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BGH - Entscheidung vom 18.03.2015

3 StR 29/15

Normen:
StGB § 64

BGH, Beschluss vom 18.03.2015 - Aktenzeichen 3 StR 29/15

DRsp Nr. 2015/7522

Rechtswidrigkeit der Nichtunterbringung eines Angeklagten in einer Entziehungsanstalt

1. Ein Hang verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen.2. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint.3. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indes nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus.

Tenor

1.

Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur vollständigen Begründung der Verfahrensrüge gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 16. Oktober 2014 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.

2.

Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 64 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützten Revision, die die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat (vgl. hierzu KK-Gericke, StPO , 7. Aufl., § 344 Rn. 11 mwN). Die Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht (§ 349 Abs. 2 StPO ). Das Urteil hat indes keinen Bestand, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB abgelehnt hat.

Die - sachverständig beratene - Strafkammer hat ihre Entscheidung damit begründet, bei dem Angeklagten bestehe zwar eine derart ihn treibende Neigung, Heroin in einem Maße zu sich zu nehmen, dass von einer Abhängigkeit auszugehen sei; diese Suchterkrankung habe aber im Hinblick auf die von dem Angeklagten konsumierten Mengen sowie der Häufigkeit und Art der Einnahme (rauchen) nach medizinischer Einschätzung noch nicht dazu geführt, dass er Rauschmittel in einem solchen Übermaß konsumiere, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit hierdurch erheblich beeinträchtigt seien.

Diese Argumentation begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach den bisherigen Feststellungen führte der Angeklagte die Beschaffungsfahrt in die Niederlande und die Einfuhr der Drogen nach Deutschland durch, weil der Mitangeklagte versprochen hatte, ihm von der zu erwerbenden Heroinmenge von rund 125 Gramm einige Gramm kostenlos zur Deckung seines Eigenkonsums zu überlassen. Zudem erwarb der Angeklagte bei dieser Gelegenheit von dem Lieferanten in Kerkrade selbst zwei Kleinmengen Heroin von insgesamt rund 13 Gramm zum Eigenkonsum und führte auch diese Menge ein. Vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte sich seit dem Jahr 2008 in einem Substitutionsprogramm befindet und es sich daher bei dem gerauchten Heroin um einen zusätzlich zu dem verabreichten Subutex betriebenen Beikonsum handelte, legen diese Umstände einen Hang des Angeklagten im Sinne von § 64 StGB nahe.

Dieser verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indes nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, [...] Rn. 10 mwN). Dass der Angeklagte in der Lage war, seiner Tätigkeit als Kundenberater in einem Baumarkt nachzugehen, steht daher einem Hang ebenso wenig zwingend entgegen wie auch seine sonstigen Lebensverhältnisse.

Angesichts der einschlägigen Vorstrafen des 31jährigen Angeklagten, der bereits während der Zeit seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann auch mit Heroin in Kontakt kam, sowie der weiteren von der Kammer festgestellten Verhaltensweisen des Angeklagten in der Vergangenheit liegt es nicht fern, dass die von § 64 StGB vorausgesetzte Gefahr erheblicher künftiger Taten infolge des Hangs festgestellt werden wird. Es bestehen zuletzt auch keine sicheren Anhaltspunkte dafür, dass die Maßregel nicht die erforderliche Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB haben könnte.

Über die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO ; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5 ).

Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.

Vorinstanz: LG Mainz, vom 16.10.2014