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BFH - Entscheidung vom 04.08.2015

IX B 95/15

Normen:
§ 128 Abs 2 FGO
§ 79 Abs 3 FGO
§ 82 FGO
§ 358 ZPO
FGO § 79 Abs. 3

Fundstellen:
BFH/NV 2015, 1436

BFH, Beschluss vom 04.08.2015 - Aktenzeichen IX B 95/15

DRsp Nr. 2015/15129

Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde gegen die Ablehnung der Umladung eines Zeugen wegen urlaubsbedingter Verhinderung des Zeugenbeistandes in den Sommerferien

NV: Ein Zeuge, der die in der Hauptsache ergehende Entscheidung nicht wegen eines Verfahrensmangels anfechten kann, kann in statthafter Weise gegen die Ladungsverfügung Beschwerde einlegen.

1. Ein Zeuge ist befugt, gegen die Ablehnung seines Antrags auf Verlegung des Verhandlungstermins, in dem er vernommen werden soll, Beschwerde einzulegen. § 128 Abs. 2 FGO steht nicht entgegen, da der Zeuge ansonsten keine rechtliche Möglichkeit hat, die Ablehnung der Terminsverlegung einer rechtlichen Überprüfung zuzuführen. Insbesondere ist ihm nicht zuzumuten, zunächst die Festsetzung eines Ordnungsgeldes abzuwarten und hiergegen Beschwerde einzulegen. 2. § 79 Abs. 3 FGO eröffnet nicht die Möglichkeit eines umfassenden Erörterungstermins mit der Vernehmung von Zeugen vor dem Berichterstatter. Das gilt insbesondere dann, wenn der Berichterstatter zu erkennen gibt, dass er Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines Zeugen hat. In diesem Fall ist jedoch der unmittelbare Eindruck des Senats in vollständiger Besetzung für die Beweiswürdigung von Bedeutung. 3. Die Ablehnung der Verlegung eines in die regulären Sommerferien gelegten Erörterungstermins mit der Begründung, der gefüllte Terminkalender mancher Strafverteidiger lasse weitere langfristige Terminverlegungsanträge befürchten, ist nicht frei von Ermessensfehlern. Das gilt jedenfalls dann, wenn in einem seit 2013 anhängigen Finanzrechtsstreit erstmals im Jahr 2015 weitere Maßnahmen zur Sachaufklärung unternommen werden.

Normenkette:

FGO § 79 Abs. 3 ;

Gründe

I. Mit Verfügung vom 30. Juni 2015 lud der Berichterstatter im Klageverfahren 3 K 3189/13 vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg (FG) die Beteiligten für den 10. August 2015 zu einem Erörterungstermin; ferner lud er den Beschwerdeführer als Zeugen zu diesem Termin. Hierfür stützte der Berichterstatter sich auf § 79 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ); er gab in der Zeugenladung das Beweisthema an, hat aber bisher keinen Beweisbeschluss gefasst. Der Terminstag fällt in die vom 16. Juli bis zum 28. August 2015 laufenden Sommerferien der Bundesländer Berlin und Brandenburg. Es handelt sich um den ersten Versuch einer Ladung im laufenden Klageverfahren. Die Ladung wurde dem Beschwerdeführer am 6. Juli 2015 zugestellt.

Zugleich mit dem Beschwerdeführer lud der Berichterstatter noch eine weitere Zeugin. Am 6. Juli 2015 verfügte er die Ladung eines zusätzlichen Zeugen, von dem sich aber später herausstellte, dass er wegen der Verbüßung einer Strafhaft nicht zum Erörterungstermin erscheinen kann. Am 21. Juli 2015 verfügte der Berichterstatter die Ladung eines vierten Zeugen.

Mit seinem am 17. Juli 2015 beim FG eingegangenen Schriftsatz zeigte der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers an, dass er als Zeugenbeistand beauftragt sei. Der Prozessbevollmächtigte wies darauf hin, dass er selbst am 10. August 2015 urlaubsbedingt verhindert sein werde, und bat aus diesem Grund um Aufhebung der Zeugenladung. Ferner bat er um Mitteilung des Prozessstoffs, um im Hinblick auf eine strafrechtliche Verfolgung des Beschwerdeführers den Umfang eines etwaigen Auskunftsverweigerungsrechts überprüfen zu können.

