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BFH - Entscheidung vom 21.10.2015

VI R 35/14

Normen:
§ 66 Abs 2 EStG 2009
§ 70 Abs 2 EStG 2009
EStG VZ 2013
EStG § 33

BFH, Urteil vom 21.10.2015 - Aktenzeichen VI R 35/14

DRsp Nr. 2016/21

Verfassungsmäßigkeit der Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen

NV: Die Bindungswirkung eines bestandskräftigen, die Gewährung von Kindergeld ablehnenden Bescheids erstreckt sich auf die Zeit bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe (Festhalten an bisheriger BFH-Rechtsprechung).

Krankheitskosten einschließlich Zuzahlungen sind außergewöhnliche Belastungen. Es ist von Verfassungs wegen nicht geboten, bei der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung dieser Aufwendungen auf den Ansatz der zumutbaren Belastung zu verzichten.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 6. März 2014 16 K 3732/13 Kg aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Normenkette:

EStG § 33 ;

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog Kindergeld für ihre Tochter … (M). M beendete im Juli 2012 die Schulausbildung und suchte einen Studien– oder Ausbildungsplatz. Mit Bescheid vom 29. Januar 2013 hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung ab Dezember 2012 auf, weil M's Ausbildungswilligkeit nach Mitteilung der Berufsberatung nur bis November 2012 nachgewiesen sei. Der Klägerin wurde allerdings anheimgestellt, den beigefügten Vordruck mit weiteren Nachweisen (Bewerbungen, Ablehnungsschreiben, Eigenbemühungen um einen Ausbildungsplatz) bei der Familienkasse einzureichen.

Die Klägerin beantragte Anfang Juli 2013 erneut Kindergeld für M und legte dazu die Studienbescheinigung einer Hochschule vor, nach der M ab dem Wintersemester 2013/14 ein Studium absolvieren werde. Die Familienkasse setzte darauf mit Bescheid vom 9. Juli 2013 Kindergeld ab Juni 2013 fest. Zugleich bat sie um Vorlage von Unterlagen zu Eigenbemühungen für den Zeitraum Dezember 2012 bis Mai 2013. Darauf verwies die Klägerin auf M's Kontaktaufnahme zur Hochschule im Januar 2013, auf die Übersendung einer Bewerbungsmappe Anfang Februar 2013 mit Eingangsbestätigung am 7. Februar 2013, auf einen Termin für den Aufnahmetest und auf die Mitte Mai 2013 gegebene Zusage, die Immatrikulationsbescheinigung zuzusenden.

Die Familienkasse setzte mit Bescheid vom 29. August 2013 Kindergeld für März 2013 bis Mai 2013 fest. Die Klägerin sei erst nach Ablauf der Einspruchsfrist gegen den Aufhebungsbescheid vom 29. Januar 2013 ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen. Eine Änderung für die Vergangenheit könne nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung ( AO ) nicht mehr erfolgen. Kindergeld könne frühestens ab dem Monat erneut festgesetzt werden, der dem Monat der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids folge. Dieser Ablehnungsbescheid vom 29. Januar 2013 gelte am 3. Tag nach Postaufgabe als bekanntgegeben, also am 1. Februar 2013. Die Bindungswirkung des bestandskräftigen Ablehnungsbescheids reiche daher bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe, hier also bis Ende Februar 2013.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage machte die Klägerin Kindergeld für den Monat Februar 2013 geltend.

Das Finanzgericht (FG) entsprach der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1325 veröffentlichten Gründen.

Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.

Die Familienkasse beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG Düsseldorf vom 6. März 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Denn die Familienkasse hat es zu Recht abgelehnt, Kindergeld für den Monat Februar 2013 zu gewähren, weil der streitigen Kindergeldfestsetzung der am 1. Februar 2013 bekannt gegebene bestandskräftige Bescheid vom 29. Januar 2013 entgegensteht.

