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BGH - Entscheidung vom 24.06.2015

IV ZR 240/14

BGH, Urteil vom 24.06.2015 - Aktenzeichen IV ZR 240/14

DRsp Nr. 2015/14922

Geltendmachung von Ansprüchen auf Auszahlung des Rückkaufswerts einer vom Insolvenzschuldner zugunsten des Streithelfers unterhaltenen Rentenversicherung durch den Insolvenzverwalter

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg - 9. Zivilsenat vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Revision mit Ausnahme der Kosten ihres Streithelfers, die dieser selbst trägt.

Tatbestand

Die Klägerin macht als Insolvenzverwalterin der J. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) Ansprüche auf Auszahlung des Rückkaufswerts einer von der Schuldnerin zugunsten des Streithelfers bei der Beklagten unterhaltenen Rentenversicherung geltend. Bei dem Streithelfer handelt es sich um einen von zwei zu je 50% an der Schuldnerin beteiligten Gesellschaftern und zugleich einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführern der im September 2006 gegründeten Schuldnerin.

Zuvor war der Streithelfer Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter mit einem Anteil von 10% in der N. GmbH gewesen. Diese Gesellschaft hatte mit dem Streithelfer als versicherter Person eine arbeitgeberfinanzierte Rentenversicherung bei der Beklagten abgeschlossen. Versicherungsbeginn war der 1. März 2006. Zum Bezugsrecht heißt es im Versicherungsschein:

"Die versicherte Person ist sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall unwiderruflich bezugsberechtigt. Die Abtretung oder Beleihung des unwiderruflichen Bezugsrechtes ist ausgeschlossen. 4 Für das unwiderrufliche Bezugsrecht gelten folgende Vorbehalte:

Dem Arbeitgeber bleibt das Recht vorbehalten, alle Versicherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen, wenn

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das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles endet, es sei denn, die versicherte Person hat zu diesem Zeitpunkt das 30. Lebensjahr vollendet und die Versicherung hat 5 Jahre bestanden.

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die versicherte Person Handlungen begeht, die den Arbeitgeber berechtigen, die Versicherungsansprüche zu mindern oder zu entziehen."

Mit Wirkung vom 22. Dezember 2006 übernahm die Schuldnerin den Rentenversicherungsvertrag vom früheren Arbeitgeber des Streithelfers. Die vorstehend zitierte Passage ist auch im daraufhin erstell ten Nachtrag zum Versicherungsschein wortgleich enthalten. Im Anschluss daran heißt es weiter:

"Die oben aufgeführten Widerspruchsvorbehalte bezüglich des unwiderruflichen Bezugsrechtes gelten nur für den Teil der Versicherung, der sich aus den Beitragszahlungen während des aktuellen Dienstverhältnisses ergibt. Ansonsten besitzt die versicherte Person ein uneingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht."

Auf Seite 5 ist weiter vereinbart:

"Scheidet die versicherte Person aus den Diensten des Arbeitgebers aus und hat sie eine unverfallbare Anwartschaft nach § 1 b des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung ( BetrAVG ) erworben, so erklärt der Arbeitgeber, dass er der versicherten Person unter Anwendung des § 2 Abs. 3 dieses Gesetzes (Mitgabe der Versicherung), die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers überlässt. ..."

Am 18. Oktober 2010 wurde aufgrund Eigenantrags der Schuldnerin vom 31. Mai 2010 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt.

