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BSG - Entscheidung vom 22.05.2015

B 12 KR 23/14 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2

BSG, Beschluss vom 22.05.2015 - Aktenzeichen B 12 KR 23/14 B

DRsp Nr. 2015/10659

Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung Höchstrichterliche Klärung einer Rechtsfrage ohne ausdrückliche Entscheidung Error in procedendo Rüge eines Verfahrensmangels

1. Eine konkret bezeichnete Frage ist bereits dann als höchstrichterlich geklärt anzusehen, wenn sich aus bereits ergangener Rechtsprechung des BSG ausreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der von ihr formulierten Fragen ergeben, selbst wenn das Revisionsgericht hierüber noch nicht ausdrücklich entschieden haben sollte. 2. Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. 3. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. 4. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG beinhaltet nur Verstöße des LSG im Rahmen seines prozessualen Vorgehens auf dem Weg zum Urteil ("error in procedendo"). 5. Ein Verfahrensmangel in diesem Sinne ist also ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. November 2013 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 ;

Gründe:

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten noch darüber, ob der Beigeladene zu 1. aufgrund (abhängiger) Beschäftigung bei der Klägerin der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil des LSG Berlin-Brandenburg ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet. Dabei war ihr Vortrag im Schriftsatz vom 4.7.2014 nicht mehr zu berücksichtigen, da er nach der bis zum 19.5.2014 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist beim BSG eingegangen ist (vgl § 160a Abs 2 S 2 SGG ).

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Die Klägerin beruft sich in ihrer Beschwerdebegründung vom 19.5.2014 auf alle drei Zulassungsgründe.

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

Die Klägerin hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam (S 20 f der Beschwerdebegründung):

"Wie sind atypisch stille Gesellschafter an Steuerberatungsgesellschaften mit beschränkter Haftung zutreffend sozialversicherungsrechtlich zu qualifizieren"?

"Kommt dem Fehlen von Urlaubsregelungen in einem zu beurteilenden Vertrag regelmäßig allenfalls eine ganz untergeordnete Bedeutung für die Unterscheidung zwischen Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit zu, weil ein Urlaubsanspruch nach § 1 BurlG die nicht abdingbare gesetzliche Folge eines Beschäftigungsverhältnisses ist"?

"Existiert ein gesetzlicher Ausschluss des gleichzeitigen Bestandes mehrerer Versicherungspflichtverhältnisse oder des Nebeneinanders versicherungspflichtiger Beschäftigung und hauptberuflich ausgeübter selbständiger Tätigkeit"?

"Trifft es zu, dass Rechtsanwälte und Steuerberater berufsrechtlich grundsätzlich verschiedene Tätigkeiten ausüben, die eine isolierte sozialversicherungsrechtliche Beurteilung erforderlich machen, wenn diese Tätigkeit in einheitlichen Kanzleiräumen ausgeübt wird"?

Der Senat kann offenlassen, ob die Klägerin mit diesen Fragen jeweils auch abstrakt-generelle Rechtsfragen im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) - bezeichnet hat (vgl hierzu allgemein Karmanski in Roos/Wahrendorf [Hrsg], SGG , 2014, § 160a RdNr 46 bis 49 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Jedenfalls legt sie deren Klärungsbedürftigkeit nicht in der gebotenen Weise dar. Denn die Klägerin versäumt es, sich mit der umfangreichen und teilweise auch vom LSG in der angefochtenen Entscheidung sowie in der Beschwerdebegründung von ihr selbst zitierten bzw in Bezug genommenen Rechtsprechung des BSG zu den Abgrenzungskriterien zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit und zur diesbezüglich nötigen Abwägungsentscheidung auseinanderzusetzen und diese im Rahmen ihrer Grundsatzrüge daraufhin zu untersuchen, ob sich aus dieser Rechtsprechung bereits genügend Anhaltspunkte für die Beantwortung der genannten Fragen ergeben bzw inwieweit dies nicht der Fall ist (vgl zu diesem Darlegungserfordernis allgemein BSG Beschluss vom 28.1.2013 - B 12 KR 21/12 B - Juris RdNr 10). Sie behauptet noch nicht einmal, dass sich die von ihr aufgeworfenen Fragestellungen mit der bisherigen einschlägigen Rechtsprechung des BSG ua zur Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit stiller Gesellschafter einer GmbH nicht bereits beantworten ließen. Die Klägerin übersieht in ihrer Argumentation, dass eine konkret bezeichnete Frage bereits dann als höchstrichterlich geklärt anzusehen ist, wenn sich aus bereits ergangener Rechtsprechung des BSG ausreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der von ihr formulierten Fragen ergeben, selbst wenn das Revisionsgericht hierüber noch nicht ausdrücklich entschieden haben sollte (vgl BSG aaO). Dass die Klägerin bezogen auf die einzelnen Fragestellungen in ihrer Beschwerdebegründung (S 20 - 25) zu einer anderen rechtlichen Würdigung (Subsumtion) bei der von ihr geschilderten (Sachverhalts-)Konstellation als das LSG kommt, ist im Rahmen des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde unbeachtlich.

