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BFH - Entscheidung vom 27.10.2015

VIII R 59/13

Normen:
§ 45 AO
§ 119 AO
§ 157 AO
§ 1922 BGB
§ 124 Abs 3 AO
§ 125 Abs 1 AO
AO § 119 Abs. 1
AO § 157 Abs. 1 S. 2

BFH, Urteil vom 27.10.2015 - Aktenzeichen VIII R 59/13

DRsp Nr. 2016/4720

Anforderungen an die Bestimmtheit eines gegenüber dem Erben ergangenen Steuerbescheides

NV: Ein Steuerbescheid, mit dem das Finanzamt einen Miterben für die Steuerschuld des vor Durchführung der Einkommensteuerveranlagung verstorbenen Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt, muss den Erfordernissen des § 157 AO genügen. Die Bezeichnung des Miterben als "Rechtsnachfolger" des Erblassers in diesem Kontext kann unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zur Bestimmung des Steuerschuldners genügen.

Ein an den Erben "als Rechtsnachfolger" des Erblassers adressierter Steuerbescheid ist hinreichend bestimmt, da der Steuerpflichtige im Bescheid entnehmen kann, dass er als Erbe für Steuerverbindlichkeiten des Erblassers herangezogen werden soll. Dabei ist es unschädlich, dass der Steuerpflichtige nicht Alleinerbe ist und die übrigen Miterben nicht namentlich benannt sind.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 19. April 2013 14 K 3020/10 E aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Normenkette:

AO § 119 Abs. 1 ; AO § 157 Abs. 1 S. 2;

Gründe

I. Streitig ist, ob die gegenüber dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erfolgte Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2005 nichtig ist.

Der Kläger ist Steuerberater und Erbe des am 6. April 2006 verstorbenen J.H. Ausweislich des Erbscheins vom 21. März 2007 wurde J.H. von G.P., B.S. und N.P. zu jeweils 1/9 sowie von F.T. und dem Kläger zu jeweils 1/3 beerbt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) erließ am 27. März 2007 einen auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhenden, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid 2005, den er an "Herrn RA C. ... als Nachlasspfleger für Herrn J.H." bekannt gab. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 2008 reichte die Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatersozietät K GbR (nachfolgend: Sozietät K) eine Steuererklärung für das Streitjahr ein, in der die von dem verstorbenen J.H. erzielten Einkünfte erklärt wurden. Die Erklärung ist lediglich mit einer Unterschrift versehen und enthält die Anweisung, den zu erlassenden Steuerbescheid an die Sozietät K zu senden.

Nachdem der Kläger von der Einreichung der Steuererklärungen erfahren hatte, wandte er sich mit Schreiben vom 17. November 2008 an das FA. Er erklärte, erst nachträglich erfahren zu haben, dass Einkommensteuererklärungen eingereicht worden seien. Diese seien seines Erachtens mangels Unterschrift nichtig und zudem nicht vollständig.

Sodann setzte das FA die Einkommensteuer für das Streitjahr mit Bescheid vom 6. April 2009 auf 64.011 € herab und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Diesen Bescheid gab das FA an die Sozietät K bekannt. In dem an den Kläger gerichteten Bescheid ist der Zusatz "als Rechtsnachfolger für Herrn J.H., N–straße in H" enthalten. Die einzelnen Mitglieder der Erbengemeinschaft sind nicht namentlich bezeichnet. Ein Hinweis auf eine Gesamtschuldnerschaft der Miterben sowie darauf, dass ein Bescheid gleichen Inhalts auch anderen Personen zugesandt wurde, ist ebenfalls nicht enthalten.

Am 11. Mai 2009 ging beim FA ein Schreiben der Sozietät K ein, mit dem diese "namens und im Auftrage der Rechtsnachfolger des verstorbenen Herrn J.H." Einspruch gegen den für das Streitjahr ergangenen Einkommensteuerbescheid einlegte.

Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 7. Juli 2009 (Eingang 9. Juli 2009), dem er u.a. eine vom ihm unterzeichnete Steuererklärung für das Streitjahr beigefügt hatte, an das FA und beanstandete, keine Antwort auf sein Schreiben vom 17. November 2008 erhalten zu haben. Hierauf teilte das FA dem Kläger mit, dass am 6. April 2009 für das Streitjahr ein Einkommensteuerbescheid an ihn bekannt gegeben worden sei. Dem trat der Kläger in seinem Schreiben vom 3. November 2009 entgegen. Er erklärte, nicht durch das FA, sondern durch den Steuerberater der übrigen Erben am 29. Juni 2009 eine Fotokopie des an diese gerichteten Bescheides erhalten zu haben. Vom FA liege ihm lediglich eine Umbuchungsmitteilung vom 27. Mai 2009 vor. Er bat um erklärungsgemäße Veranlagung und förmliche Zustellung des Bescheides.