1. Es entspricht der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhof (BFH), dass sich die Bindungswirkung eines bestandskräftigen, die Gewährung von Kindergeld ablehnenden Bescheids auf die Zeit bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe erstreckt. Dementsprechend kann auf einen danach gestellten weiteren Antrag Kindergeld rückwirkend nur ab dem auf die Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids folgenden Monat bewilligt werden (Senatsurteile vom 25. Juli 2001 VI R 164/98, BFHE 196, 257 , BStBl II 2002, 89 ; VI R 78/98, BFHE 196, 253 , BStBl II 2002, 88 ; BFH-Urteile vom 4. August 2011 III R 71/10, BFHE 235, 203 , BStBl II 2013, 380 ; vom 12. März 2015 III R 14/14, BFHE 249, 292 , BStBl II 2015, 850 ; jeweils m.w.N.). Die Auffassung, dass sich die Bindungswirkung eines Kindergeld ablehnenden oder aufhebenden Bescheids bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe erstreckt, entspricht der ganz überwiegenden Kommentarliteratur (Blümich/Treiber, § 70 EStG Rz 11; Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach —HHR—, § 70 EStG Rz 6; Schmidt/Weber-Grellet, EStG , 34. Aufl., § 70 Rz 4; Felix in Kirchhof, EStG , 14. Aufl., § 70 Rz 2).

a) Der erkennende Senat hat diese Auffassung in seinen Urteilen in BFHE 196, 253 , BStBl II 2002, 88 und in BFHE 196, 257 , BStBl II 2002, 89 insbesondere auf den Regelungsgehalt des Ablehnungsbescheids gestützt. Der Verwaltungsakt trifft eine Regelung auf Grundlage der Sach– und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Bescheiderteilung. Daraus schloss der Senat und nachfolgend die seitdem ständige Rechtsprechung des BFH, dass sich der Verwaltungsakt in der Regelung des Anspruchs auf Kindergeld für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum erschöpft und dementsprechend die Bindungswirkung des Bescheids sich auf die Zeit bis zum Ende des Monats, in dem er bekannt gegeben wurde, beschränkt.

b) Die Beschränkung auf die Zeit bis zum Ende des Monats, in dem ein Ablehnungsbescheid bekannt gegeben wird, bedeutet zugleich, dass die Bindungswirkung des Bescheids auch bis zum Ende des Monats reicht. Denn die Festsetzung von Kindergeld ist ein teilbarer Verwaltungsakt. Dies ergibt sich aus dem nach § 66 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) geltenden Monatsprinzip, nach dem Kindergeld für jeden Monat gezahlt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Die Festsetzung umfasst somit einen Anspruch für jeden Monat; daher kann sie für einzelne Monate aufgehoben oder geändert werden und für andere Monate unverändert bestehen bleiben; das entspricht ebenfalls der ständigen Rechtsprechung (so Senatsurteil vom 26. Juli 2001 VI R 163/00, BFHE 196, 274 , BStBl II 2002, 174 ).

Dieses Monatsprinzip ist Teil der Regelung des Ablehnungsbescheids (Regelungsgehalt), das aus der materiell-rechtlichen Grundlage des Kindergeldanspruchs folgt. Denn Kindergeld wird nicht tageweise, nicht wochenweise, sondern monatsweise gezahlt, nämlich nach § 66 Abs. 2 EStG monatlich vom Beginn des Monats an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, und bis zu dem Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Zahlungszeitraum und Anspruchszeitraum stimmen überein, der Leistungszeitraum ist der Monat (HHR/ Wendl, § 66 EStG Rz 16, § 70 EStG Rz 6; Blümich/Treiber, § 66 EStG Rz 19). Auf Grundlage dieses durch das materielle Recht vorgegebenen Monatsprinzips entscheidet deshalb der ablehnende Bescheid über das Kindergeld dahingehend, dass bis einschließlich dem Monat, in dem der Ablehnungsbescheid bekannt gegeben wird, kein Kindergeldanspruch besteht.

c) An dieser Rechtsauffassung hält der erkennende Senat fest.

aa) Entgegen der Auffassung des FG spricht dagegen nicht, dass —wie etwa im Streitfall— im weiteren Verlauf des Monats, gegebenenfalls sogar am letzten Tag, ein Kindergeldtatbestand neu hätte verwirklicht und damit ein erneuter Kindergeldanspruch hätte begründet werden können. Denn es ist gerade die Rechtsfolge des Monatsprinzips, dass jedenfalls bezogen auf den Monat, auf den sich der bestandskräftige Ablehnungsbescheid noch erstreckt, die Verwirklichung eines neuen Kindergeldanspruchs unerheblich ist. Entgegen der Auffassung des FG entspricht dies auch dem Regelungsgehalt eines Ablehnungsbescheids. Denn der Bescheid verneint einen Kindergeldanspruch nicht nur bis zum Tage der Zeichnung des Bescheids, sondern —entsprechend dem Monatsprinzip— für den ganzen Monat.

