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BGH - Entscheidung vom 12.03.2014

4 StR 572/13

Normen:
StGB § 64 S. 1
ZPO § 256 Abs. 1

Fundstellen:
StV 2015, 219

BGH, Beschluss vom 12.03.2014 - Aktenzeichen 4 StR 572/13

DRsp Nr. 2014/6075

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei symptomatischem Zusammenhang zwischen Tat und dem Hang zum übermäßigen Alkoholkonsum

1. Für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muss der symptomatische Zusammenhang ebenso wie die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 64 StGB bei sicher feststehen. 2. Bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielen, bedarf die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat besonderer hierfür sprechender Umstände. 3. Insbesondere bei Konflikttaten oder bei Taten, denen eine Provokation des Täters durch das Opfer vorausging, liegt ein solcher Zusammenhang wenig nahe. 4. Das Mitverschulden des Verletzten stellt bei der Festsetzung eines Schmerzensgelds lediglich einen Bemessungsfaktor neben anderen dar, der mithin nicht den Grund des Anspruchs, sondern dessen Höhe betrifft.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juli 2013 aufgehoben

a)

mit den zugehörigen Feststellungen, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist; die Anordnung entfällt;

b)

im Feststellungsausspruch der Adhäsionsentscheidung; insoweit wird von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen.

2.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3.

Die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Nebenklägers fallen dem Angeklagten zur Last. Die den Feststellungsausspruch betreffenden gerichtlichen Auslagen des Adhäsionsverfahrens werden der Staatskasse auferlegt; die besonderen Kosten des Adhäsionsverfahrens im Übrigen sowie die dem Adhäsionskläger entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte.

Normenkette:

StGB § 64 S. 1; ZPO § 256 Abs. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, schwerer Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung, Fahren ohne Fahrerlaubnis und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug von einem Jahr der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung angeordnet und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von vier Jahren verhängt. Des Weiteren hat es den Angeklagten dem Grunde nach verurteilt, an den Nebenkläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 30. Juni 2013 zu zahlen, und festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Nebenkläger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Vorfall vom 20. August 2012 noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Hiergegen wendet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zum Wegfall der Unterbringungsanordnung und zu einer Teilaufhebung der Adhäsionsentscheidung; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat keinen Bestand, weil die Urteilsfeststellungen einen symptomatischen Zusammenhang zwischen der Tat und dem Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum nicht ergeben.

a) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt nach § 64 Satz 1 StGB - neben dem Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen - voraus, dass die Anlasstat im Rausch begangen wurde oder zumindest mitursächlich auf den Hang zurückgeht, wobei die erste auf die Intoxikationswirkung des Rauschmittels abstellende Alternative einen Unterfall der zweiten Alternative darstellt. Erforderlich ist, dass die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet, sie also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln hat, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (vgl. BGH, Urteile vom 11. September 1990 - 1 StR 293/90, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2; vom 18. Februar 1997 - 1 StR 693/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschluss vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Da es sich bei der Unterbringung nach § 64 StGB um eine den Angeklagten beschwerende Maßregel handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 1991 - 4 StR 105/91, BGHSt 38, 4 , 7), muss der symptomatische Zusammenhang ebenso wie die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 64 StGB bei einer Anordnung sicher feststehen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - 1 StR 2 5/03, StraFo 2003, 431; Beschlüsse vom 1. März 2001 - 4 StR 36/01, NStZ-RR 2001, 295 ; vom 18. Juni 2013 - 4 StR 145/13).

b) Einen Rausch des Angeklagten im Sinne eines für das Rauschmittel Alkohol typischen, die geistigpsychischen Fähigkeiten beeinträchtigenden Intoxikationszustands (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2011 - 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72 , 73) bei Begehung der Tat hat die Schwurgerichtskammer nicht festgestellt. Der Angeklagte, der in den siebeneinhalb Stunden vor der Tat den Inhalt von sechs Flaschen Bier à 0,5 Liter zu sich genommen hatte, wies zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 0,0 bis maximal 1,0 ‰ auf. Sein Leistungsverhalten war nicht beeinträchtigt. Alkoholbedingte Ausfallserscheinungen beim Angeklagten sind weder von den zum Tatgeschehen gehörten Zeugen geschildert worden, noch haben die Filmaufnahmen der Überwachungskameras hierfür Anhaltspunkte ergeben. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei gleichwohl alkoholbedingt in gewissem Umfange in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen, entbehrt daher einer tatsächlichen Grundlage.

