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BFH - Entscheidung vom 16.06.2015

XI R 1/14

Normen:
§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a EStG 2009
§ 32 Abs 4 S 2 EStG 2009
§ 32 Abs 4 S 3 EStG 2009
EStG VZ 2012
EStG 3 32 Abs. 4 S. 2

BFH, Urteil vom 16.06.2015 - Aktenzeichen XI R 1/14

DRsp Nr. 2015/14659

Begriff der erstmaligen beruflichen Ausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 S. 2 EStG Kindergeldberechtigung eines Kindes einem dualen Studium der Wirtschaftsinformatik

NV: Setzt ein Kind nach dem erfolgreichen Abschluss einer in das Grundstudium an einer Hochschule integrierten Berufsausbildung, die für den seit Beginn des Studiums angestrebten Abschluss zum "Bachelor" notwendig ist, sein parallel zur Ausbildung betriebenes Bachelorstudium planmäßig und nahtlos fort, ist auch das Studium bis zum "Bachelor" noch Teil der Erstausbildung des Kindes.

Die Erstausbildungen, eines Kindes, das ein duales Studium der Wirtschaftsinformatik absolviert, das mit der Erlangung eines Grades des Bachelor of Science mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik endet, ist nicht bereits mit der Erlangung der Qualifikation eines Fachinformatikers vor der Industrie- und Handelskammer abgeschlossen, sondern erst mit der abschließenden praktischen Phase.

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 21. November 2013 8 K 807/12, die Einspruchsentscheidung der Familienkasse ... vom 16. März 2012 sowie der Kindergeldbescheid der Familienkasse ... vom 14. Februar 2012 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum Januar bis März 2012 Kindergeld für A in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Normenkette:

EStG 3 32 Abs. 4 S. 2;

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) für seine am …. August 1990 geborene Tochter A im Streitzeitraum (Januar bis März 2012) noch Kindergeld zusteht, obwohl A bereits im Mai 2011 eine Berufsausbildung zur Fachinformatikerin erfolgreich beendet hat.

A schloss im November 2008 einen Studienvertrag mit einer staatlich anerkannten privaten Hochschule (Hochschule) über das Studium zum "Bachelor of Science" mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik.

Nach der für A geltenden Studienordnung zielt das Bachelorstu-dium an der Hochschule als berufsqualifizierendes Hochschulstudium auf die organisatorische Verzahnung von wissenschaftlichem Studium und beruflicher Praxis, auf ein Lernen durch die wechselseitige Verknüpfung von theoretischen Fragestellungen und praktischen Anwendungen. Der Studiengang mit einer Regelstudienzeit von sieben Semestern gliedert sich in ein Grundstudium von vier Semestern, ein obligatorisches zweiteiliges Auslandsstudium im 5. Semester sowie das Hauptstudium im 6. und 7. Semester. Im "ausbildungsintegrierten Studium" (§ 6.3 der Studienordnung), das A absolvierte, kann ein Volontariat in Anlehnung an eine berufspraktische Ausbildungsordnung das erforderliche Praktikum ersetzen.

Am 11. November 2008 erhielt A von einer Bank die erforderliche Unterstützungserklärung für das ausbildungsintegrierte Studium zum Bachelor of Science. Hierin bestätigte die Bank der Hochschule, dass A für die Dauer des Studiums bei der Bank beschäftigt sei. Mit A sei ein Volontariatsvertrag abgeschlossen worden, der es A ermögliche, in den ersten vier Semestern des Studiums an den Lehrveranstaltungen und Prüfungen der Hochschule teilzunehmen und in den lehrveranstaltungs- und prüfungsfreien Zeiten in der Bank die berufspraktische Ausbildung zur Fachinformatikerin zu durchlaufen. A werde die Möglichkeit eingeräumt, parallel zum 4. Fachsemester des Studiums die schriftliche und mündliche Externen-Prüfung zur Fachinformatikerin vor der Industrie- und Handelskammer (IHK) abzulegen. Nach dem erfolgreichen Abschluss der berufspraktischen Ausbildung sei vorgesehen, A in ein Teilzeitarbeitsverhältnis zu übernehmen, das parallel zum Auslandssemester und zum Hauptstudium angelegt sei.