bb) Der Einwand des FG, dass unter Umständen das Kind am letzten Tag einer möglichen Einspruchsfrist einen Kindergeldtatbestand verwirklichen könnte und dann der Kindergeldberechtigte im Ergebnis kaum noch Zeit habe, diesen Umstand zu erfahren und durch Einspruch gegenüber der Familienkasse geltend zu machen, ist nach Auffassung des Senats nicht geeignet, das gegenteilige Ergebnis zu begründen. Die Familienkasse wendet insoweit zutreffend ein, dass solche einen Kindergeldanspruch begründenden Umstände regelmäßig vorhersehbar sind, weil sie typischerweise von den Willensentscheidungen der Beteiligten abhängen. Das bestätigen gerade die tatsächlichen Geschehnisse im hier gegebenen Streitfall. Denn der Kindergeldanspruch für Februar 2013 scheiterte daran, dass die Klägerin nach Erhalt des Ablehnungsbescheids vom 29. Januar 2013 entgegen der Anregung der Familienkasse innerhalb der Einspruchsfrist gerade keine aussagekräftigen Unterlagen dazu vorlegte, dass ihre Tochter um einen Ausbildungsplatz bemüht sei. Schließlich verkennt die tagesbezogene Betrachtungsweise, die eine Bindungswirkung eines bestandskräftigen Ablehnungsbescheids grundsätzlich nur bis zum Tag seiner Bekanntgabe annimmt, die ambivalente Wirkung des Monatsprinzips. Denn nach § 66 Abs. 2 EStG wird Kindergeld von Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Dies bedeutet, dass das Kindergeld sowohl im ersten Monat als auch im letzten Monat seines Bezugs mit dem vollen Monatsbetrag gezahlt wird, selbst wenn jeweils an nur einem einzigen Tag die Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld vorliegen. Folge der tagesgenauen Betrachtungsweise wäre dann gegebenenfalls, dass auch in solchen Fällen das Kindergeld nur anteilig, nämlich taggenau, gezahlt wird.

cc) Schließlich lässt sich auch nicht mit dem Hinweis, dass der Wortlaut des § 70 Abs. 2 EStG es gestatte, einen neuen kindergeldrechtlich erheblichen Sachverhalt zu berücksichtigen, die Kindergeldgewährung für den Monat Februar 2013 rechtfertigen. Denn § 70 Abs. 2 EStG gilt nicht für Bescheide, mit denen ––wie im hier gegebenen Streitfall— eine Kindergeldfestsetzung abgelehnt oder aufgehoben wird. Dies entnimmt die ständige Rechtsprechung des BFH in Übereinstimmung mit der Kommentarliteratur dem Regelungszweck des § 70 EStG , der ausweislich der Gesetzesbegründung verhindern soll, die Familienkasse an eine fehlerhaft erkannte Kindergeldfestsetzung zu binden (vgl. Senatsurteil in BFHE 196, 257 , BStBl II 2002, 89 ; BFH-Urteile vom 21. Januar 2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910 ; vom 28. Juni 2006 III R 13/06, BFHE 214, 287 , BStBl II 2007, 714 ; jeweils m.w.N.).

2. Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze entfaltet der im Streitfall nach den bindenden Feststellungen des FG am 1. Februar 2013 bekannt gegebene Aufhebungsbescheid eine Bindungswirkung, die der von der Klägerin begehrten Neufestsetzung des Kindergelds für den Monat Februar 2013 entgegensteht.

Im Weiteren ist es zwischen den Beteiligten auch nicht streitig, dass der Bescheid nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hatte geändert werden können, weil die Klägerin am nachträglichen Bekanntwerden neuer Tatsachen und Beweismittel ein grobes Verschulden trifft. Denn sie hat die für eine Ausbildungswilligkeit ihrer Tochter sprechenden Umstände nicht rechtzeitig vorgebracht.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO .

Vorinstanz: FG Düsseldorf, vom 06.03.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 16 K 3732/13