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BGH - Entscheidung vom 28.01.2015

XII ZB 520/14

Normen:
BGB § 1896 Abs. 2
BGB § 1896 Abs. 2

Fundstellen:
FGPrax 2015, 127
FamRZ 2015, 650
FuR 2015, 284
NJW-RR 2015, 769

BGH, Beschluss vom 28.01.2015 - Aktenzeichen XII ZB 520/14

DRsp Nr. 2015/3318

Ausnahmsweises Fehlen der Erforderlichkeit einer Betreuung im Falle der Unbetreubarkeit

Die Erforderlichkeit einer Betreuung kann im Einzelfall fehlen, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt. Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit ist jedoch Zurückhaltung geboten (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 18. Dezember 2013 - XII ZB 460/13 - FamRZ 2014, 466).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 19. Juni 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Normenkette:

BGB § 1896 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der 1966 geborene Betroffene leidet unter einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus. Für ihn waren bereits von 2006 bis 2009 Berufsbetreuer bestellt. Die Betreuung wurde aufgehoben, weil sie nicht mehr erforderlich sei.

Im April 2012 regte eine Klinik, in der der Betroffene sich befunden hatte, auf dessen ausdrücklichen Wunsch eine erneute Betreuung an. Im Juni 2012 bestellte das Amtsgericht die Beteiligte zu 2 zur Vereinsbetreuerin mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Ämtervertretung und Geltendmachung von Leistungsansprüchen aller Art. Auf Vorschlag der Betreuungsbehörde hob es die Betreuung für den Bereich der Vermögenssorge mit Beschluss vom 10. Juni 2013 wieder auf.

Ende August 2013 bat die Betreuerin um Aufhebung der (Rest-) Betreuung, da die "notwendige Mitarbeit des Betroffenen nicht erbracht" werde und daher "eine wirkungsvolle Zusammenarbeit ... auch mit großen Bemühungen ... nicht zu organisieren" sei. Dieser Bitte hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 7. November 2013 entsprochen. Hiergegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt, die das Landgericht zurückgewiesen hat.

Mit seiner Rechtsbeschwerde möchte der Betroffene erreichen, dass die Betreuung für ihn bestehen bleibt.

II.

Die zulässige, insbesondere gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthafte (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Dezember 2013 - XII ZB 333/13 FamRZ 2014, 470 Rn. 8) Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Dieses hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Zwar lägen die medizinischen Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung bei dem zu einer freien Willensbildung befähigten und auch geschäftsfähigen Betroffenen vor. Ein Betreuer dürfe aber nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich sei. Lasse sich der angestrebte Zweck nicht erreichen, etwa weil die Bestellung eines Betreuers keinen Erfolg verspreche, sei hierfür kein Raum. Davon sei auszugehen, wenn der Betroffene trotz - oder gerade wegen - seiner Erkrankung die Betreuung und den Kontakt zum Betreuer ablehne und die Betreuung infolgedessen weitgehend wirkungslos bleibe.

So liege der Fall hier. Der Betroffene wünsche zwar eine Betreuung. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und den wechselnden Berufsbetreuern sei jedoch gleichbleibend problematisch gewesen. Er verweigere immer wieder die Zusammenarbeit, sobald die Betreuer seinem Willen nicht nachkämen. Außerdem habe er unrealistische Erwartungen im Hinblick auf die Tätigkeit eines Betreuers und halte hieran hartnäckig fest. Da seine Unzufriedenheit dazu geführt habe, dass er teilweise die Umleitung der Post an sich selbst veranlasst habe, sei die Betreuerin zuletzt nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Führung der Betreuung in der Lage gewesen. Die nur sehr eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten eines Betreuers rechtfertigten nicht die Fortsetzung der Betreuung. Daran ändere auch nichts, dass das Verhalten des Betroffenen krankheitsbedingt sei. Es sei davon auszugehen, dass auch ein weiterer Betreuer an den Fehlvorstellungen des Betroffenen und dem Fehlen der Kooperation scheitern würde. Zudem überblicke der Betroffene nach dem in der Anhörung gewonnenen Eindruck des Gerichts seine Angelegenheiten; die Probleme im Umgang mit Ämtern und Behörden resultierten hauptsächlich aus den krankheitsbedingten Verhaltensstörungen, die aber auch die dauerhafte Kooperation mit einem Betreuer erheblich behinderten, wenn nicht unmöglich machten.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, dass eine Betreuung für den angeordneten Aufgabenkreis gemäß § 1896 Abs. 2 BGB erforderlich sein muss. Dies gilt auch für eine Betreuung, die auf Antrag des Betroffenen eingerichtet werden soll (BayObLG FamRZ 1998, 1057 , 1058; BeckOK BGB/Müller [Stand: 1. November 2014] § 1896 Rn. 20 mwN; Erman/Roth BGB 14. Aufl. § 1896 Rn. 83; MünchKommBGB/ Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 126).

aa) An der Erforderlichkeit fehlt es (unter anderem) dann, wenn die Betreuung - aus welchem Grund auch immer - keinerlei Änderung der Situation des Betroffenen herbeizuführen geeignet ist. Daher kommt die Aufhebung der Betreuung nach der Senatsrechtsprechung dann in Betracht, wenn sich herausstellt, dass der mit der Bestellung des Betreuers erstrebte Erfolg nicht zu erreichen ist, weil der Betreuer seine Aufgaben nicht wirksam wahrnehmen und zum Wohl des Betroffenen nichts bewirken kann. Davon kann im Einzelfall ausgegangen werden, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, also eine "Unbetreubarkeit" vorliegt (Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2013 - XII ZB 460/13 - FamRZ 2014, 466 Rn. 7 mwN).

bb) Bei der Annahme einer solchen Unbetreubarkeit des Betroffenen ist allerdings Zurückhaltung geboten.

