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BSG - Entscheidung vom 01.07.2015

B 8 SO 74/14 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 124 Abs. 2

BSG, Beschluss vom 01.07.2015 - Aktenzeichen B 8 SO 74/14 B

DRsp Nr. 2015/13267

Leistungen nach dem SGB XII für einen im Ausland lebenden Antragsteller Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne Einverständnis Verletzung rechtlichen Gehörs

1. Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, für die keine wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs. 2 SGG vorliegt, verletzt regelmäßig den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör. 2. Da aber eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund ausgestaltet ist, muss die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensverstoß beruhen können. 3. Selbst wenn insoweit regelmäßig genügt, dass die Möglichkeit einer anderen Entscheidung bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung besteht, kann nicht auf jegliche Darstellung zum Sachverhalt und zum streitigen Anspruch verzichtet werden; ansonsten kann der Senat von vornherein ein solches Beruhenkönnen nicht beurteilen.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Juli 2014 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 124 Abs. 2 ;

Gründe:

I

Der in Polen lebende Kläger, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, macht einen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ( SGB XII ) geltend. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7.4.2014; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Baden-Württemberg vom 23.7.2014).

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er trägt vor, das LSG habe verfahrensfehlerhaft gehandelt, weil es ohne eine Einwilligung, die den Anforderungen des § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) genügt habe, über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden habe. Eine Erklärung, dass er (der Kläger) die Anreise nicht finanzieren und daher aus finanziellen Gründen nicht teilnehmen könne, stelle keinen wirksamen Verzicht auf die mündliche Verhandlung dar. Er habe Folgendes erklärt: "Ich (...) bin aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen mit einer gerichtlichen Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden". Zugleich mit der Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit liege damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG vor. Dies sei auch deshalb der Fall, weil das LSG über seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) erst 2 Tage vor der Entscheidung in der Hauptsache entschieden und er keine Möglichkeit gehabt habe, sich auf die damit veränderte Prozesssituation einzustellen.

II

Die Beschwerde ist unzulässig; denn der Kläger hat die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht in der gebotenen Weise bezeichnet (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ). Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 SGG entscheiden.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Soweit der Kläger einen Verfahrensmangel darin sieht, dass keine wirksame Einverständniserklärung mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vorgelegen habe (§ 124 Abs 2 SGG ), genügen seine Ausführungen nicht den Anforderungen an eine schlüssige Darlegung. Er gibt lediglich den Inhalt seiner Erklärung vor dem LSG wieder, die aber eine ausdrückliche Einverständniserklärung enthielt, ohne im Einzelnen darzulegen, weshalb dies vom LSG lediglich als Hinweis auf seine Nichtteilnahme an einer Sitzung wegen Mittellosigkeit, nicht aber als Einverständnis mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung verstanden werden durfte. Überdies hat er weder zum weiteren Inhalt des Schriftsatzes vom 7.7.2014 und dem Verfahrensverlauf im Übrigen, also den genauen Umständen des behaupteten Verstoßes gegen das rechtliche Gehör, noch zum geltend gemachten Anspruch in der Sache vorgetragen. Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, für die keine wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG vorliegt, verletzt zwar regelmäßig den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 124 Nr 1). Da aber eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund ausgestaltet ist, muss die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensverstoß beruhen können. Selbst wenn insoweit regelmäßig genügt, dass die Möglichkeit einer anderen Entscheidung bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung besteht (vgl nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 62 RdNr 11 mwN), kann nicht auf jegliche Darstellung zum Sachverhalt und zum streitigen Anspruch verzichtet werden; ansonsten kann der Senat von vornherein ein solches Beruhenkönnen nicht beurteilen. Die notwendigen Ausführungen zur Kausalität des Verfahrensfehlers fehlen aber gänzlich.

Gleiches gilt, soweit der Kläger einen Verfahrensmangel damit begründet, dass sein Antrag auf PKH nicht erst kurz vor der Entscheidung über die Berufung habe abgelehnt werden dürfen. Zwar mag die Vorgehensweise des LSG, über den Antrag auf PKH erst 2 Tage vor der Entscheidung in der Hauptsache zu entscheiden, verfahrensfehlerhaft sein. Abgesehen davon, dass auch insoweit die genaueren Umstände zum geltend gemachten Verstoß nicht dargelegt sind, wären aber auch insoweit weiter gehende Darlegungen zur Kausalität dieses Verfahrensfehlers erforderlich gewesen. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör folgt aus einem solchen Vorgehen nämlich nur dann, wenn bei rechtzeitiger Entscheidung ausgehend von dem damaligen Sach- und Kenntnisstand eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu bejahen gewesen wäre (vgl § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung ; dazu BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 9). Mit seinem Vortrag versetzt der Kläger den Senat aber nicht in die Lage, hierüber eine Entscheidung zu treffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 23.07.2014 - Vorinstanzaktenzeichen L 2 SO 2191/14
Vorinstanz: SG Freiburg, - Vorinstanzaktenzeichen S 6 SO 573/12