Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 15.10.2015

V ZR 52/15

Normen:
ZPO § 544 Abs. 7
BeurkG §11
BeurkG §17

BGH, Beschluss vom 15.10.2015 - Aktenzeichen V ZR 52/15

DRsp Nr. 2016/2144

Nichtzulassungsbeschwerde im Rahmen eriner einstweiligen Verfügung zur Eintragung eines Widerspruchs gegen eine Auflassungsvormerkung ins Grundbuch wegen Vorliegens einer betreuten Demenzerkrankung der Grundstücksverkäuferin

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Kammergerichts vom 29. Januar 2015 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 125.000 €.

Normenkette:

ZPO § 544 Abs. 7 ; BeurkG §11; BeurkG §17;

Gründe

I.

Mit notariellem Vertrag vom 6. April 2011 verkaufte die Klägerin einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem Grundstück an die Beklagte zu einem Preis von 100.000 €. Zu Gunsten der Beklagten wurde eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen.

Hinsichtlich des weiteren hälftigen Miteigentumsanteils war der am 10. März 2011 verstorbene Ehemann der Klägerin im Grundbuch eingetragen. Mit notariellem Vertrag vom 1. September 2011 verkaufte die Klägerin auch diesen Miteigentumsanteil zu einem Preis von 100.000 € an die Beklagte. Der Kaufvertrag steht unter der aufschiebenden Bedingung der Erteilung eines Erbscheins zu Gunsten der Klägerin.

Am 12. September 2011 wurde für die Klägerin wegen einer Demenzerkrankung eine Betreuung angeordnet und eine Betreuerin bestellt. Auf der Grundlage einer einstweiligen Verfügung wurde im Grundbuch ein Widerspruch gegen die Auflassungsvormerkung eingetragen.

Das Landgericht hat der Klage auf Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkung und auf Feststellung der Unwirksamkeit des Kaufvertrages vom 1. September 2011 stattgegeben. Die auf Löschung des Widerspruchs im Grundbuch gerichtete Widerklage hat es abgewiesen. Das Kammergericht hat die Verurteilung der Beklagten auf Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkung Zug um Zug gegen Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises aufrechterhalten und im Übrigen die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Das Berufungsgericht meint, die Klägerin sei zum Zeitpunkt des Abschlusses der beiden Kaufverträge wegen seniler Demenz geschäftsunfähig gewesen. Dies stehe aufgrund des beigezogenen, im Betreuungsverfahren erstatteten Gutachtens eines Sachverständigen und dessen Anhörung fest. Der Sachverständige komme nachvollziehbar und überzeugend zu dem Ergebnis, dass sich die Klägerin in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung ihrer Geistesfähigkeit befunden habe, der seiner Natur nach nicht nur vorübergehend sei. Dieser Zustand könne nicht erst nach dem Abschluss des Kaufvertrages vom 6. April 2011 eingetreten sein. Auch ein luzides Intervall könne ausgeschlossen werden, weil die gestellte Diagnose einer senilen Demenz eine plötzlich starke Veränderung der mentalen Leistungsfähigkeit ausschließe. Soweit der beurkundende Notar in einem Vermerk festgehalten habe, dass er mit der Klägerin ein ausführliches Gespräch geführt und keine Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Klägerin gehabt habe, stehe dies der Bewertung des Sachverständigen nicht entgegen. Der Notar verfüge über keine ausreichende Sachkunde, um insoweit eine abschließende Beurteilung vorzunehmen, worauf auch der Sachverständige bei seiner Anhörung nachvollziehbar hingewiesen habe.

III.

Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts durch Übergehen der Beweisanträge der Beklagten auf Vernehmung des beurkundenden Notars und des bei der notariellen Beurkundung anwesenden Zeugen W. zu der Behauptung, die Klägerin habe die wirtschaftlichen Folgen ihrer Erklärungen einzuschätzen vermocht und die Verträge hätten ihrem wahren Willen entsprochen.

a) Die Beklagte verweist in ihrer Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde auf ihren diesbezüglichen Vortrag nebst Beweisanträgen in der Klageerwiderung. Auch wenn die Beklagte auf diesen Vortrag in der Berufungsinstanz nicht zurückgekommen wäre, könnte daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass sie an diesen nicht habe festhalten wollen. Die Klägerin hat gegen die Wirksamkeit der Kaufverträge sowohl ihre Geschäftsunfähigkeit wie auch den Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit ins Feld geführt. Nachdem das Berufungsgericht - anders als das Landgericht - nicht die Sittenwidrigkeit der Kaufverträge, sondern die Frage der Geschäftsfähigkeit der Klägerin in den Mittelpunkt seiner Prüfung gestellt hat, will sie auch an ihren früheren Vortrag zur Geschäftsfähigkeit festhalten. Für eine andere Bewertung fehlt jede Grundlage (vgl. Senat, Urteil vom 17. Mai 2002 - V ZR 123/01, NJW 2002, 3237 , 3240).

b) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217 Rn. 10 mwN - std. Rspr.). Das gilt insbesondere dann, wenn die Nichterhebung des Beweises auf vorweggenommener tatrichterlicher Beweiswürdigung beruht (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2008 - IV ZR 341/07, RuS 2010, 64; BVerfG, NJW 2009, 1585 Rn. 34; NJW-RR 2001, 1006 , 1007 - jeweils mwN - std. Rspr.). Eine unzulässige Beweisantizipation liegt vor, wenn ein angebotener Zeugenbeweis deshalb nicht erhoben wird, weil das Gericht dessen Bekundungen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst (vgl. BVerfG, NJW-RR 2001, 1006 , 1007). Die Nichterhebung eines angebotenen Beweises mit der Begründung, es sei bereits das Gegenteil erwiesen, ist grundsätzlich unzulässig (Senat, Beschluss vom 6. Februar 2014 - V ZR 262/13, FamRZ 2014, 749 [...] Rn. 11; Beschluss vom 28. April 2011 - V ZR 182/10, [...] Rn. 11 jeweils mwN).

c) So ist es hier. Das Berufungsgericht ist ersichtlich von einer fehlenden Entscheidungserheblichkeit der Beweisanträge der Beklagten ausgegangen, da es die Geschäftsunfähigkeit der Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits aufgrund des gerichtlichen Sachverständigengutachtens als erwiesen erachtet hat. Dabei verkennt das Berufungsgericht, dass die Beweisanträge der Beklagten darauf abzielen, die Grundlage des Sachverständigengutachtens zu widerlegen. Bei den notariellen Beurkundungen der Verträge am 6. April 2011 und am 1. September 2011 sollen keine Beeinträchtigungen der kognitiven Fähigkeiten der Klägerin erkennbar gewesen sein.

Die Beweisanträge der Beklagten sind nicht deshalb unerheblich, weil der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, dass er auch im Falle einer Bestätigung des Sachvortrags der Beklagten durch die von ihr benannten Zeugen von der Geschäftsunfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausgehen würde. Der Sachverständige unterstellt die in das Wissen der Zeugen gestellten Tatsachen nicht als wahr, sondern spricht den Aussagen der Zeugen jeden Beweiswert ab. Dem ist das Berufungsgericht zu Unrecht gefolgt. Zwar kann ein Beweisantritt ausnahmsweise wegen Ungeeignetheit des Beweismittels für die zu beweisende Tatsache zurückgewiesen werden. Das ist etwa dann zu bejahen, wenn der Unwert des Beweismittels feststeht, weil nach dem Ergebnis einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass der übergangene Beweisantrag Sachdienliches ergeben und die von dem Gericht bereits gewonnene Überzeugung erschüttern kann (Senat, Beschluss vom 6. Februar 2014 - V ZR 262/13, FamRZ 2014, 749 Rn. 12; Beschluss vom 28. April 2011 - V ZR 182/10, [...] Rn. 13). Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor.

Der gerichtliche Sachverständige hat die Klägerin zwar ausweislich seines schriftlichen Gutachtens am 2. August 2011, mithin in kurzen zeitlichen Abstand nach dem Abschluss des ersten und einen knappen Monat vor dem Abschluss des zweiten Kaufvertrages untersucht. Er nimmt aber gleichwohl nur Rückschlüsse aus dem Untersuchungstermin vor, während in das Wissen der beiden Zeugen Wahrnehmungen gestellt werden, die den Zustand der Klägerin im Vorfeld aber auch gerade an den Tagen des Zustandekommens der Kaufverträge betreffen. Bei dem Zeugen W. handelt es sich ausweislich des vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Tatbestandes des landgerichtlichen Urteils um einen langjährigen Bekannten der Klägerin, der auch bei den Notarterminen anwesend gewesen sein soll. Der ferner als Zeuge benannte Notar ist nach §§ 11 , 17 BeurkG verpflichtet, die Geschäftsfähigkeit der Parteien festzustellen und sich darüber zu vergewissern, dass der Vertrag ihrem Willen entspricht. Es ist nicht ausgeschlossen, das sich für das Berufungsgericht bei der gebotenen Gesamtwürdigung (§ 286 ZPO ) nach Vernehmung der Zeugen ein anderes oder differenziertes Bild hinsichtlich der kognitiven Leistungsfähigkeit der Klägerin ergibt, das Zweifel an deren Geschäftsunfähigkeit im Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsabschlusses entstehen lässt. Diese gingen zu Lasten der Klägerin, da das Gesetz die Geschäftsfähigkeit als Normalfall und die Geschäftsunfähigkeit als Ausnahmefall ansieht (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2013 - XII ZR 19/11, BGHZ 198, 381 Rn. 24).

d) Soweit das Berufungsgericht in Bezug auf den von dem Notar gefertigten Vermerk die Wiedergabe von Einzelheiten vermisst, kommt es für die Erheblichkeit des Vortrages hierauf nicht an. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Ablehnung eines Beweisantrags für eine erhebliche Tatsache nur zulässig, wenn diese so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann oder wenn sie ins Blaue hinein aufgestellt worden ist. Liegen diese Voraussetzungen - wie hier - nicht vor, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen nach weiteren Einzelheiten zu befragen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. Mai 2015 - III ZR 318/14, [...] Rn. 6; Beschluss vom 23. April 2015 - VII ZR 163/14, BauR 2015, 1325 Rn. 19 jeweils mwN).

