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BSG - Entscheidung vom 13.05.2015

B 13 R 41/15 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 122
ZPO § 160 Abs. 2

BSG, Beschluss vom 13.05.2015 - Aktenzeichen B 13 R 41/15 B

DRsp Nr. 2015/9552

Rente wegen Erwerbsminderung Drei-Fünftel-Belegung Verletzung rechtlichen Gehörs Recht auf Befragung eines Sachverständigen Aufrechterhalten eines Beweisantrages

1. Da das Recht auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen auch deren Voraussetzungen erfüllt sein. 2. Nur protokollierte Beweisanträge (§ 122 SGG i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO ) oder Anträge, die das Gericht selbst in seinem Urteil wiedergibt, verdeutlichen ohne gesonderte Ermittlungen auch für das Rechtsmittelgericht, welche Verlangen nach weiterer Sachaufklärung nach Auffassung der Beteiligten zum Schluss der mündlichen Verhandlung vom Gericht noch zu behandeln gewesen sind.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. Dezember 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 122 ; ZPO § 160 Abs. 2 ;

Gründe:

Das Sächsische LSG hat im Urteil vom 9.12.2014 einen Anspruch des Klägers, als Rechtsnachfolger seiner während des Berufungsverfahrens verstorbenen Ehefrau A. B. (Versicherte) ab Juni 2007 Rente wegen Erwerbsminderung zu erhalten, verneint. Es ist nach Durchführung umfangreicher sozialmedizinischer Ermittlungen zu der Überzeugung gelangt, dass volle Erwerbsminderung zwar ab 28.6.2010 vorgelegen habe, aber noch nicht im Dezember 2009 oder früher. Zu dem zuletzt genannten Zeitpunkt seien jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Drei-Fünftel-Belegung gemäß § 43 Abs 1 S 1 Nr 2 , Abs 2 S 1 Nr 2 SGB VI ) letztmals erfüllt gewesen.

Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil ausschließlich Verfahrensmängel geltend.

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom 10.4.2015 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, da ein Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

Hierzu müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4, Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 202 ff). Zu beachten ist, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 SGG ) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG ).

Die Beschwerdebegründung des Klägers wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Dieser rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ), weil das Berufungsgericht sein Fragerecht gegenüber Sachverständigen gemäß §§ 116 , 118 SGG iVm §§ 397 , 402 , 411 ZPO missachtet habe.

Hierzu trägt er vor, das Berufungsgericht habe erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 1.4.2014 mitgeteilt, dass es davon ausgehe, dass der "Leistungsfall" bei der Versicherten am Tag ihrer ersten Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. B. am 29.6.2010 eingetreten sei. Daraufhin habe es Ermittlungen zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und sodann Nachfragen bei Dr. B. veranlasst, der sich mit Schreiben (Faxrückmitteilung) vom 16.6.2014 und vom 21.8.2014 ergänzend geäußert habe. Da das LSG diese Äußerungen jedoch nicht sachgerecht gewürdigt habe, habe er mehrfach (Schreiben vom 17.9.2014, 22.9.2014, 20.11.2014, 26.11.2014 und 28.11.2014) die Einholung ergänzender Stellungnahmen von Dr. B. bzw dessen Vernehmung beantragt. In der mündlichen Verhandlung am 9.12.2014 habe er ausweislich der (wörtlich wiedergegebenen) Niederschrift die Vernehmung der Sanitätsrätin P. als sachverständige Zeugin, die Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. M. - "zum Verlauf der Erkrankung der Versicherten unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen weiteren Ermittlungs- und Begutachtungsergebnisse" sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens "zu der Frage, dass die Leitlinien der Deutschen Rentenversicherung für die sozialmedizinische Begutachtung von MCS-Erkrankungen unter der Ziffer 8.4.1.8 nicht den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen", beantragt (Beschwerdebegründung S 10 f unter 5.). Das LSG sei dem jedoch nicht nachgekommen. Es habe vielmehr in dem die Berufung zurückweisenden Urteil rechtsfehlerhaft und ohne genügende Ermittlungen das Vorliegen des "Leistungsfalls" frühestens ab dem 28.6.2010 angenommen.

Mit diesem Vorbringen ist der geltend gemachte Verfahrensmangel einer Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen (§ 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397 , 402 , 411 Abs 4 ZPO ) nicht in schlüssiger Weise dargetan. In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob der Kläger die nach seiner Ansicht hinsichtlich des Gutachtens von Dr. B. trotz zweier ergänzender Stellungnahmen noch weiter erläuterungsbedürftig erscheinenden Punkte hinreichend bezeichnet hat. Jedenfalls geht aus seiner Beschwerdebegründung nicht hervor, dass er das Begehren auf Befragung des Sachverständigen Dr. B. bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, da das Recht auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt; mithin müssen auch deren Voraussetzungen erfüllt sein. Der Beschwerdeführer muss daher aufzeigen, dass er alles getan hat, um eine Anhörung des Sachverständigen durch das Berufungsgericht zu erreichen (stRspr, s BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7; Senatsbeschluss vom 18.12.2013 - B 13 R 275/13 B - BeckRS 2014, 65717 RdNr 6 f; BSG Beschluss vom 13.5.2014 - B 5 R 368/13 B - BeckRS 2014, 69662 RdNr 10).

