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BSG - Entscheidung vom 12.02.2015

B 5 R 222/14 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG § 162

BSG, Beschluss vom 12.02.2015 - Aktenzeichen B 5 R 222/14 B

DRsp Nr. 2015/4222

Grundsatzrüge Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt

1. Mit der Frage, wie die Begriffe "Wohnsitz" und "gewöhnlicher Aufenthalt" auszulegen sind, wird keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zum Anwendungsbereich einer revisiblen Norm (vgl. § 162 SGG ) gestellt, die der Senat grundsätzlich mit "ja" oder "nein" beantworten könnte. 2. Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann. 3. Keinesfalls gehört es zu den Aufgaben des BSG , den Vortrag daraufhin zu untersuchen, ob sich aus ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage herausfiltern ließe.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. Mai 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGG § 162 ;

Gründe:

Mit Urteil vom 22.5.2014 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente unter Anwendung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9.10.1975 (DPRA 1975) verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG nicht dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

Die Klägerin trägt vor,

die Entscheidung des LSG beruhe auf der Rechtsfrage, wie die Begriffe "Wohnsitz" und "gewöhnlicher Aufenthalt" auszulegen seien.

Damit hat die Klägerin schon keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zum Anwendungsbereich einer revisiblen Norm (vgl § 162 SGG ) gestellt, die der Senat grundsätzlich mit "ja" oder "nein" beantworten könnte (vgl BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7 sowie BAGE 121, 52 RdNr 5 f). Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 181). Keinesfalls gehört es zu den Aufgaben des BSG , den Vortrag daraufhin zu untersuchen, ob sich aus ihm evtl eine entsprechende Rechtsfrage herausfiltern ließe (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48). Zusätzlich fehlt es an ausreichenden Ausführungen zur Klärungsfähigkeit. Insofern hätte der Kläger aufzeigen müssen, welchen Sachverhalt das LSG für das BSG bindend festgestellt hat (§ 163 SGG ) und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die mit der Beschwerde angesprochene Problematik entschieden werden muss.

Des Weiteren ist auch zur Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend vorgetragen. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (Krasney/Udsching, aaO, Kap IX RdNr 183 mwN). Die Klägerin behauptet indes noch nicht einmal, dass die von ihr aufgeworfene Frage höchstrichterlich bisher nicht geklärt sei. Ihre eigenen Ausführungen, diese Begriffe würden "von deutschen Gerichten einschränkend ausgelegt, ohne dass diese Einschränkung weder in dem deutsch-polnischen Sozialabkommen vom 09.10.1975 noch im § 30 SGB I seine Rechtfertigung" finde, genügt dafür nicht. Insbesondere hätte sie sich mit der vom LSG zitierten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - Juris) zur Bestimmung des Begriffs "Wohnort" und "gewöhnlicher Aufenthalt" auseinandersetzen müssen um aufzuzeigen, dass sich die von ihr aufgeworfene Frage anhand dieser Rechtsprechung nicht klären lasse.

Schließlich ist auch die Klärungsfähigkeit nicht genügend dargetan. Insoweit hätte die Klägerin darlegen müssen, von welchem Sachverhalt das BSG auszugehen hat und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die aufgeworfenen Fragen entschieden werden muss. Die Beschwerdebegründung lässt indes offen, an welcher Stelle das LSG welche Tatsachen für das Revisionsgericht verbindlich (§ 163 SGG ) festgestellt hat. Die Klägerin legt bereits nicht dar, inwieweit der von ihr geschilderte Sachverhalt dem Berufungsgericht überhaupt zuzurechnen ist und ob die tatsächlichen Angaben ganz oder teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmen, den das LSG im angefochtenen Urteil festgestellt hat. Da jedenfalls die bloße Mitteilung eines ohne Herkunftsangabe in der Beschwerdebegründung selbst formulierten Sachverhalts nicht geeignet ist, die mangelnde Bezeichnung des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts zu kompensieren und es andererseits nicht dem Beschwerdegericht obliegt, die angegriffene Entscheidung selbst nach einschlägigen Feststellungen zu durchsuchen, ist eine Beurteilung der potenziellen Entscheidungsrelevanz der Rechtsfragen schon deshalb von vornherein ausgeschlossen. Keinesfalls gehört es zu den Aufgaben des Beschwerdegerichts, sich die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (Senatsbeschlüsse vom 16.5.2012 - B 5 R 442/11 B - BeckRS 2012, 70568 RdNr 13 und vom 21.2.2012 - B 5 R 222/11 B - BeckRS 2012, 69065 RdNr 9). Vielmehr muss die Beschwerdebegründung den Senat in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des klägerischen Vortrags ein Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen (stRspr, zB BSG Beschluss vom 26.6.2006 - B 13 R 153/06 B - Juris RdNr 9 mwN). Hieran fehlt es.

Soweit die Klägerin sinngemäß der Auffassung sein sollte, das LSG habe verfahrensfehlerhaft gehandelt, weil es die Sache nicht dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung über die oben bezeichnete Frage vorgelegt habe, hat sie auch einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht aufgezeigt. Insbesondere hat sie einen Verstoß des Berufungsgerichts durch die Nichtvorlage der Sache gegen Art 267 Abs 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht ansatzweise schlüssig dargelegt.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 22.05.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 10 R 90/11
Vorinstanz: SG Hannover, - Vorinstanzaktenzeichen 4 R 446/07