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BFH - Entscheidung vom 14.07.2015

VIII R 21/13

Fundstellen:
BFHE 253, 1

BFH, Urteil vom 14.07.2015 - Aktenzeichen VIII R 21/13

DRsp Nr. 2015/19402

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 27. Februar 2013 2 K 266/12 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute und erzielten beide in den Streitjahren 2001 bis 2003 ausländische Kapitalerträge, die zunächst nicht im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für die Streitjahre erklärt und infolgedessen vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) bei der Einkommensteuerveranlagung der Kläger nicht berücksichtigt wurden.

Nachdem die Kläger im Rahmen einer Selbstanzeige die ausländischen Kapitalerträge mit geschätzten Werten nacherklärt hatten, änderte das FA die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre mit Bescheiden vom 11. März 2010 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ( AO ) und führte in den Änderungsbescheiden unter dem Punkt "Art der Festsetzung" aus:

  "Der Bescheid ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert. Er ist nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO vorläufig, soweit dies im Erläuterungsteil ausgeführt ist. Er ist nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO vorläufig."  

Ziffer 1 der Erläuterungen der Bescheide bezeichnete den Vorläufigkeitskatalog nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO wie folgt:

  "Die Festsetzung der Einkommensteuer ist gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO vorläufig hinsichtlich 
-   der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages  
-   der Höhe des Grundfreibetrages (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG ) ...". 

Unter den weiteren Erläuterungen führte das FA aus:

  "Die Festsetzung der Einkommensteuer ist vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus Kapitalvermögen – Kapitalerträge aus den Anlagen bei der ... in der Schweiz und der ... in Österreich -, weil die endgültigen Werte noch nicht vorliegen". 

Die dagegen eingelegten Einsprüche nahmen die Kläger auf den Hinweis des FA zurück, dass die Einkommensteuer für die Streitjahre im Hinblick auf die vorläufig gestellten Punkte aufgrund des Vorläufigkeitsvermerks weiter offen sei.

Aufgrund einer Mitteilung über geänderte Beteiligungseinkünfte änderte das FA die Einkommensteuerbescheide unter Bezugnahme auf § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO erneut mit Bescheiden vom 9. August 2010 und führte unter "Art der Festsetzung" jeweils aus:

  "Der Bescheid ist nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert. Er ist nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO vorläufig, soweit dies im Erläuterungsteil ausgeführt ist." 

Dementsprechend enthielt der Erläuterungsteil nur die Hinweise zum Vorläufigkeitskatalog des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO entsprechend den Änderungsbescheiden vom 11. März 2010,

  "Die Festsetzung der Einkommensteuer ist gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO vorläufig hinsichtlich 
der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages  
der Höhe des Grundfreibetrages (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG ) ...". 

Der Bescheid enthielt jedoch keinen Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO mehr und auch keinen Hinweis auf die Aufhebung des noch in den Bescheiden vom 11. März 2010 enthaltenen Vorläufigkeitsvermerks wegen des Ansatzes der Einkünfte aus Kapitalvermögen.

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) der Klage mit Urteil vom 27. Februar 2013 2 K 266/12 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 239 ) stattgegeben und den angefochtenen Ablehnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit der Begründung aufgehoben, das FA sei zur Durchführung der beantragten Änderung verpflichtet, weil die Voraussetzungen des § 165 Abs. 2 Satz 2 AO vorlägen. Denn das FA habe den auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk weder aufgehoben noch sei dieser durch den allein auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk in den Bescheiden vom 9. August 2010 ersetzt worden.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 165 AO . Das FG weiche von den Rechtsgrundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Oktober 1999 IX R 23/98 (BFHE 190, 44 , BStBl II 2000, 282 ) ab.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

Zu Unrecht hat das FG angenommen, die Änderungsbescheide vom 9. August 2010 hätten die mit den vorangegangenen Bescheiden vom 11. März 2010 ausgesprochene Vorläufigkeit der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen unberührt gelassen, so dass die Kläger die Änderung der Einkommensteuerbescheide vom 9. August 2010 unter Ansatz der neu ermittelten Einkünfte aus Kapitalvermögen beanspruchen könnten.

1. Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Steuerfestsetzungen aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat.

Die Voraussetzungen für eine solche vorläufige Steuerfestsetzung enthält § 165 Abs. 1 AO . Danach kommt eine vorläufige Steuerfestsetzung in Betracht, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind (Satz 1 der Vorschrift) oder einer der in Satz 2 der Vorschrift geregelten Tatbestände gegeben ist.

a) Hat das FA die Steuer —wie im Streitfall mit den Bescheiden vom 11. März 2010— unter Bezugnahme auf Gründe i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AO vorläufig festgesetzt, so bleibt der Vorläufigkeitsvermerk bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung wirksam. Eine stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks durch eine Änderungsveranlagung, auch wenn sie auf eine (andere) Korrekturvorschrift gestützt ist, ist ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteile vom 15. Juli 1987 X R 19/80, BFHE 150, 459 , BStBl II 1987, 746 ; vom 9. September 1988 III R 191/84, BFHE 154, 430 , BStBl II 1989, 9 ; vom 22. November 1994 VII R 40/94, BFH/NV 1995, 1108 ).

b) Keine solche —unwirksame— stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks, sondern dessen inhaltlich neue Bestimmung ist gegeben, wenn dem Änderungsbescheid im Verhältnis zum Ursprungsbescheid ein inhaltlich eingeschränkter Vorläufigkeitsvermerk beigefügt wird. Der Steuerpflichtige muss den in einem Änderungsbescheid enthaltenen —geänderten— Vorläufigkeitsvermerk grundsätzlich so verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist (s. BFH-Urteile vom 19. Oktober 1999 IX R 23/98, BFHE 190, 44 , BStBl II 2000, 282 ; vom 21. August 2013 X R 20/10, BFH/NV 2014, 524 , unter Rz 27; vom 16. April 2013 IX R 3/12, BFH/NV 2013, 1377 ). Dies gilt auch, wenn —wie im Streitfall— ein sowohl auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO als auch auf Satz 2 dieser Vorschrift gestützter Vorläufigkeitsvermerk im geänderten Bescheid durch einen allein auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk ersetzt wird.

2. Nach diesen Grundsätzen sind die Steueränderungsbescheide für die Streitjahre 2001 bis 2003 vom 9. August 2010 nicht mehr änderbar, weil die Voraussetzungen der insoweit allein in Betracht kommenden Änderungsnorm des § 165 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 AO nicht vorliegen.

Denn entgegen der Ansicht der Kläger enthielten die Steueränderungsbescheide vom 9. August 2010 hinsichtlich der Höhe der Einkünfte aus Kapitalvermögen keinen Vorläufigkeitsvermerk i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO mehr.

Dies folgt unmittelbar aus dem oben wiedergegebenen Wortlaut der Bescheide.

Dafür, dass das FA die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung abweichend von dem abschließend formulierten Vermerk aus der Sicht der Bescheidadressaten auf andere Tatbestände des § 165 Abs. 1 AO erstreckt wissen wollte, ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte.

3. Da die Vorentscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO .

Vorinstanz: FG Niedersachsen, vom 27.02.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 2 K 266/12
Fundstellen
BFHE 253, 1