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BFH - Entscheidung vom 28.10.2015

I R 41/14

Normen:
§ 74 FGO
§ 99 Abs 2 FGO
§ 50d Abs 9 S 1 Nr 2 EStG 2002 vom 13.12.2006
§ 50d Abs 9 S 1 Nr 2 EStG 2009
EStG VZ 2007
EStG VZ 2008
EStG VZ 2009
Art 100 Abs 1 S 1 GG
§ 126 Abs 3 FGO
FGO § 99 Abs. 2
FGO § 74

BFH, Urteil vom 28.10.2015 - Aktenzeichen I R 41/14

DRsp Nr. 2016/2862

Rechtmäßigkeit eines Zwischenurteils hinsichtlich der Erfassung ausländischer, einem Doppelbesteuerungsabkommen unterliegender Einkünfte eines in Deutschland ansässigen Flugkapitäns aus seiner Tätigkeit für eine britische Fluggesellschaft

NV: In einem Klageverfahren gegen einen Steuerbescheid kann nicht durch Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 FGO über einfach-rechtliche (Vor-)Fragen der Auslegung einer Vorschrift (hier des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007/EStG 2009) zu Lasten des Klägers entschieden werden, wenn das Klageverfahren zugleich wegen Fragen der Verfassungsmäßigkeit jener Vorschrift gemäß § 74 FGO ausgesetzt wird. Die vorgreifliche Entscheidung über einfach-rechtliche Fragen ist dann nicht entscheidungserheblich.

Eine Entscheidung durch Zwischenurteil darüber, ob angefochtene Einkommensteuerbescheide "einfach-rechtlich" den tatbestandlichen Erfordernissen des § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG entsprechen und die Einkünfte aus der Tätigkeit als Flugzeugführer für eine britische Fluggesellschaft im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht zu erfassen sind und gleichzeitig die Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem anhängigen Normenkontrollverfahren ist nicht statthaft. Dies folgt bereits daraus, dass die zu Lasten des Klägers getroffene Entscheidung über die in Rede stehenden Rechtsfragen nur dann erheblich ist, wenn § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 2 EStG verfassungskonform wäre.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Zwischenurteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. April 2014 3 K 3227/13 aufgehoben.

Die Entscheidung über die Kosten des gesamten Rechtsstreits wird dem Finanzgericht übertragen.

Normenkette:

FGO § 99 Abs. 2 ; FGO § 74 ;

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der in den Streitjahren 2007 bis 2009 im Inland wohnte, war vom 1. Dezember 2006 an als Flugzeugführer ("Senior First Officer") bei einer britischen Fluggesellschaft angestellt. Von Dezember 2006 bis Mai 2007 absolvierte er bei dieser Gesellschaft in Großbritannien ein Flugtraining, danach war er für die Gesellschaft auf Flügen inner- und außerhalb von Großbritannien eingesetzt.

Sein Jahresgehalt betrug 44.740 £. Es war in gleichen monatlichen Raten am Monatsende zahlbar und wurde entsprechend abgerechnet und bescheinigt. Es wurde in Großbritannien in den jeweiligen Steuerjahren (vom 6. April eines jeden Jahres bis zum 5. April eines jeden Folgejahres) überwiegend einer Lohnsteuer unterworfen; lediglich eine bestimmte Zulage ("Sector Pay Non Taxable") blieb lohnsteuerfrei. In die Bemessungsgrundlage einbezogen wurde allerdings nur ein Teil der ausbezahlten Gehälter. Grund dafür war —so das Finanzgericht (FG) im angefochtenen Urteil— eine britische "Regelung oder zumindest gefestigte Rechtspraxis der dortigen Steuerbehörde" für die Besteuerung von Flugpersonal. Nicht in Großbritannien ansässiges Flugpersonal wurde danach im internationalen Luftverkehr nur mit denjenigen Einkommensbestandteilen besteuert, die auf Strecken entfallen, bei denen Start oder Landung in Großbritannien liegen. Unabhängig davon wurden die einbehaltenen Abzugsteuern dem Kläger nachfolgend aber jedenfalls für die beiden Streitjahre 2007 und 2008 vollen Umfangs, für das Streitjahr 2009 gegebenenfalls —so der Kläger entgegen den tatrichterlichen Feststellungen der Vorinstanz— bloß teilweise, erstattet, da der jeweils steuerbare Teil seines Gehalts unter dem allgemeinen Freibetrag lag.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) unterwarf den Arbeitslohn der deutschen Besteuerung und erließ mangels eingereichter Steuererklärungen entsprechende Schätzungsbescheide zur Einkommensteuer. Die Einkünfte seien wegen § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 2002 ( EStG 2002) i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878 , BStBl I 2007, 28 ) —EStG 2002/2007— bzw. des Einkommensteuergesetzes 2009 ( EStG 2009) und in Einklang mit dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 12. November 2008 (BStBl I 2008, 988 ) nicht gemäß Art. XI Abs. 5 i.V.m. Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 und Abs. 3 Buchst. b des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26. November 1964 (BGBl II 1966, 359 , BStBl I 1966, 730 ) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 (BGBl II 1971, 46 , BStBl I 1971, 140 ) von der Bemessungsgrundlage für die Steuer in der Bundesrepublik Deutschland auszunehmen.