Im Dezember 2008 wurde zwischen der Bank und A ein Ausbildungsvertrag zur Ausbildung im Ausbildungsberuf der Fachinformatikerin abgeschlossen.

Der dualen Ausbildung liegt eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Bank und der Hochschule zugrunde. Darin verpflichtete sich die Bank, mit allen Mitarbeitern, die in den akademischen Studiengängen an der Hochschule eingeschrieben sind, für die Dauer des Studiums einen Volontariats- oder Teilzeitarbeitsvertrag zu schließen und dies der Hochschule anzuzeigen. Die Lage der Arbeitszeiten war so zu gestalten, dass den Studierenden ein uneingeschränkter Besuch der Lehrveranstaltungen und Prüfungen an der Hochschule ermöglicht wird.

Die Hochschule hat bescheinigt, dass A ein duales Studium in Wirtschaftsinformatik mit parallel laufender Ausbildung zur Fachinformatikerin absolviert und eine parallele Ausbildungs- und Berufstätigkeit während des gesamten Studiums notwendig ist.

A legte im Juni 2009 ihr Abitur ab und wurde anschließend zum Wintersemester 2009/2010 zum Studium an der Hochschule zugelassen, welches sie zum 1. September 2009 tatsächlich aufnahm. Die Ausbildung bei der Bank begann am 1. August 2009.

Im Mai 2011 schloss A die Ausbildung zur Fachinformatikerin erfolgreich ab. Die Bank teilte der A daraufhin mit, dass sie A ab dem 8. Juni 2011 befristet bis zum 28. Februar 2013 als … in die Dienste der Bank übernehme. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrage 39 Stunden; mit Aufnahme des berufsbegleitenden Studiums an der Hochschule reduziere sich die persönliche Arbeitszeit der A aber bis zum erfolgreichen Abschluss des Studiums auf 60 % der jeweils gültigen tariflichen Arbeitszeit.

A beendete ihr Studium an der Hochschule zu Beginn des Jahres 2013 erfolgreich und wurde von der Bank zum 1. Februar 2013 in ein Vollzeit-Arbeitsverhältnis übernommen.

Der Kläger erhielt für A zunächst Kindergeld bis einschließlich Juni 2011. Im Januar 2012 beantragte er unter Hinweis auf das von der Tochter absolvierte Studium die Weitergewährung von Kindergeld.

Diesem Antrag entsprach die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) nur für die Monate Juli bis Dezember 2011. Für die Zeit ab Januar 2012 hingegen lehnte die Familienkasse durch Bescheid vom 14. Februar 2012 den Antrag sinngemäß ab, weil A die Ausbildung zur Fachinformatikerin als Erstausbildung abgeschlossen habe. Die Erwerbstätigkeit der A sei deshalb gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) i.d.F. ab 1. Januar 2012 (n.F.) kindergeldschädlich. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 16. März 2012).

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der der Kläger geltend machte, A habe sich im Streitzeitraum (Januar bis März 2012) noch in ihrer Erstausbildung zum Bachelor of Science befunden, da der duale Studiengang noch nicht beendet gewesen sei, ab. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 457 veröffentlicht.

Das FG führte aus, zwar habe sich A bis zur Verleihung des Bachelor of Science zu Beginn des Jahres 2013 noch "in Ausbildung" befunden. Der Anspruch des Klägers sei jedoch nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG n.F. ausgeschlossen.

A habe bereits vor dem Streitzeitraum im Jahr 2011 eine erstmalige Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. abgeschlossen; denn zu diesem Zeitpunkt habe sie gemäß § 71 Abs. 2 i.V.m. § 76 des Berufsbildungsgesetzes ( BBiG ) ihre Abschlussprüfung nach § 37 BBiG zur Fachinformatikerin, einem anerkannten Ausbildungsberuf nach § 4 BBiG , erfolgreich abgelegt.

Die Erwerbstätigkeit der A sei auch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG unschädlich. Denn dabei handele es sich nicht um ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis und die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit habe mehr als 20 Stunden betragen; es liege auch kein Ausbildungsdienstverhältnis vor. Eine Ausbildung der A sei nicht Gegenstand ihres Vertrags mit der Bank aus dem Juni 2011. Es habe sich um ein befristetes Anstellungsverhältnis gehandelt, in dem keine Ausbildungsinhalte und –ziele vereinbart worden seien.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG . A habe nicht bereits im Juni 2011 ihre Erstausbildung abgeschlossen. Primärziel von A sei der Erwerb des Studienabschlusses "Bachelor of Science" gewesen; die Ausbildung zur Fachinformatikerin sei lediglich eine in das Studium integrierte Zusatzausbildung gewesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Familienkasse unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2012 zu verpflichten, ihm für die Monate Januar bis März 2012 Kindergeld für A zu gewähren.