Diese kündigte mit Schreiben vom 25. Oktober 2010 den Geschäftsführerdienstvertrag des Streithelfers fristlos. Am 13. Februar 2012 erklärte sie die Kündigung des Rentenversicherungsvertrages und verlangte nachfolgend mit Schreiben vom 22. März 2012 die Auskehr des Rückkaufswerts. Diesen gab die Beklagte zum 1. Juli 2012 mit 6.598,30 € an, wovon 13,52 € auf Beitragszahlungen aus dem früheren Dienstverhältnis des Streithelfers entfielen. Eine Auszahlung verweigerte sie.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr auf die Berufung der Klägerin - unter Abzug des auf das frühere Dienstverhältnis entfallenden Anteils - in Höhe von 6.584,78 € stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass die vom Bundesgerichtshof entwickelten Auslegungsgrundsätze zur Insolvenzfestigkeit des eingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrechts auf den Streithelfer nicht angewendet werden könnten, weil diese insbesondere darauf abstellten, dass dem Arbeitnehmer die erworbenen Versicherungsansprüche nicht auch in den Fällen entzogen werden sollen, in denen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründen beruhe, die sich seiner Einflussnahme entziehen und auch sonst nicht seiner Sphäre zuzuordnen sind. Dagegen habe der Streithelfer aufgrund seiner Beteiligung an der Schuldnerin und seiner Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer jederzeit maßgeblichen wirtschaftlichen Einfluss auf die Schuldnerin nehmen können, und durch die Insolvenz habe sich gerade sein unternehmerisches Risiko verwirklicht. Außerdem hätten die Parteien bei der Ausgestaltung des Bezugsrechts auch auf die betriebsrentenrechtlichen Wertungen abgestellt, indem die versicherte Person das Recht zur Fortführung des Vertrages mit eigenen Beiträgen im Falle des Ausscheidens beim Arbeitgeber erst nach Erwerb einer unverfallbaren Anwartschaft gemäß § 1 b des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung ( BetrAVG ) erhalten sollte. In dieser Konstellation gebe es keine Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung des Widerrufsvorbehalts dahingehend, dass ein Widerruf bei Insolvenz des Arbeitgebers nicht zulässig sein solle.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats steh t das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht einem uneingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht gleich, solange die tatbestandlichen Voraussetzungen des vereinbarten Vorbehalts nicht erfüllt sind, und kann das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen bei insolvenzbedingter Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer einschränkenden Auslegung der Vorbehaltserkl ärung zu verneinen sein, wobei es insoweit auf die Auslegung der gegenüber dem Versicherer abgegebenen Erklärung im Einzelfall ankommt (Senatsbeschluss vom 6. Juni 2012 - IV ZA 23/11, NZI 2012, 762 Rn. 3 f. m.w.N.); diese Auslegung ist in erster Linie Sache des Tatrichters.

2. Eine solche hat das Berufungsgericht im Streitfall vorgenommen, ohne dass ihm hierbei revisionsrechtlich beachtliche Fehler unterlaufen sind.

a) Zwar trifft es zu, dass bei einer reinen Wortlautauslegung auch die insolvenzbedingte Beendigung von Arbeitsverhältnissen von dem Vorbehalt "ohne weiteres" erfasst wird, weil dort nicht auf den Grund der Beendigung abgestellt wird (vgl. Senatsurteil vom 22. Januar 2014 - IV ZR 201/13, VersR 2014, 321 Rn. 14). Hierauf darf sich die Auslegung aber nicht beschränken, sondern es sind auch Sinn und Zweck der Klausel unter Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragsbeteiligten für die Auslegung heranzuziehen (Senat aaO Rn. 15 ff.).

Insoweit sind vor allem die typischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen in die Würdigung einzubeziehen, die das maßgebliche Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers und der Versicherten (vgl. zu diesem Auslegungsmaßstab Senat aaO Rn. 13) beeinflussen. Das ist zum einen das Interesse der Arbeitnehmer, dass ihnen die Versicherungsansprüche nicht in Fällen genommen werden, die sich ihrer Einflussnahme entziehen und auch sonst nicht ihrer Sphäre zuzuordnen sind, und zum anderen das Arbeitgeberinteresse, sich der weiteren Betriebstreue des Arbeitnehmers zu vergewissern (Senat aaO Rn. 16 m.w.N.). Ergänzend ist zu prüfen, ob im Einzelfall sonstige Gesichtspunkte vorliegen, die auch unter Berücksichtigung dieser Interessenlage ein Festhalten am Wortlaut der Klausel gebieten (Senat aaO Rn. 23).

b) Alles dies hat das Berufungsgericht beachtet. Insbesondere hat es, anders als die Revision meint, durch die Berücksichtigung der Einflussmöglichkeiten eines maßgeblich beteiligten Gesellschafter -Geschäftsführers nicht in unzulässiger Weise pauschalierend angenommen, dass regelmäßig eine Mitverschuldung der Insolvenz durch den Gesellschafter-Geschäftsführer anzunehmen wäre.