Über die dagegen gerichtete Klage erließ das FG Berlin-Brandenburg sein in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1278 abgedrucktes, auf § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) gestütztes Zwischenurteil vom 29. April 2014 3 K 3227/13, das wie folgt tenoriert ist:

"Es wird festgestellt, dass die Einkommensteuerbescheide für 2007 bis 2009, jeweils vom 07.10.2011 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2013, nicht zum Nachteil des Klägers von einfachem Gesetzesrecht abweichen.

Es wird weiter festgestellt, dass die vorgenannten Bescheide nicht deswegen rechtswidrig sind, weil die in § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG angeordnete Rückwirkung der Änderung von § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG verfassungswidrig ist."

Überdies wurde "beschlossen und verkündet": "Das weitere Verfahren wird ausgesetzt bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den Verfahren 2 BvL 1/12 und 2 BvL 15/14."

Beidem —sowohl dem Zwischenurteil als auch dem Beschluss— wurde jeweils eine eigenständige Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt.

Der Aussetzungsbeschluss wurde nicht mit einer Beschwerde angefochten. Seine gegen das Zwischenurteil gerichtete (und vom FG zugelassene) Revision stützt der Kläger auf den Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2013 I B 109/13 (BFHE 244, 40 ) sowie die Senatsurteile vom 20. Mai 2015 I R 68/14 (BFHE 250, 96 ) und I R 69/14 (BFH/NV 2015, 1395 ). Er beanstandet zudem die Verfassungsmäßigkeit von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 und bezieht sich dafür (zuletzt) auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 20. August 2014 I R 86/13 (BFHE 246, 486 , BStBl II 2015, 18 ). Er hält —nach entsprechendem Hinweis des Senatsvorsitzenden— zudem die verfahrensrechtliche Vorgehensweise —gleichzeitiges Ergehen eines Zwischenurteils und eines Aussetzungsbeschlusses— für unzulässig.

Der Kläger beantragt, das Zwischenurteil des FG aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide dahingehend abzuändern, dass die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit mit jeweils null € zugrunde gelegt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das BMF ist dem Revisionsverfahren beigetreten. Es hat sich dem FA in der Sache angeschlossen, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, weil das FG in verfahrensrechtswidriger Weise einerseits über eine streitgegenständliche Rechtsfrage durch ein Zwischenurteil nach § 99 Abs. 2 FGO entschieden und andererseits zugleich das Klageverfahren nach § 74 FGO ausgesetzt hat. In dieser Verfahrenskonstellation ist es dem Senat verwehrt, über die Revision gegen das Zwischenurteil in der Sache zu erkennen.

