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BGH - Entscheidung vom 12.02.2015

2 StR 109/14

Normen:
BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 7

Fundstellen:
NJW 2015, 2202
NStZ 2015, 341
wistra 2015, 231

BGH, Urteil vom 12.02.2015 - Aktenzeichen 2 StR 109/14

DRsp Nr. 2015/6164

Unerlaubte Abgabe verschreibungspflichtiger Betäubungsmittel beim Betrieb einer Apotheke

1. Täuschungshandlung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB ist jede Einwirkung des Täters auf die Vorstellung des Getäuschten, die geeignet und dazu bestimmt ist, beim Adressaten der Erklärung eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorzurufen.2. Sie besteht in der Vorspiegelung falscher oder in der Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen.3. Welchen Erklärungswert eine konkludent abgegebene Äußerung besitzt, beurteilt sich nach dem Empfängerhorizont und der Verkehrsanschauung.4. Ein Apotheker, der am Abrechnungssystem der Krankenkassen teilnimmt, erklärt bei den Abrechnungen stillschweigend, dass er bestehende sozialrechtliche Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte Apothekengeschäfte geltend macht.5. Bei Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahren ist es nicht erforderlich, dass der jeweilige Mitarbeiter hinsichtlich jeder einzelnen geltend gemachten Position die positive Vorstellung hatte, sie sei nach Grund und Höhe berechtigt; vielmehr genügt die stillschweigende Annahme, die ihm vorliegende Abrechnung sei insgesamt in Ordnung.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. Oktober 2013 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Normenkette:

BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 7 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Abgabe verschreibungspflichtiger Betäubungsmittel beim Betrieb einer Apotheke in drei Fällen und wegen Betrugs in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und gegen ihn ein Berufsverbot verhängt. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel ist unbegründet.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. a) Der Angeklagte hatte die T. -Apotheke in F. von seinem Vater übernommen. Dieser hatte ein "Gutschriftensystem" eingeführt, wonach gesetzlich krankenversicherte Kunden anstelle der ihnen ärztlich verschriebenen Arzneimittel Gutschriften für ihre Kassenrezepte erhielten. Für den Gegenwert konnten sie freiverkäufliche Waren oder verschreibungspflichtige Rohypnol-Tabletten mit dem Wirkstoff Flunitrazepam erhalten. Der Angeklagte führte dieses Gutschriftensystem fort und gab RohypnolTabletten in großen Mengen gegen Rezepte über andere Medikamente oder auch ohne Rezept gegen Barzahlung an Kunden ab. Von Januar 2006 bis August 2009 bezog er 60.799 Packungen Rohypnol, rechnete aber nur 28 dieser Packungen bei den Krankenkassen ab. Die Abgabe im "Gutschriftensystem" erfolgte an Drogensüchtige oder an Personen, welche die Tabletten an Süchtige weiterverkauften.

Nachdem die Polizei Hinweise darauf erhalten hatte, ließ ein Vertrauensmann der Polizei den Zeugen Fo. ein Geschäft in der Apotheke des Angeklagten durchführen. Dabei tauschte der Zeuge Fo. am 22. Mai 2009 ein Rezept über verschiedene andere Medikamente im Gesamtwert von 3.408,48 Euro gegen 100 Packungen Rohypnol mit insgesamt 2.000 Tabletten ein (Fall 1 der Urteilsgründe). Am 26. Juni 2009 erlangte der Zeuge Fo. nochmals 20 Packungen Rohypnol mit 400 Tabletten (Fall 2) und am 10. Juli 2009 ebenso (Fall 3).

b) Das Landgericht hat darin drei Vergehen der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln aus einer Apotheke im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 7 BtMG durch den Angeklagten gesehen. Das Verfahren wegen weiterer Fälle der Abgabe von Rohypnol ohne zugehöriges Rezept hat es gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

2. a) Ab April 2009 nahm der Angeklagte in der T. -Apotheke gegen Zahlung eines 20 bis 30 Prozent betragenden Anteils des Rezeptwertes von sogenannten "Tauschkunden", die dem Kulturkreis der Roma angehörten, Kassenrezepte entgegen, mit denen er angebliche sozialrechtliche Erstattungsansprüche bei den Krankenkassen geltend machte. Die Rezepte betrafen meist besonders teure Medikamente. Sie waren gefälscht oder willkürlich angesprochenen Passanten abgekauft worden. Mit ihrer Übernahme durch den Angeklagten war jeweils keine Abgabe von Arzneimitteln verbunden.