2. Divergenz im Sinne von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das LSG eine höchstrichterliche Entscheidung nur unrichtig ausgelegt oder das Recht unrichtig angewandt hat, sondern erst, wenn das LSG Kriterien, die ein in der Norm genanntes Gericht aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das LSG weicht damit nur dann im Sinne von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der einer zu demselben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und der Berufungsentscheidung tragend zugrunde liegt. Die Beschwerdebegründung muss deshalb aufzeigen, welcher abstrakte Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Entscheidungen enthalten ist, und welcher in der instanzabschließenden Entscheidung des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht, und darlegen, dass die Entscheidung hierauf beruhen kann ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 mwN). Auch diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin macht geltend, die Entscheidung des LSG weiche von den Urteilen des BSG vom 28.5.2008 ( B 12 KR 13/07 R), vom 24.1.2007 ( B 12 KR 31/06 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 7) und vom 2.5.1979 (2 RU 93/78) ab.

Trotz ihrer umfänglichen Ausführungen (S 10 - 20 ihrer Beschwerdebegründung) hat die Klägerin jedoch keine entscheidungserhebliche Divergenz dargetan. Denn es fehlt bereits an der Bezeichnung eines von den zitierten BSG -Urteilen divergierenden abstrakten Rechtssatzes aus der Entscheidung des LSG. Auch legt die Klägerin keine Abweichung des Berufungsgerichts im Grundsätzlichen von einem in Frage gestellten Rechtssatz des BSG dar. Vielmehr rügt sie im Kern die - vermeintliche - Unrichtigkeit der Rechtsanwendung des LSG durch Verkennung höchstrichterlich entwickelter Maßstäbe in ihrem konkreten Einzelfall. Ihr Beschwerdevortrag geht daher über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht hinaus.

3. Ein Verfahrensmangel im Sinne von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSGE 2, 81, 82; BSGE 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG ; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 16a mwN). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG ( BSG SozR Nr 79 zu § 162 SGG ; BSG SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin trägt vor, die Beklagte habe trotz eigener Erkenntnisse im behördeninternen Verwaltungsverfahren wider besseren Wissens eine widerrechtliche Verwaltungsentscheidung initiiert, obwohl sie bei Erlass des Verwaltungsakts gewusst habe, dass die eigene Clearingstelle aufgrund rechtskräftiger Urteile über den sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1. eine abweichende Verwaltungsentscheidung befürwortet habe. Hätte sie rechtzeitig Kenntnis darüber erlangt, dass nach ihrer erstmaligen Einbeziehung in das Verwaltungsverfahren bereits bestands- und rechtskräftige Statusentscheidungen über die beitragsrechtliche Einordnung des Beigeladenen zu 1. vorlagen, und hätte sie aufgrund rechtzeitiger Information durch die Beklagte erkannt, dass nur die ohne beanstandete Feststellungen der BfA abgeschlossene Beitragsprüfung bis Juni 2004 wiedereröffnet worden sei, hätte sie bereits im Verwaltungs- und Vorverfahren die bestandskräftigen Statusentscheidungen für den Beigeladenen zu 1. zur Stützung ihrer Rechtsposition verwendet. Wegen dieser ihr von der Beklagten vorenthaltenen Informationen bzw dieser Gehörsverletzung im Verwaltungsverfahren sei sie in der Vertretung ihrer Interessen eingeschränkt gewesen.

Damit hat die Klägerin keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bezeichnet. Denn dieser beinhaltet - wie oben bereits ausgeführt - nur Verstöße des LSG im Rahmen seines prozessualen Vorgehens auf dem Weg zum Urteil ("error in procedendo"). Ein Verfahrensmangel in diesem Sinne ist also ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Einen solchen Verstoß hat die Klägerin aber nicht aufgezeigt, sondern knüpft an Vorgänge aus dem Verwaltungsverfahren bzw die Handhabung des materiellen Rechts durch das Berufungsgericht an.

Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG für falsch hält, ist für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde aber - wie oben bereits erwähnt - unerheblich.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 , § 162 Abs 3 VwGO .

6. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2 , § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 20.11.2013 - Vorinstanzaktenzeichen L 9 KR 294/11
Vorinstanz: SG Berlin, - Vorinstanzaktenzeichen S 208 KR 1712/08