Am 1. Februar 2010 erließ das FA erneut einen Änderungsbescheid, in dem es die Einkommensteuer für 2005 auf 39.507 € herabsetzte. Diesen Bescheid gab das FA an die Sozietät K und den Kläger bekannt. In dem an den Kläger bekannt gegebenen Bescheid ist dieser "als Rechtsnachfolger des verstorbenen J.H., N–straße in H" bezeichnet. Der Bescheid enthält keinen Hinweis auf eine gesamtschuldnerische Haftung der Erben des J.H. sowie darauf, dass ein Bescheid gleichen Inhalts auch noch anderen Personen zugesandt wurde.

Gegen den Bescheid vom 1. Februar 2010 legte der Kläger am 16. Februar 2010 Einspruch ein.

Mit einer an sämtliche, namentlich benannte, Mitglieder der Erbengemeinschaft "als Rechtsnachfolger für den verstorbenen J.H., N–straße in H" gerichteten Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2010 setzte das FA die Einkommensteuer für das Streitjahr 2005 auf 31.810 € herab, im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde sowohl an die Sozietät K als auch den Kläger bekannt gegeben.

Hiergegen erhob der Kläger Klage.

In der mündlichen Verhandlung beantragte er auf Hinweis des Gerichtes, den an ihn bekannt gegebenen Einkommensteuerbescheid für 2005 und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise, den Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 1. Februar 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2010 aufzuheben und die Steuer —nach Minderung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung um 3.017 € sowie Berücksichtigung im Einzelnen näher bezeichneter Aufwendungen— niedriger festzusetzen.

Das Finanzgericht (FG) hob mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 238 veröffentlichtem Urteil vom 19. April 2013 14 K 3020/10 E dem Hauptantrag des Klägers entsprechend den Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 1. Februar 2010 und die Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2010, soweit sie an den Kläger bekannt gegeben worden war, auf. Es war der Auffassung, der Bescheid vom 1. Februar 2010 sei nichtig, da die Bezeichnung des Klägers als "Rechtsnachfolger des verstorbenen J.H." eindeutig falsch sei. Der Kläger sei weder Einzel- noch alleiniger Gesamtrechtsnachfolger gewesen. Zudem habe ein Hinweis auf die Haftung als Gesamtschuldner gefehlt. Der Kläger sei daher unrichtigerweise als alleiniger Schuldner der festgesetzten Steuer bezeichnet worden. Das FG sah auch die Einspruchsentscheidung als rechtsfehlerhaft an. Diese habe den Mangel des Bescheides vom 1. Februar 2010 nicht heilen können. Zudem habe das FA das Schreiben des Klägers vom 9. Juli 2009 fälschlicherweise als Einspruch gewertet und so über einen nicht eingelegten Einspruch des Klägers entschieden.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts sowie die Verletzung von Verfahrensrecht.

Das FA beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.

II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

1. Die Entscheidung des FG, die an den Kläger bekannt gegebene Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2010 und den an ihn bekannt gegebenen Einkommensteueränderungsbescheid vom 1. Februar 2010 aufzuheben, ist rechtsfehlerhaft. Weder der Einkommensteueränderungsbescheid vom 1. Februar 2010 noch die an den Kläger bekannt gegebene Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2010 waren nichtig und aus diesem Grunde (isoliert) aufzuheben.

a) Der Einkommensteueränderungsbescheid vom 1. Februar 2010 war nicht wegen mangelnder Bestimmtheit des Inhaltsadressaten nichtig.

aa) Ein Steuerbescheid muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 der Abgabenordnung —AO—). Dazu muss er angeben, wer die Steuer schuldet (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO ). Lässt ein Bescheid den Schuldner nicht erkennen oder bezeichnet er ihn so ungenau, dass Verwechslungen nicht ausgeschlossen sind, kann er wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nicht befolgt werden und ist unwirksam (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 17. November 2005 III R 8/03, BFHE 212, 72 , BStBl II 2006, 287 ; vom 23. Februar 1995 VII R 51/94, BFH/NV 1995, 862 ).

