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BSG - Entscheidung vom 12.12.2014

B 10 ÜG 10/14 B

BSG, Beschluss vom 12.12.2014 - Aktenzeichen B 10 ÜG 10/14 B

DRsp Nr. 2015/1589

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. Mai 2014 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 11 620 Euro festgesetzt.

Gründe:

I

Der Kläger begehrt in der Hauptsache Entschädigung wegen überlanger Dauer des Verfahrens S 35 KA 98/07 = L 3 KA 14/11 vor dem SG Hannover/LSG Niedersachsen-Bremen.

Der Kläger nahm als Zahnarzt an der vertragsärztlichen Versorgung in Niedersachsen teil. Das SG wies seine Klage vom 22.10.2007 gegen den Bescheid und Widerspruchsbescheid der Kassenzahnärztlichen Vereinigung über den Jahreshonoraranspruch für 2006 ab und lehnte zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab (Urteil vom 11.8.2010 - S 35 KA 98/07). Die zunächst erhobene Nichtzulassungsbeschwerde und anschließende Berufung (Beschluss vom 9.2.2011 - L 3 KA 89/10 NZB; Beschluss vom 23.12.2011 - L 3 KA 14/11) sowie die anschließende Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG (Beschluss vom 8.5.2012 - B 6 KA 6/12 B) waren erfolglos.

Mit seiner am 20.1.2012 erhobenen Entschädigungsklage hat der Kläger immateriellen Schadensersatz iHv 11 600 Euro zuzüglich eines zunächst unbezifferten, später auf 20 Euro reduzierten materiellen Schadensersatzes geltend gemacht. Das LSG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, hinsichtlich des Verfahrensabschnitts des Berufungsverfahrens fehle es schon an einer - unentbehrlichen - Verzögerungsrüge. Der Berichterstatter habe den Kläger am 3.11.2011 darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG nach Ablauf einer vierwöchigen Stellungnahmefrist beabsichtigt gewesen sei. Eine Verzögerungsrüge habe deshalb rechtzeitig angebracht werden können. Dessen unbeschadet sei die Dauer des Berufungsverfahrens auch nicht unangemessen lang. Auch soweit sie das Klageverfahren betreffe, sei die Entschädigungsklage unbegründet. Zwar weise das Klageverfahren eine Überlänge von 2 Jahren und 4 Monaten auf. Nach den Umständen des Einzelfalls sei diese jedoch mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer nicht unangemessen. Das Verfahren sei für den Kläger auch von nur untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung gewesen. Das SG sei davon ausgegangen, dass für das Jahr 2006 alle Leistungen erbracht worden und die aus der Sicht des Klägers vornehmlich streitgegenständlichen Leistungen aus den Jahren 1999 bis 2005 Gegenstand eigenständiger Parallelverfahren gewesen seien. Hiervon ausgehend sei es auch vertretbar gewesen, das streitige Verfahren "warten" zu lassen (Urteil vom 22.5.2014). Den Antrag auf Urteilergänzung hat das LSG abgelehnt (Urteil vom 27.11.2014).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung vom 22.5.2014 wendet sich der Kläger mit der Beschwerde und macht geltend, das Urteil des LSG weise diverse Verfahrensfehler auf. Das Gericht habe den Justizgewährleistungsanspruch verletzt, indem es sich bei der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer über verschiedene Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ( EGMR ) hinweggesetzt, seine Verzögerungsbeschwerde vom 19.1.2012 nicht beachtet und über den Antrag auf Kompensation wegen des Fehlens eines Rechtsmittels bis zum 3.12.2011 sowie auf Entschädigung in anderer Weise nicht entschieden habe. Dieser Verfahrensfehler erfasse auch die Kosten. Das Entschädigungsgericht sei damit zugleich von Rechtsprechung des EGMR abgewichen. Von grundsätzlicher Bedeutung sei im Zusammenhang mit der Rechtsauffassung des Entschädigungsgerichts, der Kläger habe eine Verzögerungsrüge erheben müssen, die er nicht habe erheben dürfen, ob ein Gericht einem Kläger Ansprüche mit der Begründung versagen dürfe, der Kläger habe sich rechtswidrig verhalten müssen, um zu seinem Recht zu gelangen.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Die Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des Verfahrensfehlers (dazu 1.), der Divergenz (dazu 2.) sowie der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 3.).

1. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers stützt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr, vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 13 RdNr 4 mwN).

Indem der Kläger sich unter Berufung auf seinen Justizgewährleistungsanspruch in umfangreichen Ausführungen gegen die Art und Weise wendet, wie das LSG die Verfahrensdauer im Beschwerdeverfahren L 3 KA 125/10 B berechnet und auf dieser Grundlage eine unangemessene Verfahrensdauer iS des § 198 GVG verneint hat, rügt er der Sache nach keinen Verstoß gegen Verfahrensrecht, sondern macht eine falsche Anwendung materiellen Rechts geltend. Ein Verfahrensmangel ist dadurch nicht dargelegt. Zu den Verfahrensfehlern zählen nur Verstöße gegen das Prozessrecht einschließlich der Vorschriften, auf die das SGG unmittelbar oder mittelbar verweist. Rügefähig sind folglich nur Fehler, die dem Gericht auf dem Weg zu seiner Entscheidung (bis zur Zustellung an die Beteiligten) unterlaufen sind (error in procedendo; vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 445; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 16a und § 144 RdNr 32; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 87). Mit seinem Vortrag, das LSG habe verschiedene Vorgaben des EGMR zur Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer missachtet, rügt der Beschwerdeführer der Sache nach nur einen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblichen Rechtsanwendungsfehler (error in iudicando): Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Nichts anderes gilt für die Behauptung des Klägers, das LSG habe ihm verfahrensfehlerhaft die Kosten des Verfahrens auferlegt, denn die Rüge der Verletzung des § 197a SGG betrifft ebenfalls nicht das Verfahren, sondern den Inhalt der Entscheidung (vgl BSG SozR Nr 2 zu § 192 SGG ).

Mit seinem Vortrag, das Entschädigungsgericht habe nicht über sämtliche seiner Anträge (Entschädigung aus Art 13 EMRK ; Feststellung der Unangemessenheit) entschieden, rügt der Kläger allerdings einen Verstoß gegen § 123 SGG . Danach entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Der Kläger legt jedoch schon nicht substantiiert dar, was ausgehend von seinem zuletzt gestellten Sachantrag und vom materiell-rechtlichen Standpunkt des LSG im Einzelnen entscheidungserheblich offengeblieben ist (zur Abgrenzung des Verfahrensfehlers von der Urteilsergänzung iS des § 140 SGG vgl zB BSG SozR 4-1500 § 140 Nr 2 RdNr 10).

2. Auch die behauptete Divergenz hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine rechtserhebliche Abweichung liegt folglich nicht vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die der EGMR zur Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer aufgestellt hat.

3. Ebenso wenig hat die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) substantiiert vorgetragen. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung deutlich.

Soweit die Beschwerde die Frage für klärungsbedürftig hält,

ob ein Gericht einem Kläger Ansprüche mit der Begründung versagen darf, der Kläger habe sich rechtswidrig verhalten müssen um zu seinem Recht zu gelangen,

ist die Frage so allgemein gehalten, dass sie nicht zur Grundlage der weiteren Prüfung taugt, inwieweit Klärungsbedarf dargelegt ist (vgl BFH/NV 1992, 749). Und selbst wenn sinngemäß die Frage aufgeworfen worden sein sollte, ob eine Verzögerungsrüge auch dann erhoben werden muss, wenn sie rechtswidrig ist, zeigt die Beschwerdebegründung die Entscheidungserheblichkeit nicht auf, nachdem das LSG unabhängig von der Verzögerungsrüge die Unangemessenheit der Verfahrensdauer verneint hat. Werden von einem Gericht mehrere selbstständige Begründungen gegeben, die den Urteilsausspruch schon jeweils für sich genommen tragen, muss in der Beschwerde für jede der Begründungen ein Revisionszulassungsgrund mit Erfolg geltend gemacht werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 5, 38; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010 RdNr 291).

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 S 6, § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO .

6. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 47 Abs 2 und 3 , § 52 Abs 1 und 3 , § 63 Abs 2 S 1 GKG . Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger nur noch, wie zuletzt mit seinem in der mündlichen Verhandlung beim LSG gestellten Antrag, einen materiellen Schadensersatz von 20 Euro sowie einen immateriellen Schaden iHv 11 600 Euro geltend.

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 22.05.2014 - Vorinstanzaktenzeichen L 10 SF 11/12