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BFH - Entscheidung vom 30.06.2015

VII R 42/14

Normen:
AO § 37 Abs. 2
AO § 218 Abs. 2 S. 2
UStG § 15 Abs. 1

BFH, Urteil vom 30.06.2015 - Aktenzeichen VII R 42/14

DRsp Nr. 2015/21137

Erstattungsansprüche hinsichtlich zu Unrecht ausgewiesener Vorsteuer

Hat der Steuerpflichtige in Rechnungen Dritter ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend gemacht und musste er diese zurückzahlen, weil den Rechnungen die dort ausgewiesenen Leistungen nicht zugrunde lagen, so besteht kein Anspruch auf Erstattung der zurückgezahlten Umsatzsteuer, wenn er seinerseits seine Rückzahlungsansprüche bei den Dritten nicht realisieren konnte. Denn § 37 Abs. 2 AO regelt keinen Rückzahlungsanspruch eines Leistungsempfängers, der die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer dem Rechnungsaussteller gezahlt hat.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 3. September 2014 6 K 939/11 AO wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Normenkette:

AO § 37 Abs. 2 ; AO § 218 Abs. 2 S. 2; UStG § 15 Abs. 1 ;

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt in den Jahren 2001 bis 2006 Rechnungen von Geschäftspartnern mit gesondertem Umsatzsteuerausweis. Auf deren Grundlage erstattete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) der Klägerin Vorsteuerbeträge.

Nachdem das FA in einer Steuerfahndungsprüfung festgestellt hatte, dass den Rechnungen keine entsprechenden Leistungen zugrunde gelegen hatten, wurde der Vorsteuerabzug wegen der unrichtigen Leistungsbezeichnung rückgängig gemacht. Die Klägerin zahlte daraufhin die an sie erstatteten Beträge dem FA zurück.

Nachdem die Klägerin von vier Firmen keine Rückerstattung der gezahlten Umsatzsteuer erlangen konnte, begehrte sie vom FA vergeblich Erstattung der in jenen Rechnungen ausgewiesenen und den Rechnungsausstellern gezahlten Umsatzsteuer.

Einspruch und Klage gegen den daraufhin vom FA erlassenen Abrechnungsbescheid, mit denen die Klägerin unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Reemtsma vom 15. März 2007 C-35/05 (EU:C:2007:167) einen Erstattungsanspruch analog § 218 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung ( AO ) i.V.m. § 37 Abs. 2 AO geltend machte, blieben ohne Erfolg. Im Klageverfahren hat die Klägerin ihren Erstattungsanspruch reduziert. In Höhe dieses Betrags hätten zwei Rechnungsaussteller, über deren Vermögen zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, auf ihr Rückzahlungsverlangen nicht reagiert.

Das Finanzgericht (FG) urteilte, der angefochtene Abrechnungsbescheid sei rechtmäßig. Die Klägerin habe zutreffend davon abgesehen, vom FA die Erstattung der Vorsteuern zu begehren, die sie dem FA erstattet habe, da diese Rückzahlungen aufgrund der bestandskräftigen Steueränderungsbescheide jeweils mit Rechtsgrund erfolgt seien. Für die begehrte Erstattung der an die Rechnungsaussteller zu viel entrichteten bzw. der von den Leistenden zu viel in Rechnung gestellten Umsatzsteuer fehle es an einer Rechtsgrundlage. § 37 Abs. 2 AO regele auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten und mit Blick auf die Neutralität der Umsatzsteuer keinen Anspruch des Leistungsempfängers auf Auszahlung. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Reemtsma-Entscheidung des EuGH (EU:C:2007:167). Der EuGH habe sich in dieser Sache mit einem grenzüberschreitenden Sachverhalt zum Vorsteuer-Vergütungsverfahren auseinandergesetzt. In der vorliegenden, rein innerstaatlichen Fallkonstellation spielten die Besonderheiten des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens und die damit zusammenhängenden Erschwernisse jedoch keine Rolle. Der Klägerin stehe vielmehr ein zivilrechtlicher Bereicherungsanspruch gegen die Rechnungsaussteller zu, dessen Realisierung aufgrund der Insolvenzverfahren zwar erschwert sein könnte, was jedoch für die Einräumung eines Direktanspruchs gegen das FA nicht ausreiche. Der Verweis auf die zivilrechtliche Geltendmachung ihrer Erstattungsansprüche sei insbesondere gerechtfertigt, weil dem Interesse der Klägerin an einem Direktanspruch die berechtigten Interessen des FA sowie der weiteren Gläubiger der beiden Rechnungsaussteller entgegenstünden. Im Fall eines Direktanspruchs gegen das FA käme es zu einer Anspruchskonkurrenz zwischen dem Rechnungsaussteller, der seine Rechnung berichtige, und dem Leistungsempfänger, der sich auf den Direktanspruch berufe, die dann wiederum aufgelöst werden müsse, um die Steuerbehörde nicht zwei Ansprüchen auszusetzen. Auch würde der Leistungsempfänger bei Insolvenz des Leistenden gegenüber anderen Insolvenzgläubigern systemwidrig bevorzugt. Hinzu komme, dass die §§ 163 und 227 AO Regelungen vorsähen, mit denen ein Ausgleich im eigenen Steuerrechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem FA im Wege der Billigkeit erreicht werden könne.