Auch ein Steuerbescheid, mit dem ein Erbe als Gesamtrechtsnachfolger für die Steuerschuld des vor Durchführung der Einkommensteuerveranlagung verstorbenen Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werden soll, muss angeben, wer die Steuer schuldet. Steuerschuldner in diesem Sinne ist in solchen Fällen der Gesamtrechtsnachfolger (BFH-Urteil vom 28. Juni 1984 IV R 204–205/82, BFHE 141, 461 , BStBl II 1984, 784 ). Dieser ist (noch) hinreichend bezeichnet, wenn der Bescheid als Adressaten der Steuerfestsetzung den Rechtsvorgänger zu Händen des Rechtsnachfolgers als Erben ausweist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 28. März 1973 I R 100/71, BFHE 109, 123 , BStBl II 1973, 544 , und in BFHE 141, 461 , BStBl II 1984, 784 ).

Wurde der Erblasser von mehreren Personen beerbt und sind diese deshalb Gesamtschuldner, so steht es dem FA frei, ob es sämtliche Miterben in einem nach § 155 Abs. 3 AO zusammengefassten Bescheid heranziehen will (vgl. BFH-Urteile in BFHE 109, 123 , BStBl II 1973, 544 , und in BFHE 141, 461 , BStBl II 1984, 784 ). Gibt das FA einen Steuerbescheid im Wege der Einzelbekanntgabe bekannt, so ist nur der betreffende Erbe in der geschilderten Weise als Steuerschuldner zu bezeichnen. Denn nur ihm gegenüber dient dieser Bescheid als Grundlage der Steuererhebung (§ 218 Abs. 1 AO ). Ein Hinweis auf die Inanspruchnahme anderer Gesamtschuldner ist nicht erforderlich (BFH-Urteile vom 5. November 1980 II R 25/78, BFHE 132, 114 , BStBl II 1981, 176 , und in BFHE 141, 461 , BStBl II 1984, 784 ).

Welchen Regelungsgehalt ein Verwaltungsakt hat, ist über den bloßen Wortlaut hinaus im Wege der Auslegung zu ermitteln (z.B. BFH-Urteil vom 11. Juli 2006 VIII R 10/05, BFHE 214, 18 , BStBl II 2007, 96 ). Maßgebend für die Auslegung eines Verwaltungsakts ist der objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Empfänger nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (z.B. BFH-Urteile vom 21. Juli 2011 II R 6/10, BFHE 234, 474 , BStBl II 2011, 906 , sowie vom 15. April 2010 V R 11/09, BFH/NV 2010, 1830 ). Es kommt grundsätzlich nicht darauf an, was die Finanzbehörde erklären wollte oder wie ein außenstehender Dritter den Verwaltungsakt auffassen konnte. Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus deren Sphäre nicht benachteiligt werden darf (z.B. BFH-Urteil in BFHE 214, 18 , BStBl II 2007, 96 ).

Zur Auslegung ist auch das Revisionsgericht befugt, wenn die tatsächlichen Feststellungen des FG hierzu ausreichen (z.B. BFH-Urteil vom 24. August 2005 II R 16/02, BFHE 210, 515 , BStBl II 2006, 36 ). Eine Bindung an die Auslegung eines Bescheides durch das FG besteht nicht (z.B. BFH-Urteil in BFHE 214, 18 , BStBl II 2007, 96 ). Vielmehr ist die Frage, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, vom Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu beantworten und ggf. zu korrigieren (BFH-Urteil in BFHE 214, 18 , BStBl II 2007, 96 ).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist der Einkommensteueränderungsbescheid vom 1. Februar 2010 —entgegen der Auffassung des FG— nicht nichtig, denn wer Inhaltsadressat und Schuldner der Steuer ist, ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit.

Die in dem Bescheid vom 1. Februar 2010 verwendete Bezeichnung des Klägers als "Rechtsnachfolger des verstorbenen J.H." ist nicht —wie das FG meint— eindeutig falsch, sondern zutreffend. Der Kläger ist Rechtsnachfolger des verstorbenen J.H. Dass er als Erbe Gesamtrechtsnachfolger des J.H. geworden ist (vgl. § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ), ändert an der Richtigkeit der Bezeichnung "Rechtsnachfolger" nichts. Als Oberbegriff ist diese Bezeichnung möglicherweise weniger präzise als die Bezeichnung "Gesamtrechtsnachfolger", sie ist jedoch nicht falsch, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger einer von mehreren Gesamtrechtsnachfolgern nach dem verstorbenen J.H. war.