1. Die Vorinstanz hat durch Zwischenurteil (§ 99 Abs. 2 FGO ) darüber entschieden, ob die angefochtenen Einkommensteuerbescheide "einfach-rechtlich" den tatbestandlichen Erfordernissen des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 entsprechen und die betreffenden Einkünfte des Klägers aus seiner Tätigkeit als Flugzeugführer für die britische Fluggesellschaft deswegen im Rahmen seiner unbeschränkten Steuerpflicht zu erfassen sind. Sie hat das im Ergebnis —und entgegen dem Senatsbeschluss in BFHE 244, 40 (dort zu dem vergleichbaren Fall des Flugzeugführers einer irischen Fluggesellschaft) sowie auch entgegen den zwischenzeitlich ergangenen Senatsurteilen in BFHE 250, 96 und in BFH/NV 2015, 1395— bejaht. Sie hat es zugleich "als angemessen angesehen", durch Zwischenurteil auch die Frage ebenfalls "mit zu entscheiden, ob die Rückwirkung der Änderung von § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG " (2009 i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. Juni 2013 [BGBl I 2013, 1809, BStBl I 2013, 802] —Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz— [EStG 2009/2013] "durch § 52 Abs. 59a Satz 9" ( EStG 2009/2013) "verfassungsgemäß ist" —gemeint ist die in § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG 2009/2013 geschaffene und nach § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG 2009/2013 rückwirkende Gesetzesneufassung—, und auch das wurde bejaht. Sodann wurde vom FG "das weitere Verfahren (...) ausgesetzt bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den Verfahren 2 BvL 1/12 und 2 BvL 15/14" wegen der dort anhängigen Normenkontrollverfahren "zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Treaty override". Grund für diese Vorgehensweise waren dem FG ausweislich der Gründe seiner Entscheidung (vgl. erläuternd auch Weinschütz, Internationales Steuerrecht 2014, 534 ) vorzugsweise prozessökonomische Erwägungen.

2. Die von der Vorinstanz gewählte zweispurige Vorgehensweise ist unter den Gegebenheiten des Streitfalls indessen nicht statthaft, und das schon deshalb nicht, weil es für die zu Lasten des Klägers getroffene Entscheidung über die in Rede stehenden Rechtsfragen nur dann ankommt, wenn § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 verfassungskonform wäre. Das aber wird von der Vorinstanz, wie der Aussetzungsbeschluss zeigt, als offen angesehen. Ist das aus der insoweit maßgebenden Sicht des FG der Fall, kommt es auf die Beantwortung der "einfach-rechtlichen" Rechtsfragen zur Auslegung von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 nicht an. Diese Fragen wären dann vielmehr schlechterdings nicht entscheidungserheblich. Fehlt es wiederum an der Entscheidungserheblichkeit, konnte das FG über diese Fragen auch nicht vorgreiflich vermittels eines Zwischenurteils entscheiden (ebenso Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , § 99 FGO Rz 8 a.E.). Ob es überhaupt statthaft sein kann, über einen Teil des Rechtsstreits vermittels —anfechtbaren— Zwischenurteils zu entscheiden und das Klageverfahren sodann insgesamt auszusetzen, kann angesichts dessen unbeantwortet bleiben.

3. Die fehlende Entscheidungserheblichkeit und die deswegen unstatthafte Entscheidung durch das Zwischenurteil sind im Rahmen des Revisionsverfahrens vom Senat von Gerichts wegen durch Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zu berücksichtigen. Auf die vor allem auf Bewirken des verfahrensbeigetretenen BMF und trotz der Senatsurteile in BFHE 250, 96 und in BFH/NV 2015, 1395 nach wie vor streitgegenständlichen Rechtsfragen nach der Auslegung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 kommt es nicht mehr an. Sie müssen nicht ausdrücklich abermals bestätigt werden.

4. Mit der Aufhebung des Zwischenurteils befindet sich das Klageverfahren wieder in dem Stadium, das vor Erlass des Zwischenurteils bestanden hat, ohne dass es einer förmlichen Zurückverweisung bedarf (vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. Dezember 2008 III R 22/06, BFH/NV 2009, 1087 ). Das FG wird nunmehr darüber zu entscheiden haben, ob die Verfahrensaussetzung weiterhin aufrechterhalten bleibt. Dabei ist einerseits auf das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Normenkontrollverfahren 2 BvL 21/14 zu verweisen, andererseits auf die zitierten Senatsurteile in BFHE 250, 96 und in BFH/NV 2015, 1395 (zur Konsequenz dieser Urteile auf die Aussetzung des Klageverfahrens s. Senatsbeschluss vom 21. August 2015 I B 113/14, nicht veröffentlicht).

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg, vom 29.04.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 3 K 3227/13