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BSG - Entscheidung vom 01.07.2015

B 3 KR 17/15 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGB I § 14

BSG, Beschluss vom 01.07.2015 - Aktenzeichen B 3 KR 17/15 B

DRsp Nr. 2015/11943

Weiterzahlung von Krankengeld Lückenlose und zeitnahe Feststellung der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Spontanberatung Fehlende Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage

1. In der Regel fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage, wenn diese höchstrichterlich bereits entschieden ist oder sich ihre Beantwortung eindeutig aus dem Gesetz ergibt. 2. Zur Frage, unter welchen Umständen gegenüber der Krankenkasse ein Anspruch auf Spontanberatung nach § 14 SGB I besteht, liegt umfangreiche Rechtsprechung vor.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. November 2014 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGB I § 14 ;

Gründe:

I

Streitig ist ein Anspruch auf Weiterzahlung von Krankengeld (Krg) über den 7.11.2008 hinaus bis zum 11.4.2010.

Der 1957 geborene Kläger war als Kfz-Meister im Reifenhandel sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Während des Beschäftigungsverhältnisses kam es immer wieder zu krankheitsbedingten Fehlzeiten, zuletzt wegen einer Grippeerkrankung (16.9. bis 24.9.2008). Am 10.10.2008 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos; zugleich erfolgte die Abmeldung des Klägers gegenüber der beklagten Krankenkasse. Der Kläger meldete sich am 14.10.2008 bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos. Noch am gleichen Tag suchte der Kläger auch die Beklagte auf und legte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 13.10. bis zum 26.10.2008 vor. Am 20.11.2008 beantragte er rückwirkend zum 11.10.2008 die Feststellung der Familienversicherung im Rahmen des Mitgliedschaftsverhältnisses seiner Ehefrau, nachdem er am 14.10.2008 die - zutreffende - Auskunft erhalten hatte, aufgrund der Abmeldung vom 10.10.2008 und der erst danach eingetretenen Arbeitsunfähigkeit (13.10.2008), die einen Anspruch auf Krg und damit eine Fortdauer der Pflichtmitgliedschaft über den 10.10.2008 hinaus ausschließe, sei er momentan nicht pflichtversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Am 26.11.2008 schlossen der Kläger und sein Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2008 endete. Der Kläger erhielt daraufhin sein Arbeitsentgelt bis zum 31.10.2008 ausgezahlt. Die Beklagte gewährte in der Folgezeit Krg für die Zeit vom 1.11. bis zum 7.11.2008, nachdem ihr eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 24.10. bis zum 7.11.2008 vorgelegt worden war. Die - gemäß § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V grundsätzlich mögliche - Gewährung von Krg über den 7.11.2008 hinaus lehnte sie ab, weil eine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit weder ärztlich festgestellt noch ihr gemeldet worden sei (Bescheid vom 16.4.2009, Widerspruchsbescheid vom 29.4.2009). Seit dem 8.11.2008 wurde der Kläger als familienversichert geführt, weil die Mitgliedschaftsfiktion des § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V mit Ablauf des 7.11.2008 beendet war.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 31.10.2011). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 27.11.2014). Der Anspruch auf Weiterzahlung des Krg über den 7.11.2008 hinaus sei unbegründet, weil es an einer lückenlosen und zeitnahen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ab 8.11.2008 fehle. Das Attest des Hausarztes vom 9.1.2009, der Kläger sei wegen eines schweren, völlig entgleisten Diabetes mellitus Typ II B und einer schweren Erschöpfungsdepression seit dem 13.10.2008 arbeitsunfähig, reiche nicht aus, weil die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit spätestens am 7.11.2008 hätte festgestellt und bescheinigt werden müssen (§ 46 Satz 1 Nr 2 SGB V ). Die begehrte Weiterzahlung des Krg könne auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gestützt werden; denn die Beklagte habe den Kläger am 14.10.2008 nicht fehlerhaft beraten und damit nicht die Vorlage einer lückenlosen Reihe von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit nach dem 7.11.2008 verhindert.

Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und beruft sich dabei auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG normierten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1, § 169 SGG ).

1. Zur Darlegung des Revisionszulassungsgrundes, die angegriffene Entscheidung betreffe eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ), ist es erforderlich, die Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39) und dass sie klärungsbedürftig sowie klärungsfähig ist ( BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16), sie also im Falle der Revisionszulassung entscheidungserheblich wäre ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). In der Regel fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage, wenn diese höchstrichterlich bereits entschieden ist ( BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR § 160a Nr 13 und 65 ; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8) oder sich ihre Beantwortung eindeutig aus dem Gesetz ergibt (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 65 f mwN). Diese Erfordernisse betreffen die gesetzliche Form iS des § 169 S 1 SGG (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48). Deren Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

a) Der Kläger hat folgende Frage formuliert: Darf sich ein um Beratung gebetener Sozialversicherungsträger auf eine "einsilbige", formell "teilrichtige" Auskunft zurückziehen, wenn nach dem ihm unterbreiteten Sachverhalt erkennbar eine inhaltlich weitergehende Belehrung erforderlich ist, um dem Antragsteller seine durch Versicherungsleistung erdienten Rechte zu erhalten, insbesondere wenn deren Realisierung durch die Verletzung einfacher Ordnungsvorschriften erkennbar so gefährdet ist, dass existenzvernichtende Rechtsfolgen drohen? Damit hat der Kläger jedoch keine abstrakte, aus sich heraus verständliche Rechtsfrage formuliert; insbesondere wird nicht ersichtlich, auf welches Tatbestandsmerkmal diese sehr weitgehende Fragestellung abzielt.