2. Darüber hinaus rügt die Beklagte mit Erfolg, dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) auch deshalb verletzt sei, weil ihr Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen R. wegen der Besorgnis der Befangenheit übergangen worden ist.

a) Das Berufungsgericht hat über den im Schriftsatz vom 30. September 2014 enthaltenen Antrag weder - wie nach § 406 Abs. 4 ZPO geboten durch gesonderten Beschluss entschieden noch hat es sich in den Urteilsgründen zu ihm verhalten.

b) Dieser Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass dem Ablehnungsgesuch zu entsprechen gewesen wäre; in diesem Fall hätte das Berufungsgericht nicht auf das Gutachten R. gestützt werden dürfen.

aa) Der Ablehnungsantrag ist rechtzeitig gestellt worden.

Ergibt sich der Grund zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens, läuft im allgemeinen die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab, wenn sich die Partei zur Begründung des Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen muss (BGH, Beschluss vom 15. März 2005 - VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869 , 1870). Dem ist die Beklagte nachgekommen.

Nachdem das Berufungsgericht mit Beschluss vom 1. September 2014 die Parteien darauf hingewiesen hat, dass die im Betreuungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten verwertet werden sollen, und ihnen diesbezüglich nach § 411 Abs. 4 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einen Monats eingeräumt hat, hat die Beklagte in dem innerhalb dieser Frist eingegangenen Schriftsatz vom 30. September 2014 sowohl die Sachverständige D. wie auch den Sachverständigen R. wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. In Bezug auf den Sachverständigen hat sie dies unter Verweis auf ein von ihr vorgelegtes Privatgutachten mit dessen Vorfestlegung sowie Ausführungen in seinem schriftlichen Gutachten begründet, in denen er einen benachteiligenden Kaufvertrag unterstellt habe und sich die Formulierung finde, dass ein luzides Intervall "immer gern beansprucht" werde. Soweit die Klägerin in ihrer Erwiderung zu der Nichtzulassungsbeschwerde meint, dass sich in einem nachfolgenden, innerhalb der gerichtlich verlängerten Stellungnahmefrist eingegangenen Schriftsatz vom 17. Oktober 2014 nur eine inhaltliche Kritik an den Feststellungen des Sachverständigen, nicht aber ein Ablehnungsgesuch finde, ist dies nicht zutreffend. Die Beklagte hat eingangs dieses Schriftsatzes ausdrücklich mitgeteilt, dass es bei den Einwendungen im Schriftsatz vom 30. September 2014 bleibe. Wenn die Beklagte im Übrigen - vertieft das Gutachten des Sachverständigen angreift, kann darin nicht ein Abrücken von dem Ablehnungsantrag gesehen werden.

bb) Die Gründe, auf die der Ablehnungsantrag gestützt worden ist, sind nicht von vornherein ungeeignet, dem Antrag zum Erfolg zu verhelfen.

3. Das Berufungsurteil erweist sich schließlich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO ). In Bezug auf die weiterhin von der Klägerin geltend gemachte Sittenwidrigkeit der beiden Kaufverträge sind von dem Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen worden.

IV.

Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht - sofern es nicht ohnehin das Ablehnungsgesuch für begründet hält - die Überzeugungskraft der Ausführungen des Sachverständigen einer kritischen Überprüfung unterziehen muss. Die Beklagte rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht Ausführungen des Sachverständigen nicht hinterfragt habe. Die an ihn gerichtete Frage, ob es eine sachgerechte Erwägung der Klägerin gewesen sei, das Grundstück zu verkaufen, weil sie dieses nicht mehr halten und bewirtschaften könne und deshalb ins betreute Wohnen ziehen wolle, hat der Sachverständige verneint, aber angefügt, dass es sich um sinnvolle Erwägungen handle. Sinnvolle Erwägungen könnten durchaus vorhanden gewesen sein, aber auch untereinander in Widerspruch geraten. Die Beklagte wirft insoweit zu Recht die Frage auf, ob und inwieweit diese Aussage des Sachverständigen den Schluss auf einen die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Geistesstörung trägt.

V.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 3 ZPO .

Vorinstanz: LG Berlin, vom 12.09.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 84 O 128/11
Vorinstanz: KG, vom 29.01.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 22 U 266/12