Des Weiteren ist die von ihm vorgenommene Auslegung auch nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil es aufgrund der Regelung auf Seite 5 des Nachtrags zum Versicherungsschein einen Zusammenhang zwischen der Versicherung und betriebsrentenrechtlichen Regelungen angenommen hat. Nach dem Gesamtzusammenhang der Begründung handelt es sich hierbei nur um einen von mehreren Auslegungsgesichtspunkten, und es ist jedenfalls nicht unzutreffend, dass die dem Versicherten in d iesem Regelungszusammenhang zugedachte verbesserte Rechtsstellung allein von einer Unverfallbarkeit seiner Ansprüche nach dem BetrAVG abhängen sollte. Insoweit durfte diese Regelung durchaus als ein Indiz gegen eine einschränkende Auslegung des Widerrufsvorbehalts herangezogen werden.

Dass der Senat in einem anderen Einzelfall eines Gesellschafter Geschäftsführers auch in der Bejahung einer einschränkenden Auslegung durch das dort entscheidende Berufungsgericht Rechtsfehler nicht feststellen konnte (Senatsbeschluss vom 6. Juni 2012 - IV ZA 23/11, NZI 2012, 762 Rn. 4), rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Auch dort lag eine tatrichterliche Beurteilung zugrunde, die keine revisionsrechtlich beachtlichen Fehler aufwies.

c) Anders als die Revision meint, hat das Berufungsgericht für die Auslegung des Vorbehalts auch zu Recht auf die Stellung des Streithelfers in der Schuldnerin abgestellt.

Mit dem Übergang des Versicherungsvertrages auf die Schuldnerin ist ein neuer Vorbehalt erklärt worden, der für die Frage der Widerruflichkeit des Bezugsrechts zukünftig maßgeblich sein sollte. Das ergibt sich aus dem weiteren Zusatz nach der Wiederholung des ursprünglichen Vorbehaltstextes, in dem ein eindeutiger Bezug des Widerrufsvorbehalts zum aktuellen Dienstverhältnis hergestellt ist.

Zwar kommt es nach der Senatsrechtsprechung für die Auslegung des Vorbehalts auf die Interessenlage an, wie sie sich im Zeitpunkt der Begründung des Versicherungsschutzes darstellt (Senatsurteil vom 22. Januar 2014 - IV ZR 201/13, VersR 2014, 321 Rn. 17). Da aber der Zusatz durch seine Differenzierung gerade festlegt, in welchem Umfang Ansprüche aus dem früheren und in welchem Umfang Ansprüche aus dem neuen Beschäftigungsverhältnis gesichert und vor einem Widerruf geschützt sein sollen, und damit den Umfang des Versicherungsschutzes neu regelt, stellt es eine revisionsrechtlich nicht zu beanstandende tatrichterliche Beurteilung dar, dass das Berufungsgericht insoweit auf die "bei Abschluss/Novation der Versicherung ... vom 22.12.2006" zum Ausdruck gekommene Interessenlage abgestellt hat.

Die vorstehend wiedergegebene Aussage des Senats diente demgegenüber vor allem der Klarstellung, dass erst später aufgrund einer Insolvenz hinzutretende Gläubigerinteressen nicht maßgeblich für die Auslegung des Vorbehalts sind.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 , 101 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 24. Juni 2015

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 31.05.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 332 O 165/12
Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 23.05.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 95/13