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BFH - Entscheidung vom 10.12.2015

VI R 7/15

Normen:
§ 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG 2009
§ 9 Abs 5 EStG 2009
§ 4 Abs 5 S 1 Nr 5 EStG 2009
EStG VZ 2012
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4

BFH, Beschluss vom 10.12.2015 - Aktenzeichen VI R 7/15

DRsp Nr. 2016/2398

Umfang der Abzugsfähigkeit der Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei einem befristeten Arbeitsverhältnis

NV: Der in einer dauerhaften, ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätige Arbeitnehmer ist nicht allein deshalb auswärts tätig, weil er eine Probezeit vereinbart hat, unbedingt versetzungsbereit oder befristet beschäftigt ist.

Die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für Fahrten zu einer dauerhaften betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers ist durch § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG beschränkt, wenn es sich um eine regelmäßige Arbeitsstätte handelt. Dies ist auch dann der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis zunächst befristet ist. Denn ein in einer dauerhaften ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätiger Arbeitnehmer ist nicht allein deshalb auswärts tätig, weil er eine Probezeit vereinbart hat, unbedingt versetzungsbereit oder befristet beschäftigt ist (BFH - VI R 21/14 -06.11.2014).

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Dezember 2014 4 K 226/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Normenkette:

EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 ;

Gründe

I. Streitig ist, ob Aufwendungen für Fahrten zum Tätigkeitsort als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder nach Dienstreisegrundsätzen (einschließlich Verpflegungsmehraufwendungen) zu berücksichtigen sind, insbesondere, ob der Tätigkeitsort eine regelmäßige Arbeitsstätte darstellt.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) machte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2012) u.a. Fahrtkosten in Höhe von 1.320 € als "Reisekosten bei Auswärtstätigkeit" (200 Tage x 22 km x 0,30 € = 1.320 €) sowie Verpflegungsmehraufwendungen für 200 Tage mit mindestens acht Stunden Abwesenheit in Höhe von 1.200 € als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Er gab an, dass er aufgrund seines befristeten Arbeitsvertrags über keine regelmäßige Arbeitsstätte verfüge und somit die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach Reisekostengrundsätzen anzusetzen seien. Das Gleiche gelte für die Verpflegungsmehraufwendungen.

Der Kläger hatte zum … Februar 2012 einen (zunächst) auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag als Großgerätefahrer in einem Bergwerk abgeschlossen. Die Beschäftigung begann mit einer Probezeit von sechs Monaten, innerhalb der das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden konnte. Vereinbarungen hinsichtlich eines Zeitpunkts, zu dem eine eventuelle Verlängerung des Arbeitsvertrags auszusprechen sei, wurden nicht getroffen. Mit Schreiben des Arbeitgebers vom … November 2012 war die Befristung bis zum 31. Januar 2014 verlängert worden, mit Schreiben vom … November 2013 sodann bis zum 31. Juli 2014.

Im Einkommensteuerbescheid berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die geltend gemachten Fahrtkosten lediglich mit der Entfernungspauschale und setzte insoweit Werbungskosten in Höhe von 660 € (200 Tage x 11 km x 0,30 €) an. Verpflegungsmehraufwendungen berücksichtigte das FA nicht. In den Erläuterungen des Bescheides vertrat es die Ansicht, dass der Kläger über eine regelmäßige Arbeitsstätte verfüge.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 805 veröffentlichten Gründen ab.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Er beantragt,

das Urteil des FG Sachsen-Anhalt vom 16. Dezember 2014 4 K 226/14 sowie die Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2014 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012 vom 3. Juli 2013 dahingehend abzuändern, dass weitere Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 660 € und Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 372 € bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zum Abzug gebracht werden.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ( FGO ). Der Senat hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Revision des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO ). Das FG hat zu Recht entschieden, dass Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen seiner Wohnung und seinem Arbeitsplatz nur im Rahmen der Entfernungspauschale als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden können und Mehraufwendungen für Verpflegung nicht einkünftemindernd anzusetzen sind.

1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) grundsätzlich in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. Erwerbsaufwendungen in diesem Sinne sind auch die Kosten des Arbeitnehmers für seine Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Allerdings dürfen diese Kosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nur nach Maßgabe einer Entfernungspauschale als Werbungskosten in Abzug gebracht werden.

a) Eine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG kann nur eine ortsfeste, dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufsucht. Regelmäßig handelt es sich dabei um den Betrieb des Arbeitgebers oder einen Zweigbetrieb, nicht aber um die Tätigkeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 20. März 2014 VI R 74/13, BFHE 245, 56 , BStBl II 2014, 854 , m.w.N.). Es entspricht darüber hinaus ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass ein größeres, räumlich geschlossenes Gebiet als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (und damit beim Verpflegungsmehraufwand als Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG ) in Betracht kommt, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, auf dem der Arbeitnehmer auf Dauer und mit einer gewissen Nachhaltigkeit tätig wird (z.B. Senatsurteile vom 5. August 2004 VI R 40/03, BFHE 207, 225 , BStBl II 2004, 1074 ; vom 10. April 2002 VI R 154/00, BFHE 198, 559 , BStBl II 2002, 779 ). Unter diesen Voraussetzungen kann auch ein Werksgelände, ein Waldgebiet oder —wie vorliegend zu Recht unstreitig— ein Bergwerk eine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte oder einen Tätigkeitsmittelpunkt darstellen (Senatsurteile vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BFHE 226, 59 , BStBl II 2010, 564 , und vom 10. März 2015 VI R 87/13, BFH/NV 2015, 1084 , jeweils m.w.N.).