Da es bereits an einer Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch der Klägerin fehle, sei unerheblich, ob die Rechnungsaussteller ursprünglich die offen ausgewiesene Umsatzsteuer an die Steuerbehörde gezahlt hätten, ob die Leistenden die Rechnungen berichtigt hätten und ob die Finanzbehörden den jeweiligen Rechnungsausstellern Umsatzsteuer nach einer etwaigen Berichtigung der Rechnung erstattet hätten. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1934 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision hält die Klägerin an ihrer Rechtsauffassung fest, dass sich aus dem unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität der Umsatzsteuer ein direkter Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 AO gegen das FA ergebe. Zur Begründung beruft sie sich —wie schon im Klageverfahren— auf die Reemtsma-Entscheidung des EuGH (EU:C:2007:167). Nach den Erwägungen des EuGH könne ein Leistungsempfänger nicht auf einen zivilrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer verwiesen werden, wenn die Erstattung der Umsatzsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert werde, wie dies bei Zahlungsunfähigkeit des Leistungserbringers, insbesondere nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, der Fall sei. Da im Streitfall die Rechnungsaussteller weder Erstattungsansprüche gegenüber dem FA geltend gemacht hätten, noch das FA Beträge diesen zurückgezahlt habe, könne auch eine Anspruchskonkurrenz von Rechnungsaussteller und Leistungsempfänger gegenüber dem FA dem unionsrechtlich begründeten Erstattungsanspruch nicht entgegengehalten werden.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG den Abrechnungsbescheid vom 9. März 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 2011 dahin zu ändern, dass darin ein zu erstattendes Umsatzsteuerguthaben in Höhe von 49.495,76 € ausgewiesen wird.

Das FA schließt sich der Rechtsauffassung des FG an und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Ergänzend weist es darauf hin, dass nicht festgestellt sei, ob die Rechnungsaussteller die in den Rechnungen gestellten Umsatzsteuerbeträge tatsächlich an den Fiskus abgeführt hätten.

II. Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der angefochtene Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO ) rechtmäßig ist. Die Klägerin hat gegen das FA keinen Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuerbeträge, die ihr von ihren Geschäftspartnern mangels zugrunde liegender Leistungen zu Unrecht in Rechnung gestellt worden sind.

1. Die Klägerin kann diesen Erstattungsanspruch nicht auf § 37 Abs. 2 AO stützen. Nach dieser Vorschrift hat nur derjenige einen Erstattungsanspruch aus Überzahlungen, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist. Das sind hinsichtlich zu Unrecht gezahlter Umsatzsteuer allein die Rechnungsaussteller, nachdem sie ihre Rechnungen nach § 17 des Umsatzsteuergesetzes ( UStG ) berichtigt haben.

a) § 37 Abs. 2 AO regelt keinen Rückzahlungsanspruch eines Leistungsempfängers, der die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer dem Rechnungsaussteller gezahlt hat (Urteil des FG des Saarlandes vom 24. April 2013 1 K 1156/12, EFG 2013, 1637; Urteil des FG Münster vom 3. September 2014 6 K 939/11 AO , EFG 2014, 1934; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , § 37 AO Rz 60). Die in der Literatur vereinzelt vertretene Auffassung, bei der Umsatzsteuer müsse der Leistungsempfänger als derjenige angesehen werden, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, wenn der Steuerpflichtige zur Rückabwicklung nicht in der Lage ist (vgl. von Streit, "Rs. C-35/05 - Reemtsma, C–427/10 - Banca Antoniana und andere - Wann bleibt der Steuerpflichtige auf der Mehrwertsteuer sitzen?", in EU-Umsatzsteuer-Berater 2012, 38, 41), steht nicht nur zu dem klaren Wortlaut des § 37 Abs. 2 AO in Widerspruch, sondern auch zur Zielsetzung der Norm, dem Fiskus zur Vereinfachung im Massengeschäft komplexe Prüfungen des "wahren" Leistungserbringers zu ersparen (vgl. Senatsurteil vom 18. September 1990 VII R 99/89, BFHE 162, 279 , BStBl II 1991, 47 , 48, bestätigt im Urteil vom 26. November 1996 VII R 49/96, BFH/NV 1997, 537).

