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BGH - Entscheidung vom 26.02.2015

IX ZB 44/13

Normen:
InsO § 287 Abs. 2, §§ 299, 300 Abs. 1
InsO § 287 Abs. 2
InsO § 299
InsO § 300 Abs. 1
InsO § 287 Abs. 2
InsO § 299
InsO § 300 Abs. 1

Fundstellen:
BB 2015, 769
DZWIR 2015, 422
DZWIR 25, 422
NJW-RR 2015, 681
NZI 2015, 328
NZI 2015, 6
ZIP 2015, 27
ZInsO 2015, 691
ZVI 2015, 185

BGH, Beschluss vom 26.02.2015 - Aktenzeichen IX ZB 44/13

DRsp Nr. 2015/5002

Nichtanrechnung von Zeiten einer vom Insolvenzgericht zu vertretenden Verzögerung des Eröffnungsverfahrens auf die Laufzeit der Abtretungserklärung bei einer Restschuldbefreiung

Restschuldbefreiung kann unabhängig von der Dauer des Eröffnungsverfahrens regelmäßig erst sechs Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilt werden. Zeiten einer vom Insolvenzgericht zu vertretenden Verzögerung des Eröffnungsverfahrens sind auf die Laufzeit der Abtretungserklärung nicht anzurechnen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 17. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 7. Juni 2013 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Normenkette:

InsO § 287 Abs. 2 ; InsO § 299 ; InsO § 300 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Im Januar 2007 beantragte das Finanzamt W. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Am 26. Juni 2007 stellte der Schuldner Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zugleich beantragte er die Stundung der Verfahrenskosten und Restschuldbefreiung. Der Antrag erfolgte vorbehaltlich eines vorangegangenen Schreibens des Schuldners. In diesem hatte er unter anderem eingewandt, das Insolvenzgericht sei international unzuständig, weil er seinen Wohnsitz nach Frankreich verlegt habe. Nach Durchführung von Ermittlungen zur internationalen und örtlichen Zuständigkeit verband das Gericht die beiden Verfahren und holte ein Gutachten zum Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und zu einer die Verfahrenskosten deckenden Masse ein.

Am 29. Januar 2010 wies das Gericht den Insolvenzantrag des Finanzamtes mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse ab. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners blieb ohne Erfolg. Auf seine Rechtsbeschwerde hob der Senat durch Beschluss vom 9. Februar 2012 ( IX ZB 86/10, WM 2012, 519 ) die Entscheidungen der Vorinstanzen auf. Am 31. Juli 2012 stundete das Insolvenzgericht dem Schuldner antragsgemäß die Verfahrenskosten. Mit Beschluss vom 2. August 2012 eröffnete es auf den Eigenantrag des Schuldners das Insolvenzverfahren.

Bereits am 18. April 2012 hatte der Schuldner mit Blick auf die verzögerte Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt, die Erteilung der Restschuldbefreiung spätestens am 31. Juli 2013 auszusprechen. Diesen Antrag hat das Insolvenzgericht zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen Antrag weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 4 , 6 Abs. 1 InsO , § 300 Abs. 3 Satz 2 InsO aF analog, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen (§ 575 ZPO ) zulässig. In der Sache ist sie jedoch unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, über die Restschuldbefreiung könne gemäß § 300 Abs. 1 InsO erst entschieden werden, wenn die Laufzeit der Abtretungserklärung verstrichen sei. Die Laufzeit betrage gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO sechs Jahre beginnend mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Sie ende nur dann vorzeitig, wenn die Restschuldbefreiung nach Maßgabe der in § 299 InsO benannten Bestimmungen versagt werde. Eine Erteilung der Restschuldbefreiung vor dem Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung komme nur in Betracht, wenn der Schuldner die Insolvenzgläubiger vollständig befriedigt und die Verfahrenskosten ausgeglichen habe. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Eine verzögerte Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtfertige keine vorzeitige Restschuldbefreiung. Zudem habe der Schuldner die Verzögerung jedenfalls bis zum 29. Januar 2010 selbst zu vertreten.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

a) Maßgeblich sind, weil das Insolvenzverfahren vor dem 1. Juli 2014 beantragt worden ist, gemäß Art. 103h Satz 1 EGInsO die Vorschriften der Insolvenzordnung in der bis dahin geltenden Fassung. Das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2379 ) findet noch keine Anwendung.

b) Für das danach anwendbare Recht scheitert der Antrag des Schuldners, ihm zum 31. Juli 2013 die Restschuldbefreiung auszusprechen, an § 300 Abs. 1 , § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO .

