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BSG - Entscheidung vom 19.03.2015

B 4 AS 324/14 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGB X § 45 Abs. 4 S. 2

BSG, Beschluss vom 19.03.2015 - Aktenzeichen B 4 AS 324/14 B

DRsp Nr. 2015/11297

Höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II Grundsatzrüge Fristbeginn nach erfolgter Anhörung Rechtsirrtum im Einzelfall

1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG ) ist nur dann anzunehmen, wenn eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. 2. Es ist als geklärt anzusehen, dass die in § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X geregelte Jahresfrist erst dann beginnt, wenn eine Anhörung erfolgt ist; erst durch die Anhörung wird der Behörde die erforderliche Tatsachenkenntnis hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen einer Rücknahme, etwa zum Vorliegen grober Fahrlässigkeit, vermittelt. 3. Anderes kann bei treuwidriger Verzögerung gelten. 4. Ein möglicher Rechtsirrtum im Einzelfall, sei es z.B. aufgrund fehlerhafter Subsumtion, unzutreffender Beurteilungen oder des Übersehens einer Rechtsfrage, stellt schon mangels grundsätzlicher Bedeutung keinen Zulassungsgrund i.S. des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG dar.

Der Antrag der Klägerin, ihr zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. September 2014 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGB X § 45 Abs. 4 S. 2;

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) nach dem SGB II für den Zeitraum vom 13.1.2005 bis 31.12.2005. Zudem wendet sie sich gegen zwei Rücknahme- und Erstattungsbescheide, die den genannten Zeitraum betreffen. Die Klägerin bewohnt ein in ihrem Miteigentum stehendes Haus. Der Beklagte gewährte für den streitigen Zeitraum KdU unter Berücksichtigung von monatlichen Zinszahlungen, die zwei zum Zweck der Existenzgründung aufgenommene Darlehen betrafen. Im Rahmen der Antragstellung hatte die Klägerin diese Belastungen neben anderen Kreditverpflichtungen als Aufwendungen "für Erwerb und Instandhaltung des Eigenheims" angegeben. Im Laufe des Klageverfahrens vor dem SG Frankfurt (Oder), in dem die Klägerin die Gewährung höherer Leistungen für KdU begehrte, hatte der Beklagte nach Anhörung der Klägerin wegen der rechtswidrigen Berücksichtigung dieser Zinszahlungen Leistungen für KdU durch zwei Bescheide für Zeiträume vom 13.1. bis 30.6.2005 und 1.7. bis 31.12.2005 teilweise zurückgenommen und Erstattungsansprüche geltend gemacht (Bescheide vom 20.11.2006). Das SG hat - unter Einbeziehung der Rücknahme- und Erstattungsbescheide gemäß § 96 SGG - die Klage abgewiesen (Urteil vom 26.5.2010). Das LSG Berlin-Brandenburg hat unter Änderung des Urteils des SG einen der Rücknahme- und Erstattungsbescheide teilweise - nämlich bezogen auf die Zeiträume vom 13.1.2005 bis 28.2.2005 und 1.4.2005 bis 30.4.2005 - aufgehoben. Zudem hat es den Beklagten verurteilt, der Klägerin zusätzliche Leistungen für KdU für diese Zeiträume zu gewähren. Es seien als Heizkosten zusätzlich die Kosten der Versorgung der Heizpumpe mit Strom zu berücksichtigen und als einmalige Aufwendungen Kosten für die Anschaffung von Heizöl sowie für die Reparatur der Heizungsanlage in tatsächlicher Höhe, die im Januar, Februar und April 2005 angefallen seien. Im Übrigen hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 26.9.2014).