b) Ist der Arbeitnehmer nicht an einer solchen dauerhaften betrieblichen Einrichtung tätig, liegt regelmäßig eine Auswärtstätigkeit vor, weil der Arbeitnehmer entweder vorübergehend von seiner Wohnung und dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt tätig wird oder weil er schon über keinen dauerhaft angelegten ortsgebundenen Bezugspunkt für seine berufliche Tätigkeit verfügt, sondern nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug eingesetzt wird (z.B. Senatsurteile vom 26. Februar 2014 VI R 54/13, BFH/NV 2014, 1199 , und VI R 68/12, BFH/NV 2014, 1029 , jeweils m.w.N.). Folge einer solchen Auswärtstätigkeit ist, dass die Kosten für beruflich veranlasste Fahrten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG uneingeschränkt zum Abzug zuzulassen sind. Denn ein Arbeitnehmer, der auswärts tätig ist, hat typischerweise nicht die Möglichkeit, seine Wegekosten gering zu halten (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 10. April 2014 VI R 11/13, BFHE 245, 218 , BStBl II 2014, 804 , m.w.N.).

2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht darauf erkannt, dass der Kläger im Streitjahr nicht auswärts, sondern in einer dauerhaften betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers und damit in einer regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG tätig war. Denn der Kläger hat diese Einrichtung während seines Arbeitsverhältnisses nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufgesucht. Der Umstand, dass der Kläger seine Tätigkeit dort nur zunächst auf ein Jahr befristet ausgeübt hat und zudem die ersten sechs Monate seines Beschäftigungsverhältnisses mit einer Probezeit belegt waren, steht der Dauerhaftigkeit der Zuordnung zu dem Betriebssitz des Arbeitgebers nicht entgegen. Denn ein in einer dauerhaften, ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätiger Arbeitnehmer ist nicht allein deshalb auswärts tätig, weil er eine Probezeit vereinbart hat, unbedingt versetzungsbereit oder befristet beschäftigt ist (Senatsurteil vom 6. November 2014 VI R 21/14, BFHE 247, 427 , BStBl II 2015, 338 ). Der Einwand des Klägers, in solchen Fällen fehle es an der für eine regelmäßige Arbeitsstätte erforderlichen "Planungssicherheit", trifft zwar in der Sache zu, vermag die Tätigkeit aber nicht aus dem Regeltypus einer "Innendiensttätigkeit" (Leistungsort im Betrieb oder einer Betriebsstätte des Arbeitgebers) herauszulösen.

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass er die Vorhersehbarkeit wechselnder Tätigkeitsstätten und die "Möglichkeit", Wegekosten zu mindern, nicht zu Tatbestandsmerkmalen der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geregelten Entfernungspauschale erhoben hat. Der Umstand, dass sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gegebenenfalls sogar durch die entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann, beschreibt lediglich generalisierend und typisierend den Regelfall, nach der sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip erweist. Individuelle Zufälligkeiten und Besonderheiten in der tatsächlichen Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses bleiben hierbei unberücksichtigt (Senatsurteil in BFHE 247, 427 , BStBl II 2015, 338 ). Sie vermögen insbesondere nicht eine typische betriebsbezogene Innendiensttätigkeit zu einer vorübergehenden Tätigkeit außerhalb einer regelmäßigen Arbeitsstätte (oder der Wohnung) zu wandeln. Demnach sind die streitigen Wegekosten lediglich im Rahmen der Entfernungspauschale und Mehraufwendungen für Verpflegung gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 1 und 2 EStG nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

3. Aus den Senatsentscheidungen vom 8. August 2013 VI R 72/12 (BFHE 242, 358 , BStBl II 2014, 68 ) und VI R 27/12 (BFH/NV 2014, 308 ) sowie vom 24. September 2013 VI R 51/12 (BFHE 243, 215 , BStBl II 2014, 342 ) ergibt sich nichts anderes. Zwar hat der Senat dort entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der für ein oder zwei Jahre (wiederholt) befristet seiner Berufstätigkeit an einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers nachgeht, und ein Beamter, der von seinem Arbeitgeber für drei Jahre an eine andere als seine bisherige Tätigkeitsstätte abgeordnet oder versetzt wird, an den neuen Tätigkeitsorten keine regelmäßigen Arbeitsstätten begründen. Für den Tatbestand einer regelmäßigen Arbeitsstätte bei einem befristeten oder Probearbeitsverhältnis lassen sich hieraus jedoch keine Erkenntnisse gewinnen. Insbesondere rechtfertigen diese Entscheidungen den Schluss des Klägers nicht, dass bei (bis zu drei Jahren) befristeten Arbeitsverhältnissen oder in der Probezeit stets keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG vorliege. Denn in den Verfahren VI R 27, 51 und 72/12 stand in Streit, ob der Arbeitnehmer lediglich —unter Beibehaltung seiner bisherigen regelmäßigen Arbeitsstätte— "vorübergehend" in einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätig wurde oder von Anbeginn dauerhaft an den neuen Beschäftigungsort entsandt worden ist und dort eine (neue) regelmäßige Arbeitsstätte begründet hat. Ein solcher Sachverhalt liegt jedoch im Streitfall ersichtlich nicht vor.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Sachsen-Anhalt, vom 16.12.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 4 K 226/14