aa) Nach diesen Bestimmungen ist über den Antrag auf Restschuldbefreiung zu entscheiden, wenn die Laufzeit der Abtretungserklärung ohne vorzeitige Beendigung verstrichen ist, mithin grundsätzlich sechs Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dies gilt auch dann, wenn das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 14 ff, 28; vom 16. Februar 2012 - IX ZB 209/11, ZInsO 2012, 597 Rn. 7; vom 11. Oktober 2012 - IX ZB 230/09, WM 2012, 2161 Rn. 8; vom 11. April 2013 - IX ZB 94/12, WM 2013, 1029 Rn. 5; jeweils mwN). Das Insolvenzverfahren ist am 2. August 2012 eröffnet worden. Über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung ist deshalb nicht vor dem 2. August 2018 zu entscheiden.

bb) Das Gesetz sieht in § 299 InsO ein vorzeitiges Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung nur dann vor, wenn es zu einer vorzeitigen Versagung der Restschuldbefreiung nach § 296 , § 297 oder § 298 InsO kommt. § 299 InsO ist entsprechend anzuwenden, wenn der Schuldner seinen Restschuldbefreiungsantrag zurücknimmt, der Antrag für erledigt erklärt wird oder das Verfahren durch den Tod des Schuldners sein Ende findet (BGH, Beschluss vom 17. März 2005 - IX ZB 214/04, WM 2005, 1129 , 1130 mwN). Keiner dieser Fälle liegt hier vor.

cc) Der Senat hat eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung außerdem in entsprechender Anwendung von § 299 gebilligt, wenn keine Gläubiger Forderungen zur Tabelle angemeldet haben oder alle Gläubiger des Schlussverzeichnisses vollständig befriedigt und keine Verfahrenskosten oder sonstige Masseverbindlichkeiten offen sind (BGH, Beschluss vom 17. März 2005, aaO S. 1130 f; vom 8. November 2007 - IX ZB 115/04, nv Rn. 5; vom 29. Januar 2009 - IX ZB 290/08, nv Rn. 2; vgl. MünchKomm-InsO/Ehricke, 3. Aufl., § 299 Rn. 13, 17; HK-InsO/Waltenberger, 7. Aufl., § 299 aF Rn. 5; Weinland in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO , 2. Aufl., § 299 Rn. 7 f). Diese Rechtsprechung hat in § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO in seiner ab dem 1. Juli 2014 geltenden Fassung Eingang gefunden (vgl. BT-Drucks. 17/11268 S. 30). Die Voraussetzungen dieser Ausnahme liegen hier ebenfalls nicht vor.

dd) Eine verzögerte Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtfertigt demgegenüber keine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist für den Beginn der Abtretungsfrist nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem das Insolvenzverfahren ohne Verzögerung eröffnet worden wäre. Die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung der Regelung in § 287 Abs. 2 Satz 1, §§ 299 , 300 Abs. 1 InsO liegen insoweit nicht vor. Eine Analogie ist zulässig und geboten, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2007 - V ZB 102/06, WM 2007, 1791 Rn. 11; vom 18. September 2014 - IX ZB 68/13, WM 2014, 2094 Rn. 14; jeweils mwN). Hieran fehlt es.

(1) Es besteht schon keine planwidrige Regelungslücke. Nach der ursprünglichen Fassung des Gesetzes begann die Laufzeit der Abtretungserklärung mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO aF). Durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung vom 26. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2710 ) wurde - neben einer Verkürzung der Laufzeit von sieben auf sechs Jahre - der Beginn der Laufzeit der Abtretungserklärung an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geknüpft. Mit der Lösung des Zeitpunkts der Erteilung der Restschuldbefreiung von der Dauer des eröffneten Verfahrens (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 16) wollte der Gesetzgeber der Erkenntnis Rechnung tragen, dass es bei der Dauer von Insolvenzverfahren große Unterschiede gab. Er wollte die für den Schuldner unbefriedigende Situation beseitigen, dass sich in Einzelfällen die Restschuldbefreiung durch überlange Insolvenzverfahren unangemessen verzögerte, ohne dass nennenswerte Vermögensmassen feststellbar wären oder der Schuldner für diese Verfahrensverzögerung verantwortlich wäre (BT-Drucks. 14/6468 S. 18; Gottwald/Ahrens, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 77 Rn. 42). Der Lauf der Abtretungserklärung sollte unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten mit dem Ereignis der Insolvenzeröffnung beginnen, das leicht feststellbar und von der Dauer des Insolvenzverfahrens unabhängig ist (BT-Drucks., aaO; BGH, Beschluss vom 18. Juli 2013 - IX ZB 11/13, WM 2013, 1569 Rn. 15). Der Gesetzgeber hat sich mithin im Zuge dieser Gesetzesänderung mit der Frage, zu welchem Zeitpunkt die Restschuldbefreiung erteilt werden kann, befasst und sich für den Zeitpunkt des Ablaufs der Abtretungsfrist sechs Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entschieden. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, dass die gefundene Regelung insoweit planwidrig unvollständig wäre, als sie den Beginn der Abtretungsfrist nicht bereits an den Zeitpunkt knüpft, zu dem das Insolvenzverfahren hätte eröffnet werden können.

