 9 V 54/13 B - RdNr 10). Bei widersprechenden Gutachten ist das Gericht lediglich gehalten, sich mit dem Gutachten, dem es nicht folgt, auseinanderzusetzen ( BSG Beschluss vom 23.5.2006 - B 13 RJ 272/05 B - RdNr 5, Juris). Die Beschwerde zeigt nicht auf, warum das LSG diesen Vorgaben nicht genügt haben sollte. Denn das Berufungsgericht hat im Einzelnen dargelegt, warum es in der Gesamtschau der eingeholten Gutachten im Ergebnis dem von Amts wegen und nicht dem auf Antrag der Klägerin gehörten Sachverständigen gefolgt ist, weil sich aus beiden Gutachten Anzeichen für eine Aggravation der Klägerin bei der ärztlichen Überprüfung ihrer Sehschärfe ergeben habe .

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 18.12.2014 - Vorinstanzaktenzeichen L 6 SB 4253/13
Vorinstanz: SG Konstanz, - Vorinstanzaktenzeichen S 6 SB 318/12