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BSG - Entscheidung vom 31.03.2015

B 13 R 1/15 BH

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1-3
SGB X § 44
GG Art. 103 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 31.03.2015 - Aktenzeichen B 13 R 1/15 BH

DRsp Nr. 2015/7104

Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit Einzelfallentscheidung über die Ablehnung einer Rentengewährung Rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör

1. Die Frage der Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung über die Ablehnung einer Gewährung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit betrifft stets einen Einzelfall; die Voraussetzungen hierfür ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 44 SGB X ). 2. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG lässt bei einem gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch eine Selbstentscheidung der abgelehnten Richter zu, wenn sich hierbei jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens erübrigt. 3. Unzureichend wäre es insoweit, sich auf eine vermeintliche Fortwirkung früheren punktuellen, objektiv willkürlichen Verhaltens zu berufen. 4. Der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) soll lediglich verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. Oktober 2014 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 -3; SGB X § 44 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I

Der Kläger, ein gelernter Maschinen- und Anlagenmonteur, der zuletzt von Februar 1997 bis August 1998 versicherungspflichtig als Bauprojektplaner beschäftigt gewesen ist, begehrt im Wege der Überprüfung die Gewährung von Rente wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit aufgrund eines im Mai 2000 gestellten Rentenantrags, hilfsweise die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Rentenantrags- und Widerspruchsverfahren waren ebenso erfolglos geblieben (Bescheid der Beklagten vom 30.1.2001; Widerspruchsbescheid vom 20.9.2001) wie das Klage- und Berufungsverfahren (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha [SG] vom 4.10.2004; Urteil des Thüringer Landessozialgerichts [LSG] vom 30.11.2006). Das Bundessozialgericht ( BSG ) hatte die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers sowie dessen Gegenvorstellung zurückgewiesen (Beschlüsse vom 19.10. und 27.11.2007).

Den im Februar 2008 gestellten "Wiederholungsantrag" auf Rente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit legte die Beklagte als Überprüfungsantrag aus und lehnte ihn mit Bescheid vom 18.3.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.7.2008 ab. Das SG hat die Klage abgewiesen, nachdem der Kläger die Wahrnehmung eines Termins zur Durchführung einer stationären neurologisch-psychiatrischen Begutachtung abgelehnt hatte (Urteil vom 29.11.2010). Im Berufungsverfahren hat der Kläger zahlreiche Anträge auf Ablehnung von Richtern des LSG wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt, die das LSG sämtlich abgelehnt bzw verworfen hat; die letzten Beschlüsse datieren vom 21. und 22.10.2014. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.10.2014 hat der Kläger erneut mehrere Ablehnungsanträge gestellt, den letzten, nachdem der Senat zuvor gestellte Anträge noch in der Sitzung abgelehnt hatte. Das LSG hat weitere Ablehnungsgesuche vom 20./23.10.2014 als rechtsmissbräuchlich angesehen und die Berufung in der Sache zurückgewiesen (Urteil vom 23.10.2014).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Rechtsanwalts, den er im Wesentlichen damit begründet, das LSG habe Ablehnungsgesuche nicht beschieden oder willkürlich behandelt, sich mit Vorbringen nicht auseinandergesetzt, Aufklärungs- und Hinweispflichten verletzt sowie Rügen und Gegenvorstellungen nicht beschieden. Es bestehe eine Abhängigkeit zwischen Gutachtern und Versicherungen sowie Gerichten und Rechtsprechung. Das Verbot von Tonaufzeichnungen im Gerichtssaal werde dazu missbraucht, Gesetze zu verletzen.

II

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.

Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) iVm § 114 Zivilprozessordnung ( ZPO ) kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist hier nicht der Fall.

Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist nach summarischer Prüfung des Streitstoffs nicht ersichtlich.

Es ist nicht erkennbar, dass eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) oder eine Abweichung des Berufungsurteils von höchstrichterlicher Rechtsprechung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Frage der Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung über die Ablehnung einer Gewährung von Rente wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit betrifft stets einen Einzelfall; die Voraussetzungen hierfür ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch). Soweit ein neuer Leistungsfall nach dem 2008 gestellten "Wiederholungsantrag" in Betracht kommt, ergeben sich die Leistungsvoraussetzungen ebenfalls unmittelbar aus dem Gesetz (§§ 43, 240 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch). Auch eine Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht behauptet. Schließlich lässt sich ein Verfahrensmangel, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte, nicht feststellen.

