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BSG - Entscheidung vom 11.02.2015

B 13 R 367/14 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 11.02.2015 - Aktenzeichen B 13 R 367/14 B

DRsp Nr. 2015/4416

Begründung einer Grundsatzrüge Auseinandersetzung mit vorinstanzlichen Entscheidungen Verfassungskonformität

1. Für eine Grundsatzrüge ist in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung zu bezeichnen und schlüssig aufzuzeigen, dass diese klärungsbedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. 2. Es muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. 3. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. August 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

Nach dem Vorbringen der Beschwerdebegründung siedelte die Klägerin im September 1989 von Polen nach Niedersachsen über, wo sie noch vor Beginn ihrer Altersrente für Frauen (1.3.2001) die deutsche Staatsangehörigkeit erhielt. Im ersten Altersrentenbescheid vom 13.3.2001 seien ihre Beschäftigungszeiten in Polen nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen von 1975 als FRG -Zeiten berücksichtigt worden. Der Bescheid habe außerdem den Hinweis enthalten, dass sich die Rentenhöhe für die Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vermindern könne, aber keine Belehrung über die Rechtsfolgen nach einer Rückkehr aus dem Beitrittsgebiet in die alten Bundesländer (vgl hierzu aber S 5 des Bescheids vom 13.3.2001). Die Klägerin habe jedoch im Juni 2007 die Beklagte um Auskunft gebeten, welche Rechtsfolgen ein Umzug nach Polen für die Rentenhöhe haben könne; diese habe die Beklagte mit Schreiben vom 12.7.2007 erteilt. Daraufhin habe die Klägerin die Beklagte telefonisch informiert, dass sie nicht nach Polen, sondern wenn, dann nur innerhalb Deutschlands umziehen werde; eine Reaktion hierauf sei aber nicht erfolgt. Nachdem die Klägerin ab 1.10.2007 nach Frankfurt (Oder) verzogen sei, habe die Beklagte mit Bescheid vom 18.10.2007 für ihre in Polen zurückgelegten Beitragszeiten sowie weitere Ersatzzeiten bis Ende 1991 nunmehr gemäß Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst c FANG Entgeltpunkte (Ost) zugrunde gelegt, was zu einer erheblichen Rentenminderung iHv 114,56 Euro (brutto) geführt habe. Das SG habe in seinem Urteil einen Verstoß von Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst c und S 3 FANG gegen Art 11 Abs 1 GG und gegen das gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeitsgebot nach Art 18 , 32 und 39 EGV verneint; dem habe sich das LSG angeschlossen.

Die Klägerin macht mit ihrer beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im "Urteil" des LSG vom 28.8.2014 ausschließlich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Beschwerdebegründung vom 15.12.2014 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn sie hat eine grundsätzliche Bedeutung nicht ordnungsgemäß dargelegt (§ 160 Abs 2 Nr 1 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

Hierfür ist in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung zu bezeichnen und schlüssig aufzuzeigen, dass diese klärungsbedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19, Nr 22 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff, Nr 9 RdNr 4 - jeweils mwN). Es muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG [Kammer] SozR 4-1500 § 160a Nr 12 RdNr 3 f; Nr 16 RdNr 4; Nr 24 RdNr 5 ff).

Das Vorbringen der Klägerin wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Sie bezeichnet als klärungsbedürftig die Fragen,

(1) "ob Art. 6 § 4 Abs. 6 FANG gegen das Grundrecht auf Freizügigkeit nach Art. 11 GG verstößt, soweit der gesetzliche Entzug erheblicher Rententeile als staatliche Maßnahme eine mittelbare oder faktische Wirkung der Freizügigkeit entfaltet und das Grundrecht auf Freizügigkeit ohne hinreichende Rechtfertigung beeinträchtigt";

(2) "ob Art. 6 § 4 Abs. 6 FANG gegen das Recht auf Freizügigkeit innerhalb Europas nach Art. 18 , 39 und 42 EGV vom 02.10.1997 in der bis 30.11.2009 geltenden Fassung sowie gegen Art. 48 , 45 , 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ( AEUV ) vom 01.12.2009 (ABl EG Nr. C 115 vom 09.05.2008, Seite 47) verstößt, soweit bei Berechtigten, hier der Klägerin, nach dem deutsch-polnischen Versicherungsabkommen bzw. dem Fremdrentengesetz , die vor dem 30.06.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den alten Bundesländern haben und die nach dem 31.12.1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt auf dem Gebiet der alten Bundesländer in das Beitrittsgebiet verlegen und bereits vor Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach Rentenniveau West haben, nach dem Fremdrentengesetz anrechenbare Zeiten nach Entgeltpunkt Ost ermittelt werden (Art. 6 § 4 Abs. 6 S 1 c FANG), auch wenn sie ihren Aufenthaltsort anschließend in die alten Bundesländer zurückverlegen".