(1) Das folgt schon daraus, dass es sich beim Betreuungsrecht um ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege handelt, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Juli 2014 - XII ZB 120/14 - FamRZ 2014, 1543 Rn. 16 und vom 29. Januar 2014 - XII ZB 519/13 - FamRZ 2014, 652 Rn. 15; Soergel/Zimmermann BGB 13. Aufl. § 1896 Rn. 2; Staudinger/Bienwald BGB [2013] § 1896 Rn. 1; BT-Drucks. 11/4528 S. 115; vgl. auch zum früheren Vormundschaftsrecht für Volljährige BVerfG NJW 1980, 2179). In Erfüllung dieses Auftrags stellt der Staat einem Betroffenen, der krankheits- oder behinderungsbedingt einer Hilfe bei der Erledigung seiner rechtlichen Angelegenheiten bedarf, einen Betreuer mit der Aufgabe zur Seite, die genannten Einschränkungen des Betroffenen auszugleichen. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht daher auch ein Recht des Betroffenen auf Betreuerbestellung (MünchKommBGB/ Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 126).

Das Fehlen der Kooperationsbereitschaft des Betroffenen wird aber nicht selten ein Symptom seiner psychischen Krankheit im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB sein. Bei Betroffenen, die krankheitsbedingt keine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Betreuer aufbringen, würde die darauf gründende Annahme einer Unbetreubarkeit dazu führen, ihnen die gesetzlich vorgesehene Hilfe gerade unter Verweis auf ein aus der Krankheit folgendes Defizit zu versagen. Dieser Schluss ist rechtlich aber nur in solchen Fällen haltbar, in denen es gegenüber den sich für den Betroffenen aus der Krankheit oder Behinderung ergebenden Nachteilen unverhältnismäßig erscheint, die Betreuung gegen den Willen des Betroffenen durchzuführen.

(2) Daher ist es Aufgabe des Betreuungsgerichts, auch bei schwierigen Betroffenenpersönlichkeiten durch den die Betreuung anordnenden Beschluss geeignete Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche rechtliche Betreuung zu schaffen. Dies gilt zum einen für die Festlegung des Aufgabenkreises. Droht etwa, dass der Betroffene - wie hier vom Beschwerdegericht angeführt - Post "umleitet", kann eine Anordnung nach § 1896 Abs. 4 BGB angezeigt sein. Zum anderen muss das Betreuungsgericht bei der Betreuerauswahl Bedacht darauf nehmen, dass für Betroffene mit schwieriger Persönlichkeit ein Betreuer bestellt wird, der dieser Herausforderung mit Sachkunde und Erfahrung begegnen kann. Gegebenenfalls ist auch ein Betreuerwechsel erforderlich, um eine Person zu bestellen, die Zugang zum Betroffenen findet.

b) Die angefochtene Entscheidung kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil es an ausreichenden Feststellungen dazu fehlt, für welche Aufgaben der Bedarf für eine rechtliche Betreuung besteht. Dass der Betroffene nach dem Eindruck des Beschwerdegerichts seine Angelegenheiten überblickt, schließt nicht zwingend aus, dass er - etwa aufgrund krankheitsbedingter Verhaltensstörungen - für bestimmte Aufgaben im Rechtsverkehr eine Betreuung benötigt.

Erst nach Feststellung des Aufgabenkreises, in dem ein Betreuungsbedarf besteht, lässt sich beurteilen, ob durch die Betreuung eine Verbesserung der Situation des Betroffenen zu erreichen ist. Dabei ist dann zu berücksichtigen, inwieweit ein Betreuer - bei sachgerechter Ausübung seines Amtes - durch rechtliche Entscheidungen einen für den Betroffenen positiven Einfluss nehmen könnte.

c) Darüber hinaus tragen die Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht die rechtliche Schlussfolgerung, der Betroffene sei derart kooperationsunwillig oder -fähig, dass eine Unbetreubarkeit vorliege.

Wie auch das Beschwerdegericht gesehen hat, verweigert sich der Betroffene nicht einer Betreuung, sondern wünscht sie im Gegenteil selbst. Die Probleme bei der Betreuungsführung ergeben sich ausschließlich im persönlichen Kontakt mit dem Betreuer, was jedoch krankheitsbedingt ist. Darüber hinaus macht die Rechtsbeschwerde mit Recht geltend, dass das Beschwerdegericht unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 FamFG nicht der Frage nachgegangen ist, warum es zwischen Betroffenem und Betreuerin (Beteiligter zu 2) - nach offensichtlich vielversprechendem Beginn - nicht zu einer dauerhaft für die Betreuungsführung ausreichenden Zusammenarbeit gekommen ist. Insbesondere hatte der Betroffene auf die mehrmonatige Erkrankung der Betreuerin hingewiesen, die diese unter anderem daran hinderte, ihr Versprechen zu erfüllen, einen Schwerbehindertenausweis für ihn zu beantragen. Eine Kooperationsfähigkeit in einem für eine erfolgreiche Betreuung nötigen Mindestmaß lässt sich mithin auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht ausschließen.

Im Übrigen geht auch das Beschwerdegericht nicht davon aus, dass ein Betreuer nichts ausrichten könnte. Vielmehr führt es lediglich aus, es bestünden "nur sehr eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten" - woraus im Umkehrschluss folgt, dass gewisse Möglichkeiten bestehen.

3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG ). Die Sache ist gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG ).

Vorinstanz: AG Dresden, vom 07.11.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 404 XVII 694/12
Vorinstanz: LG Dresden, vom 19.06.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 2 T 143/14
Fundstellen
FGPrax 2015, 127
FamRZ 2015, 650
FuR 2015, 284
NJW-RR 2015, 769