Anhaltspunkte dafür, dass die Tat, obwohl nicht im Rausch begangen, doch auf den Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum zurückging, bestehen nicht. Bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielen, bedarf die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat besonderer hierfür sprechender Umstände (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 StR 693/96, aaO; Beschluss vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, aaO). Insbesondere bei Konflikttaten oder bei Taten, denen eine Provokation des Täters durch das Opfer vorausging, liegt ein solcher Zusammenhang wenig nahe (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2011 - 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72 , 74). Für eine Hangtat sprechende Anhaltspunkte sind hier nicht gegeben. Nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil beging der Angeklagte die Tat, weil er das zudringliche und penetrante Verhalten des Nebenklägers, der unbedingt eine Mitnahme im Fahrzeug des Angeklagten erzwingen wollte, als nervend und ärgerlich empfand und er den ihm extrem lästig gewordenen Nebenkläger loswerden wollte. Dass die Alkoholabhängigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung eine Rolle spielte, ist nicht erkennbar. Schließlich vermag der Umstand, dass der Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum für dessen frühere Delinquenz mitursächlich war, den Symptomcharakter der Anlasstat nicht zu begründen.

c) Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Verhandlung noch Feststellungen zu einem Rausch bei der Tat oder einem anderweitigen symptomatischen Zusammenhang zwischen Tat und Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum getroffen werden können, und lässt daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Unterbringungsanordnung entfallen.

2. Hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung hält der Feststellungsausspruch einer sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand. Demgegenüber begegnet das zum Schmerzensgeldanspruch des Nebenklägers ergangene Grundurteil keinen Bedenken.

a) Die Verfahrensrüge, mit welcher der Angeklagte beanstandet, ihm sei zum Entschädigungsantrag des Nebenklägers keine hinreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden, ist aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend dargelegten Gründen nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ).

b) Der Feststellungsausspruch hinsichtlich der Verpflichtung des Angeklagten zum Ersatz künftiger materieller und immaterieller Schäden aus dem Tatereignis kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass den Nebenkläger ein erhebliches Mitverschulden am Eintritt des Schadensereignisses trifft, weil dieser die Mitnahme im Fahrzeug des Angeklagten erzwingen wollte und er keinen nachvollziehbaren Grund und keinerlei Berechtigung hatte, die Fahrt des Angeklagten aufzuhalten. Deshalb steht im Raum, dass der Nebenkläger einen Teil des ihm entstandenen Schadens selbst zu tragen hat, weshalb bei dem Feststellungsausspruch gemäß § 256 Abs. 1 ZPO wegen der diesem Ausspruch zukommenden Rechtskraftwirkung eine entsprechende Quote hätte festgestellt und ausgesprochen werden müssen, in welchem Bruchteil die Schadensersatzpflicht besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2011 - 5 StR 471/11, BGHR StPO § 406 Grundurteil 6; Urteil vom 13. Mai 1997 - VI ZR 145/96, BGHR ZPO § 304 Feststellungsantrag 6).

c) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht davon abgesehen hat, das in den Urteilsgründen festgestellte Mitverschulden des Geschädigten in seinem Grundurteil zum Schmerzensgeldanspruch durch die Festlegung einer Mitverschuldensquote zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2001 - VI ZR 286/00, VersR 2001, 1115 ; vom 28. März 2006 - VI ZR 50/05, NJW 2006, 2110 , 2111). Das Mitverschulden des Verletzten stellt bei der Festsetzung eines Schmerzensgelds lediglich einen Bemessungsfaktor neben anderen dar (vgl. BGH, Urteile vom 12. März 1991 - VI ZR 173/90, NZV 1991, 305 ; vom 2. Oktober 2001 - VI ZR 356/00, NZV 2002, 27 , 28), der mithin nicht den Grund des Anspruchs, sondern dessen Höhe betrifft. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird es aus verfahrensökonomischen Gründen zwar für zulässig gehalten, das erst im Betragsverfahren bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in die endgültige Bewertung einzustellende Mitverschulden des Verletzten bereits im Grundurteil durch die Angabe einer zu berücksichtigenden Mitverschuldensquote festzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2006 - VI ZR 50/05, aaO; Beschluss vom 21. August 2002 - 5 StR 291/02, BGHSt 47, 378 , 382; Urteil vom 21. April 1970 - VI ZR 13/69, VersR 1970, 624; OLG Düsseldorf, VersR 1975, 1052 ; OLG Köln, VersR 1975, 543; Vollkommer in Zöller, ZPO , 30. Aufl., § 304 Rn. 14 mwN; Oetker in MüKoBGB, 6. Aufl., § 253 Rn. 70; Rensen in Wieczorek/Schütze, ZPO , 3. Aufl., § 304 Rn. 30; aA Musielak, ZPO , 10. Aufl., § 304 Rn. 8). Zwingend erforderlich ist dies indes nicht.

d) Der Senat ist nicht gehindert, wegen der Zubilligung der Entschädigung abweichend vom Antrag des Generalbundesanwalts durch Beschluss zu entscheiden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 2009 - 2 StR 239/09, NStZ-RR 2009, 382; vom 5. Januar 1999 - 3 StR 602/98, BGHR StPO § 406a Abs. 2 Beschluss 1).

3. Der nur geringfügige Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch das Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO ). Die das Adhäsionsverfahren betreffende Kosten- und Auslagenentscheidung ergibt sich aus § 472a Abs. 1 und 2 StPO .

Vorinstanz: LG Frankfurt am Main, vom 10.07.2013
Fundstellen
StV 2015, 219