Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 12.08.2015

B 13 R 197/15 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 109

BSG, Beschluss vom 12.08.2015 - Aktenzeichen B 13 R 197/15 B

DRsp Nr. 2015/15818

Rente wegen Erwerbsminderung Fragerecht an einen Sachverständigen Verwirklichung des rechtlichen Gehörs

1. Da das Fragerecht an den Sachverständigen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, muss eine entsprechende Rüge jedoch aufzeigen, dass der Beteiligte alles getan hat, um die Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. 2. Hierzu muss er darstellen, dass er einen hierauf gerichteten Antrag rechtzeitig gestellt, dabei schriftlich objektiv sachdienliche Fragen angekündigt und das Begehren bis zum Schluss aufrechterhalten hat. 3. Eine Verletzung dieses Fragerechts kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden, selbst wenn der betreffende Sachverständige ein Gutachten nach § 109 SGG erstellt hat.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. März 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 109 ;

Gründe:

I

Das LSG Nordrhein-Westfalen hat im Urteil vom 9.3.2015 einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint. Dieser habe zwar die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt, aber nicht nachgewiesen, dass der Versicherungsfall bis zu einem Zeitpunkt eingetreten sei, zu dem die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Drei-Fünftel-Belegung (bis zum 30.9.2010 bzw möglicherweise auch spätestens bis zum 31.5.2011) letztmalig vorgelegen hätten.

Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten LSG-Urteil eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz sowie Verfahrensmängel geltend.

II

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 20.7.2015 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn er hat weder eine grundsätzliche Bedeutung ordnungsgemäß dargelegt noch eine Rechtsprechungsabweichung oder einen Verfahrensmangel formgerecht bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ).

1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) ist nicht ausreichend dargetan.

Hierfür ist in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung zu bezeichnen und schlüssig aufzuzeigen, dass diese klärungsbedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19, Nr 22 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff, Nr 9 RdNr 4 - jeweils mwN). Es muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG [Kammer] SozR 4-1500 § 160a Nr 12 RdNr 3 f, Nr 16 RdNr 4 f, Nr 24 RdNr 5 ff).

Die Beschwerdebegründung des Klägers genügt diesen Anforderungen nicht. Er trägt vor, die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhe "auf der Rechtsfrage, ob der Kläger zunächst die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Rentenansprüche (Wartezeit, § 50 SGB XI ) erfüllt hat". Diese Frage sei klärungsbedürftig, da sie weder vom BSG noch von den Tatsacheninstanzen ordnungsgemäß entschieden worden sei, und zudem entscheidungserheblich, weil der Kläger bei Verneinung der Erfüllung der Wartezeit einen Anspruch auf die Rentenleistung habe. Außerdem sei noch nicht entschieden, "ob die grundsätzliche Erfüllung der Wartezeit gem. § 50 SGB XI mit dem Grundsatz der 3/5 Belegung im maßgeblichen Zeitraum von fünf Jahren gem. § 43 SGB XI vereinbar ist".

Damit ist jedoch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht schlüssig aufgezeigt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass sich seine Fragen auf Vorschriften des SGB VI beziehen, so enthält seine erste Frage schon keine Rechtsfrage zur Auslegung, Anwendbarkeit oder Vereinbarkeit einer Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht, sondern thematisiert die zutreffende Subsumtion in seinem Einzelfall. Zudem ist diese Frage offenkundig nicht entscheidungserheblich, nachdem das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Rente nicht wegen, sondern trotz Erfüllung der allgemeinen Wartezeit vor Eintritt der Erwerbsminderung (§ 50 SGB VI ) verneint hat. Dessen Vorstellung, dass ihm ein Rentenanspruch zustehe, wenn die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit entgegen der Auffassung des LSG verneint werde, ist mit dem klaren Wortlaut des Gesetzes (§ 43 Abs 1 S 1 Nr 3 , Abs 2 S 1 Nr 3 SGB VI ) nicht in Einklang zu bringen. Hinsichtlich der zweiten Frage hat der Kläger weder die Klärungsbedürftigkeit noch die Klärungsfähigkeit nachvollziehbar erläutert.

2. Eine Rechtsprechungsabweichung hat der Kläger ebenfalls nicht formgerecht bezeichnet (§ 160 Abs 2 Nr 2 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil sowie aus einer höchstrichterlichen Entscheidung einander gegenüberzustellen. Zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 10 RdNr 4, Nr 13 RdNr 17). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 67 S 91; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f).

Die genannten Anforderungen erfüllt das Vorbringen des Klägers nicht. Es kann offenbleiben, ob er einen die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz aus dem angefochtenen LSG-Urteil benannt hat. Jedenfalls zeigt er keinen abstrakten Rechtssatz aus der von ihm herangezogenen Senatsentscheidung vom 16.12.1993 ( 13 RJ 19/92 - SozR 3-1200 § 14 Nr 12) auf, der dem von ihm angeführten Rechtssatz aus der Entscheidung des LSG widerspricht. Aus der Darstellung des Klägers erschließt sich nicht, in welcher Beziehung die Nichtberücksichtigung von Gesundheitsbefunden "bei einem eventuellen Nichteinhalten der gesetzlichen Wartezeitbedingungen" zu einer "Informationspflicht des Erwerbsminderungsrentenberechtigten" in zumindest analoger Anwendung stehen könnte.