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Kindergeldanspruch des Klägers für A scheitere an § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG . Der Begriff der Erstausbildung sei weit auszulegen. Es reiche aus, dass der Abschluss dazu befähige, aus der erlernten Tätigkeit Einkünfte zu erzielen. Hier habe A mit dem Bestehen der Abschlussprüfung zur Fachinformatikerin eine Erstausbildung absolviert.

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass A bereits im Jahr 2011 eine Erstausbildung abgeschlossen hat; denn ein Kind, das ein duales Studium durchführt, hat nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. Juli 2014 III R 52/13 (BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 ), das das FG bei seiner Urteilsfindung noch nicht berücksichtigen konnte, seine Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG noch nicht mit der erfolgreichen Absolvierung einer studienintegrierten praktischen Ausbildung in einem Lehrberuf (hier: zur Fachinformatikerin) beendet, sondern die Erstausbildung dauert jedenfalls bis zum Abschluss eines parallel durchgeführten Bachelorstudiums fort.

1. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass A im Streitzeitraum Januar bis März 2012 als Kind des Klägers nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigen ist, weil sie das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hatte und für einen Beruf ausgebildet wurde. Weder die Änderung des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I 2011, 2131 , BStBl I 2011, 986 ) noch die erneute —rückwirkende— Änderung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. Juni 2013 (BGBl I 2013, 1809 , BStBl I 2013, 802 , Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz —AmtshilfeRLUmsG—) haben an der Auslegung des § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG etwas geändert (vgl. BFH-Urteil in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , unter II.1. i.V.m. II.2.b).

2. Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG, der rückwirkend zum 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist und den das FG seinem Urteil zugrunde gelegt hat, wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 nur berücksichtigt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Nach der Rechtsprechung des III. Senats des BFH (Urteil in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , unter II.3.), der sich der Senat anschließt, gelten für die Auslegung dieser Vorschrift folgende Grundsätze:

a) § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. ist dahin auszulegen, dass der Begriff des Erststudiums nur einen Unterfall des Oberbegriffes der erstmaligen Berufsausbildung darstellt (BFH-Urteil in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , Rz 19 ff.; BRDrucks 54/11, S. 55 f.).

b) Der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. verwendete Berufsausbildungsbegriff ist enger auszulegen als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Tatbestandsmerkmal "Kind, das ... für einen Beruf ausgebildet wird" (BFH-Urteil in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , Rz 22 ff.; BRDrucks 54/11, S. 55 f.).

c) Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führen soll oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach der systematischen Stellung, dem Zweck der Vorschrift und der Funktion des Familienleistungsausgleichs darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (BFH-Urteil in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , Rz 25 ff.; Seiler in Kirchhof, EStG , 14. Aufl., § 32 Rz 17). Auch im Rahmen der durch § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG erfolgten Abgrenzung zwischen der steuerrechtlich zu berücksichtigenden Unterhaltsverantwortung der Eltern für "eine" Ausbildung des Kindes und der Verantwortung des Kindes für die eigene Unterhaltssicherung darf bei mehraktigen Ausbildungen das von den Eltern und dem Kind bestimmte Berufsziel nicht außer Betracht gelassen werden (BFH-Urteil in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , Rz 30).

d) Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Abzustellen ist dabei darauf, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (BFH-Urteil in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , Rz 30).

e) Die in § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F. vorgesehene Einschränkung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. steht dieser Auslegung nicht entgegen (BFH-Urteil in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , Rz 31 f.).

f) Für eine Beschränkung des Erstausbildungsbegriffes auf den ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss spricht auch nicht, dass bei Kindern, die nach einem solchen Abschluss einer den Umfang des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F. überschreitenden Erwerbstätigkeit nachgehen, die Freistellung des Existenzminimums des Kindes im Rahmen der Besteuerung der Einkünfte des Kindes stattfindet, so dass bei Anwendung der Verwaltungsauffassung eine effektive steuerrechtliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes sowohl auf der Ebene der Besteuerung der Eltern als auch auf der Ebene der Besteuerung des Kindes fehlschlagen könnte (BFH-Urteil in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , Rz 33).

