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BSG - Entscheidung vom 02.09.2014

B 1 KR 12/13 R

Normen:
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
GG Art. 2
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 3 S. 2
GG Art. 3 Abs. 3
SGB V § 2 Abs. 1 S. 1
SGB V § 27 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 2 und Nr. 2a
SGB V § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
SGB V § 28 Abs. 2 S. 1 und S. 9
SGB V § 28 Abs. 2
SGB V § 33 Abs. 1
SGB V § 33
SGB V § 55 Abs. 1 S. 1 und S. 3 und S. 5 und S. 6
SGB V § 55 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 und S. 6 und S. 7
SGB V § 55
SGB V § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
UN-BRK Art. 25 S. 3 Buchst. b
UN-BRK Art. 5 Abs. 2
UN-BRK Art. 1 Abs. 2
ZÄVersorgRL

BSG, Urteil vom 02.09.2014 - Aktenzeichen B 1 KR 12/13 R

DRsp Nr. 2014/15945

Keine Übernahme der vollen Kosten einer Zahnbehandlung durch die gesetzliche Krankenversicherung bei einer angeborenen doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte mit Nichtanlage der Zähne; Verfassungskonforme Festsetzung des Festzuschusses für den über die Regelversorgung hinausgehenden Zahnersatz

1. Besonderen Gründe für die Eingliederung des Zahnersatzes (hier: angeborene doppelseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalte mit Nichtanlage der Zähne) rechtfertigen weder einen höheren Prozentsatz noch die vollständige Übernahme der Kosten der zahnprothetischen Behandlung. 2. Welche Behandlungsmaßnahmen in den GKV-Leistungskatalog einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen. Der Gesetzgeber kann grundsätzlich frei entscheiden, von welchen Elementen der zu ordnenden Lebenssachverhalte die Leistungspflicht abhängig gemacht und die Unterscheidung gestützt werden soll. Eine Grenze ist erst dann erreicht, wenn sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund mehr finden lässt.

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. April 2013 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 2 S. 1; GG Art. 2 ; GG Art. 3 Abs. 1 ; GG Art. 3 Abs. 3 S. 2; GG Art. 3 Abs. 3 ; SGB V § 2 Abs. 1 S. 1; SGB V § 27 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 2 und Nr. 2a ; SGB V § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ; SGB V § 28 Abs. 2 S. 1 und S. 9; SGB V § 28 Abs. 2 ; SGB V § 33 Abs. 1 ; SGB V § 33 ; SGB V § 55 Abs. 1 S. 1 und S. 3 und S. 5 und S. 6; SGB V § 55 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 und S. 6 und S. 7; SGB V § 55 ; SGB V § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ; UN-BRK Art. 25 S. 3 Buchst. b; UN-BRK Art. 5 Abs. 2; UN-BRK Art. 1 Abs. 2; ZÄVersorgRL;

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt im Wege der Überprüfung die Erstattung von (noch) 4739,20 Euro für eine in der Zeit vom 28.4. bis 19.6.2009 erfolgte Eingliederung von Zahnersatz.

