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BGH - Entscheidung vom 13.05.2015

IV ZR 98/13

Normen:
VVG § 5a Abs. 2 S. 4
VVG § 8

BGH, Urteil vom 13.05.2015 - Aktenzeichen IV ZR 98/13

DRsp Nr. 2015/9412

Anspruch eines Versicherungsnehmers auf Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Lebensversicherung

Tenor

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. Februar 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 7.832,80 € festgesetzt.

Normenkette:

VVG § 5a Abs. 2 S. 4; VVG § 8 ;

Tatbestand

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Lebensversicherung.

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum 1. September 1998 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Im Mai 2007 kündigte d. VN den Vertrag und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 11. November 2011 erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 8 VVG a.F.

Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts (insgesamt 7.832,80 €).

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Das Policenmodell sei mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar. Im Übrigen habe auch nach Ablauf der Frist des - ebenfalls gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. der Widerspruch noch erklärt werden können.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht über das Widerspruchsrecht belehrt, weil sowohl der Versicherungsschein als auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen keinen Hinweis auf das Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. enthielten. Selbst wenn d. VN deshalb ein unbefristetes Widerspruchsrecht zustehen würde, wäre ein Widerspruch zum Zeitpunkt des Schreibens vom 11. November 2011 aber nicht mehr möglich gewesen, weil ein gekündigter Versicherungsvertrag nicht mehr widerrufen werden könne.

II. Die Revision ist begründet.

1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

a) Nach den für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.

Das Widerspruchsrecht bestand aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ( IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

b) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

c) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 13. Mai 2015

Vorinstanz: LG Karlsruhe, vom 04.07.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 6 O 2/12
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 19.02.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 151/12