b) Im Streitfall hat das FG nicht festgestellt, dass die von der Klägerin geltend gemachten Beträge dem FA gezahlt worden sind. Das bedurfte aber auch keiner Aufklärung, da Zahlungen der Geschäftspartner der Klägerin —wären sie denn geflossen— jedenfalls nicht auf Rechnung der Klägerin, sondern in Erfüllung ihrer eigenen Umsatzsteuerschuld gegenüber dem FA, gezahlt worden wären. Damit wären sie diejenigen, denen nach Berichtigung der Rechnungen nach § 17 UStG durch den jeweiligen Insolvenzverwalter der Anspruch auf Erstattung der nunmehr rechtsgrundlos gewordenen Zahlungen an das FA gemäß § 37 Abs. 2 AO zustünde.

c) Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, besteht auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten keine Notwendigkeit, § 37 Abs. 2 AO in der von der Klägerin gewünschten Weise auszulegen, also den Erstattungsanspruch bei Insolvenz des Leistenden auf den Leistungsempfänger zu übertragen. Eine solche Auslegung lässt sich auch nicht mit den Ausführungen des EuGH in der Reemtsma-Entscheidung (EU:C:2007:167) rechtfertigen.

aa) Anders als das FG des Saarlandes (Urteil in EFG 2013, 1637) hat der Senat zwar keinen Zweifel, dass die von den Beteiligten erörterten Rechtsgrundsätze dieser Entscheidung, der ein grenzüberschreitender Sachverhalt zum Verfahren der Vorsteuervergütung entsprechend § 18 Abs. 9 UStG i.V.m. §§ 59 ff. der Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige zugrunde lag, für den vorliegenden Fall einschlägig sind. Denn der EuGH hat im Urteil Marks & Spencer vom 11. Juli 2002 C–62/00 (EU:C:2002:435, Rz 34), dem ein reiner Inlandsachverhalt zugrunde lag, festgestellt: "Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es beim Fehlen einer Gemeinschaftsregelung über die Erstattung rechtsgrundlos erhobener nationaler Abgaben Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten ist, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten der Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität)".

Abgesehen davon ergibt sich aus der Reemtsma-Entscheidung (EU:C:2007:167, Rz 38), dass die dort erörterte Achte Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 331/11), die die Regelung in Art. 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 (ABlEG, Nr. L 145/1) ausdrücklich in Bezug nimmt, keine Erstattungsvorschrift für die Berichtigung zu Unrecht in Rechnung gestellter Umsatzsteuer durch den Aussteller vorsieht und demzufolge die Mitgliedstaaten die Berichtigungsvoraussetzungen für diese Fälle festzulegen haben. Daraus lässt sich ableiten, dass die zu den nationalen Regelungen getroffenen Aussagen des Urteils auch für den vorliegenden Fall zu beachten sind.

bb) Jedenfalls aber lässt sich der Entscheidung kein unionsrechtliches Gebot entnehmen, einen Anspruch des Leistungsempfängers aus § 37 Abs. 2 AO auf Erstattung zu Unrecht vom Leistenden in Rechnung gestellter Umsatzsteuer gegen den Fiskus zu gewähren, wenn —wie im Streitfall— eine Erstattung vom Leistenden wegen dessen Insolvenz nicht mehr (vollständig) erreicht werden kann.

Der EuGH führt vielmehr aus, dass die Grundsätze der Neutralität und Effektivität der Umsatzsteuer im Regelfall beachtet werden, wenn —wie nach deutschem Steuerrecht— nur der Dienstleistungserbringer, der die Mehrwertsteuer irrtümlich an die Steuerbehörde entrichtet hat, die Erstattung der Umsatzsteuer verlangen und der Dienstleistungsempfänger lediglich zivilrechtlich Klage gegen den Dienstleistungserbringer auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben kann. Denn ein solches System ermögliche es dem Dienstleistungsempfänger, der mit der irrtümlich in Rechnung gestellten Steuer belastet war, die rechtsgrundlos gezahlten Beträge erstattet zu bekommen. Nur für den Fall, dass die Erstattung der Umsatzsteuer vom Leistenden unmöglich oder übermäßig erschwert wird, fordert der EuGH, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Mittel vorsehen müssen, die es dem Leistungsempfänger ermöglichen, zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen.

Nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten überlässt es der EuGH dem jeweiligen Mitgliedsstaat, die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, autonom zu regeln (EuGH-Urteil Reemtsma, EU:C:2007:167, Rz 40).