Insbesondere wird ein zugelassener Prozessbevollmächtigter nicht mit Erfolg die Rüge fehlerhafter Besetzung des Berufungsgerichts bei Erlass des angefochtenen Urteils erheben können, weil ein Ablehnungsgesuch gegen mitwirkende Richter wegen Besorgnis der Befangenheit zuvor zu Unrecht abgewiesen worden sei. Denn Art 101 Abs 1 S 2 Grundgesetz ( GG ) lässt bei einem gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch eine Selbstentscheidung der abgelehnten Richter zu, wenn sich hierbei jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens erübrigt (vgl BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 6 RdNr 6; BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - Juris RdNr 12; Senatsbeschluss vom 13.6.2012 - B 13 R 224/11 B - Juris RdNr 11). Unzureichend wäre es insoweit, sich auf eine vermeintliche Fortwirkung früheren punktuellen, objektiv willkürlichen Verhaltens zu berufen, wie es sich dem klägerischen Vortrag entnehmen lässt ( BSG Beschluss vom 19.2.2013 - B 1 KR 70/12 B - Juris). Einer solchen Rüge wird der Erfolg auch deswegen versagt bleiben, weil die Ablehnung eines gesamten Senats dann missbräuchlich ist, wenn das Ablehnungsgesuch nicht ausreichend individualisiert ist (vgl BSG Beschlüsse vom 26.4.1989 - 11 BAr 33/88 - und vom 26.11.1965 - 12 RJ 94/65 - SozR Nr 5 zu § 42 ZPO sowie BVerfGE 72, 51 ). Nach dem Akteninhalt wird es einem zugelassenen Bevollmächtigten aber voraussichtlich nicht möglich sein aufzuzeigen, weshalb und mit welcher Begründung der Kläger im Berufungsverfahren seine Befürchtung der Besorgnis der Befangenheit gegen jedes einzelne Mitglied des Senats vorgebracht hat. Damit wird er die vom LSG angenommene Missbräuchlichkeit nicht widerlegen können.

Auch weitere Verfahrensfehler des LSG wird ein zugelassener Prozessbevollmächtigter nach Durchsicht der Akten nicht mit Erfolg geltend machen können. Insbesondere erforderte die ordnungsgemäße Rüge einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 SGG ) - neben weiteren Voraussetzungen -, dass der Bevollmächtigte einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnete, der bis zuletzt aufrechterhalten worden wäre und dem das LSG zu Unrecht nicht gefolgt sei (zu den Voraussetzungen einer solchen Rüge im Einzelnen vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35 , 45; BSG SozR 1500 § 160a Nr 24, 34). Dies könnte schon deswegen nicht gelingen, weil der Kläger einen möglichen Beweisantrag nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten haben kann, weil er - schon eigener Schilderung zufolge, aber auch ausweislich des Sitzungsprotokolls - die Verhandlung nach Beginn der Erörterung in der Sache "sofort verlassen" habe. Das LSG war auch nicht gehalten, in der Urteilsbegründung alle Einzelheiten des klägerischen Vortrags aufzugreifen. Der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG ) soll lediglich verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG ; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188 , 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267 , 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falls ergibt (BVerfGE, aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267 , 274), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133 , 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indes nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1 , 12; 76, 93, 98; vgl im Einzelnen BSG Beschluss vom 27.3.2014 - B 9 V 69/13 B - Juris RdNr 15). Das in dieser Hinsicht das rechtliche Gehör des Klägers verletzt sein könnte, lässt sich weder den Akten noch seinem Vortrag entnehmen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, in welcher Hinsicht Hinweispflichten des LSG bestanden haben sollten, die das Gericht verletzt haben könnte.

Nicht ersichtlich ist schließlich, dass das LSG "Rügen und Gegenvorstellungen" übergangen hätte, zumal Gegenvorstellungen nur gegen verfahrensabschließende Entscheidungen denkbar sind und streitig ist, ob die Gegenvorstellung als nicht geregelter außerordentlicher Rechtsbehelf nach Einführung der Anhörungsrüge weiterhin als statthaft anzusehen ist (bejahend BVerfG Beschlüsse vom 25.11.2008 - 1 BvR 848/07 - BVerfGE 122, 190, 199 f, 201 f und der 3. Kammer des 2. Senats - 2 BvR 2674/10 - NJW 2012, 1065 sowie BSG SozR 4-1500 § 178a Nr 3 RdNr 4; offenlassend BSG Beschluss vom 24.7.2006 - B 1 KR 6/06 BH - Juris RdNr 1 und BSG FamRZ 2013, 1801).

Soweit der Kläger reklamiert, es bestehe eine Abhängigkeit zwischen Gutachtern und Versicherungen sowie Gerichten und die Rechtsprechung zum Verbot von Tonaufzeichnungen im Gerichtssaal werde dazu missbraucht, Gesetze zu verletzen, ist bereits unklar, in welcher Hinsicht ein zugelassener Prozessbevollmächtigter aufgrund dieses Vortrags konkrete Mängel im Verfahren des LSG darlegen könnte, auf denen die (Sach-)Entscheidung beruht.

Soweit der Kläger schließlich angebliche Fehler im Verfahren vor dem SG anführt, könnte ein zugelassener Prozessbevollmächtigter hieraus Verfahrensmängel im - hier allein relevanten - Berufungsverfahren nicht ersichtlich herleiten, weil nicht erkennbar ist, dass - vermeintliche - Fehler im Verfahren vor dem SG im Berufungsverfahren fortgewirkt hätten.

Soweit der Kläger vermeintliche Fehler des LSG in der Beweiswürdigung anspricht, sei er darauf hingewiesen, dass solche Fehler von der Rügemöglichkeit im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ausdrücklich ausgenommen sind (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 iVm § 128 Abs 1 S 1 SGG ). Dies trifft auch zu auf vermeintlich unzutreffende Diagnosebezeichnungen, wobei für die Frage der Leistungsminderung in rentenberechtigendem Ausmaß die Frage der Bezeichnung einer Krankheit ohnehin nicht entscheidungserheblich ist.

Da dem Kläger hiernach PKH nicht zusteht, hat er auch keinen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts, § 121 ZPO .

Vorinstanz: LSG Thüringen, vom 23.10.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 2 R 32/11
Vorinstanz: SG Gotha, - Vorinstanzaktenzeichen S 19 R 3723/08