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BGH - Entscheidung vom 10.06.2015

1 StR 190/15

Normen:
StGB § 24 Abs. 1 S. 1 1. Alt.
StGB § 63

BGH, Beschluss vom 10.06.2015 - Aktenzeichen 1 StR 190/15

DRsp Nr. 2015/13492

Rechtmäßigkeit der Unterbringung eines an einer paranoid schizophrenen Psychose leidenden Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus

Tenor

1.

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18. Dezember 2014 mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen hiervon ist der Freispruch hinsichtlich des Geschehens am 3. November 2012.

2.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 24 Abs. 1 S. 1 1. Alt.; StGB § 63 ;

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt und im Übrigen freigesprochen (hinsichtlich des Geschehens am 20. Juni 2012 wegen nicht ausschließbarer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit, hinsichtlich des Geschehens am 3. November 2012 mangels Vorsatzes). Zudem hat es die Unterbringung der Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision der Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die nicht vorbestrafte Angeklagte seit vielen Jahren an einer paranoid schizophrenen Psychose, was mit einem affektiv labilen und aggressiven Verhalten, der wahnhaften Bewertung von Wahrnehmungen, einer misstrauischen Grundhaltung und der privatlogischen Verarbeitung konkreter Wahrnehmungen mit deutlichen Eigenbeziehungstendenzen einhergeht. Aufgrund dieser Erkrankung kam es zu folgenden Vorfällen:

Am 20. Juni 2012 warf die Angeklagte, als sie beim Mittagessen saß, ein Wasserglas in Richtung der Füße ihres Vermieters, des Zeugen N. , wodurch das Glas zerbrach und Scherben in die Socken eindrangen. Hierdurch wurde der Fuß des Zeugen verletzt und er verspürte Schmerzen, was die Angeklagte billigend in Kauf nahm.

Am 19. August 2012 fuhren der bereits genannte Zeuge N. und seine Ehefrau mit dem Fahrrad in Richtung ihres Hauses, das dem von der Angeklagten bewohnten gegenüber liegt. Kurz bevor das Ehepaar ankam, beschimpfte die Angeklagte die ihr entgegenkommenden Personen, nahm sodann einen Stein vom Boden und warf diesen in Richtung der beiden. Der Stein traf die Straße vor dem Fahrrad des Zeugen und rollte von der Straße herunter. Hierbei nahm die Angeklagte billigend in Kauf, dass der Zeuge oder sein Fahrrad von dem Stein getroffen werden und der Zeuge hierdurch verletzt werden könnte.

Im Mai 2014 kam es dann noch zu einem nicht angeklagten Geschehen, das von der Kammer zwecks Prüfung der Gefährlichkeitsprognose festgestellt wurde: Die Angeklagte arbeitete an einem von ihr angelegten Blumenbeet, als sie von ihrem neuen Vermieter auf das von ihr im Hausflur abgestellte Fahrrad angesprochen wurde. Hierauf reagierte sie mit Geschrei. Als ihr Vermieter in mehreren Metern Entfernung ungerührt seiner eigenen Gartenarbeit nachging, warf sie die von ihr zur Gartenarbeit verwendete Gartensichel (Durchmesser ca. 30 cm) nach ihm. Dieser sah die Sichel und wich ihr aus, so dass die Sichel kurz vor ihm auf dem Boden zu liegen kam, ohne ihn zu treffen. Hierbei nahm die Angeklagte eine Verletzung ihres Vermieters zumindest billigend in Kauf.

2. Die Kammer hat jeden dieser Vorfälle als versuchte gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs gewertet. Dem Sachverständigen folgend ist die Kammer davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten bei allen Vorfällen krankheitsbedingt jeweils sicher erheblich vermindert war, nicht ausschließbar beim ersten und letzten Vorfall auch aufgehoben. Dass die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten beim Steinwurf teilweise noch erhalten war, schließt das Landgericht daraus, dass es sich dabei nicht um eine rein von Impulsen gesteuerte Tat, sondern um ein gewisses planvolles Vorgehen - vom Aufheben zum Zweck des Wurfs bis zum Zielen über eine gewisse Distanz - gehandelt habe.

3. Die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus hat die Kammer damit begründet, dass von der Angeklagten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit infolge ihrer krankhaften seelischen Störung vergleichbare körperliche Übergriffe gegen Unbeteiligte zu erwarten seien. Das Verhalten der Angeklagten seit dem Jahr 2012 bis zur mündlichen Verhandlung zeige ein durchgängig bei Erregung aggressives und auffälliges Verhalten mit Beschuldigungen anderer. Für die Angeklagte sei symptomatisch, dass sie sich, wenn sie unangenehmen Situationen mit anderen ausgesetzt sei, bedroht bzw. belästigt fühle und dann mit Würfen von Gegenständen reagiere. Die geworfenen Gegenstände seien jeweils geeignet, erhebliche Verletzungen hervorzurufen, insbesondere hätte der Stein einen Sturz des Zeugen vom Fahrrad verursachen können.

