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BSG - Entscheidung vom 08.04.2015

B 1 KR 138/14 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 08.04.2015 - Aktenzeichen B 1 KR 138/14 B

DRsp Nr. 2015/6841

Anspruch auf Heilkostenerstattung Formulierung einer Rechtsfrage für eine Grundsatzrüge Rechtlich unzutreffende Verwaltungspraxis Unzulässige Rechtsausübung

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. 2. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig. 3. Nach der BSG -Rechtsprechung lässt sich aus einer ursprünglichen Verwaltungspraxis, die unzweifelhaft auf eine unrichtige Rechtsauffassung zurückging, nicht schon der Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung ableiten.

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. September 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 12 221,50 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Die beklagte Krankenkasse machte für im Zeitraum vom 22.5.2006 bis 27.7.2007 geleistete ambulante und stationäre Behandlungen, Hilfsmittel sowie Stoma- und Inkontinenzartikel einen Erstattungsanspruch iHv 15 066,43 Euro geltend (7.1.2008), den die Rechtsvorgängerin der klagenden Berufsgenossenschaft erfüllte. Nach der Entscheidung des BSG vom 16.3.2010 - B 2 U 4/09 R - zu § 111 S 2 SGB X verlangte die Klägerin erfolglos die Rückerstattung von 12 221,50 Euro für Leistungen, die vor dem 7.1.2007 erbracht worden waren. Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die ursprüngliche Erstattung sei im streitbefangenen Umfang zu Unrecht erfolgt und nach § 112 SGB X rückabzuwickeln. Dem Rückerstattungsanspruch stehe der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen. Die vor der Entscheidung des BSG vom 16.3.2010 geübte Verwaltungspraxis, die auf einer fehlerhaft berechneten Jahresfrist für die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs durch fahrlässig falsche Rechtsinterpretation des § 111 S 2 SGB X beruhe, rechtfertige nicht den Einwand unzulässiger Rechtsausübung (Urteil vom 30.9.2014).

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.

1. Wer sich - wie hier die Beklagte - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).

Die Beklagte formuliert als Rechtsfrage,

"ob die Ausübung des Rückerstattungsanspruchs nach § 112 SGB X rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig ist, wenn ein Sozialversicherungsträger, der über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg in einer Vielzahl von Einzelfällen sämtliche Erstattungsansprüche, die ein anderer, erstattungsberechtigter Sozialleistungsträger später als 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, ihm gegenüber geltend gemacht hat, vorbehaltlos erfüllt hat."

Die Beklagte legt aber die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht hinreichend dar. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN). Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs stehe der Grundsatz von Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung in der Form des venire contra factum proprium sowie der Verwirkung entgegen. Sie setzt sich aber nicht mit der umfassenden Rechtsprechung des BSG auseinander zur Verwirkung (vgl nur BSG Urteil vom 14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R - Juris RdNr 35 ff zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 112, 141 = SozR 4-2500 § 275 Nr 8, RdNr 37; BSGE 109, 22 = SozR 4-2400 § 7 Nr 14, RdNr 36; BSG SozR 4-2400 § 24 Nr 5 RdNr 31; BSG SozR 4-2600 § 243 Nr 4 RdNr 36; BSG SozR 4-4200 § 37 Nr 1 RdNr 17; BSG SozR 3-2400 § 4 Nr 5 S 13; BSG Urteil vom 30.7.1997 - 5 RJ 64/95 - Juris RdNr 27; BSGE 80, 41 , 43 = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6 S 17 f; BSG Urteil vom 1.4.1993 - 1 RK 16/92 - FEVS 44, 478, 483 = Juris RdNr 23; BSG SozR 2200 § 520 Nr 3 S 7; BSG Urteil vom 29.7.1982 - 10 RAr 11/81 - Juris RdNr 15; BSGE 47, 194, 196 = SozR 2200 § 1399 Nr 11 S 15; BSG Urteil vom 25.1.1972 - 9 RV 238/71 - Juris RdNr 17) und zur unzulässigen Rechtsausübung in der Form widersprüchlichen Verhaltens (vgl nur BSG SozR 2200 § 1303 Nr 33 S 92 = Juris RdNr 15; BSGE 62, 10, 16 f = SozR 2200 § 1254 Nr 7 S 21 = Juris RdNr 23 f; BSG SozR 4-2400 § 23a Nr 7 RdNr 36; BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 5 RdNr 22 ff, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG SozR 4-2400 § 24 Nr 5 RdNr 41; BSGE 99, 271 = SozR 4-2400 § 27 Nr 3, RdNr 13 ff; BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 1 RdNr 14). Sie erläutert nicht ausreichend, weshalb über diese umfangreiche Judikatur hinaus noch ein Klärungsbedarf verbleibt.

Sie verweist lediglich auf die Entscheidung des BSG vom 1.4.1993 - 1 RK 16/92 - zur Verwirkung. Sie trägt hierzu vor, dass sich der dortige Sachverhalt von dem vorliegenden unterscheide, weil die auf einer vom BSG abweichenden Auslegung des § 111 S 2 SGB X beruhende und jahrelang geübte Verwaltungspraxis auch zur Erfüllung von Erstattungsansprüchen für Leistungen geführt habe, deren Geltendmachung nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages erfolgt sei, für den die Leistungen erbracht worden seien. Die Treuwidrigkeit sehe sie darin, dass die Klägerin von dem einvernehmlich Praktizierten rückwirkend abgerückt sei. Sie legt aber nicht dar, dass und insbesondere warum die vom BSG in seiner ständigen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Einwand unzulässiger Rechtsausübung den vorliegenden Sachverhalt nicht erfassen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die BSG -Rechtsprechung, wonach sich aus einer ursprünglichen Verwaltungspraxis, die unzweifelhaft auf eine unrichtige Rechtsauffassung zurückging, nicht schon der Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung ableiten lässt (BSGE 42, 219, 222 f = SozR 2200 § 29 Nr 6 S 15 = Juris RdNr 26; vgl auch BSG SozR 4-2400 § 24 Nr 5 RdNr 38, das ein schützenswertes Vertrauen auf eine bisherige Verwaltungspraxis ablehnt). Sie trägt hierzu nur vor, dass das Bemühen des BSG , weitere Fallgruppen zur unzulässigen Rechtsausübung zu bilden, offensichtlich noch nicht abgeschlossen sei und erläutert, weshalb sie der vom LSG vertretenen Auffassung und der von ihm vorgenommenen Würdigung des Einzelfalls nicht folge. Unabhängig davon, ob die Behauptung richtig ist, das BSG habe zum Einwand unzulässiger Rechtsausübung Fallgruppen gebildet, zeigt sie damit einen (über die BSG -Rechtsprechung hinausgehenden) Klärungsbedarf nicht auf.

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO , diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3 , § 47 Abs 1 und 3 GKG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 30.09.2014 - Vorinstanzaktenzeichen L 11 KR 2398/13
Vorinstanz: SG Mannheim, - Vorinstanzaktenzeichen S 14 KR 1604/12