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BSG - Entscheidung vom 21.09.2015

B 12 KR 59/15 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGB IV § 240 Abs. 2

BSG, Beschluss vom 21.09.2015 - Aktenzeichen B 12 KR 59/15 B

DRsp Nr. 2015/18047

Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung Berufen auf Verfassungswidrigkeit einer Norm und Darlegungserfordernisse Höhere relative Beitragsmehrbelastung der Gruppe der hauptberuflich Selbstständigen

1. Wer sich auf die Verfassungswidrigkeit einer Regelung beruft, darf sich nicht auf die Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. 2. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des GG dargelegt werden. 3. Das BVerfG hat die im Vergleich zu anderen freiwillig Versicherten höhere relative Beitragsmehrbelastung der Gruppe der hauptberuflich Selbstständigen nicht nur mit den für sie günstigen Grundlagen der Beitragsbemessung nach dem Nettoprinzip sachlich gerechtfertigt, sondern darüber hinaus auch auf das vom Gesetzgeber verfolgte legitime Ziel verwiesen, dass das mit der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit verbundene Unternehmerrisiko nicht auf die Solidargemeinschaft überwälzt werden und die grundsätzlich freie Entscheidung des Selbstständigen über das Ausmaß seines Arbeitseinsatzes keine Auswirkung auf seine beitragspflichtigen Einnahmen haben darf; zudem vermeide die Bemessung nach fiktiven Mindesteinnahmen praktische Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Mai 2015 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGB IV § 240 Abs. 2 ;

Gründe:

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die Höhe ihrer Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 7.5.2015 ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung ihres Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Allein die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Die Klägerin beruft sich in ihrer Beschwerdebegründung vom 11.8.2015 auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Zwar kann auch eine bereits höchstrichterlich entschiedene Frage erneut klärungsbedürftig werden, hierfür ist jedoch darzulegen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprochen worden ist oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13).

Die Klägerin hält die folgenden Fragen für grundsätzlich bedeutsam:

"Ist es mit Art. 3 Abs. 1 , Art. 6 GG vereinbar, dass durch § 240 Abs. 2 Hs. 2 SGB IV freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind und mit einem gesetzlich versicherten Mitglied einer Krankenkasse verheiratet sind, zu einem Mindestbeitrag auf der Grundlage einer kalendertäglichen Einnahme in Höhe des 40. Teils der monatlichen Bezugsgröße herangezogen werden, auch bei Nachweis niedriger Einnahmen?

Ist bei der Bemessung der Einnahmen nach § 240 Abs. 4 Satz 2 auch das Einkommen eines Ehegatten oder Partners einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu berücksichtigen, der gleichfalls freiwillig beim gleichen Krankenversicherungsträger versichert ist?

Ist § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V mit Art 3 Abs 1 und Art 6 Abs 1 sowie Art 2 Abs. 1 GG vereinbar, wonach für hauptberuflich Selbständige - unter Berücksichtigung ihres Vermögens und des Einkommens von Personen, mit denen sie in einer Bedarfsgemeinschaft leben - mindestens des 60sten Teil der Bezugsgröße als kalendertägliche Einnahme zugrunde zu legen ist?"

Die Klägerin trägt ergänzend vor, das BVerfG habe in einem Beschluss vom 22.5.2001 ( 1 BvL 4/96 - BVerfGE 103, 392 = SozR 3-2500 § 240 Nr 39) die Heranziehung von hauptberuflich Selbstständigen in Höhe eines Mindestbeitrags zwar ausdrücklich gebilligt. Die Rechtslage sei durch diese Entscheidung jedoch nicht geklärt. Das Bild der Selbstständigen habe sich zwischenzeitlich verändert. Die Klägerin verweist auf die erst seit dem Jahr 2003 geschaffenen "Ich-AGs" und darauf, dass ein neuer Typus von Selbstständigen sein Einkommen nur noch durch den Einsatz eigener Arbeitskraft erziele, sodass für diese freiwillig Versicherten eine wertmindernde Berücksichtigung von Wirtschaftsgütern bei der Gewinnermittlung - und damit bei der Beitragsbemessung - nicht möglich sei. Der Gesetzgeber habe die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen daran anpassen müssen. Zudem gelte für hauptberuflich Selbstständige der Mindestbeitrag, während er für hauptberuflich tätige Arbeitnehmer und für nebenberuflich Selbstständige nicht gelte. Auch habe sich das BVerfG nicht mit der Frage der Berücksichtigung von Einnahmen des gesetzlich versicherten Ehepartners oder anderer Personen, mit denen der Selbstständige in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, befasst: Die Klägerin werde deshalb von niedrigeren Beitragszahlungen ausgeschlossen. Die von der Klägerin zu leistenden Mindestbeiträge (auf der Grundlage des vierzigsten Teils der monatlichen Bezugsgröße) hätten eine erdrosselnde Wirkung, sodass sich die Frage stelle, ob die selbstständige Tätigkeit nicht besser aufgegeben und eine Familienversicherung gewählt werden sollte. Insbesondere Frauen würden dadurch benachteiligt und Art 3 Abs 2 S 2 GG werde verletzt.