Zu Frage (1) führt die Klägerin weiter aus, das BSG habe sich im Urteil vom 31.10.2012 (B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6) zwar eingehend mit Argumenten gegen die Verfassungsmäßigkeit des Art 6 § 4 Abs 6 FANG unter dem Aspekt von Art 3 Abs 1 GG auseinandergesetzt, nicht aber unter den Gesichtspunkten von Art 2 , 20 bzw 11 GG . Das BVerfG habe im Urteil vom 10.3.2004 (1 BvR 1266/00 - BVerfGE 110, 177 , 191) jedoch entschieden, dass auch mittelbare oder faktische Einwirkungen durch staatliche Maßnahmen das Grundrecht aus Art 11 GG beeinträchtigen könnten und dann wie ein direkter Eingriff behandelt werden müssten. Dem in jener Entscheidung behandelten Sachverhalt einer Entziehung von Sozialhilfe stehe eine Rentenminderung in der dargelegten Größenordnung gleich. Deshalb sei eine Prüfung erforderlich, ob der vom BVerfG für entscheidungserheblich gehaltene Gesichtspunkt "angemessene Lastenverteilung" einen Eingriff in das Recht der Klägerin auf Freizügigkeit rechtfertigen könne. Die in diesem Zusammenhang zur Rechtfertigung angeführte Argumentation, die Regelung diene der Sicherung eines angemessenen Lebensstandards am jeweiligen Aufenthaltsort, treffe bei ungleichen Lebensverhältnissen an sich zu. Der hier erkennende 13. Senat und die Instanzgerichte übersähen jedoch, dass dies im Fall eines Rückverzugs des Aussiedlers in die alten Bundesländer nicht mehr gelte, denn dann bestehe ein schützenswertes Interesse an der Aufrechterhaltung des am Aufenthaltsort zu sichernden Lebensstandards. Die Grundrechtsschranken des Art 11 GG seien eindeutig überschritten, wenn die Ausübung der Freizügigkeit dazu führe, dass "der Lebensstandard West mit einem Rentenniveau Ost gesichert werden" solle, was jedenfalls dann der Fall sei, wenn ein ursprünglich in den alten Bundesländern wohnender Aussiedler mit Rentenniveau West - so wie die Klägerin - wieder in ein altes Bundesland zurückverziehe.

Mit diesen Darlegungen hat die Klägerin allenfalls einen weiteren oberstgerichtlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit der "Rückumzugs-Regelung" in Art 6 § 4 Abs 6 S 3 FANG mit Art 11 GG für Fallgestaltungen aufgezeigt, in denen Aussiedler ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet zunächst in das Beitrittsgebiet, später jedoch von dort wieder in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet zurückverlegen. Aus ihrem Vorbringen erschließt sich jedoch nicht, dass diese Frage in dem von ihr angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) wäre. Ihrer Sachverhaltsdarstellung (Beschwerdebegründung S 1 bis 4) kann lediglich entnommen werden, dass sie zum 1.10.2007 von Niedersachsen nach Frankfurt (Oder) "verzog". Zwar führt sie an mehreren Stellen ihrer Beschwerdebegründung inzident an, sie sei später wieder "in ein altes Bundesland" zurückverzogen. Ob sie dort - was nach Art 6 § 4 Abs 6 S 3 FANG allein maßgeblich ist - auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet und ob das Berufungsgericht in dem angefochtenen Beschluss - für das Revisionsgericht bindend (vgl § 163 SGG ) - hierzu auch tatsächliche Feststellungen getroffen hat, ergibt sich aus ihrem Vorbringen jedoch nicht. Ihre Darstellung lässt auch nicht erkennen, zu welchem Zeitpunkt sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt wieder in das Gebiet der alten Bundesländer verlegt hat und ob die Beklagte über die hieraus zu ziehenden Folgerungen für die Höhe ihrer Rente in dem nach ihren Angaben allein streitbefangenen Bescheid vom 18.10.2007, der nur wenige Tage nach dem Umzug nach Frankfurt (Oder) erlassen wurde, bereits entschieden hat. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich die Sachverhaltselemente, die für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit einer bezeichneten Rechtsfrage maßgeblich sind, selbst zusammenzusuchen. Vielmehr obliegt es einer ordnungsgemäßen Beschwerdebegründung, diese Umstände aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar darzulegen (vgl hierzu BSG Beschluss vom 28.8.2014 - B 5 R 146/14 B - BeckRS 2014, 72560 RdNr 9).

Zur Frage (2) der Vereinbarkeit des Art 6 § 4 Abs 6 S 3 FANG mit dem gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsgebot nach dem EGV bzw AEUV führt die Beschwerdebegründung sinngemäß aus, dass "die Instanzgerichte" dies fälschlicherweise bejaht hätten. An keiner Stelle legt die Klägerin hingegen dar, inwiefern im Lichte der Rechtsprechung des BSG hierzu noch weiterer Klärungsbedarf besteht; sie behauptet auch nicht, dass das BSG hierzu noch keine Entscheidungen getroffen habe. Vielmehr führt die Klägerin in erster Linie an, es sei entgegen der Rechtsmeinung des LSG aufgrund (angeblich) neuer Rechtsprechungstendenzen des EuGH für die Anwendung des gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsgebots nicht mehr erforderlich, dass ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliege. Dieses Vorbringen zielt auf die Klärungsfähigkeit der europarechtlichen Rechtsfrage im Fall der Klägerin, genügt zur Darlegung von deren Klärungsbedarf aber nicht.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 28.08.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 2 R 25/11
Vorinstanz: SG Berlin, - Vorinstanzaktenzeichen 6 R 2433/09