Die 1990 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) versichert. Sie leidet an einer angeborenen doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte mit Nichtanlage der Zähne 15, 14, 12-22, 25, 48, 44, 34, 38 und Zapfenzähnen 43-33. Mit Heil- und Kostenplan (HKP) vom 17.10.2008 beschrieb der Zahnarzt Dr. S hinsichtlich des Gebiets 42-32 die Befunde 1.1 und 1.3 (erhaltungswürdiger Zahn mit weitgehender Zerstörung der klinischen Krone oder unzureichende Retentionsmöglichkeit; im Verblendbereich) und hinsichtlich der Gebiete 45-43 und 33-35 die Befunde 2.1 und 2.7 (zahnbegrenzte Lücke mit einem fehlenden Zahn; im Verblendbereich) und sah einen über die Regelversorgung hinausgehenden Zahnersatz mit zwei Brücken (45-43 und 33-35, Brückenglieder 44, 34) mit vier Verblendungen sowie vier Vollkeramikkronen mit Verblendungen (42-32) vor. Die Beklagte bewilligte den HKP und einen befundbezogenen Festzuschuss iHv zunächst 1375,86 Euro (Bewilligung vom 29.12.2008), auf Antrag der Klägerin nach Eingliederung des Zahnersatzes erhöht um 30 vH (20 vH nach § 55 Abs 1 S 3 SGB V ; 10 vH nach § 55 Abs 1 S 5 SGB V ) auf 1788,58 Euro (Bescheid vom 22.7.2009; Widerspruchsbescheid vom 2.10.2009), den sie an Dr. S zahlte. Den Eigenanteil iHv 4747,60 Euro (Rechnung vom 5.8.2009) beglich die Klägerin. Am 20.1.2010 beantragte die Klägerin erfolglos die Überprüfung des Bescheids vom 22.7.2009 und Übernahme der vollen Kosten der Zahnbehandlung (Bescheid vom 15.2.2010; Widerspruchsbescheid vom 30.4.2010).

Die hiergegen erhobene Klage ist vor dem SG und dem LSG ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe bei Erlass des Bescheids vom 22.7.2009 weder das Recht unrichtig angewandt noch sei sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Die Klägerin habe nur einen Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse, deren Bewilligung dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig sei. Selbst wenn die zahnprothetische Versorgung im Rahmen einer Gesamtbehandlung zu sehen sei, begrenze der Festzuschuss den Anspruch der Klägerin in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise. Auch aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention - Gesetz vom 21.12.2008, BGBl II 1419, in der Bundesrepublik in Kraft seit 26.3.2009, BGBl II 812 - UN-BRK) ergebe sich kein weitergehender Leistungsanspruch der Klägerin (Urteil vom 16.4.2013).

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision sinngemäß einen Verstoß gegen § 27 Abs 1 S 2 Nr 2 und Nr 2a , § 28 Abs 2 iVm § 55 SGB V , Art 3 Abs 1 GG . Für die im Vergleich zur Hilfsmittelversorgung nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V unterschiedlichen Regelungen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs seien keine sachlichen Gründe ersichtlich. Das angeborene Fehlen von Zähnen habe zudem entstellende Wirkung. Im Übrigen stelle die langjährige Behandlung seit der Geburt der Klägerin eine medizinische Gesamtbehandlung dar.

Die Klägerin hat ein von der Beklagten im Revisionsverfahren abgegebenes Teilanerkenntnis über 8,40 Euro angenommen und beantragt darüber hinaus,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. April 2013 und des Sozialgerichts Freiburg vom 11. August 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 22. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Oktober 2009 zu ändern und ihr 4739,20 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG ). Das LSG hat zu Recht ihre Berufung gegen das SG -Urteil zurückgewiesen.

Die Klägerin kann nicht die Erstattung der über den Festzuschuss hinausgehenden Kosten der Eingliederung von Zahnersatz iHv 4739,20 Euro im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Abs 1 SGB X beanspruchen. Sie hat keinen über 1796,98 Euro (1788,58 Euro zuzüglich des anerkannten Betrags von 8,40 Euro) hinausgehenden Anspruch auf einen Festzuschuss (dazu 1.). Die Gründe für die Eingliederung des Zahnersatzes bei der Klägerin rechtfertigen keine vollständige Übernahme der Kosten der zahnprothetischen Behandlung (dazu 2.). Die Regelungen über die Versorgung der Versicherten mit Zahnersatz stehen mit der Verfassung (dazu 3.) und der UN-BRK (dazu 4.) im Einklang.

1. Nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB X sind nicht erfüllt. Die beklagte KK wandte - unter Berücksichtigung des angenommenen Teilanerkenntnisses - weder das Recht unrichtig an noch ging sie von einem Sachverhalt aus, der sich als unrichtig erweist, als sie (ebenfalls im Rahmen des § 44 SGB X ) zwar einen höheren Festzuschuss bewilligte, aber eine Übernahme der über den (erhöhten) Festzuschuss hinausgehenden Kosten für die Eingliederung des Zahnersatzes ablehnte (Bescheid vom 22.7.2009; Widerspruchsbescheid vom 2.10.2009). Denn die Klägerin hat keinen über 1796,98 Euro hinausgehenden Anspruch auf einen Festzuschuss.

Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V (idF durch Art 1 Nr 14 Buchst a Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung - Gesundheitsstrukturgesetz [GSG] vom 21.12.1992, BGBl I 2266 mWv 1.1.1993) haben Versicherte - wie die Klägerin - Anspruch auf Krankenbehandlung. Die Krankenbehandlung umfasst ua zahnärztliche Behandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst a Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz [GMG] vom 14.11.2003, BGBl I 2190 mWv 1.1.2005) und Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2a SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst b GMG mWv 1.1.2005).

Die zahnärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden (§ 28 Abs 2 S 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 15 Buchst a Doppelbuchst aa GMG mWv 1.1.2005). Der Anspruch auf Zahnersatz ist in den §§ 55 ff SGB V näher geregelt. Nach § 55 Abs 1 S 1 SGB V (idF durch Art 1 Nr 1 Gesetz zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz vom 15.12.2004, BGBl I 3445) haben Versicherte nach den Vorgaben in S 2 bis 7 Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung einer Methode entspricht, die gemäß § 135 Abs 1 SGB V anerkannt ist (eingehend zum Anspruch Versicherter auf Zahnersatzleistungen und zur Systematik der maßgebenden Normen BSG SozR 4-2500 § 55 Nr 2 RdNr 9 ff). Diese Voraussetzungen sind nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG ) erfüllt.

Die Beklagte setzte unter Berücksichtigung des Teilanerkenntnisses den Festzuschuss der Höhe nach rechtmäßig fest. Der Festzuschuss umfasst 50 vH der nach § 57 Abs 1 S 6 und Abs 2 S 6 und 7 SGB V festgesetzten Beträge für die jeweilige Regelversorgung und erhöht sich für eigene Bemühungen der Versicherten zur Gesunderhaltung der Zähne (§ 55 Abs 1 S 3 SGB V ; Erhöhung um 20 vH) und bei regelmäßiger Zahnpflege (§ 55 Abs 1 S 5 SGB V ; Erhöhung um 10 vH) auf maximal 80 vH. Die Höhe des Festzuschusses richtet sich hier nach der im Zeitpunkt des Beginns der Behandlung im Jahr 2009 ( BSG SozR 4-2500 § 55 Nr 2 RdNr 20) maßgebenden, mWv 1.1.2009 in Kraft getretenen Bekanntmachung - Befunde und zugeordnete Regelversorgungen - vom 18.12.2008 (BAnz Nr 197 vom 30.12.2008 S 4750). Danach beträgt der Festzuschuss ausgehend von dem HKP maximal 1796,98 Euro (Befund 1.1: 154,52 Euro x 4 = 618,08 Euro; Befund 1.3: 56,43 Euro x 4 = 225,72 Euro; Befund 2.1: 366,51 Euro x 2 = 733,02 Euro; Befund 2.7: 55,04 Euro x 4 = 220,16 Euro). Diesen Betrag hat die Beklagte unter Berücksichtigung des Teilanerkenntnisses als Festzuschuss bewilligt. Mehr kann die Klägerin nicht beanspruchen. Eine unzumutbare (wirtschaftliche) Belastung (§ 55 Abs 2 SGB V ) macht die Klägerin nicht geltend. Zu Recht verweist das LSG in diesem Zusammenhang darauf, dass der Amtsermittlungsgrundsatz keine Pflicht von Behörden und Gerichten begründet, Tatsachen zu ermitteln, für deren Bestehen weder das Beteiligtenvorbringen noch sonstige konkrete Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte liefern. In diesem Sinne findet die amtliche Sachaufklärungspflicht ihre Grenze an der Mitwirkungslast der Verfahrensbeteiligten (vgl BSGE 78, 207 , 213 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 24; BSG SozR 4-2500 § 130 Nr 2 RdNr 17 mwN).

