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BFH - Entscheidung vom 15.07.2015

VIII B 56/15

Normen:
§ 65 Abs 1 FGO
§ 65 Abs 2 FGO
FGO § 65 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
BFH/NV 2015, 1429

BFH, Beschluss vom 15.07.2015 - Aktenzeichen VIII B 56/15

DRsp Nr. 2015/15127

Anforderungen an die Substantiierung des Gegenstandes des Klagebegehrens im finanzgerichtlichen Verfahren

NV: Für die Bezeichnung des Klagebegehrens im Sinne des § 65 Abs. 1 FGO ist entscheidend, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt. Hierfür kann grundsätzlich auch ein auf die Aufhebung des streitigen Steuerbescheides nebst Einspruchsentscheidung gerichteter Antrag genügen. Da gilt insbesondere, wenn der Kläger zugleich hinreichend deutlich macht, dass er eine seiner Steuererklärung entsprechende Veranlagung erstrebt.

Hat der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren beantragt, die streitgegenständlichen Steuerbescheide und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben und sich dabei auf die Einspruchsentscheidung und die Einkommensteuerbescheide bezogen und diese der Klage beigefügt, so ergibt sich hieraus im Wege der gebotenen rechtsschutzgewährenden Auslegung jedenfalls dann der Umfang des Klagebegehrens, wenn aus den Einkommensteuerbescheiden ersichtlich ist, dass und in welchem Umfang das Finanzamt geltend gemachte Kosten nicht anerkannt hat.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 15. April 2015 12 K 2770/12 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Normenkette:

FGO § 65 Abs. 1 S. 1;

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreites (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) an das Finanzgericht (FG).

Der mit der Beschwerde in zulässiger Weise geltend gemachte Verfahrensmangel, das FG habe zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden, liegt vor. Das Urteil des FG beruht auf diesem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 , § 119 Nr. 3 FGO ).

1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt es einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine tatsächlich zulässige Klage nicht in der Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 12. März 2014 III B 65/13, BFH/NV 2014, 1059 ; vom 17. November 2003 XI B 213/01, BFH/NV 2004, 514 , m.w.N.).

2. Der gerügte Verfahrensmangel liegt vor, denn die Klage genügte den gesetzlichen Anforderungen.

a) Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ist für eine Anfechtungsklage neben der Angabe des Klägers, des Beklagten und des angefochtenen Verwaltungsakts sowie der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zusätzlich die Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens erforderlich. Genügt die Klageschrift nicht diesen Erfordernissen, so hat der Vorsitzende oder der Berichterstatter den Kläger zur Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern (§ 65 Abs. 2 Satz 1 FGO ). Er kann ihm für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Erfordernisse fehlt (§ 65 Abs. 2 Satz 2 FGO ). Entspricht die eingereichte Klage den in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Erfordernissen, ist eine gleichwohl verfügte Ausschlussfrist hinfällig (BFH-Beschlüsse vom 17. Oktober 1996 V B 75/96, BFH/NV 1997, 415 , und vom 22. Januar 2003 VIII B 63/02, BFH/NV 2003, 790 ).

Wie weit das Klagebegehren im Einzelnen zu substantiieren ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Streitfalles ab, insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes, der Steuer- und der Klageart (z.B. BFH-Beschluss vom 28. Juni 2012 XI B 44/12, BFH/NV 2012, 1811 ). Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 1811 ).

Gegebenenfalls muss der Gegenstand des Klagebegehrens im Wege der Auslegung festgestellt werden (s. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 1811 ). Ein bloßer Aufhebungsantrag kann daher genügen, wenn für das FG zweifelsfrei erkennbar ist, dass der Kläger sich gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids dem Grunde nach wendet (s. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 1811 ).