g) Bei der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. verwendeten Begriffe der erstmaligen beruflichen Ausbildung und des Erststudiums besteht keine Bindung an eine ggf. abweichende Auslegung dieser Begriffe im Rahmen des § 12 Nr. 5 EStG (BFH-Urteil in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , Rz 34; s.a. BFH-Urteil vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314 , BStBl II 2004, 884 ).

3. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze, die das FG in seinem Urteil noch nicht berücksichtigen konnte, auf den Streitfall ist das FG zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Erstausbildung der A mit der bestandenen Prüfung zur Fachinformatikerin beendet war. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des FG zum Studienvertrag, zur Studienordnung, zur Unterstützungserklärung und zum Ausbildungsvertrag bildete die Ausbildung zur Fachinformatikerin einen integrativen Bestandteil des von A angestrebten Abschlusses "Bachelor of Science (Wirtschaftsinformatik)" im Rahmen des Studiums an der Hochschule. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben.

a) Dass die beiden von A angestrebten Abschlüsse in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang standen, ergibt sich bereits aus der Bescheinigung der Hochschule vom 23. August 2012, wonach es sich bei der Ausbildung der A um ein duales Studium in Wirtschaftsinformatik mit parallel laufender Ausbildung zur Fachinformatikerin handelte. Eine parallele Ausbildungs- und Berufstätigkeit während des gesamten Studiums sei notwendig.

b) Der Inhalt der Bescheinigung wird durch den Studienvertrag i.V.m. der Studienordnung bestätigt. Die Zulassung zum Studium erfolgte gemäß § 1 des Studienvertrags nur vorbehaltlich der Regelungen des § 3. Nach § 3 des Studienvertrags setzte die Aufnahme des Studiums den Abschluss eines Volontariatsvertrags mit einem Unternehmen und der Abgabe einer Unterstützungserklärung voraus, nach der es dem Studenten u.a. ermöglicht wird, in den lehrveranstaltungs- und prüfungsfreien Zeiten die berufspraktische Ausbildung zu durchlaufen. Nach § 4 des Studienvertrags i.V.m. der Studienordnung zielte der Studiengang auf die organisatorische Verzahnung von wissenschaftlichem Studium und beruflicher Praxis (§ 2 der Studienordnung), wobei im ausbildungsintegrierten Studium ein Volontariat in Anlehnung an eine berufspraktische Ausbildungsordnung ein Praktikum ersetzte (§ 6.3 der Studienordnung). Die Prüfung zum Bachelor of Science war nur dann bestanden, wenn die Praxisnachweise nach § 6 erbracht waren (§ 10.2 der Studienordnung).

c) Zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Studienvertrag i.V.m. der Studienordnung sah die Unterstützungserklärung der Bank vor, dass es A von der Bank ermöglicht werde, in den ersten vier Semestern des Studiums an den Lehrveranstaltungen und Prüfungen der Hochschule teilzunehmen und in den lehrveranstaltungs- und prüfungsfreien Zeiten die berufspraktische Ausbildung zur Fachinformatikerin zu durchlaufen. Die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen an die berufspraktische Ausbildung während der ersten vier Semester ergaben sich aus der Verordnung über die Berufsausbildung zum IT-Fachinformatiker sowie dem mit der IHK abgestimmten Ausbildungsplan. A wurde die Möglichkeit eingeräumt, parallel zum 4. Fachsemester des Studiums die schriftliche und mündliche Prüfung zur Fachinformatikerin abzulegen; im Anschluss war eine Teilzeitbeschäftigung bei der Bank vorgesehen.