Der Kläger konnte aus der Bezeichnung "Rechtsnachfolger" nach dem verstorbenen J.H. mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass er als Erbe für die Steuerverbindlichkeiten des J.H. herangezogen werden sollte (vgl. § 45 AO ). Ein Hinweis auf die Inanspruchnahme der weiteren Erben —d.h. anderer Gesamtschuldner— war nicht erforderlich.

Der an den Kläger gerichtete Bescheid vom 1. Februar 2010 ist auch nicht deshalb unbestimmt, weil die übrigen Miterben nicht namentlich benannt waren. Denn ungeachtet dieses Umstandes ergab sich für den Kläger —wie dargelegt— seine Steuerschuldnerschaft als Rechtsnachfolger des J.H. mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Inhalt des Bescheides. Aus der vom FG zur Begründung seiner Auffassung herangezogenen Entscheidung des BFH in BFHE 212, 72 , BStBl II 2006, 287 folgt nichts anderes. Im Einzelfall kann ein an eine —namentlich nicht konkret bezeichnete— Erbengemeinschaft gerichteter Bescheid, der weder selbst noch durch Verweis auf den Beteiligten bekannte Unterlagen die Mitglieder der Erbengemeinschaft als Inhaltsadressaten erkennen lässt, inhaltlich nicht hinreichend bestimmt sein. Hieraus folgt indes nicht, dass der an den namentlich zutreffend benannten und als Rechtsnachfolger —des ebenfalls namentlich benannten J.H.— bezeichneten Kläger gerichtete Bescheid nicht deshalb hinreichend bestimmt ist, weil er die Namen der Miterben nicht enthalten hat. Trotz dieses Umstandes war für den Kläger ersichtlich, dass er als Rechtsnachfolger nach J.H. für dessen Steuern in Anspruch genommen werden sollte. Ihm waren zudem die übrigen Erben bekannt. Ebenso wusste er, dass die übrigen Miterben bezüglich der Veranlagung für das Streitjahr (ebenfalls) mit dem FA in Kontakt standen. Durch die ihm seit Juni 2009 vorliegende Kopie des an die Miterben gerichteten Bescheides vom 6. April 2009 war der Kläger ebenfalls darüber unterrichtet, dass das FA die weiteren Miterben —neben ihm selbst— als Rechtsnachfolger nach J.H. in Anspruch genommen hatte.

Auch der Umstand, dass das FA am 1. Februar 2010 gegenüber den Miterben einen inhaltsgleichen Bescheid erlassen hat, ohne dessen Verhältnis zu dem an den Kläger gerichteten Bescheid klarzustellen, führt nicht zur Nichtigkeit. Es liegen nicht zwei verschiedene Versionen einer Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr vor, deren Verhältnis zueinander unklar oder widersprüchlich ist. Vielmehr existiert eine Steuerfestsetzung vom 1. Februar 2010, die im Wege der Einzelbekanntgabe einerseits an den Kläger und andererseits an die übrigen Miterben übermittelt worden ist.

War danach der Bescheid vom 1. Februar 2010 nicht nichtig, so ist die zur Beseitigung des von einem nichtigen Bescheid ausgehenden Rechtsscheins dienende Aufhebung (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteile vom 7. August 1985 I R 309/82, BFHE 145, 7 , BStBl II 1986, 42 , und vom 27. Februar 1997 IV R 38/96, BFH/NV 1997, 388 ) durch das FG rechtsfehlerhaft.

b) Das FG hat zu Unrecht auch die Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2010 aufgehoben.

aa) Die mit der (auch) an den Kläger bekannt gegebenen Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2010 erfolgte Steuerfestsetzung für das Streitjahr ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.