Die Klägerin legt die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen damit nicht ausreichend dar. Wer sich auf die Verfassungswidrigkeit einer Regelung beruft, darf sich nicht auf die Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl zB BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG Beschlüsse vom 4.4.2006 - B 12 RA 16/05 B - und vom 16.2.2009 - B 1 KR 87/08 B). Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des GG dargelegt werden. Um den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit zu genügen, hätte sich die Klägerin deshalb insbesondere mit dem Inhalt der von ihr zitierten Entscheidung des BVerfG vom 22.5.2001 (aaO) näher befassen müssen. Das BVerfG hat die im Vergleich zu anderen freiwillig Versicherten höhere relative Beitragsmehrbelastung der Gruppe der hauptberuflich Selbstständigen nämlich nicht nur mit den für sie günstigen Grundlagen der Beitragsbemessung nach dem Nettoprinzip sachlich gerechtfertigt, sondern darüber hinaus auch auf das vom Gesetzgeber verfolgte legitime Ziel verwiesen, dass das mit der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit verbundene Unternehmerrisiko nicht auf die Solidargemeinschaft überwälzt werden und die grundsätzlich freie Entscheidung des Selbstständigen über das Ausmaß seines Arbeitseinsatzes keine Auswirkung auf seine beitragspflichtigen Einnahmen haben darf; zudem vermeide die Bemessung nach fiktiven Mindesteinnahmen praktische Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens (vgl BVerfG Beschluss vom 22.5.2001, aaO, Juris RdNr 31 f). Hinreichende Ausführungen der Klägerin dazu fehlen auch vor dem geltend gemachten Hintergrund eines vermeintlich geänderten Selbstständigenbildes. Zu der ebenfalls vom BVerfG bereits gemachten Aussage, die unterschiedliche Behandlung von haupt- und nebenberuflich Selbstständigen nach § 240 Abs 4 SGB V verletze nicht Art 3 Abs 1 GG (vgl BVerfG Beschluss vom 22.5.2001, aaO, Juris RdNr 33), hat die Klägerin nichts vorgetragen. Nichts anderes gilt für die Frage nach einer möglichen (nicht gerechtfertigten) Ungleichbehandlung im Vergleich mit hauptberuflich tätigen Arbeitnehmern, die ebenfalls keinen Mindestbeitrag zu entrichten haben. Auch dazu hat das BVerfG bereits Ausführungen gemacht (vgl BVerfG Beschluss vom 22.5.2001, aaO, Juris RdNr 34).

Soweit die Klägerin eine Klärungsbedürftigkeit sieht, weil sie aufgrund der Einkünfte ihres freiwillig versicherten Ehegatten bzw früheren nichtehelichen Lebensgefährten keine niedrigeren Beiträge auf der Grundlage von Einnahmen in Höhe des sechzigsten Teils der monatlichen Bezugsgröße leisten dürfe, hätte sie die umfangreiche Rechtsprechung des BSG zur Beitragsbemessung der freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten nach deren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - und deshalb auch unter Berücksichtigung von Ehegatteneinkommen - in den Blick nehmen müssen (vgl grundlegend BSGE 89, 213 = SozR 3-2500 § 240 Nr 42). Darüber hinaus wäre zur Darlegung verfassungsrechtlicher Bedenken im Hinblick auf Art 3 Abs 1 und Art 6 Abs 1 sowie Art 2 Abs 1 GG und Art 3 Abs 2 S 2 GG unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung, insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG , im Einzelnen näher aufzuzeigen gewesen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl erneut BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; vgl auch BSG vom 2.6.2009 - B 12 KR 65/08 B - Juris RdNr 9; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 14e mwN). In der Begründung hätte deshalb im Rahmen der notwendigen Erörterung der Klärungsbedürftigkeit auch dargelegt werden müssen, dass und inwiefern die Frage der Verfassungsmäßigkeit in Bezug auf diesen Komplex durch die bisherige Rechtsprechung nicht bereits geklärt oder in der Rechtsprechung und Literatur mit beachtlichen Gründen in Zweifel gezogen worden ist. Auch diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Zur Klärungsfähigkeit in Bezug auf alle drei aufgeworfenen Fragen macht die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung keine Ausführungen, was bereits für sich genommen zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde führt. Allein die Behauptung der Klägerin, die Rechtsfragen seien "mithin klärungsbedürftig und auch klärungsfähig" (S 5 der Beschwerdebegründung), genügt zur Darlegung der Klärungsfähigkeit im Rahmen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht. Ausführungen dazu, dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung auch erwarten lässt ( BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34), fehlen, obwohl dazu Anlass bestand, weil das LSG angenommen hat, durch Satzungs- bzw sonstige untergesetzliche Regelungen sei hier unzumutbaren Belastungen hinreichend Rechnung getragen worden.

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 07.05.2015 - Vorinstanzaktenzeichen L 16 KR 151/13
Vorinstanz: SG Münster, - Vorinstanzaktenzeichen S 17 (11) KR 120/08