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BSG - Entscheidung vom 04.03.2015

B 1 KR 115/14 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
GG Art. 3 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 04.03.2015 - Aktenzeichen B 1 KR 115/14 B

DRsp Nr. 2015/5094

Funktionsbeeinträchtigung oder Entstellung als Krankheit Allgemeiner Gleichheitssatz Unterlassene verfassungskonforme Auslegung

1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats begründen lediglich eine Funktionsbeeinträchtigung oder Entstellung eine Krankheit. 2. Wer sich auf die verfassungskonforme Auslegung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung - hier unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes - beruft, darf sich nicht auf die Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Notwendigkeit verfassungskonformer Auslegung ergeben soll. 3. Hierzu sind der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfach-gesetzlichen Normen aufzuzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung zu erörtern und die Verletzung der konkreten Regelung des Grundgesetzes bei unterlassener verfassungskonformer Auslegung darzulegen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 17. Juli 2014 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; GG Art. 3 Abs. 1 ;

Gründe:

I

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Gewährung einer stationären Behandlung zur Hautstraffung der Beine nach mehrmals von der Beklagten gewährter Liposuktion bei der Beklagten und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, der durch die Liposuktion herbeigeführte Hautüberschuss stelle keinen krankhaften Befund dar. Selbst wenn es sich dabei aber um eine Bindegewebserkrankung (Dermatochalasis) handeln würde, ergäbe sich derzeit daraus nicht die medizinische Notwendigkeit einer chirurgischen Reduzierung des Hautüberschusses. Die begehrte Leistung sei auch nicht Teil der vorausgegangenen Behandlung des Lipödems. Ein Anspruch ergebe sich schließlich nicht unter dem Aspekt der Entstellung. Wie die vorgelegte Bilddokumentation belege, sei die Klägerin schon im mit Unterwäsche teilbekleideten Zustand nicht entstellt. Erst recht gelte dies für den allein maßgeblichen bekleideten Zustand. Die Versagung chirurgischer Maßnahmen verletze im Hinblick auf brustamputierte Frauen auch nicht den allgemeinen Gleichheitssatz. Abgesehen davon, dass sowohl höchstrichterlich als auch obergerichtlich ein Anspruch auf Brustrekonstruktion nach vorausgegangener Mastektomie offengelassen worden sei, handele es sich um Fallgruppen, die unterschiedlich zu behandeln seien (Urteil vom 17.7.2014).

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.

1. Wer sich - wie hier die Klägerin - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Klägerin richtet ihr Vorbringen hiernach nicht aus.

Die Klägerin wirft die zwei Rechtsfragen auf,

"ob eine objektive Beurteilung der 'entstellenden' Wirkung eines Menschen durch die Staatsgewalt überhaupt zulässig ist oder gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde verstößt" und

"ob in der Ungleichbehandlung der Klägerin als Lipödempatientin im Vergleich mit einer Brustkrebspatientin ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt".

Die Klägerin zeigt schon die Entscheidungserheblichkeit der ersten Rechtsfrage nicht auf. Sie legt nicht dar, weshalb sie eine Hautstraffung der Beine beanspruchen könnte, wenn man die von ihr aufgeworfene Frage in ihrem Sinne beantworten wollte. Die Klägerin setzt sich nicht hinreichend damit auseinander, dass Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung nur dann haben, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V ). Die Klägerin greift die vom LSG sinngemäß übernommene Feststellung des SG nicht mit einer Verfahrensrüge an, dass bei ihr keine Krankheit im Sinne einer Funktionsbeeinträchtigung besteht und dass - so die ausdrückliche Feststellung des LSG - selbst bei unterstellter Krankheit "Bindegewebsschwäche" ein den Hautüberschuss beseitigender oder reduzierender chirurgischer Eingriff nicht im medizinischen Sinne notwendig ist. Die Klägerin legt nicht dar, wieso der erkennende Senat dennoch aus anderen Gründen eine notwendige Krankenbehandlung in einem Revisionsverfahren bejahen könnte, wenn eine Beurteilung einer Entstellung durch Krankenversicherungsträger und Gerichte gegen die Garantie der Menschenwürde (Art 1 Abs 1 GG ) verstößt. Sie setzt sich nicht damit auseinander, wieso eine Krankheit im Rechtssinne ohne Funktionsbeeinträchtigung oder feststellbare Entstellung überhaupt zu begründen wäre. Dies wäre umso notwendiger gewesen, weil nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats lediglich eine Funktionsbeeinträchtigung oder Entstellung eine Krankheit begründen (vgl zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 10 f und 13 f mwN).

Die Klägerin zeigt einen Klärungsbedarf hinsichtlich der zweiten Rechtsfrage nicht ausreichend auf. Wer sich - wie die Klägerin sinngemäß - auf die verfassungskonforme Auslegung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung - hier unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes - beruft, darf sich nicht auf die Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Notwendigkeit verfassungskonformer Auslegung ergeben soll. Hierzu sind der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfach-gesetzlichen Normen aufzuzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung zu erörtern und die Verletzung der konkreten Regelung des Grundgesetzes bei unterlassener verfassungskonformer Auslegung darzulegen (vgl entsprechend zur Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 10/10 B - Juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 20.8.2014 - B 1 KR 97/13 B - RdNr 8). Hieran fehlt es. Das Vorbringen der Klägerin lässt die für eine Revisionszulassung erforderliche Durchdringung sowohl der einfachrechtlichen als auch der grundrechtlichen Problematik nicht erkennen.

Die Klägerin trägt im Kern nur vor, dass der von ihr als behandlungsbedürftig angesehene Zustand ebenso auf einer Krankenbehandlung, hier der Liposuktion, beruhe, wie die Brustrekonstruktion eine Folge der Mastektomie sei. Sowohl die Entfernung von Hautgewebe bei ihr als auch die Brustrekonstruktion bei Brustkrebspatientinnen sei jeweils abschließender Bestandteil der medizinisch notwendigen Behandlung. Die Klägerin geht aber schon nicht darauf ein, wie weit nach den gesetzlichen Grundlagen und der Rechtsprechung des erkennenden Senats der Anspruch von Brustkrebspatientinnen auf Brustrekonstruktion nach Mastektomie reicht (vgl dazu BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 19). Sie legt insbesondere nicht hinreichend dar, warum einerseits die Entfernung gesunden Hautgewebes nach Liposuktion und andererseits die Ersetzung lebensgefährdenden kranken und deswegen herausoperierten Gewebes durch Implantate oder gesundes Eigengewebe - im Falle der Brustrekonstruktion sogar mit besonderer Bedeutung für die geschlechtliche Identität der Frau - wertungsmäßig wesentlich gleiche Sachverhalte im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG ) unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG sein sollen.

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Hamburg, vom 17.07.2014 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 KR 160/13
Vorinstanz: SG Hamburg, - Vorinstanzaktenzeichen S 35 KR 1353/11