II.

Sowohl der Schuldspruch wie auch der Maßregelausspruch halten revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Soweit die Angeklagte bezüglich des Steinwurfs wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist, hat das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht erörtert, ob die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB vorliegen. Nach dem mitgeteilten Sachverhalt und aufgrund entsprechender Angaben der Angeklagten liegt nahe, dass es am Standort der Angeklagten noch mehr Steine gab, mit denen die Angeklagte den Zeugen oder sein Fahrrad hätte treffen können. Dass ein fehlgeschlagener Körperverletzungsversuch vorlag, der einen Rücktritt ausschließen würde, ist nach den Feststellungen des Landgerichts nicht ersichtlich. Die Angeklagte könnte damit vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung durch bloßes Nichtweiterhandeln strafbefreiend zurückgetreten sein. Deshalb kann der Schuldspruch nicht bestehen bleiben.

2. Schon dies entzieht hier der Unterbringung nach § 63 StGB die Grundlage, so dass auch der Maßregelausspruch aufzuheben ist. Tritt der Täter strafbefreiend vom Versuch zurück, kann auf eine solche Anlasstat die Unterbringung nach § 63 StGB nicht gestützt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132 ).

3. Die Aufhebung der Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB führt im vorliegenden Fall ohne Verstoß gegen das Verbot der Schlechterstellung zur Aufhebung des (Teil-)Freispruchs hinsichtlich der Tat vom 20. Juni 2012 (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ).

4. Hinzu kommt Folgendes:

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts bleibt offen, welche Größe der von der Angeklagten geworfene Stein gehabt hat; in Betracht kommt angesichts der Gesamtumstände als Wurfgegenstand auch ein kleiner Kieselstein. Die Größe des Steins ist aber nicht nur für die Frage entscheidend, ob ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorliegt, sondern auch im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose relevant.

b) Soweit das Landgericht darauf abstellt, der Stein hätte auch das Fahrrad des Zeugen treffen und den Zeugen damit zu Fall bringen können, wären die Voraussetzungen für eine gefährliche Körperverletzung nicht erfüllt, weil diese nicht "mittels" des gefährlichen Werkzeugs, sondern durch den Sturz vom Fahrrad verursacht worden wäre (vgl. Fischer, StGB , 62. Aufl. 2015, § 224 Rn. 7a mwN).

c) Dass das Landgericht im Fall des Steinwurfs von einer teilweise erhalten gebliebenen Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist, beim Glaswurf hingegen nicht, weil es sich bei ersterem um ein gewisses planvolles Verhalten gehandelt habe, überzeugt angesichts des Krankheitsbildes der Angeklagten nicht ohne weiteres. Dieses ist nach den Feststellungen des Landgerichts davon geprägt, dass sich die Angeklagte aufgrund ihrer paranoid schizophrenen Psychose in Verkennung der Realität leicht angegriffen fühlt und dann mit dem Werfen von Gegenständen reagiert. Vor diesem Hintergrund hätte es zumindest näherer Erörterung bedurft, weshalb das tatsächlich nicht besonders komplexe Aufheben und Werfen eines Steines derart anders zu bewerten ist als der Wurf eines Glases, das sich bereits in der Hand befindet.

d) Unklar bleibt auch, weshalb das Landgericht bei dem Glaswurf nur von einer versuchten gefährlichen Körperverletzung ausgeht, obwohl es nach den Feststellungen wohl zu einem Körperverletzungserfolg gekommen ist. Sollte die Tat entgegen den ansonsten von der Kammer geglaubten Schilderungen des Geschädigten im Versuchsstadium stehen geblieben sein, wäre auch hier die Prüfung eines möglichen Rücktritts im Hinblick auf andere Wurfgegenstände zu erwägen (siehe oben II.1.).

5. Der Senat hebt angesichts der geschilderten Umstände auch die Feststellungen insgesamt auf, soweit nicht der Freispruch hinsichtlich des Vorfalls am 3. November 2012 betroffen ist.

6. Für das neue Tatgericht bemerkt der Senat: Die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB bedarf insgesamt einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und ggfs. langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Insbesondere erfordert die Gefährlichkeitsprognose eine umfassende Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2013 - 3 StR 215/13 mwN). Der neue Tatrichter wird deshalb auch das Vorleben der Angeklagten noch mehr als bisher in den Blick zu nehmen haben, insbesondere den Vorfall, der zu der mitgeteilten Eintragung im Bundeszentralregister geführt hat. Gegebenenfalls werden auch Erkenntnisse, die aus der mittlerweile fast zehnmonatigen Unterbringung nach § 126a StPO gewonnen wurden, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB zu berücksichtigen sein.

Vorinstanz: LG Nürnberg-Fürth, vom 18.12.2014