Entsprechendes lässt sich dem Vortrag des Klägers, der im Berufungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten war, nicht in der erforderlichen Weise entnehmen. Er behauptet zwar, zusätzlich zu seinen in der Niederschrift wiedergegebenen Anträgen seien auch die zuvor schriftsätzlich beantragte Vernehmung des Dr. B. sowie die Einholung eines ergänzenden Gutachtens "weiterhin aufrecht erhalten" geblieben (Beschwerdebegründung S 5 unten; allerdings nicht erwähnt im Rahmen der erneuten Wiedergabe der protokollierten Anträge auf S 10 f). Dem kann jedoch nicht entnommen werden, dass er diese Begehren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat (zu diesem Erfordernis s BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 12.3.2015 - B 10 LW 9/14 B - Juris RdNr 8). Nur protokollierte Beweisanträge (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 2 ZPO ) oder Anträge, die das Gericht selbst in seinem Urteil wiedergibt, verdeutlichen ohne gesonderte Ermittlungen auch für das Rechtsmittelgericht, welche Verlangen nach weiterer Sachaufklärung nach Auffassung der Beteiligten zum Schluss der mündlichen Verhandlung vom Gericht noch zu behandeln gewesen sind. Dass seine Forderung nach ergänzender Befragung von Dr. B. in die Niederschrift über die mündliche Verhandlung - gegebenenfalls auf seine Veranlassung hin (§ 160 Abs 4 , § 164 ZPO ) - aufgenommen worden sei, hat der Kläger jedoch nicht behauptet. Ebenso wenig ist seinem Vortrag zu entnehmen, dass jedenfalls im Urteil des LSG dieser Antrag wiedergegeben sei.

Wenn der Kläger in diesem Zusammenhang ausführt, es habe sich dem Gericht von selbst aufdrängen müssen, die Frage des Eintritts eines "Leistungsfalls" bereits vor dem 28.6.2010 mit Hilfe einer weiteren Befragung des Dr. B. aufzuklären, so übersieht er, dass im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde die damit erhobene Rüge einer Verletzung der Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung (§ 103 SGG ) nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezieht (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG ). Einen auf die Befragung von Dr. B. bezogenen und zur Niederschrift protokollierten Beweisantrag hat er jedoch - wie dargelegt - nicht behauptet.

Soweit der Kläger beanstandet, das LSG habe die Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. . "zum Verlauf der Erkrankung der Versicherten unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Ermittlungs- und Begutachtungsergebnisse" zu Unrecht unterlassen (Beschwerdebegründung S 13 f - unter 8.), macht er nicht die Verletzung seines Rechts zur Befragung eines gerichtlichen Sachverständigen, sondern vielmehr die Notwendigkeit weiterer gerichtlicher Sachaufklärung gemäß § 103 SGG geltend (vgl Beschwerdebegründung S 5 Abs 5 sowie den dort in Bezug genommenen Schriftsatz vom 20.11.2014, Bl 728 LSG-Akte). Insoweit hat er zwar ordnungsgemäß dargelegt, dass er einen entsprechenden Antrag bis zum Schluss zu Protokoll aufrechterhalten habe. Es handelt sich dabei jedoch nicht - wie erforderlich - um einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag, der die zu begutachtenden Punkte (§ 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 403 ZPO ) in Form einer Tatsachenbehauptung in Bezug auf die rentenrechtlich allein relevante Einschränkung des Leistungsvermögens hinreichend genau beschreibt (vgl Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 4.9.2014 - B 9 V 8/14 B - Juris RdNr 4). Überdies hat der Kläger nicht aufgezeigt, zu welchem Ergebnis die vom LSG unterlassene Befragung des Prof. Dr. M. voraussichtlich geführt hätte und inwiefern die Entscheidung des LSG auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann. Die bloße Behauptung, neue gutachterliche Bewertungen hätten "einen entscheidenden Einfluss, auch zugunsten des Klägers, nehmen können" und das LSG-Urteil hätte "eine andere Richtung eingeschlagen", genügt hierfür nicht.

Entsprechendes gilt hinsichtlich der Rüge, das LSG habe zu Unrecht die von ihm bis zum Schluss beantragte Vernehmung der Sanitätsrätin P. (Hausärztin der Versicherten) als sachverständige Zeugin zu Unrecht unterlassen. Auch insoweit fehlt die Angabe eines hinreichend konkreten Beweisthemas sowie eine nachvollziehbare Darlegung, inwiefern die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der unterbliebenen Befragung beruhen kann.

Der Vortrag, dass die Beweiswürdigung des LSG mit dem Ergebnis des Eintritts des "Leistungsfalls" nicht vor dem 28.6.2010 "grob fehlerhaft" sei, weil sie in unzulässiger Weise die Gutachten auf umweltmedizinischem und psychiatrischem Gebiet vermenge (Beschwerdebegründung S 11 und 14), zielt hingegen auf die Rüge einer Verletzung des Grundsatzes freier richterlicher Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG ). Das ist nach der ausdrücklichen Regelung in § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 SGG im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von vornherein unbeachtlich.

Zu dem aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Berufungsgerichts wiedergegebenen Beweisantrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Vereinbarkeit von Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen hat der Kläger keinerlei erläuternde Ausführungen gemacht. Ein Verfahrensmangel ist deshalb auch insoweit nicht ausreichend bezeichnet.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 183 S 1 iVm § 193 SGG . Der Kläger ist Sonderrechtsnachfolger der Versicherten (§ 56 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I ) und kommt daher auch im Rechtszug vor dem BSG in den Genuss der Kostenfreiheit.

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 09.12.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 5 R 826/10
Vorinstanz: SG Chemnitz, - Vorinstanzaktenzeichen 19 R 640/08