Die von den "Tauschkunden" angekauften Rezepte reichte der Angeklagte mit seinen monatlichen Abrechnungen über die A. GmbH bei den Krankenkassen ein. Auf einem Begleitzettel vermerkte er Zahl und Gewicht der Rezepte. Den Zettel versah er in der Regel mit einem Stempel seiner Apotheke. Die Abrechnungsstelle bearbeitete die Rezepte in Form von Computerdateien und gab Sammelrechnungen an die einzelnen Krankenkassen weiter. Eine Überprüfung der Rezepte auf formale oder inhaltliche Fehler erfolgte bei der A. GmbH nicht. Auch die zuständigen Mitarbeiter der Krankenkassen nahmen nur eine Prüfung der Abrechnungen auf rechnerische Richtigkeit vor. Eine genauere Überprüfung der Rezepte war zurzeit der Zahlungen der Krankenkassen zudem noch nicht möglich, weil die Bilddateien der eingescannten Rezepte erst mehrere Wochen später bei den Krankenkassen eingingen. Sie wurden dann in einer anderen Abteilung auf formale Richtigkeit geprüft, insbesondere darauf, ob die Patientendaten korrekt eingetragen waren, die Arztnummer existierte und die Medikamentenpreise der Verordnung entsprachen. Eine inhaltliche Prüfung fand nur statt, wenn konkrete Hinweise auf Unregelmäßigkeiten vorlagen.

Von April bis Juli 2009 (Fälle 4 bis 7) rechnete der Angeklagte Rezepte über Medikamente im Gesamtwert von 1.591.480,23 Euro ab, ohne dass er entsprechende Arzneimittel an Apothekenkunden abgegeben hatte.

b) Das Landgericht hat in der Einreichung der falschen Rezepte pro Abrechnungsmonat jeweils einen Fall des Betrugs gesehen. Es sei eine konkludente Vorspiegelung falscher Tatsachen erfolgt. Dies sei aus dem Empfängerhorizont heraus zu verstehen, der auch vom Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Apotheker geprägt gewesen sei. Bei den Mitarbeitern der Krankenkassen sei eine Fehlvorstellung geweckt worden. Zwar seien bei der Massenerledigung keine inhaltlichen Überprüfungen erfolgt. Jedoch hätten die Mitarbeiter der Krankenkassen die Vorstellung gehabt, die eingereichten Rezeptabrechnungen seien "in Ordnung". Nur aufgrund dieser Vorstellung sei die Auszahlung der für Arzneimittelabgaben an gesetzlich versicherte Patienten vorgesehenen Erstattungsbeträge veranlasst worden.

Der den Krankenkassen entstandene Schaden sei nicht im Gesamtbetrag der Sammelabrechnungen für die jeweiligen Monate zu sehen. Vielmehr seien nur die Abrechnungen bezüglich solcher Rezepte, die nicht zur Arzneimittelabgabe geführt hätten, bei der konkreten Bestimmung des Schadensumfangs von Belang. Diese seien nicht genau festzustellen, sondern aufgrund der Differenz zwischen Wareneingang in der Apotheke und Abrechnungen gegenüber den Krankenkassen zu schätzen. Zudem sei ein Sicherheitsabschlag zur Bestimmung des Mindestschadens vorzunehmen.

II.

Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil ist unbegründet.

Die Verfahrensrüge ist aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragschrift vom 2. Juni 2014 genannten Gründen unzulässig. Die Sachbeschwerde erweist sich als unbegründet.

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubter Abgabe verschreibungspflichtiger Betäubungsmittel aus einer Apotheke gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BtMG ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Strafausspruch hierzu ist auch rechtsfehlerfrei, soweit das Landgericht in den drei Fällen des Rohypnolerwerbs durch den Zeugen Fo. zu Lasten des Angeklagten gewertet hat, dass es sich bei den abgeurteilten Fällen nur um die Spitze des Eisbergs gehandelt habe. Das Landgericht hat hinsichtlich der weiteren Taten zwar das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, aber Art und Umfang der dabei erfolgten Abgabe von Rohypnol an Personen aus der Drogenszene in ausreichendem Maße festgestellt (vgl. Senat, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 StR 381/14, Rn. 23).

2. Auch gegen die Verurteilung wegen Betrugs in vier Fällen bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Bei den monatlichen Sammelabrechnungen des Angeklagten gegenüber den Krankenkassen lag jeweils eine Täuschungshandlung im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB vor.

Täuschungshandlung ist jede Einwirkung des Täters auf die Vorstellung des Getäuschten, die geeignet und dazu bestimmt ist, beim Adressaten der Erklärung eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorzurufen. Sie besteht in der Vorspiegelung falscher oder in der Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 2014 - 1 StR 359/13). Welchen Erklärungswert eine konkludent abgegebene Äußerung besitzt, beurteilt sich nach dem Empfängerhorizont und der Verkehrsanschauung (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 5 StR 394/08, NJW 2009, 2900, 2901).