Mit Schreiben vom 21. Juli 2015 lehnte der Berichterstatter des FG den Antrag auf Aufhebung der Zeugenladung ab. Für den Fall der Verhinderung des präferierten Zeugenbeistands sei es dem Beschwerdeführer zuzumuten, sich einen anderen Zeugenbeistand zu suchen. Es sei nicht ersichtlich, dass ein angemessener Beistand während der Vernehmung nicht auch durch einen anderen Rechtsanwalt erfolgen könne. Für das Gericht sei es schwierig genug, einen Termin zu finden, an dem keiner der Beteiligten, ihrer Vertreter und der Zeugen verhindert sei; eine darüber hinausgehende Rücksichtnahme auf die Termine von präferierten Zeugenbeiständen würde eine Terminsfindung nahezu unmöglich machen. Um eine Gegenüberstellung zu ermöglichen, solle die persönliche Anhörung des Klägers und die Vernehmung des Beschwerdeführers im selben Termin stattfinden.

Ferner wies der Berichterstatter darauf hin, dass der Beschwerdeführer zu den Geschäftsbeziehungen zwischen einer GmbH, deren Geschäftsführer er gewesen sei, und dem Kläger gehört werden solle.

Am 23. Juli 2015 hat der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung der Aufhebung der Zeugenladung beim FG Beschwerde eingelegt. Im Hinblick auf seine Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH seien noch zwei strafrechtliche Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft anhängig. Zwei weitere Ermittlungsverfahren seien zwar gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt worden; eine Wiederaufnahme der Ermittlungen sei aber nicht ausgeschlossen. Aus diesen Ermittlungsverfahren folge ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht in Bezug auf den Gegenstand der beabsichtigten Vernehmung. Sein Zeugenbeistand sei —als Strafverteidiger in den genannten Verfahren— umfassend in den Sachverhalt eingearbeitet; nur auf dieser Grundlage könne eine sachgerechte Beratung erfolgen. Dem Verweis des FG auf die Möglichkeit der Beauftragung eines anderen Zeugenbeistands werde daher widersprochen.

Der Berichterstatter des FG hat am 23. Juli 2015 beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Er hielt die Beschwerde entgegen dem Wortlaut des § 128 Abs. 2 FGO für zulässig, da der dortige Ausschluss der Anfechtbarkeit entscheidungsvorbereitender Maßnahmen nur für die Beteiligten, nicht aber für Drittbetroffene gelten könne. Es sei einem Zeugen nicht zuzumuten, zunächst nicht zu erscheinen, und eine rechtliche Überprüfung erst im Ordnungsgeldverfahren vornehmen zu lassen.

Die Beschwerde sei jedoch nicht begründet. Wegen der notwendigen Gegenüberstellung des Beschwerdeführers und des Klägers würde eine Aufhebung der Zeugenladung zwingend zur Verlegung des Erörterungstermins führen. Die Beratung hinsichtlich des Auskunftsverweigerungsrechts sei nicht so komplex, als dass sich nicht ein anderer Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand einarbeiten könne, selbst wenn dieser bisher nicht in der Sache tätig gewesen sei. Der Wunsch des Zeugen auf den Beistand seines bisherigen Strafverteidigers müsse daher im Interesse der Abwendung einer Verfahrensverzögerung zurückstehen. Dabei sei auch zu bedenken, dass eine etwaige Verhinderung des präferierten Zeugenbeistands auch bei allen künftigen Terminen immer wieder zur Verlegung führen müsste. Manche Strafverteidiger hätten einen recht vollen Terminkalender, so dass hier ggf. eine langfristige Verschiebung drohe.

Während des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer noch darauf hingewiesen, dass die ihn betreffenden Ermittlungsverfahren so umfangreich seien, dass bereits 15 Bände Hauptakten angefallen seien. Ein Zeugenbeistand, der bisher nicht mit diesen Verfahren befasst gewesen sei, könne ihn daher nicht angemessen beraten.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

die Ladungsverfügung des Berichterstatters des 3. Senats des FG Berlin-Brandenburg vom 30. Juni 2015 3 K 3189/13 hinsichtlich der Ladung des Beschwerdeführers aufzuheben.