d) Auch der —zeitlich nach dem Studienvertrag abgeschlossene— Ausbildungsvertrag der A mit der Bank zeigt die sachliche und zeitliche Verzahnung: Er definierte in Ziff. 1 zunächst die Ziele des Studiums an der Hochschule und legte erst danach fest, dass die Bank A parallel zum Studium eine praktische Ausbildung vermittelt, deren Anforderungen sich aus der Verordnung über die Berufsausbildung zur Fachinformatikerin ergeben. Die praktische Ausbildung in der Bank während der ersten vier Semester erfolgte im "3-Tage-Modell" (drei Wochentage in der Bank, drei Wochentage an der Hochschule). Die Bank verpflichtete sich, A die Teilnahme an den Lehrveranstaltungen und Prüfungen im ausbildungsintegrierten Studium an der Hochschule zu ermöglichen. A verpflichtete sich nach Ziff. 12 des Ausbildungsvertrags (neben der eigentlichen Ausbildung) u.a. auch dazu, an allen Lehrveranstaltungen der Hochschule, die für ihren Studiengang vorgesehen sind, teilzunehmen, der Bank regelmäßig den Nachweis eines der Studienordnung entsprechenden Studienverlaufs zu erbringen, an den Prüfungen der Hochschule teilzunehmen und der Bank die Ergebnisse der Prüfungen unverzüglich mitzuteilen. Nach Ziff. 15 des Ausbildungsvertrags stand dieser unter dem Vorbehalt einer erfolgreichen Teilnahme am Auswahlverfahren der Hochschule.

e) Die Verzahnung wird auch dadurch bestätigt, dass beide Abschlüsse der A sich schwerpunktmäßig auf denselben Fachbereich, nämlich die Informatik, bezogen und damit —wenn auch auf unterschiedlichen Qualifikationsstufen— auf dasselbe Berufsfeld vorbereiteten.

f) Das zunächst parallel betriebene Studium wurde überdies nach Beendigung der Ausbildung zur Fachinformatikerin nahtlos fortgeführt und beendet. Der sich an den Ausbildungsvertrag anschließende Arbeitsvertrag mit der Bank vom Juni 2011 sah bis zum erfolgreichen Abschluss des berufsbegleitenden (Haupt–)Studiums eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 60 % sowie besondere Arbeitsbedingungen während des Praxis- und Auslandssemesters der Hochschule vor.

g) Der Senat darf diese Würdigung selbst vornehmen. Zwar ist der BFH grundsätzlich daran gehindert, die festgestellten Tatsachen selbst zu würdigen; eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn das FG alle für die Würdigung erforderlichen Tatsachen festgestellt hat und diese nach den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen für eine bestimmte Schlussfolgerung sprechen, die das FG nicht gezogen hat (vgl. BFH-Urteile vom 22. August 2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351 , unter II.2.; vom 5. November 2013 VIII R 20/11, BFHE 243, 481 , BStBl II 2014, 275 , Rz 16; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 118 FGO Rz 145; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung , 7. Aufl., § 118 Rz 57).

Im Übrigen ist auch das FG auf Seite 22 seines Urteils davon ausgegangen, dass das eigentliche Ausbildungsziel der A der Abschluss zum Bachelor of Science (Wirtschaftsinformatik) war.

4. Die Sache ist spruchreif. Dem Kläger steht Kindergeld für A zu.

a) Da auch das Hauptstudium an der Hochschule bis zum Bachelorabschluss noch Teil der Erstausbildung der A ist, kommt es nicht darauf an, ob A im Streitzeitraum (Januar bis März 2012) einer schädlichen Erwerbstätigkeit i.S. des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG n.F. nachgegangen ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , Rz 36). Insbesondere kann deshalb dahinstehen, ob die wöchentliche Arbeitszeit der A im Streitzeitraum (Januar bis März 2012) trotz der mit Schreiben vom 27. Mai 2011 von der Bank verfügten Freistellung der A —unter Fortzahlung ihrer Vergütung— für das Auslandssemester und das Auslandspraktikum (Zeit vom 8. Juni 2011 bis 5. März 2012) mehr als 20 Stunden betrug, wie das FG angenommen hat und mit der Revision angegriffen wird.

b) Da der Klage auf der Grundlage des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG stattzugeben ist, bedarf keiner Entscheidung, ob dessen rückwirkende Einführung zum 1. Januar 2012 verfassungsgemäß ist (ebenso offenlassend BFH in BFHE 246, 427 , BStBl II 2015, 152 , Rz 15 ff.).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO .

6. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 121 Satz 1, § 90 Abs. 2 FGO ).

Vorinstanz: Hessisches Finanzgericht, vom 21.11.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 8 K 807/12