Erst aus dem Gesamtzusammenhang seiner Ausführungen lässt sich ein deutlich enger zu fassendes Anliegen ableiten. Der Kläger meint, die Beklagte hätte ihm am 14.10.2008 erklären müssen, dass sein Versicherungsstatus sich "sehr wahrscheinlich" noch ändern werde, weil hier ein Standardfall einer schwebend unwirksamen Arbeitgeberkündigung vorgelegen habe, und dass von der regelmäßigen Abgabe von Folgebescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit die Gewährung von Krg abhängen könne. Vor diesem Hintergrund reduziert sich die inhaltlich sehr weitgehende, alle Sozialversicherungsträger und alle denkbaren Sozialleistungsansprüche betreffende Fragestellung auf die Reichweite der Beratungs- und Auskunftspflichten einer Krankenkasse nach den §§ 14 und 15 SGB I im Hinblick auf die nahtlose Aufrechterhaltung eines Krg-Anspruchs eines Versicherten bei Unsicherheit über den Fortbestand seines gekündigten Arbeitsverhältnisses.

b) Wäre dies so formuliert worden, hätte der Kläger zwar eine auf den Fall zugeschnittene konkrete Rechtsfrage aufgeworfen. Deren Klärungsbedürftigkeit ist allerdings nicht hinreichend dargelegt.

aa) Zunächst ist festzuhalten, dass in der Beschwerdebegründung ein Sachverhalt unterstellt wird, der von den Feststellungen des LSG so nicht getragen wird. Das LSG hat es ausdrücklich offengelassen, ob die Beklagte am 14.10.2008 bereits wusste, dass der Kläger sich gegen die fristlose Kündigung vom 10.10.2008 zur Wehr setzen wollte ("sofern sie von einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung überhaupt Kenntnis hatte"). Nur bei einer entsprechenden Mitteilung des Klägers, die vom LSG aber gerade nicht festgestellt worden ist, hätte sich ein Sachverhalt ergeben, den der Kläger als Ausgangspunkt für die aufgeworfene Rechtsfrage zum Umfang der Beratungspflichten der Beklagten als gegeben voraussetzt.

bb) Aber selbst wenn unterstellt wird, der Kläger habe am 14.10.2008 auf eine bereits erhobene oder zumindest beabsichtigte Kündigungsschutzklage hingewiesen, fehlt es an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage.

Da der Kläger nicht geltend macht, am 14.10.2008 sei eine von ihm gestellte konkrete Frage zu den Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs unrichtig beantwortet worden und er es deswegen unterlassen habe, seine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit fortlaufend feststellen und bescheinigen zu lassen, kann es nur um einen Fall pflichtwidrig unterlassener oder unvollständiger Spontanberatung gehen. Zur Frage, unter welchen Umständen gegenüber der Krankenkasse ein Anspruch auf Spontanberatung nach § 14 SGB I besteht, liegt jedoch umfangreiche Rechtsprechung vor (BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nr 5 RdNr 25 ff; BSGE 106, 296 = SozR 4-2500 § 50 Nr 2, RdNr 19; BSGE 99, 180 = SozR 4-2500 § 13 Nr 15, RdNr 31; BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 14; BSG SozR 2200 § 182 Nr 57 S 108 f). Der Kläger setzt sich mit dieser Rechtsprechung in der Beschwerdebegründung nicht auseinander und zeigt deshalb nicht auf, dass sich die aufgeworfene Rechtsfrage anhand dieser Entscheidungen nicht beantworten lässt und somit weiterhin Klärungsbedarf besteht.

cc) Schließlich fehlt es an hinreichenden Darlegungen zum Anlass für eine Spontanberatung. Es wird nicht vorgetragen, aufgrund welcher Umstände die Beklagte hätte vermuten müssen, der Kläger könnte irrig davon ausgehen, ein Krg-Anspruch sei nicht nur am 14.10.2008, sondern auch in der Zukunft ausgeschlossen und er könnte deshalb während der Phase der Unsicherheit über den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses darauf verzichten, sich vorsorglich um entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu bemühen. Immerhin hat der Kläger - trotz des nunmehr geltend gemachten Beratungsmangels - mit Blick auf das angestrebte Krg eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 24.10. bis zum 7.11.2008 eingeholt, die ihm dann auch das Krg für die Zeit vom 1.11. bis zum 7.11.2008 gesichert hat, weil das Arbeitsverhältnis durch den Vergleich bis zum 31.10.2008 fortgesetzt worden ist und zu diesem Zeitpunkt Arbeitsunfähigkeit vorlag (§ 44 Abs 1, § 46 Abs 1 Satz 1 Nr 2 , § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V ). Neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit ab 8.11.2008 wären im Hinblick auf einen Krg-Anspruch nur dann zwecklos gewesen, wenn zu diesem Zeitpunkt endgültig festgestanden hätte, dass der Kläger wegen der fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 10.10.2008 nicht selbst pflichtversichert, sondern lediglich über eine Familienversicherung abgesichert war, die das Krg ausschließt (vgl § 44 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und § 10 SGB V ). Die Kündigungsschutzklage diente aber gerade dazu, das Arbeitsverhältnis über den 10.10.2008 hinaus aufrechtzuerhalten - mit der Folge, dass dann auch die Pflichtversicherung in der GKV erhalten bliebe, was es möglich gemacht hätte, ggf Krg beziehen zu können. Die rechtliche Unsicherheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses dauerte indes bis zum 26.11.2008, dem Tag des arbeitsgerichtlichen Vergleichs, und damit weit über den 8.11.2008 hinaus an.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 27.11.2014 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 KR 565/11
Vorinstanz: SG Hannover, - Vorinstanzaktenzeichen S 2 KR 349/09