(2) Auch die weiteren Voraussetzungen einer Analogie sind nicht gegeben. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber den Zeitraum einer Verzögerung der Verfahrenseröffnung in die Laufzeit der Abtretungserklärung einbezogen hätte, wenn er eine solche Fallgestaltung bedacht hätte.

Die Restschuldbefreiung soll dem redlichen Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 21). Sie findet ihre innere Rechtfertigung zum einen darin, dass das pfändbare Vermögen des Schuldners, insbesondere der pfändbare Teil seines Arbeitseinkommens, über einen angemessenen Zeitraum zu Gunsten der Insolvenzgläubiger verwertet wird; dies ermöglicht während der Dauer des Insolvenzverfahrens die Vorschrift des § 35 Abs. 1 InsO , die auch Neuerwerb dem Insolvenzbeschlag unterwirft, und während der Wohlverhaltensperiode die Abtretung der pfändbaren Forderungen auf Bezüge nach § 287 Abs. 2 InsO . Zum anderen setzt die Restschuldbefreiung voraus, dass der Schuldner nicht die Obliegenheiten verletzt, die ihm § 290 InsO für die Zeit vor und nach der Verfahrenseröffnung und § 295 InsO für die Wohlverhaltensperiode auferlegen.

Diese Voraussetzungen gelten allerdings nicht uneingeschränkt. Die Anknüpfung der Abtretungsfrist an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt dazu, dass über den Antrag auf Restschuldbefreiung schon vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu entscheiden sein kann, wenn die Frist vor diesem Zeitpunkt abläuft (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009, aaO Rn. 14). Dann entfällt die Wohlverhaltensperiode, die Abtretung läuft leer und die Obliegenheiten des Schuldners nach § 295 InsO entfallen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009, aaO Rn. 19). Die Interessen der Insolvenzgläubiger werden in diesem Fall dadurch gewahrt, dass das bei Verfahrenseröffnung vorhandene und das in den sechs Jahren danach hinzukommende Vermögen des Schuldners verwertet wird und bei einem Verstoß gegen die Obliegenheiten des § 290 InsO die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt werden kann. Während des Eröffnungsverfahrens ist die Situation demgegenüber eine andere. Zwar kann auch die Dauer dieses Verfahrensabschnitts vom Schuldner oft nicht beeinflusst werden. Anders als im eröffneten Verfahren ist aber das Vermögen des Schuldners, insbesondere sein laufendes Einkommen, nicht zugunsten der Gläubiger beschlagnahmt, und die Versagungsgründe des § 290 InsO knüpfen nur teilweise an ein Fehlverhalten des Schuldners im Eröffnungsverfahren an. Wegen dieser Unterschiede muss eine Abwägung der Interessen der Gläubiger und des Schuldners nicht dazu führen, die Zeit des Eröffnungsverfahrens in gleicher Weise in die Laufzeit der Abtretungserklärung einzubeziehen wie die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber bei der Novellierung des § 287 Abs. 2 InsO erklärtermaßen die Laufzeit der Abtretung mit einem leicht feststellbaren Ereignis beginnen lassen wollte (BT-Drucks. 14/6468, S. 18). Dieses Ziel würde verfehlt, wenn, wie es die Rechtsbeschwerde befürwortet, in die Abtretungsfrist auch eine vom Gericht zu verantwortende Verzögerung des Eröffnungsverfahrens eingerechnet werden müsste, sei es generell oder wenigstens dann, wenn das Befriedigungsinteresse der Gläubiger zurücktritt, weil der Schuldner über kein pfändbares Einkommen oder Vermögen verfügt.

Vorinstanz: AG Oldenburg (Oldenburg), vom 15.03.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 8 IN 31/07
Vorinstanz: LG Oldenburg, vom 07.06.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 17 T 312/13
Fundstellen
BB 2015, 769
DZWIR 2015, 422
DZWIR 25, 422
NJW-RR 2015, 681
NZI 2015, 328
NZI 2015, 6
ZIP 2015, 27
ZInsO 2015, 691
ZVI 2015, 185