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde, für deren Durchführung sie die Bewilligung von PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts begehrt. Sie macht geltend, die Rücknahme- und Erstattungsbescheide seien nicht innerhalb eines Jahres ab Kenntnis der die Rechtswidrigkeit begründenden Tatsachen ergangen. Außerdem sei ihr keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Sie habe wahrheitsgemäß und vollständig alle von ihr zu entrichtenden Schuldzinsen angegeben. Weitere Erläuterungen hierzu seien nicht gefordert gewesen. Es sei außerdem fraglich, ob der Beklagte überhaupt Kreditzinsen aus allen Darlehen bei der Berechnung der KdU mit eingerechnet und die richtige Wohnfläche zugrunde gelegt habe. Schließlich sei auch die Kostenentscheidung des LSG fehlerhaft.

II

Der Antrag auf PKH ist abzulehnen. Nach § 73a SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet; das ist hier nicht der Fall. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG ) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin erfolgreich zu begründen.

Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist weder nach dem Vorbringen der Klägerin noch aufgrund summarischer Prüfung des Streitstoffs nach Sichtung der Gerichtsakten ersichtlich.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) ist nur dann anzunehmen, wenn eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Derartige Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich hier nicht. Die von der Klägerin angeführten "Rechtsprobleme" sind geklärt bzw nicht grundsätzlicher Art. So ist als geklärt anzusehen, dass die in § 45 Abs 4 S 2 SGB X geregelte Jahresfrist - wie vom LSG zutreffend ausgeführt - erst dann beginnt, wenn eine Anhörung erfolgt ist. Erst durch die Anhörung wird der Behörde die erforderliche Tatsachenkenntnis hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen einer Rücknahme, etwa zum Vorliegen grober Fahrlässigkeit, vermittelt (vgl BSG Urteil vom 8.2.1996 - 13 RJ 35/94; BSG Urteil vom 27.7.2000 - B 7 AL 88/99 R - SozR 3-1300 § 45 Nr 42 mwN). Anderes kann zwar bei treuwidriger Verzögerung gelten (vgl Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X , 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 81), wofür vorliegend indes keinerlei Anhaltspunkte bestehen. Denn bereits unmittelbar nachdem im Termin vor dem SG am 23.8.2006 erstmals die rechtswidrige Anerkennung der Zinszahlungen für die Existenzgründungsdarlehen im Rahmen der KdU problematisiert wurde, hatte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Rücknahme angehört und sodann umgehend die Rücknahme- und Erstattungsbescheide erlassen.

Soweit sich die Klägerin gegen die Beurteilung ihres Verhaltens als grobfahrlässig wendet, ist unabhängig vom Vorliegen von Zulassungsgründen darauf hinzuweisen, dass das Vorliegen grober Fahrlässigkeit als Tatsachenfeststellung nur in engen Grenzen überprüfbar ist (vgl BSG Urteil vom 13.7.2006 - B 7a AL 16/05 R - SozR 4-4300 § 122 Nr 5; BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 7a AL 14/05 R; BSG Urteil vom 25.8.2011 - B 11 AL 30/10 R; BSG Urteil vom 2.5.2012 - B 11 AL 18/11 R).

Soweit die Klägerin schließlich die Richtigkeit einzelner Berechnungen des LSG auf der Grundlage des von diesem festgestellten Inhalts der zahlreichen Bescheide des Beklagten bezweifelt, verkennt sie, dass ein möglicher Rechtsirrtum im Einzelfall, sei es zB aufgrund fehlerhafter Subsumtion (vgl BSG Beschluss vom 12.3.2013 - B 6 KA 51/12 B), unzutreffender Beurteilungen oder des Übersehens einer Rechtsfrage, schon mangels grundsätzlicher Bedeutung keinen Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG darstellt (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX, RdNr 50 u 181; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 14).

Anhaltspunkte für eine Divergenz oder einen Verfahrensmangel, etwa im Hinblick auf die Feststellungen des LSG, vermag der Senat nicht zu erkennen.

Die von der Klägerin persönlich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen, weil sie insoweit nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten ist (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 26.09.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 14 AS 1299/10
Vorinstanz: SG Frankfurt/Oder, - Vorinstanzaktenzeichen 16 AS 170/06