3. Schließlich hat der Kläger Verfahrensmängel nicht in der erforderlichen Weise dargetan (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

Hierzu müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4, Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 202 ff). Dabei ist zu beachten, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 SGG ) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG ).

Die Verfahrensrügen des Klägers entsprechen den genannten Erfordernissen nicht.

a) Soweit er eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG ) beanstandet, weil das LSG seinen Vortrag zu einer wesentlichen Verschlimmerung seines Krankheitsbilds unberücksichtigt gelassen habe, zeigt er nicht auf, inwiefern die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materiell-rechtlichem Standpunkt - hierauf beruhen kann. Eine Verschlimmerung der Leiden des Klägers, die zu einer Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Ausmaß geführt hat, könnte nur dann entscheidungserheblich sein, wenn sie vor den vom LSG genannten Zeitpunkten der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (30.9.2010 bzw spätestens 31.5.2011) eingetreten wäre. Dass dies bei den von ihm in der mündlichen Verhandlung im März 2015 geschilderten Verschlimmerungen der Fall gewesen sein könnte, wird aus seinem Vortrag nicht ersichtlich.

b) Weiterhin macht der Kläger eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG ) geltend. Das LSG sei seinem in der mündlichen Verhandlung als Anlage zum Protokoll gelangten Antrag, die Gutachterin Frau Dr. P. anzuhören, ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Der Antrag habe den Inhalt gehabt, im Hinblick auf sein Restless-Legs-Syndrom ein Gutachten zu der Frage einzuholen, in welchem Ausmaß sein gesundheitliches Leistungsvermögen sowohl qualitativ als auch quantitativ eingeschränkt sei. Außerdem habe das LSG den angebotenen Beweis einer Vernehmung des Dr. J. nicht erhoben. Es sei nicht erklärbar, weshalb "das LSG bei Herrn Dr. J. eine 'fachfremde' Einschätzung annimmt und auch den überzeugenden und medizinisch fundierten Ausführungen der 'Fachfrau' Dr. A. P. nicht folgt".

Dieses Vorbringen enthält keinen schlüssigen Vortrag des Verfahrensmangels einer Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht. Der Kläger will offenkundig nicht rügen, das LSG sei seinem Antrag nach § 109 SGG auf Anhörung der namentlich von ihm benannten Ärztin Dr. P. überhaupt nicht nachgekommen. Denn er nimmt in der Beschwerdebegründung hinsichtlich der Einzelheiten ausdrücklich auf den Tatbestand des LSG-Urteils Bezug. Dort ist aber - auf S 6 des Urteilsumdrucks - erwähnt, dass Dr. P. auf Antrag des Klägers mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt worden sei. Im Übrigen kann eine Verletzung des Rechts auf Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht als Verfahrensmangel gerügt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 SGG ).

Der Vorhalt des Klägers zielt vielmehr offenbar darauf, dass das LSG es unterlassen habe, die Sachverständige Dr. P. mündlich anzuhören. Damit nimmt er auf das jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397 , 402 , 411 Abs 4 ZPO zustehende Recht Bezug, einem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet. Eine Verletzung dieses Fragerechts kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden, selbst wenn der betreffende Sachverständige ein Gutachten nach § 109 SGG erstellt hat (Senatsbeschlüsse vom 20.7.2005 - B 13 RJ 58/05 B - Juris RdNr 11 f, und vom 26.5.2015 - B 13 R 13/15 B - Juris RdNr 9 mwN; anders für Zusatz- und ergänzende Fragen, die in untrennbarem Zusammenhang zur Beweiserhebung nach § 109 SGG selbst stehen: BSG Beschluss vom 7.10.2005 - B 1 KR 107/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 14). Da das Fragerecht an den Sachverständigen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, muss eine entsprechende Rüge jedoch aufzeigen, dass der Beteiligte alles getan hat, um die Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Hierzu muss er darstellen, dass er einen hierauf gerichteten Antrag rechtzeitig gestellt, dabei schriftlich objektiv sachdienliche Fragen angekündigt und das Begehren bis zum Schluss aufrechterhalten hat ( BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7; Senatsbeschluss vom 26.5.2015 - B 13 R 13/15 B - Juris RdNr 9).

Entsprechender Vortrag kann der Beschwerdebegründung des Klägers nicht entnommen werden. Weder gibt er einen entsprechenden Antrag gegenüber dem Berufungsgericht auf mündliche Anhörung der Sachverständigen Dr. P. wieder, den er bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten habe, noch zeigt er auf, welche an sie zu richtenden sachdienlichen Fragen er angekündigt habe. Letztlich beanstandet er, das LSG sei den Ausführungen der Sachverständigen nicht gefolgt, obwohl deren Gutachten überzeugend und fundiert gewesen sei. Damit greift er die Beweiswürdigung des LSG an. Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verfahrensmangel jedoch nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 SGG ).

Soweit der Kläger rügt, das Berufungsgericht habe "den angebotenen Beweis durch die Vernehmung des Dr. J." nicht erhoben, hat er bereits nicht aufgezeigt, wann er einen entsprechenden prozessordnungsgemäßen Beweisantrag unter näherer Bezeichnung des Beweisthemas gegenüber dem LSG angebracht hat. Dasselbe gilt, soweit er ausführt, das LSG hätte "gar einen Obergutachter mit Spezialgebiet RLS" bestellen müssen.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 09.03.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 1095/13
Vorinstanz: SG Düsseldorf, - Vorinstanzaktenzeichen 27 R 1060/12