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BSG - Entscheidung vom 30.07.2015

B 3 P 12/15 B

Normen:
SGGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 30.07.2015 - Aktenzeichen B 3 P 12/15 B

DRsp Nr. 2015/15828

Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe III Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache i.S. des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. 2. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch fordert nach ständiger Rechtsprechung des BSG das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnen ist, einen dadurch beim Berechtigten eingetretenen sozialrechtlichen Nachteil oder Schaden sowie die Möglichkeit, durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers den Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. April 2015 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGGG § 160 Abs. 2 Nr. 1;

Gründe:

I

Streitig ist ein Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe III für die Zeit vom 1.3.2010 bis 30.9.2014.

Die im Juni 1922 geborene und am 4.9.2014 verstorbene Mutter der Klägerin wohnte gemeinsam mit dieser im streitigen Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland, bezog eine polnische Altersrente und war in der polnischen Krankenversicherung versichert. Am 9.3.2010 beantragte sie bei der Beklagten Pflegegeld. Die Beklagte bewilligte ihr Pflegesachleistungen nach der Pflegestufe III sowie Betreuungsleistungen als Sachleistungen, lehnte aber die Gewährung von Geldleistungen ab, da aufgrund des "EU-Sozialversicherungsabkommens" nur Pflegesachleistungen gewährt werden könnten (Bescheide vom 9.7.2010).

Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren sind erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin sei zwar als Sonderrechtsnachfolgerin nach § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB I berechtigt, die Ansprüche geltend zu machen, der Mutter der Klägerin habe jedoch kein Anspruch auf Pflegegeld zugestanden. Sie sei nicht bei der Beklagten pflegeversichert gewesen, sodass ihr Ansprüche gegen die Beklagte nur aufgrund des Rechts der europäischen Union zustehen könnten. Beim Pflegegeld handele es sich nach der Rechtsprechung des EuGH um eine Geldleistung. Für die Gewährung von Geldleistungen sei hier der Träger der polnischen Kranken- bzw Pflegeversicherung zuständig. Dies ergebe sich aus Art 29 Abs 1 Satz 1 Verordnung (VO [EG]) Nr 883/2004 sowie aus Art 24 VO Nr 883/2004. Danach hätte die Mutter der Klägerin Anspruch auf Sachleistungen gehabt, die vom Träger des Wohnortes (der Beklagten) auf Kosten des polnischen Trägers zu erbringen gewesen seien. Für die Erbringung von Geldleistungen sei hingegen der polnische Träger zuständig. Vor dem 1.5.2010, dem Zeitpunkt des Eintritts der Anwendbarkeit der am 20.5.2004 in Kraft getretenen VO Nr 883/2004, sei die VO (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 (VO Nr 1408/71) maßgeblich gewesen, deren Art 28 und 31 im Wesentlichen den Art 24 und 29 VO Nr 883/2004 entspreche. Die Klägerin könne den geltend gemachten Anspruch auch nicht auf die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs stützen, da dieser allein darauf gerichtet sei, nachteilige Folgen einer Pflichtverletzung aus dem Sozialrechtsverhältnis, insbesondere aus der Verletzung von Beratungs- und Betreuungspflichten, durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder zu beseitigen. Als Rechtsfolge könne daher allenfalls die Weiterleitung des Antrags auf Pflegegeld an den polnischen Träger in Betracht kommen. Mit einem Zahlungsanspruch gegen die Beklagte würde nicht der ohne Pflichtverletzung bestehende Zustand hergestellt. Über einen Amtshaftungsanspruch könne im Sozialrechtsweg nicht entschieden werden.

Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG und beruft sich dabei auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in der durch § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG normierten Form begründet worden ist. Sie ist deshalb ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1, § 169 SGG ).

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

Die Klägerin hat schon keine eindeutige Rechtsfrage formuliert. Sie führt aus, die Frage, wie der sozialrechtliche Herstellungsanspruch im Hinblick auf die Rechtsfolge einer Naturalrestitution ausgestaltet sei, wenn grenzüberschreitend zwei Sozialversicherungsträger mit den gleichen Kompetenzbereichen beteiligt seien, könne eine beträchtliche Personenzahl betreffen. Nach dem Empfängerhorizont der verstorbenen Mutter der Klägerin sei die Beklagte für sämtliche Leistungen der zuständige Ansprechpartner gewesen. Es stelle sich daher die Frage, wie weit ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr gehe. Pflichtverletzungen von Leistungsträgern könnten im eigenen Kompetenzbereich durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln korrigiert werden. Bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt könnte bei gleicher Ausgangslage der inländische Träger nicht in Anspruch genommen werden. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch fände deshalb bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht statt.

Mit diesen Ausführungen wird eine konkrete, vom Revisionsgericht zu entscheidende Rechtsfrage nicht bezeichnet. Eine nähere Auslegung des Beschwerdevorbringens ist aber nicht erforderlich, da die Klägerin jedenfalls die Entscheidungserheblichkeit möglicher Rechtsfragen um den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht dargelegt hat. Dazu hätte sie zumindest aufzeigen müssen, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch lediglich wegen des grenzüberschreitenden Sachverhaltes nicht habe durchgesetzt werden können, seine Voraussetzungen ansonsten aber vollständig vorliegen. Denn nur in diesem Fall käme eine Klärung der von der Klägerin angesprochenen Aspekte des Herstellungsanspruchs bei grenzüberschreitenden Sachverhalten durch das Revisionsgericht in Betracht.

Der Herstellungsanspruch fordert nach ständiger Rechtsprechung des BSG das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnen ist, einen dadurch beim Berechtigten eingetretenen sozialrechtlichen Nachteil oder Schaden sowie die Möglichkeit, durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers den Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (vgl nur BSG SozR 4-4300 § 124 Nr 6; BSG SozR 4-2600 § 137b Nr 1 RdNr 37).

Die Klägerin hat aber nicht dargelegt, welche konkrete Pflicht die Beklagte verletzt haben könnte. Es wird insbesondere nicht deutlich, ob sich die Klägerin insoweit nur auf Aufklärungs- und Beratungspflichten der Beklagten stützen möchte. Dann hätte sie darlegen müssen, aus welchem Grund die ausführliche Begründung der Beklagten insbesondere im Widerspruchsbescheid nicht ausreichte. Sollte sie meinen, die Beklagte sei auch zur Weiterleitung des Antrags auf Pflegegeld an den polnischen Träger verpflichtet gewesen, wären jedenfalls weitere Ausführungen zur rechtlichen Herleitung einer solchen Weiterleitungspflicht erforderlich gewesen.

Darüber hinaus fehlen jegliche Ausführungen zum sozialrechtlichen Nachteil oder Schaden, der durch eine Pflichtverletzung der Beklagten bei der Klägerin oder ihrer Mutter verursacht wurde. Ein solcher Nachteil ist nur denkbar, wenn der polnische Träger tatsächlich zur Zahlung von Pflegegeld verpflichtet wäre. Dies hätte die Klägerin darlegen müssen.

Im Hinblick auf das Fehlen jeglicher Ausführungen zum sozialrechtlichen Nachteil oder Schaden, der durch eine konkrete Pflichtverletzung der Beklagten verursacht wurde, ist den Ausführungen der Klägerin zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde jedenfalls keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG iVm § 56 Abs 1 SGB I .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 09.04.2015 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 P 3293/14
Vorinstanz: SG Stuttgart, - Vorinstanzaktenzeichen S 19 P 1652/12