Die Einspruchsentscheidung, die verfahrensrechtlich mit dem ursprünglichen Verwaltungsakt einen Rechtsverbund bzw. eine Verfahrenseinheit in der Weise bildet, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt "in der Gestalt" (mit dem Inhalt) zu beurteilen ist, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat (§ 44 Abs. 2 FGO , vgl. auch BFH-Urteil vom 18. September 2014 VI R 80/13, BFHE 247, 111 , BStBl II 2015, 115 , m.w.N.), lässt ebenfalls mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, wer Inhaltsadressat der Steuerfestsetzung ist. Sie benennt alle Erben nach dem verstorbenen J.H. namentlich und bezeichnet sie als "Rechtsnachfolger" des verstorbenen J.H. Dies ist zutreffend. Einer Spezifizierung dahin, dass es sich um Gesamtrechtsnachfolger handelt, bedurfte es nicht (s. oben unter II.1.a bb). Auch bestehen an der Wirksamkeit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an den Kläger keine Zweifel.

bb) Entgegen der Auffassung des FG war die (isolierte) Aufhebung der Einspruchsentscheidung auch nicht deshalb geboten, weil das FA über einen vom Kläger nicht eingelegten Einspruch entschieden hat.

Zwar ist eine Rechtsbehelfsentscheidung aufzuheben, wenn der Kläger keinen Einspruch eingelegt hat (z.B. BFH-Urteile vom 19. Dezember 1995 III R 100/90, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 1560 ; III R 64/90, BFH/NV 1996, 729 ). Im Streitfall hat das FA jedoch mit der Einspruchsentscheidung über einen vom Kläger tatsächlich eingelegten Einspruch entschieden.

Die Auslegung der Einspruchsentscheidung durch das FG ergibt, dass das FA über den fristgerecht eingelegten Einspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 1. Februar 2010 entschieden hat.

Gegenstand der Entscheidung des FA auch in Bezug auf den Kläger war der Bescheid vom 1. Februar 2010. Dies ergibt sich —wie die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Einwendungen des Klägers gegen die Steuerfestsetzung unterstreicht— unmittelbar aus der Einspruchsentscheidung. Dass das FA in der Einspruchsentscheidung nicht ausdrücklich auf den Einspruch des Klägers vom 16. Februar 2010 Bezug genommen hat, sondern im Rubrum der Entscheidung lediglich den 11. Mai 2009 —den Tag, an dem die Sozietät K im Namen der weiteren Erben Einspruch gegen den Bescheid vom 1. Februar 2010 eingelegt hatte— als Einspruchsdatum nennt, ändert hieran nichts.

Der vom FA beschiedene Einspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 1. Februar 2010 war auch zulässig. Er war —wie das FG festgestellt hat— fristgerecht erhoben worden. Zudem handelte es sich nicht um einen unzulässigen Zweiteinspruch des Klägers, denn der vorhergehende Bescheid vom 6. April 2009 war ihm nicht bekannt gegeben worden. Der Kläger bestreitet, den an ihn als Rechtsnachfolger des verstorbenen J.H. gerichteten Bescheid erhalten zu haben. Nach den bindenden Feststellungen des FG hatte der Kläger zwar eine Kopie des Bescheides vom 6. April 2009 von der Sozietät K erhalten. Hierbei handelte es sich aber um eine Kopie des an die übrigen Miterben gerichteten Einkommensteuerbescheides vom 6. April 2009, die ihn nicht als Inhaltsadressaten auswies. Die Weiterleitung einer an andere Gesamtschuldner gerichteten Bescheidkopie kann jedoch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung durch einen an den Kläger adressierten Bescheid nicht ersetzen. Das FG hat demgegenüber nicht festgestellt, dass der Kläger den an ihn als Adressaten gerichteten Bescheid vom 6. April 2009 bzw. eine Kopie hiervon erhalten hat. Eine wirksame Bekanntgabe des Bescheides vom 6. April 2009 ergibt sich auch nicht nach den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsmacht, denn es fehlen bereits Feststellungen des FG dazu, dass ein an den Kläger adressierter Bescheid (versehentlich) der Sozietät K bekannt gegeben worden wäre.

2. Das Urteil des FG war mithin aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif und daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Senat entscheidet mit Bindungswirkung über die Entscheidung des FG zum Hauptantrag des Klägers (§ 126 Abs. 5 FGO ). Das FG hat sich mit dem vom Kläger gestellten Hilfsantrag, da es dem Hauptantrag entsprochen hat, nicht befasst. Es hat —aus seiner Sicht folgerichtig— über die materiell-rechtlichen Einwendungen des Klägers gegen die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung vom 15. Juli 2010 nicht entschieden. Dies wird im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein.

3. Die Kostenentscheidung wird dem FG übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO ).

Vorinstanz: Finanzgericht Münster, vom 19.04.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 14 K 3020/10