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BSG - Entscheidung vom 24.07.2015

B 13 R 217/15 B

Normen:
SGB VI § 303
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 24.07.2015 - Aktenzeichen B 13 R 217/15 B

DRsp Nr. 2015/15406

Witwerrente gemäß § 303 SGB VI Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage Vermutung der Kenntnisnahme von Parteivortrag und Akteninhalt

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache i.S. des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. 2. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog. Breitenwirkung) darlegen. 3. Es gilt zunächst die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, auf jeden Gesichtspunkt einzugehen, der im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden ist. 4. Deshalb muss die Beschwerdebegründung "besondere Umstände" des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 31. März 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGB VI § 303 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 31.3.2015 den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Witwerrente gemäß § 303 SGB VI verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und macht Verfahrensmängel geltend.

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 21.7.2015 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form; denn er hat die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargetan (vgl § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt.

Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl zum Ganzen BSG Beschluss vom 25.9.2002 - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,

"Ist bei der Feststellung des überwiegenden Bestreitens des Unterhalts der Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand im Sinne von § 303 S. 1 SGB VI für Betroffene im Beitrittsgebiet so auszulegen, dass es auf die konkreten Umstände des Einzelfalles ankommt?"

Werde die vorgenannte Frage verneint, stelle sich nach Auffassung des Klägers folgende zweite Frage:

"Ist es bei der Feststellung des überwiegenden Bestreitens des Unterhaltes der Familie im Sinne von § 303 S. 1 SGB VI bei Betroffenen im Beitrittsgebiet zulässig, diese Feststellung mit Hinblick Postulate des im Beitrittsgebiet geltenden Familiengesetzbuches der DDR grundsätzlich auszuschließen?"

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger insbesondere mit der zweiten Frage eine aus sich heraus verständliche Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG formuliert hat. Denn er versäumt es bereits, die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen darzulegen. Der Kläger behauptet noch nicht einmal, dass es keine Rechtsprechung des BSG zu den von ihm bezeichneten Fragestellungen gebe, und unterzieht sich auch nicht der notwendigen Mühe zu untersuchen, ob sich aus bereits vorhandener höchstrichterlicher Rechtsprechung hinreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der gestellten Fragen ergeben könnten. Zudem fehlen in der Beschwerdebegründung jegliche Ausführungen zu deren Klärungsfähigkeit.

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

a) Der Kläger rügt als Verfahrensmangel ausdrücklich nur eine Verletzung des "§ 136 Abs. 1 Ziffer 5 und Abs. 2 SGG ".

Offenbleiben kann, ob der Kläger in seiner Beschwerdebegründung einen Verstoß gegen die vorgenannten Normen überhaupt schlüssig dargetan hat. Er behauptet zwar, das LSG-Urteil enthalte überhaupt "keine Darstellung des Tatbestandes", räumt aber zugleich ein, dass die "Darstellungen" des LSG "zum zeitlichen Ablauf des Geschehens ... korrekt" seien, wenn auch die "Sachverhaltsdarstellung" des Berufungsgerichts seiner Ansicht nach "äußerst kurz" sei. Hierzu bedarf es vorliegend jedoch keiner näheren Erörterung; denn der Kläger übersieht, dass Unrichtigkeiten oder Unklarheiten des Tatbestands nicht als Verfahrensmangel mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden können. Vielmehr muss der Beteiligte, der Nachteile aus einer Unrichtigkeit oder Unklarheit im Tatbestand befürchtet, statt einer Verfahrensrüge mit der Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der gesetzlichen Frist einen Tatbestandsberichtigungsantrag stellen ( BSG Beschluss vom 2.9.2014 - B 9 V 17/14 B - Juris RdNr 7; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde 2. Aufl 2010, RdNr 768; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 139 RdNr 6). Der Kläger hat nicht vorgetragen, rechtzeitig innerhalb der Frist von § 139 Abs 1 SGG einen solchen Antrag auf Tatbestandsberichtigung gestellt zu haben.

b) Sofern der Kläger mit seinem weiteren Beschwerdevorbringen, es dränge sich der Verdacht auf, dass das LSG "insbesondere" seinen "ergänzenden 53-seitigen Vortrag ... in der zweiten Instanz nicht zur Kenntnis genommen" habe, sinngemäß einen Gehörsverstoß (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) geltend macht, gilt zunächst die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zumal es nach Art 103 Abs 1 GG nicht verpflichtet ist, auf jeden Gesichtspunkt einzugehen, der im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden ist (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 16 S 14; BVerfGE 96, 205 , 217). Deshalb muss die Beschwerdebegründung "besondere Umstände" des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann (vgl BVerfGE 28, 378 , 384 f; 47, 182, 187 f; 54, 86, 91 f). Besondere Umstände liegen etwa vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Beteiligtenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, obwohl das Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts erheblich und nicht offensichtlich unsubstantiiert war (vgl BVerfGE 86, 133 , 146, BVerfG Kammerbeschluss vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 , 498 RdNr 12). Aus der Beschwerdebegründung des Klägers lässt sich jedoch schon nicht entnehmen, ob, welche und inwiefern die angeblich nicht zur Kenntnis genommenen tatsächlichen Ausführungen und rechtlichen Argumente in seinem vorgenannten "ergänzenden 53-seitigen Vortrag" - auf der Basis der Rechtsauffassung des LSG - für das Verfahren entscheidungserheblich und für die Falllösung zentral bedeutsam waren. Im Übrigen gewährleistet der Anspruch auf rechtliches Gehör nur, dass der Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird ( BSG Beschluss vom 9.5.2011 - B 13 R 112/11 B - Juris RdNr 9; vgl auch BVerfG Kammerbeschlüsse vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 RdNr 17 und vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN). Art 103 Abs 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten (hier der in der Beschwerdebegründung auch nicht näher bezeichneten "Berechnungsvorstellung des Klägers") zu folgen (BVerfG Kammerbeschlüsse vom 4.9.2008 - 2 BvR 2162/07 ua - BVerfGK 14, 238 und vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 RdNr 17; BSG Beschluss vom 24.8.2011 - B 6 KA 3/11 C - Juris RdNr 9).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 31.03.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 5 R 405/12
Vorinstanz: SG Chemnitz, - Vorinstanzaktenzeichen 39 R 1556/07