2. Die besonderen Gründe für die Eingliederung des Zahnersatzes bei der Klägerin rechtfertigen weder einen höheren Prozentsatz noch die vollständige Übernahme der Kosten der zahnprothetischen Behandlung. Gegenüber § 28 Abs 2 SGB V enthalten §§ 55 , 56 SGB V die spezielleren Normen für Zahnersatz (BSGE 85, 66, 68 = SozR 3-2500 § 30 Nr 10 S 38; BSGE 76, 40 = SozR 3-2500 § 30 Nr 5; BSG SozR 3-2500 § 30 Nr 3). Bei der Versorgung mit Zahnersatz bleibt die Leistung der KK auch dann auf einen Zuschuss beschränkt, wenn der Zahnersatz anderen als zahnmedizinischen Zwecken dient oder integrierender Bestandteil einer anderen Behandlung ist (BSGE 86, 66, 67 f = SozR 3-2500 § 30 Nr 10 S 37 f). Deshalb geht auch der Einwand der Klägerin, ihr Anspruch folge daraus, dass die zahnprothetische Versorgung Teil einer medizinischen Gesamtbehandlung sei, ins Leere. Ob von einer medizinischen Gesamtbehandlung auszugehen ist, ist (unter weiteren Voraussetzungen) nur für den Anspruch auf implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion im Rahmen zahnärztlicher Behandlung nach §§ 27 , 28 Abs 2 SGB V von Bedeutung (vgl § 28 Abs 2 S 9 SGB V ), hat aber keinen Einfluss auf die insoweit speziellen und abschließenden Regelungen der §§ 55 f SGB V . § 55 SGB V knüpft die Beschränkung der Leistung allein an den Gegenstand (Zahnersatz) und nicht an die Ursache des Behandlungsbedarfs. Deshalb verbietet sich ein Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen über die Verschaffung zahnärztlicher Behandlung ( BSG aaO).

Die frühere Rechtsprechung des BSG zur RVO , wonach die zahnprothetische Versorgung, die Teil der Gesamtbehandlung ist, sich zusammen mit den anderen Einzelmaßnahmen als eine ärztliche und zahnärztliche Behandlung darstellt und deshalb von der KK als Sachleistung zu gewähren ist (SozR 2200 § 182 Nr 11), hat der Senat nicht fortgeführt (BSGE 85, 66, 68 f = SozR 3-2500 § 30 Nr 10 S 39; vgl auch Nolte in Kasseler Kommentar, Stand Mai 2014, SGB V , § 55 RdNr 10), nachdem der Gesetzgeber durch das GSG vom 21.12.1992 (BGBl I 2266) mWv 1.1.1993 Detailregelungen für die verschiedensten Aspekte der zahnmedizinischen Versorgung geschaffen und zahnmedizinische Ansprüche in den wesentlichen Einzelheiten selbst festgelegt hat. Nur wenn die Notwendigkeit des Zahnersatzes auf einer von der gesetzlichen Krankenversicherung gewährten Erstbehandlung beruht, die sich im Nachhinein als gesundheitsschädlich und damit als hoheitlicher Eingriff in nicht vermögenswerte Rechtsgüter darstellt, gebietet Art 2 Abs 2 S 1 GG eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften des SGB V dahingehend, dass der Versicherte vom gesetzlichen Eigenanteil freizustellen ist (BVerfG Beschluss vom 14.8.1998 - 1 BvR 897/98 - NJW 1999, 857 f; BSGE 85, 66, 70 = SozR 3-2500 § 30 Nr 10 S 41). Ein solcher Fall liegt nicht vor.