2. Die Regelungen, die das deutsche Umsatzsteuer- und Abgabenrecht zum Schutz des Leistungsempfängers bereithält, der eine zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an den Rechnungsaussteller gezahlt hat, werden den Anforderungen, die der EuGH an eine systemgerechte Abwicklung zu Unrecht erhobener und gezahlter Umsatzsteuer stellt, grundsätzlich gerecht.

a) Zwar ist dem Leistungsempfänger nach der gegenwärtigen Rechtsprechung der zur Neutralisierung der wirtschaftlichen Belastung mit der Umsatzsteuer führende Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG —unabhängig von einer späteren Rechnungsberichtigung— versagt, wenn die ausgewiesene Umsatzsteuer nicht entstanden ist. Denn das Recht auf Vorsteuerabzug besteht nur für diejenigen Steuern, die geschuldet werden, d.h. mit einem der Umsatzsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen; das Recht auf Vorsteuerabzug erstreckt sich nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist (EuGH-Urteil Genius vom 13. Dezember 1989 C–342/87, EU:C:1989:635, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 632, Rz 13, 19).

b) Allerdings bieten die Billigkeitsregelungen der §§ 163 (abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen) und 227 AO (Erstattung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis) eine hinreichende Möglichkeit, trotz Nichtvorliegens der materiell-umsatzsteuerrechtlichen Voraussetzungen den Vorsteuerabzug —jedenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis— geltend zu machen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 30. April 2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744), um auf diesem Weg den im Insolvenzverfahren nicht zu realisierenden Teil der gegen den Rechnungssteller gerichteten, zivilrechtlichen Forderung vom FA gutgebracht zu bekommen.

aa) Der Verweis auf eine solche Billigkeitsentscheidung genügt den Anforderungen des EuGH zum Ausgleich der Belastung des Leistungsempfängers. Nach der Rechtsprechung des BFH kann ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsweg zu gewähren sein, wenn der Gesetzeswortlaut die Entstehung eines Anspruchs auf Vorsteuerabzug an Voraussetzungen knüpft, deren Erfüllung im Einzelfall vom leistungsempfangenden Unternehmer unter Beachtung der Wertungen des Gesetzgebers nicht verlangt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 2008 XI R 57/06, BFH/NV 2009, 1156, m.w.N.).

bb) Ob der Klägerin eine Erstattung ihrer Vorsteuer im Wege eines Billigkeitserweises zuerkannt werden kann, hat der Senat im vorliegenden Rechtsstreit über den Abrechnungsbescheid nicht zu entscheiden. Es liegt bei der Klägerin, einen solchen Anspruch ggf. beim FA geltend zu machen.

cc) Ein Billigkeitserweis erscheint im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Leistenden auch nicht von vornherein ausgeschlossen, auch wenn nicht unberücksichtigt bleiben dürfte, dass der BFH der Reemtsma-Entscheidung (EU:C:2007:167) jedenfalls dann keine Erstattungsverpflichtung des Fiskus zu entnehmen vermochte, wenn die Steuer gar nicht an ihn entrichtet worden war (Urteil in BFH/NV 2009, 1156; vgl. auch Urteil vom 11. Oktober 2007 V R 27/05, BFHE 219, 266 , BStBl II 2008, 438 , am Ende). Ob diese Feststellung auf den Streitfall übertragbar ist, kann aber nicht im Verfahren über den Abrechnungsbescheid, sondern nur im Rahmen der Entscheidung über den Billigkeitsantrag geprüft und entschieden werden, die dann dem Abrechnungsbescheid zugrunde zu legen ist. Bei dieser Entscheidung dürfte wohl auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin auf eine Rechnung gezahlt hat, der nach den Feststellungen des FG keine Leistung zu Grunde lag, d.h. gegebenenfalls kein Fall einer lediglich irrtümlichen Zahlung der Mehrwertsteuer vorliegt.

dd) Jedenfalls könnte dem Verweis auf eine Billigkeitsentscheidung nicht entgegengehalten werden, dass es sich bei der Entscheidung nach § 163 AO grundsätzlich um eine Ermessensentscheidung handelt (vgl. dazu Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS–OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603, zu § 131 der Reichsabgabenordnung; BFH-Urteil vom 21. August 1997 V R 47/96, BFHE 183, 304 , BStBl II 1997, 781 ), die im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist (§ 102 FGO ). Erfordern nämlich unionsrechtliche Regelungen eine Billigkeitsmaßnahme —was bezogen auf den konkreten Sachverhalt zunächst festzustellen wäre—, ist das in § 163 AO eingeräumte Ermessen des FA auf null reduziert (BFH-Urteil in BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744, m.w.N.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: Finanzgericht Münster, vom 03.09.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 6 K 939/11 AO