Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 11.11.2015

XII ZB 311/15

Normen:
ZPO § 574 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 11.11.2015 - Aktenzeichen XII ZB 311/15

DRsp Nr. 2016/437

Anforderungen an eine Fristverlängerung nach Versäumen der Berufungsbegründungsfrist

Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt mangels Glaubhaftmachung eines konkreten Vortrags nicht vor, wenn nur die Möglichkeit eines Hergangs dargestellt wird, durch die andere denkbare Abläufe, die der Prozessbevollmächtigte selbst zu verantworten hätte, nicht mit der für eine Wiedereinsetzung nötigen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 32. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. Juni 2015 wird auf Kosten des Klägers verworfen.

Beschwerdewert: 89.350 €

Normenkette:

ZPO § 574 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Mit Urteil vom 21. Januar 2015, das dem Kläger am 27. Januar 2015 zugestellt worden ist, hat das Landgericht dessen auf Schadenersatz aus einem Mietvertrag gerichtete Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger rechtzeitig Berufung eingelegt und mit einem auf den 27. März 2015 datierten, bei Gericht am 30. März 2015 nach Ablauf der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Auf einen ihm am 10. April 2015 zugegangenen richterlichen Hinweis hat der Kläger am 23. April 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufungsbegründung eingereicht. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat er vorgetragen, dass die unfrankierte Post, die für die am Kanzleiort ansässigen Gerichte bestimmt sei, auf einem gesonderten Stapel gesammelt werde, der jeweils noch am gleichen Tage von der Kanzleiangestellten in den Nachtbriefkasten eingeworfen werde. Dem Wiedereinsetzungsantrag beigefügt war eine eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten, wonach diese sich sicher sei, dass sie den Antrag auf Fristverlängerung am 27. März 2015 in den Nachtbriefkasten eingeworfen habe.

Nach Einholung einer dienstlichen Stellungnahme der gerichtlichen Posteingangsstelle, der zufolge ein Stempelungsfehler am 27. März 2015 auszuschließen sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers durch weiteren Schriftsatz vom 19. Mai 2015 mitgeteilt, dass seine Kanzleiangestellte keine konkrete Erinnerung mehr an den 27. März 2015 habe. Inzwischen habe sich jedoch herausgestellt, dass auch in einem anderen Rechtsstreit sein Fristverlängerungsgesuch vom 27. März erst am 30. März 2015 bei Gericht eingegangen sei und sich deshalb seine Vermutung verdichte, dass die Gerichtspost vom 27. März 2015 entgegen seiner Anordnung und der jahrelangen Übung nicht in den Nachtbriefkasten eingeworfen, sondern von seiner Kanzleiangestellten frankiert verschickt worden sei.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt sei. Die eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten seines Prozessbevollmächtigten, am 27. März 2015 wie üblich mit der Post verfahren zu sein, reiche nicht aus, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich der fragliche Schriftsatz nicht in der Post vom 27. März 2015 befunden habe. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten nicht in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07 - FamRZ 2008, 1605 Rn. 6 mwN). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt auch kein entscheidungserheblicher Verstoß des Beschwerdegerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor.

2. Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei erkannt hat, ist eine Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO ausgeschlossen, wenn das Verlängerungsgesuch erst nach Ablauf der Begründungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen ist (Senatsbeschluss vom 22. Juli 2015 - XII ZB 583/14 - FamRZ 2015, 1878 Rn. 10 mwN). Daher konnte die Begründungsfrist - wie auch die Rechtsbeschwerde nicht infrage stellt - auf den erst am 30. März 2015 eingegangenen Antrag nicht mehr verlängert werden.

3. Zu Recht hat das Berufungsgericht auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Denn ein Wiedereinsetzungsgrund ist vom Kläger jedenfalls nicht glaubhaft gemacht.

Zwar war zunächst durch eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten glaubhaft gemacht, diese habe den Fristverlängerungsantrag am 27. März 2015 in den Nachtbriefkasten des Gerichts eingeworfen. Von dieser Darstellung ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers jedoch selbst in seinem Schriftsatz vom 19. Mai 2015 wieder abgerückt und hat nunmehr die Vermutung geäußert, dass die Gerichtspost vom 27. März 2015 entgegen seiner Anordnung nicht in den Nachtbriefkasten eingeworfen, sondern per frankierter Post verschickt worden sei. Seine Kanzleiangestellte habe daran keine Erinnerung mehr.

Damit fehlt es an der Glaubhaftmachung eines konkreten Vortrags. Die neu angestellten Vermutungen des Prozessbevollmächtigten über einen möglichen abweichenden Verlauf, bei dem die Kanzleiangestellte den Fristverlängerungsantrag weisungswidrig in die frankierte Post gegeben habe, stellt nur die Möglichkeit eines Hergangs dar, durch die andere denkbare Abläufe, die der Prozessbevollmächtigte selbst zu verantworten hätte, nicht mit der für eine Wiedereinsetzung nötigen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Vorinstanz: LG München I, vom 21.01.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 20 O 5910/14
Vorinstanz: OLG München, vom 24.06.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 32 U 718/15