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BGH - Entscheidung vom 29.10.2015

StB 14/15

Normen:
StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1
StGB § 129b Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
NStZ-RR 2017, 99

BGH, Beschluss vom 29.10.2015 - Aktenzeichen StB 14/15

DRsp Nr. 2015/20105

Fortdauer der Untersuchungshaft im Falle der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 14. Oktober 2014 ( 2 BGs 432/14) und die Haftfortdauerbeschlüsse des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. und vom 20. Mai 2015 ( ) wird verworfen.

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Normenkette:

StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1 ; StGB § 129b Abs. 1 S. 1;

Gründe

I.

Der Angeklagte, ein deutscher und marokkanischer Staatsangehöriger, wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 14. Oktober 2014 ( 2 BGs 432/14) am 15. Oktober 2014 festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte sei im Juli 2013 aus der Bundesrepublik Deutschland nach Syrien ausgereist und habe sich der dort bestehenden Organisation "Jabhat an-nusra li-ahli ash-sham (Hilfsfront für das Volk Großsyriens; JaN)" angeschlossen, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB ) oder Totschlag (§ 212 StGB ) zu begehen. Nach einer Waffenausbildung habe er ab September 2013 bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland im Juni 2014 in der syrischen Region Idlib die Ziele dieser Organisation dadurch gefördert, dass er in deren dort eingerichteten Kontrollposten Wachdienste verrichtet und an den Lagebesprechungen der örtlichen Kräfte teilgenommen habe (mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Organisation im Ausland außerhalb der Europäischen Union, strafbar nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB ).

Wegen dieses Sachverhalts hat der Generalbundesanwalt gegen den Angeklagten unter dem 30. März 2015 Anklage beim Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main erhoben. Der Senat hat am 30. April 2015 ( AK 9/15) Haftfortdauer über sechs Monate hinaus angeordnet. Nach mündlicher Haftprüfung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 18. Mai 2015 ( ) die Untersuchungshaft aufrechterhalten. Am 20. Mai 2015 hat es das Hauptverfahren eröffnet und wiederum die Fortdauer der Untersuchungshaft beschlossen. Die am 16. Juni 2015 begonnene Hauptverhandlung dauert noch an.

Mit der am 14. September 2015 eingelegten Beschwerde beantragen die Verteidiger des Angeklagten, den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 14. Oktober 2014 in der Form der Haftfortdauerbeschlüsse des Oberlandesgerichts vom 18. und vom 20. Mai 2015 aufzuheben, hilfsweise, den Haftbefehl unter geeigneten Auflagen außer Vollzug zu setzen. Das Oberlandesgericht hat am 28. September 2015 beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen.

II.

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

1. Der Angeklagte ist des ihm in dem Haftbefehl vorgeworfenen Tatgeschehens weiterhin dringend verdächtig.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 5. Februar 2015 - StB 1/15; BGHR, StPO , § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247 , 248; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143; vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZRR 2003, 368) unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640), ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste.

b) Nach diesen Maßstäben hat das Oberlandesgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 28. September 2015 (dort S. 3 bis 14) hinreichend konkret dargelegt, dass es entgegen der Auffassung der Beschwerde die durch Vernehmungsbeamte eingeführten Aussagen der dem Angeklagten nach Syrien nachgereisten Zeugin B. bei der Polizei, auf die sich Haftbefehl und Anklage im Wesentlichen stützen, nach vorläufiger Einschätzung für glaubhaft hält. Auf diese umfassenden und widerspruchsfreien Ausführungen nimmt der Senat Bezug. Sie setzen sich insbesondere eingehend mit dem Einwand der Beschwerde auseinander, der Zeugin seien die Verhältnisse in Syrien und die am dortigen Bürgerkrieg beteiligten Gruppierungen weitgehend unbekannt geblieben, weshalb ihr eine Verwechslung der "Jabhat an-nusra" mit dem Verband "Jabhat al-islamiyya" unterlaufen sei. Eine solche Verwechslung schließt das Oberlandesgericht in erster Linie deshalb aus, weil sich nach dem Gutachten des in der Beweisaufnahme angehörten Sachverständigen Dr. S. einzelne zur Identifizierung der Gruppierung geeignete Details der Aussage mit den tatsächlichen Verhältnissen decken, während die abweichende Einlassung des Angeklagten, er habe sich lediglich in "zivilen" Kreisen der "Jabhat alislamiyya" bewegt, im Kern nicht plausibel erscheine.

Soweit die Verteidigung einwendet, der Nichtabhilfebeschluss stelle das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme "einseitig belastend" dar, verschweige insbesondere entscheidungserhebliche Erklärungen des Sachverständigen oder gebe sie "so derart entstellt oder verfälscht" wieder, "dass aus einer entlastenden Erklärung eine vermeintlich belastende Erklärung wird", kann der Senat keine Anhaltspunkte für eine solche Voreingenommenheit des Oberlandesgerichts gegenüber dem Angeklagten gewinnen. Im Übrigen entzieht sich die Frage, ob eine Beweiserhebung in der Hauptverhandlung zu einem anderen Ergebnis geführt hat als vom erkennenden Gericht beschrieben, der näheren Überprüfung durch das Beschwerdegericht, denn nach den eingangs dargelegten Grundsätzen kann dieses den Verlauf der Beweisaufnahme nicht rekonstruieren.

2. Es besteht weiterhin jedenfalls der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO ); der Zweck der Untersuchungshaft kann nach wie vor nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO ). Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Gründe seines Beschlusses vom 30. April 2015 (AK 9/15). Sie werden durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet, zumal hinzutritt, dass sich die gesondert verfolgte M. zwischenzeitlich vom Angeklagten getrennt hat. Auch das Oberlandesgericht kommt im Nichtabhilfebeschluss vom 28. September 2015 zu dem Ergebnis, dass im Falle einer Freilassung des Angeklagten die weitere Durchführung des Verfahrens gefährdet wäre. Es hält weder Meldeauflagen noch eine elektronische Überwachung des Aufenthaltsorts für geeignet, den Zweck der Untersuchungshaft zu erreichen. Für diese unter dem unmittelbaren persönlichen Eindruck in der Hauptverhandlung gewonnene Einschätzung kann nichts anderes gelten als - wie oben dargelegt - für die Beurteilung des dringenden Tatverdachts. Was eine Passhinterlegung oder eine mögliche Sicherheitsleistung betrifft, schließt sich der Senat den Darlegungen des Oberlandesgerichts im Beschluss vom 18. Mai 2015 (dort S. 4) an.

3. In Anbetracht des bisherigen Verlaufs der Hauptverhandlung insgesamt bewertet der Senat allein den Umstand, dass an vier Tagen lediglich Termine mit einer Dauer zwischen etwa 15 Minuten und einer Stunde zehn Minuten stattgefunden haben, entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht als Verstoß gegen das für Haftsachen geltende Gebot besonderer Beschleunigung.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe.

Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 18.05.2015
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 20.05.2015
Vorinstanz: BGH, vom 14.10.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 2 BGs 432/14
Fundstellen
NStZ-RR 2017, 99