Die Beschwerdeschrift ist am 24. Juli 2015, die finanzgerichtlichen Akten am 30. Juli 2015 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen.

II. 1. Die Beschwerde ist zulässig.

Zwar bestimmt § 128 Abs. 2 FGO ausdrücklich, dass u.a. prozessleitende Verfügungen —zu denen auch Ladungen gehören (Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 128 FGO Rz 82, m.w.N.)— nicht mit der Beschwerde angefochten werden können.

Aus den vom FG zutreffend angeführten Gründen ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift jedoch im vorliegenden Fall teleologisch zu reduzieren. In den Gesetzesmaterialien ist die Erweiterung des Katalogs des § 128 Abs. 2 FGO durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze damit begründet worden, dass bei einer fehlerhaften Entscheidung in den Fällen des § 128 Abs. 2 FGO ein Verfahrensmangel vorliege, der zur Revisionszulassung und zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führe (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 11. September 2000, BTDrucks 14/4061, 11 f.). Die Möglichkeit zur Anfechtung der in der Hauptsache ergehenden Entscheidung wegen eines Verfahrensmangels steht aber nur den Verfahrensbeteiligten zu, zu denen ein Zeuge nicht gehört. Der Zeuge hat daher die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung nicht. Es ist ihm auch nicht zuzumuten, zunächst die Festsetzung eines Ordnungsgeldes (§ 82 FGO i.V.m. § 380 der Zivilprozessordnung —ZPO—) abzuwarten und etwaige Entschuldigungsgründe im Beschwerdeverfahren gegen die Ordnungsgeldfestsetzung vorzutragen. Insoweit können die Wertungen der gefestigten Rechtsprechung übertragen werden, die ein Abwarten von Sanktionen des Straf– oder Ordnungswidrigkeitenrechts vor der Erlangung von Rechtsschutz für unzumutbar halten (vgl. hierzu Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 1989 1 BvR 1276/84, 14/85, BVerfGE 81, 70 , unter B.II.1., m.w.N.).

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

a) Dies gilt schon deshalb, weil der Berichterstatter für die Ladung des Beschwerdeführers als Zeugen nicht zuständig war.

Die Voraussetzungen des § 79 Abs. 3 FGO —eine andere Vorschrift, aus der die Zuständigkeit des Berichterstatters für die Zeugenladung folgen könnte, ist nicht ersichtlich— sind im Streitfall nicht erfüllt. Nach der genannten Vorschrift darf der Berichterstatter einzelne Beweise nur insoweit erheben, als dies zur Vereinfachung der Verhandlung vor dem Gericht sachdienlich und von vornherein anzunehmen ist, dass das Gericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag.

Der Berichterstatter selbst hat nicht begründet, weshalb er seine Kompetenz nach § 79 Abs. 3 FGO für eröffnet hält. Aber auch nach Aktenlage sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gegeben. Nach einhelliger Auffassung in der Literatur —BFH-Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschrift liegt noch nicht vor— handelt es sich bei § 79 Abs. 3 FGO um einen Ausnahmetatbestand, der vor allem für die Beweiserhebung durch Augenscheinseinnahme und Urkundenvorlage geeignet sei. Die Vernehmung eines Zeugen komme hingegen nur in Betracht, wenn von vornherein keine Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit bestehen und zu erwarten sei, dass sich der Rechtsstreit vor dem Berichterstatter erledige (zum Ganzen Thürmer in HHSp, § 79 FGO Rz 107; Fu in Schwarz/Pahlke, FGO § 79 Rz 22; Stalbold in Beermann/Gosch, FGO § 79 Rz 33). Vor allem aber ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Parallelvorschrift des § 87 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (s. Beschluss vom 15. August 1997 4 B 130/97, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechung-Report 1998, 524) unzulässig, die Beweiserhebung vollständig in das Verfahren nach § 79 Abs. 3 FGO zu verlagern.