3. Entgegen der Auffassung der Klägerin verstoßen die Regelungen über die Versorgung der Versicherten mit Zahnersatz (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (vgl Art 3 Abs 1 GG ). Welche Behandlungsmaßnahmen in den GKV-Leistungskatalog einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten (vgl § 2 Abs 1 S 1 SGB V ) zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen. Der Gesetzgeber kann grundsätzlich frei entscheiden, von welchen Elementen der zu ordnenden Lebenssachverhalte die Leistungspflicht abhängig gemacht und die Unterscheidung gestützt werden soll (vgl BVerfGE 115, 25 , 46 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5, RdNr 27; BVerfG Beschluss vom 5.3.1997 - 1 BvR 1071/95 - NJW 1997, 3085 ; vgl zum Ganzen zB auch BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 23, 29 - D-Ribose; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 46 - Lorenzos Öl). Eine Grenze ist erst dann erreicht, wenn sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund mehr finden lässt (BVerfGE 102, 68 , 87 = SozR 3-2500 § 5 Nr 42 S 184).

Ist der Gesetzgeber danach nicht gehindert, unterschiedliche Leistungsbereiche unterschiedlich auszugestalten, geht auch der von der Klägerin bemühte Vergleich zur Hilfsmittelversorgung fehl. Für die Differenzierung bestehen auch sachliche Gründe. § 55 SGB V ist gegenüber § 33 SGB V die speziellere Norm. Der Zahnersatz ist - isoliert betrachtet - zwar ein Hilfsmittel. Er ersetzt ein nicht vorhandenes oder verlorengegangenes Körperteil (Zahn). Die Herstellung des Hilfsmittels "Zahnersatz" ist aber Teil der Versorgung mit Zahnersatz. Bei der Versorgung mit Zahnersatz handelt es sich um eine komplexe Leistung, die sowohl Elemente rein zahnärztlicher wie auch handwerklicher Tätigkeit enthält (BSGE 35, 105, 107 = SozR Nr 55 zu § 182 RVO ). Damit unterfällt auch die Herstellung des Zahnersatzes der Versorgung mit Zahnersatz nach § 55 SGB V und nicht der Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 33 SGB V .

Ein Gleichheitsverstoß kommt danach nur innerhalb der Regelungen zum Zahnersatz und gegebenenfalls zu den implantologischen Leistungen in Betracht ( BSG SozR 4-2500 § 55 Nr 2 RdNr 46). Zu Recht verweist das LSG darauf, dass die Klägerin vorliegend keine implantologischen Leistungen erhalten könnte, obwohl grundsätzlich eine Ausnahmeindikation eingreift nach B VII Nr 2 S 4 Buchst a Fünfter Spiegelstrich (angeborene Fehlbildungen des Kiefers [Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien]) der Richtlinie des GBA für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie vom 24.9.2003 - BAnz Nr 226 vom 3.12.2003 S 24966, zuletzt geändert am 1.3.2006 mWv 18.6.2006, BAnz Nr 111 vom 17.6.2006 S 4466). Denn nach B VII Nr 2 S 2 Behandlungsrichtlinie besteht auch bei Vorliegen einer Ausnahmeindikation kein Anspruch auf Implantate als Sachleistung, wenn - wie hier - eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate möglich ist (zum ausnahmsweisen, hier keine weitergehende Leistungspflicht begründenden Anspruch auf Suprakonstruktionen als Bestandteil der Regelversorgung ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs 2 S 9 SGB V vgl Nr 36 ff Richtlinien des GBA über eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen [Zahnersatz-Richtlinie] vom 8.12.2004, BAnz Nr 54 vom 18.3.2005 S 4094, mWv 1.1.2005, zuletzt geändert am 7.11.2007, BAnz Nr 241 vom 28.12.2007 S 8383, mWv 1.1.2008).

Verweist der Gesetzgeber - wie hier - die Versicherten grundsätzlich auf eine partielle Eigenverantwortung, ist es sachgerecht, nur dort - wenn auch nicht zwingend innerhalb des SGB V - zu differenzieren, wo die Eigenverantwortung an der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit scheitert (vgl BSGE 110, 183 = SozR 4-2500 § 34 Nr 9, RdNr 34 ff). Eine solche Differenzierung hat der Gesetzgeber in § 55 Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB V vorgenommen (vgl dazu Altmiks in jurisPKSGB V, 2. Aufl 2012, § 55 RdNr 90 f). Zwingende verfassungsrechtliche Gründe für eine darüber hinausgehende Härtefallregelung bestehen nicht ( BSG SozR 4-2500 § 55 Nr 2 RdNr 46).