Ein Apotheker, der am Abrechnungssystem der Krankenkassen teilnimmt, erklärt bei den Abrechnungen stillschweigend, dass er bestehende sozialrechtliche Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte Apothekengeschäfte geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2012 - 1 StR 534/11, Rn. 46; Urteil vom 10. Dezember 2014 - 5 StR 405/13, Rn. 11). Die entsprechende Erklärung des Angeklagten war in den Fällen, die seiner Verurteilung zu Grunde liegen, falsch, weil die eingereichten Rezepte gefälscht oder angekauft waren und ohne entsprechende Arzneimittelabgabe zur Abrechnung eingereicht wurden.

Die Einschaltung der A. GmbH führte in diesem Zusammenhang nur dazu, dass die jeweilige Tat vom Angeklagten in mittelbarer Täterschaft begangen wurde. Sie ändert nichts am Erklärungswert der an die Krankenkassen weitergereichten Abrechnungen.

b) Das Landgericht ist aufgrund der Besonderheiten des Abrechnungssystems zutreffend davon ausgegangen, dass die Mitarbeiter der Krankenkassen im Hinblick auf die Erklärungen des Angeklagten bei den monatlichen Sammelabrechnungen jeweils einem Irrtum unterlagen.

Bei Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahren ist es nicht erforderlich, dass der jeweilige Mitarbeiter hinsichtlich jeder einzelnen geltend gemachten Position die positive Vorstellung hatte, sie sei nach Grund und Höhe berechtigt; vielmehr genügt die stillschweigende Annahme, die ihm vorliegende Abrechnung sei insgesamt in Ordnung. Daher setzt ein Irrtum auch nicht voraus, dass tatsächlich eine Überprüfung der Abrechnungen im Einzelfall durchgeführt wurde (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 - 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95 , 100).

Für die Annahme eines täuschungsbedingten Irrtums ist es deshalb ausreichend, dass ein sachgedankliches Mitbewusstsein der Krankenkassenmitarbeiter vorlag, das die Annahme einschloss, allen Abrechnungen des Angeklagten hätten tatsächlich von Apothekenkunden als Kassenpatienten eingereichte Rezepte und entsprechende Arzneimittelabgaben in der Apotheke zu Grunde gelegen. Nur dafür ist das Abrechnungssystem des Apothekerverbandes vorgesehen. Es ist auf das Vertrauen gestützt, dass die Apotheker keine gefälschten oder angekauften Rezepte zur Abrechnung tatsächlich nicht durchgeführter Medikamentenabgaben einreichen. Der Fall der Rezeptfälschung oder sonstigen Rezeptabrechnung ohne Arzneimittelabgabe stellt die Berechtigung des geltend gemachten sozialrechtlichen Erstattungsanspruchs grundlegend in Frage.

Weil es um das grundsätzliche Mitbewusstsein der Geltendmachung eines tatsächlich bestehenden sozialrechtlichen Erstattungsanspruchs ging, bedurfte es weder einer Individualisierung des jeweils handelnden Mitarbeiters der Krankenkassen noch der Feststellung seiner individuellen Vorstellungen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 2014 - 1 StR 314/14). Das Tatgericht konnte vielmehr bereits aus den Indizien des äußeren Ablaufs darauf schließen, dass alle Mitarbeiter der Krankenkassen irrtümlich von dem normativ geprägten Vorstellungsbild ausgingen, es würden nur dem Grunde nach gerechtfertigte Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte Apothekengeschäfte geltend gemacht.

c) Mit der Vornahme der Zahlungen auf die Sammelabrechnungen ist jeweils eine Vermögensverfügung der Krankenkasse erfolgt, die zu einem Schaden geführt hat, weil nicht erbrachte Leistungen vergütet wurden.

d) Die Stoffgleichheit zwischen der Vermögensverfügung und dem Vermögensschaden steht außer Frage. Daran ändert die Zwischenschaltung der Verrechnungsstelle nichts, die insoweit nur eine Botenfunktion ausgeübt hat.

e) Den Mindestumfang des Schadens in den vier Fällen monatlicher Abrechnungen im Hinblick auf bestimmte Medikamente hat das sachverständig beratene Landgericht nach dem Verhältnis zwischen Wareneingang und abgerechneten Medikamenten geschätzt und dabei um einen Sicherheitsabschlag von 22 Prozent reduziert. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.

Eine genauere Bestimmung der Verteilung von bezogenen und abgerechneten Medikamenten auf die einzelnen Abrechnungsmonate war nicht möglich. Das Landgericht hat die verfügbaren Daten hinsichtlich der einzelnen Medikamente im Urteil mitgeteilt. Eine noch ausführlichere Darstellung, auch des vom gerichtlichen Sachverständigen entwickelten Auswertungsprogramms und des genauen Rechenwegs, im Urteilstext war nicht erforderlich.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Frankfurt am Main, vom 24.10.2013
Fundstellen
NJW 2015, 2202
NStZ 2015, 341
wistra 2015, 231