Der Berichterstatter des FG hat ausdrücklich ausgeführt, der Beschwerdeführer solle dem Kläger gegenübergestellt werden, da die genannten Personen widerstreitende Interessen verfolgen würden. Hieraus folgt, dass der Berichterstatter vorläufig Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hegt. In einem solchen Fall ist jedoch der unmittelbare Eindruck des zuständigen Spruchkörpers —im Streitfall: des mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzten Vollsenats— vom Verlauf der Beweisaufnahme für die Beweiswürdigung von entscheidender Bedeutung. Zudem hat der Berichterstatter die Beweiswürdigung nach Aktenlage vollständig in das Verfahren nach § 79 Abs. 3 FGO verlagert. Angesichts der Ladung von vier Zeugen und den umfassenden Beweisthemen —welche den Streitstoff des Klageverfahrens vollständig erschöpfen— ist nicht ersichtlich, welche weitere Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch stattfinden soll.

b) Hinzu kommt, dass die vom Berichterstatter angestellten Erwägungen hinsichtlich der Schwierigkeiten der Terminfindung nach Aktenlage nicht nachvollzogen werden können.

Bei der Ladungsverfügung vom 30. Juni 2015 handelte es sich —nach einem sechs Tage zuvor erteilten rechtlichen Hinweis— um das erste Tätigwerden des FG in dem seit Juli 2013 anhängigen Klageverfahren. Die Akten enthalten keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Terminfindung im Streitfall besonders schwierig sein könnte; insbesondere ist bei keinem Verfahrensbeteiligten oder Zeugen bisher eine Prozessverschleppungsabsicht zutage getreten. Die Mutmaßung des Berichterstatters, wegen des vollen Terminkalenders "mancher Strafverteidiger" drohe auch bei künftigen Terminen eine langfristige Terminverschiebung, ist rein spekulativ und mit Blick auf den Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers auch nicht durch konkrete Vorkommnisse, die sich den Akten entnehmen ließen, begründet. Bei dem vorliegend zu beurteilenden Antrag des Beschwerdeführers handelte es sich vielmehr um den ersten Terminverlegungsantrag im gesamten Verfahren; das Vorbringen des Beschwerdeführers enthält auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass sein Zeugenbeistand dauerhaft verhindert sein werde. Nach dem Eindruck, der sich dem beschließenden Senat nach Aktenlage aufdrängt, beruhen die Schwierigkeiten, den auf den 10. August 2015 festgesetzten Termin einzuhalten, wohl eher auf dem Umstand, dass der Berichterstatter —ohne den Versuch einer vorherigen Abstimmung mit den wichtigsten zu ladenden Personen zu unternehmen— einen Termin inmitten der Sommerferien der Bundesländer Berlin und Brandenburg anberaumt hat und zudem erst zugleich mit der Ladung damit begonnen hat, die Anschriften der vier Zeugen und des Klägers zu ermitteln, so dass die Ladungen die Zeugen teilweise mit Verzögerung erreicht haben.

c) Schließlich fehlt es derzeit noch an dem gemäß § 358 ZPO i.V.m. § 82 FGO erforderlichen Beweisbeschluss.

Nach dieser Vorschrift ist eine Beweisaufnahme immer dann durch einen Beweisbeschluss anzuordnen, wenn sie ein besonderes Verfahren erfordert. An einem solchen "besonderen Verfahren" fehlt es zwar, wenn die Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung stattfinden soll (BFH-Beschluss vom 11. September 2013 XI B 111/12, BFH/NV 2013, 1944 , Rz 7). Anders ist dies aber, wenn —wie hier— ein zusätzlicher Termin für die Beweisaufnahme erforderlich wird (ausdrücklich zu § 79 Abs. 3 FGO Stalbold in Beermann/Gosch, FGO § 79 Rz 32).

3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Bei einem erfolgreichen Beschwerdeverfahren handelt es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren, das von der Kostenentscheidung bei endgültigem Abschluss des noch vor dem FG anhängigen Klageverfahrens mit umfasst ist (BFH-Beschlüsse vom 17. Februar 2004 IV B 209/03, BFH/NV 2004, 966 , unter 3., und vom 8. Januar 2013 X B 203/12, BFH/NV 2013, 511 , unter II.2.).

Fundstellen
BFH/NV 2015, 1436