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BSG - Entscheidung vom 11.08.2015

B 14 AS 91/15 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 11.08.2015 - Aktenzeichen B 14 AS 91/15 B

DRsp Nr. 2015/15465

Substantiierung einer Grundsatzrüge Formulierung einer Rechtsfrage Bloße Bezugnahme auf Rechtsprechung und Literatur

1. Für eine Grundsatzrüge sind Rechtsfragen zu formulieren, denen im Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird. 2. Es ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu den aufgeworfenen Fragen bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich erscheint. 3. Hierfür genügen Hinweise auf und Zitate aus insbesondere verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung und verwaltungsrechtlicher Literatur nicht.

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 7. November 2014 werden als unzulässig verworfen.

Die Anträge der Kläger, ihnen für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin I B, D, beizuordnen, werden abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) sind als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder das Urteil des LSG von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts ( BSG ) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2). Beide geltend gemachten Zulassungsgründe haben die Kläger in der Beschwerdebegründung nicht schlüssig dargelegt oder bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 181). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX. Kap, RdNr 65 f). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet sie die Fragen,

- "ob in dem Fall, dass sich die Behörde - wie hier - für eine förmliche Zustellung entscheidet unter Berücksichtigung der § 85 Abs 3 S 2 SGG die §§ 2 bis 10 VwZG nF an die Stelle der Bekanntgabe für den Ablauf der Frist nach § 45 Absatz 3 ff, insbesondere Absatz 4 Satz 2, die Zustellung des Widerspruchsbescheides nach VwZG tritt",

- "ob die offensichtlich nicht chronologische Aktenführung und die nicht zeitnahe Erfassung der Unterlagen der Leistungsempfänger in einer Verwaltungsakte zu einer Beweislastumkehr dergestalt führt, dass die Behörde nachweisen muss, dass die nach den Angaben der Leistungsempfänger eingereichten Unterlagen nicht zur Akte gelangt sind",

- "ob es für die Kenntnis nach § 45 Absatz 4 SGB X genügt, dass die Unterlagen, aus welchen sich die für Kenntnis von der Rechtswidrigkeit eines Bescheides erforderlichen Tatsachen ergeben, der ehemals zuständigen Behörde bekannt waren und von dieser mit der Verwaltungsakte an die nach einem Zuständigkeitswechsel zuständige Behörde übergeben wurden",

- "ob die Rücknahmebefugnis gemäß § 45 Absatz 4 SGB X verwirkt sein kann, wenn die vormals zuständige Behörde die nach einem Zuständigkeitswechsel zuständige Behörde pflichtwidrig vorsätzlich oder Fahrlässig nicht über solche Tatsachen informiert, welche für die Leistungsbewilligung von entscheidungserheblicher Bedeutung sind und in der Folge von der zuständigen Behörde Leistungsbescheide ergehen, welche diese Tatsachen unberührt lassen",

und die Frage:

"Kann Verwirkung der Rücknahmebefugnis hinsichtlich eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung dadurch eintreten, dass die sachlich zuständige Behörde wechselt und die vormals zuständige Behörde trotz entsprechender positiver Kenntnis der neu zuständigen Behörde für die Leistungsbewilligung entscheidungserhebliche Tatsachen nicht mitteilt, wodurch es in der Folge zu fehlerhaften Leistungsbescheiden kommt"?

Zur schlüssigen Darlegung der Entscheidungserheblichkeit dieser Fragen im vorliegenden Verfahren hätte zunächst dargetan werden müssen, inwieweit es auf diese Fragen im Ausgangsverfahren rechtlich angekommen ist und inwiefern sie demzufolge Einfluss auf die Rechtsstellung der Kläger hatten. Eine geordnete Darstellung der relevanten tatsächlichen Umstände, die dem Senat allein anhand der Beschwerdebegründung eine Beurteilung von Grundsätzlichkeit und Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Fragen erlaubt (zu dieser Darlegungsanforderung Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 13e mwN), enthält die Beschwerdebegründung indes nicht im erforderlichen Maß.

Zudem werden in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend abstrakte Rechtsfragen formuliert, vielmehr bleiben diese dem vom LSG entschiedenen Einzelfall verhaftet, sind ganz auf ihn zugeschnitten und enthalten denn auch Sachverhaltsunterstellungen, die im Zusammenhang mit der angefochtenen Entscheidung stehen. Zu formulieren sind jedoch Rechtsfragen, denen im Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird. Schließlich genügt die Beschwerdebegründung weder den Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit noch an die Klärungsfähigkeit der Rechtsfragen. In ihr wird nicht aufgezeigt, ob und inwieweit zu den aufgeworfenen Fragen bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint. Hierfür genügen nicht Hinweise auf und Zitate aus insbesondere verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung und verwaltungsrechtlicher Literatur. Aufgezeigt wird auch nicht, dass die Klärung der aufgeworfenen Fragen durch das Revisionsgericht zu erwarten ist, weil hierfür die Darstellung des Sachverhalts und der angefochtenen Entscheidung in der Beschwerdebegründung nicht genügen.

Auch eine Abweichung (Divergenz) iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Hierfür ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Bereits hieran fehlt es. Soweit Abweichungen geltend gemacht werden, wird in der Beschwerdebegründung nur jeweils die konkrete Rechtsanwendung im Urteil des LSG - Bewertung einer Unkenntnis der Kläger von einer Überzahlung als grob fahrlässig, Annahme einer Kenntnis des Beklagten vom Arbeitslosengeldbezug der Klägerin zu 1 frühestens am 28.6.2005 - jeweils einem Urteil des BSG gegenübergestellt, ohne entscheidungserhebliche rechtliche Aussagen der Urteile zu bezeichnen und als sich widersprechend gegenüberzustellen. Eine Abweichung liegt indes nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Eine solche Divergenz lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.

Prozesskostenhilfe (PKH) ist den Klägern nicht zu bewilligen, da ihre Rechtsverfolgung aus den vorstehend genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung [ZPO]). Da die Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH haben, sind auch ihre Anträge auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO ).

Die Verwerfung der Beschwerden erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 07.11.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 3 AS 238/11
Vorinstanz: SG Dresden, - Vorinstanzaktenzeichen 29 AS 958/08