Ist danach eine ungleiche Behandlung Versicherter im Hilfsmittelbereich verfassungsrechtlich unbedenklich, geht auch der Einwand der Klägerin, dass die zahnprothetische Versorgung wie Hilfsmittel nach § 33 SGB V dem unmittelbaren Behinderungsausgleich (Grundbedürfnis Nahrungsaufnahme) dient, ebenso ins Leere wie die Auffassung, dass bei entstellender Wirkung der doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ein Hilfsmittel-Anspruch in Form zahnprothetischer Versorgung bestehe. Ohnehin ist der Zusammenhang zwischen einer Entstellung durch die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und zahnprothetischer Versorgung nicht erkennbar. Wie die Klägerin selbst ausführt, wurde die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte durch Spaltenverschluss 1990/1991 und Kieferspaltosteoplastik 2007 behandelt. Die Zahnlosigkeit allein genügt ihrerseits nicht, um eine Entstellung annehmen zu können. Ausreichend ist nämlich nicht jede körperliche Anomalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche und außergewöhnliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 253 f). Dies ist bei Zahnlosigkeit zu verneinen.

Für eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; vgl auch die Übersicht in BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 15) besteht hier kein Anlass. Eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts kommt zwar nicht nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21 mwN - Tomudex), sondern auch bei wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankungen wie einer drohenden Erblindung in Betracht (stRspr, vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose; BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 13 mwN). Indes erreicht selbst drohende Zahnlosigkeit keinen vergleichbaren Schweregrad ( BSG Urteil vom 4.3.2014 - B 1 KR 6/13 R - RdNr 16 zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 28 Nr 7 vorgesehen). Im Übrigen stellt sich hier nicht die Frage, ob verfassungsrechtlich ein Anspruch auf Übernahme einer Behandlungsmethode zulasten der GKV zu bejahen ist, sondern ob es verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, dass die GKV den Versicherten Leistungen nur nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (dazu oben; § 2 Abs 1 S 1 SGB V ).

4. Die Klägerin kann auch aus Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK keinen Leistungsanspruch herleiten. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, enthält Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK keine Vorgaben, die unmittelbar für Ansprüche GKV-Versicherter auf zahnprothetische Behandlung relevant sind. Die Norm ist nicht hinreichend bestimmt, um von den KKn unmittelbar angewendet zu werden; sie bedarf einer Ausführungsgesetzgebung und ist non-self-executing (BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 RdNr 16 ff).

Schließlich verhelfen weder das Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK noch das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen gemäß Art 3 Abs 3 S 2 GG der Klägerin zum Erfolg. Art 5 Abs 2 UN-BRK ist unmittelbar anwendbar, in diesem Sinne also self-executing (vgl BVerfGE 128, 138, 156 = SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 54; Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 48; Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 246, 250). Die Norm entspricht allerdings dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot behinderter Menschen (BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 RdNr 31). § 55 SGB V verstößt indes weder gegen das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- noch gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Die Regelung über den Festzuschuss knüpft nämlich nicht an eine Behinderung im verfassungsrechtlichen und konventionsrechtlichen Sinne an. Soweit die Vorschrift zugleich behinderte Menschen iS des Art 3 Abs 3 S 2 GG oder des Art 1 Abs 2 UN-BRK trifft, ist sie wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des GKV-Leistungskatalogs gerechtfertigt (BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, RdNr 32 ff).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .

[Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 16.04.2013 - Vorinstanzaktenzeichen L 11 KR 4024/11
Vorinstanz: SG Freiburg, vom 11.08.2011 - Vorinstanzaktenzeichen S 5 KR 2582/10