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BSG - Entscheidung vom 01.10.2015

B 5 R 103/15 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 62
GG Art. 103
ZPO § 411 Abs. 3
ZPO § 411 Abs. 4
ZPO § 397
ZPO § 402
SGG § 116 S. 2
SGG § 118 Abs. 1 S. 1

BSG, Beschluss vom 01.10.2015 - Aktenzeichen B 5 R 103/15 B

DRsp Nr. 2015/18186

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit Gehörsrüge Anordnung des Erscheinens eines Sachverständigen Formfreie Befragung

1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG , dass unabhängig von der nach § 411 Abs. 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß § 116 S. 2, § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 397 , 402 , 411 Abs. 4 ZPO das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet. 2. Dabei müssen die dem Sachverständigen zu stellenden Fragen nicht formuliert werden; es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen, z.B. auf Lücken oder Widersprüche hinzuweisen. 3. Einwendungen in diesem Sinn sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (vgl. § 411 Abs. 4 ZPO ). 4. Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen kann. 5. Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Januar 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 62 ; GG Art. 103 ; ZPO § 411 Abs. 3 ; ZPO § 411 Abs. 4 ; ZPO § 397 ; ZPO § 402 ; SGG § 116 S. 2; SGG § 118 Abs. 1 S. 1;

Gründe:

Mit Urteil vom 15.1.2015 hat das Bayerische LSG einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensfehler, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie sinngemäß auf eine Rechtsprechungsabweichung.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Die Klägerin rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG , Art 103 GG ).

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG , dass unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397 , 402 , 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 2 RdNr 5; BSG vom 10.12.2013 - B 13 R 198/13 B - Juris RdNr 8; BVerfG vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 - Juris RdNr 11). Dabei müssen die dem Sachverständigen zu stellenden Fragen nicht formuliert werden. Es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen ( BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 4; BVerwG vom 19.3.1996 - 11 B 9/96 - Juris RdNr 3), zB auf Lücken oder Widersprüche hinzuweisen. Einwendungen in diesem Sinn sind dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen (vgl § 411 Abs 4 ZPO ). Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen kann. Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (vgl allgemein zu dieser Voraussetzung: BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; vgl auch BSGE 68, 205 , 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören und er schriftlich Fragen im oben dargelegten Sinne angekündigt hat, die objektiv sachdienlich sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, muss das Gericht dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7).

Die Klägerin trägt vor, sie habe vor dem SG beantragt, den Sachverständigen Dr. H. zur mündlichen Verhandlung zu laden und diesen Antrag vor dem LSG wiederholt. Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des Fragerechts nicht schlüssig dargelegt. Die Klägerin hat bereits einen Verfahrensmangel des SG nicht ausreichend dargelegt. Nur dann wäre indessen die Rüge einer Verletzung des Fragerechts in Betracht gekommen, das sich auf ein nicht vom LSG eingeholtes Gutachten bezieht (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 118 RdNr 12g mwN). Grundsätzlich kann das Fragerecht nämlich nur hinsichtlich eines in derselben Instanz eingeholten Gutachtens ausgeübt werden.

Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe vor dem LSG beantragt, Dr. H. sein erstelltes Gutachten erläutern zu lassen, hat sie eine Verletzung des Fragerechts ebenfalls nicht ausreichend dargelegt.

Der Ladung eines Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens bedarf es im sozialgerichtlichen Verfahren nur, wenn dies nach Lage der Dinge sachdienlich ist. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn der Sachverständige von falschen tatsächlichen Annahmen ausgegangen ist oder sein Gutachten Lücken oder Widersprüche enthält, die durch eine mündliche Befragung ausgeräumt werden müssen (vgl BSG SozR 1750 § 411 Nr 2; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , aaO, § 118 RdNr 12 f mwN). Anhaltspunkte dafür hat die Klägerin nicht dargetan.

Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe mit Schriftsatz vom 29.12.2014 den Antrag gestellt, "für den Termin zur mündlichen Verhandlung" werde "beantragt, die Ladung der Sachverständigen Dr. H., Dr. G., Dr. H., Prof. L. zwecks Erläuterung ihrer Gutachten gemäß § 411 ZPO ", fehlt ebenfalls die Darlegung einer schlüssigen Verletzung des Fragerechts. Es fehlt schon der Vortrag, dass damit ein ordnungsgemäßer Antrag gestellt worden und vom Gericht ausgehend von dessen Rechtsauffassung zu Unrecht unbeachtet gelassen worden ist.

Auch im Übrigen sind alle Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ersichtlich nicht erfüllt.

Soweit die Klägerin vorträgt, nach Auswertung der Sachverständigengutachten ergebe sich eindeutig, dass ihre Restleistungsfähigkeit ein Tätigwerden auf dem Arbeitsfeld Sortieren und Verpacken von Kleinteilen nicht mehr zulasse, die Wertung des LSG demgemäß falsch sei und korrigiert werden müsse, rügt sie im Kern die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung im Rahmen der Tatsachenfeststellung und damit einen Verstoß des LSG gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG . Auf eine Verletzung dieser Norm kann jedoch kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung ein Verfahrensmangel nicht - dh weder unmittelbar noch mittelbar - gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ). Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 11). Soweit Mängel der Sachaufklärung gerügt werden, fehlt es bereits an der Bezeichnung des erforderlichen Beweisantrags (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ). Hinsichtlich der gerügten Mängel bei der Durchführung der Beweiserhebung ist in keinem Fall deren Entscheidungsrelevanz dargetan. Schließlich ist das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht der Ort zur Nachholung prozessualer Anträge an das Tatsachengericht.

Auch die Grundsatzrüge nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat keinen Erfolg. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70). Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, hat die Klägerin nicht formuliert.

Ebenso wenig sind die Voraussetzungen des Zulassungsgrunds der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) ordnungsgemäß dargelegt. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder - anders ausgedrückt - das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat ( BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN).

Die Klägerin hat schon keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem dieses der Rechtsprechung des BSG oder des BVerfG widersprochen haben könnte. Sie macht vielmehr geltend, das LSG weiche von der Entscheidung des BVerfG vom 17.1.2012 - 1 BvR 2728/10 - ab, indem es die Vorgaben des BVerfG bezüglich des Rechts der Klagepartei auf rechtliches Gehör nicht beachte und sich über diese hinwegsetze.

Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht dargetan. Missversteht oder übersieht das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz und wendet deshalb das Recht fehlerhaft an, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil infrage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN).

Die vermeintliche inhaltliche Unrichtigkeit des Berufungsurteils kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen werden ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 15.01.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 20 R 980/08
Vorinstanz: SG Nürnberg, - Vorinstanzaktenzeichen 12 R 4234/06