Bei der Auslegung einer Klage sind sämtliche dem FG erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 14. Juni 2000 X R 18/99, BFH/NV 2001, 170 , und vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, BFHE 201, 409 , BStBl II 2003, 606 ). Hierzu gehören insbesondere auch der Inhalt der in der Klageschrift bezeichneten Einspruchsentscheidung (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 790 ) und die mit der Klage überreichten Anlagen.

b) Im Streitfall hatte die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) zunächst beantragt, die streitgegenständlichen Steuerbescheide und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben. Sie hatte sich dabei sowohl auf die Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2012 als auch auf die streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheide für 2007 und 2008 bezogen und diese "zur Präzisierung des Streitgegenstandes" beigefügt. Hieraus ergibt sich —entgegen der Auffassung des FG— im Wege der gebotenen, rechtsschutzgewährenden Auslegung der Umfang des Klagebegehrens der Klägerin. Denn in den Einkommensteuerbescheiden —auf die sich die Klägerin ausdrücklich bezieht— hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) erläutert, welche Kosten nicht anerkannt werden könnten, weil die mit Schreiben vom 17. Januar 2012 angeforderten Belege nicht eingereicht worden seien. Das FA hat zudem ergänzend auf die Erläuterungen im Schreiben vom 17. Januar 2012 verwiesen. Aus der —ebenfalls in Bezug genommenen— Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2012 ist ersichtlich, dass die Klägerin ihre gegen die Einkommensteuerbescheide gerichteten Einsprüche mit dem Einwand begründet hat, sie habe die angeforderten Belege persönlich fristgerecht in den Briefkasten eingeworfen. Das FA ging indes von der Verletzung der Mitwirkungspflichten der Klägerin aus und wies darauf hin, dass die vorliegenden Belege insoweit berücksichtigt worden seien, als dies aus rechtlichen Gründen zulässig gewesen sei.

Hieraus folgt, dass die Klägerin bereits mit der Klageerhebung hinreichend deutlich gemacht hat, dass sie eine —von der Auffassung des FA abweichende— erklärungsgemäße Veranlagung erstrebt. Dies genügt für die Darlegung des Gegenstandes des Klagebegehrens i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO . Das FG hat demgegenüber die Anforderungen an die Darlegung des Klagebegehrens überspannt.

Zudem hat die Klägerin innerhalb der —wegen der Verkennung der Anforderungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO unwirksam gesetzten— Ausschlussfrist erklärt, sie begehre die Herabsetzung der Einkommensteuer für die Streitjahre unter Berücksichtigung der durch die eingereichten Belege abziehbaren Aufwendungen. Mithin hat die Klägerin spätestens zu diesem Zeitpunkt hinreichend deutlich gemacht, dass sie eine erklärungsgemäße Veranlagung erreichen will. Sie hat damit den Gegenstand ihres Klagebegehrens hinreichend dargelegt.

Dass sie die Höhe der Aufwendungen nicht beziffert hat, steht dem nicht entgegen. Eine solche Bezifferung ist entbehrlich, wenn das Klagebegehren auf eine erklärungsgemäße Veranlagung gerichtet ist. Denn in einem solchen Fall ergibt sich die betragsmäßige Begrenzung des Klagebegehrens aus den Angaben der Steuererklärung.

Die Klägerin musste —entgegen der Auffassung des FG— nicht darlegen, aus welchem Rechtsgrund oder im Hinblick auf welche Einkunftsart sie eine Herabsetzung der Steuer begehrte. Eine entsprechende Begründung ihres Anspruchs war zur Darlegung des Klagebegehrens i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht erforderlich.

Dass für das Jahr 2008 während des Klageverfahrens ein geänderter Einkommensteuerbescheid ergangen ist, führt zu keinem anderen Ergebnis.

3. Die angefochtene Entscheidung beruht auf dem Verfahrensmangel. Sie ist mithin aufzuheben. Es erscheint zudem sachgerecht, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO ), da im Streitfall von einer Revisionszulassung keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: Finanzgericht Baden-Württemberg, vom 15.04.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 12 K 2770/12
Fundstellen
BFH/NV 2015, 1429