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BGH - Entscheidung vom 02.12.2014

VI ZR 501/13

Normen:
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 830 Abs. 2
StGB § 13 Abs. 1
StGB § 25 Abs. 1 2. Alt.
StGB § 26
StGB § 263

BGH, Urteil vom 02.12.2014 - Aktenzeichen VI ZR 501/13

DRsp Nr. 2015/119

Schadensersatzanspruch wegen einer Kapitalanlage (hier: Betrug) aufgrund einer Verletzung einer Aufklärungspflicht aus einem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 14. Oktober 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 823 Abs. 2 ; BGB § 830 Abs. 2 ; StGB § 13 Abs. 1 ; StGB § 25 Abs. 1 2. Alt.; StGB § 26 ; StGB § 263 ;

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagte, eine Aktiengesellschaft nach türkischem Recht, deliktische Schadensersatzansprüche wegen einer Kapitalanlage geltend.

Die Beklagte ist eine Gesellschaft der K. -Gruppe, zu der auch die K. H. S. A. 1929 mit Sitz in Luxemburg (künftig: K. H. S. A.) gehörte. Vorstandsvorsitzender beider Gesellschaften war B. Über das Vermögen der K. H. S. A. wurde im Jahr 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 27. März 2000 unterzeichnete der Kläger eine Vertragsurkunde, nach deren Inhalt er bei der K. H. S. A. einen Betrag von 95.000 DM anlegte. Für das Zertifikat erhielt er aber statt der vorgesehenen Aktien der K. H. S. A. die Aktien der Beklagten.

Der Kläger behauptet, die Beklagte sei der Mutterkonzern der K. -Gruppe. Der Anlagevertrag sei auf Empfehlung und Beratung des als Vertreter der Beklagten im Raum H. tätigen Zeugen S., dem die Position eines Filialleiters zugekommen sei, zustande gekommen. Der Kläger habe dem Vertreter der Beklagten erklärt, dass er keine Erfahrungen mit Kapitalanlagen vorliegender Art habe, es ihm auf eine sichere Kapitalanlage mit Rendite und die Möglichkeit der jederzeitigen Rückforderung des Anlagebetrages ankomme. Eine Beteiligung an der K. H. S. A. habe er nicht zeichnen wollen. Der Vertreter der Beklagten habe ihm den falschen Eindruck vermittelt, dass er sich an der Beklagten beteiligen würde, und habe wahrheitswidrig die entsprechenden Zusicherungen abgegeben. Der Kläger verlangt, so gestellt zu werden, als habe er die Kapitalanlage nicht getätigt.

Das Landgericht hat der Klage gegen die Beklagte durch Versäumnisurteil stattgegeben. Auf den Einspruch der Beklagten hat es das Versäumnisurteil mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Beklagte zur Zahlung Zug um Zug gegen Rückgabe der nach Nummern bezeichneten Anteilsscheine der Beklagten verpflichtet ist. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat unter Anwendung deutschen Rechts den vom Landgericht dem Kläger zugebilligten Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1, § 13 Abs. 1 , § 25 Abs. 1 Alternative 2 bzw. § 26 StGB , §§ 31 , 830 Abs. 2 BGB bejaht und dies wie folgt begründet:

Die Beklagte habe es unterlassen, den Kläger darüber aufzuklären, dass ihm tatsächlich kein durchsetzbarer Anspruch auf Rückgabe der erworbenen Aktien gegen Rückzahlung des Anlagebetrags innerhalb von drei Monaten nach Kündigung zustehe, sondern dies davon abhänge, dass ein Verkauf der vom Kläger erworbenen Papiere an einen anderen Interessenten oder auch ein Tochterunternehmen der Beklagten gelinge. Die Beklagte habe aufgrund eines zwischen ihr und dem Kläger bestehenden (vor-)vertraglich begründeten Vertrauensverhältnisses im Sinne einer Garantenstellung gemäß § 13 Abs. 1 StGB diesbezüglich eine Aufklärungspflicht getroffen. Sie könne sich nicht darauf berufen, dass tatsächlich nicht sie, sondern nur die K. H. S. A. gegenüber dem Kläger aufgetreten sei. Nach ihrem eigenen Vortrag habe sich die Beklagte in ihrem Auftreten nach außen nicht hinreichend zu den anderen einzelnen Gesellschaften abgegrenzt. Sie argumentiere selbst damit, dass trotz des rechtlichen Verbots der Rücknahme der Aktien durch die ausgebende Gesellschaft die Rücknahme durch andere Gesellschaften der K. -Gruppe gesichert gewesen sei. Der Kläger habe außerdem nach der Urkunde "Optionsscheine" bzw. "Zertifikate" der K. H. S. A. erworben, die in Aktien der in Luxemburg ansässigen Gesellschaft umgetauscht werden sollten. Es seien ihm aber stattdessen Aktien der Beklagten übergeben worden, ohne dass dies von Seiten eines Beteiligten hinterfragt worden sei. Es sei grob missbräuchlich, dass sich die Beklagte nunmehr - jedenfalls was die Zurechnung des Verhaltens der aufgetretenen Verkäufer und auch des Verhaltens ihres ehemaligen Vorstandsvorsitzenden B. angehe - gegenüber einem Anleger auf die (möglicherweise gegebene) rechtliche Selbständigkeit der einzelnen Gesellschaften berufe. Der Zeuge S. habe glaubhaft ausgeführt, dass die Möglichkeit der Rückzahlung des Kapitals in allen Beratungsgesprächen ein wesentlicher Punkt gewesen sei. Dies werde durch den Inhalt eines Rundschreibens des Vorstandsvorsitzenden B. bestätigt. Auch wenn dem Zeugen S. und seinen Mitarbeitern die Täuschung nicht bewusst und sie gutgläubig gewesen seien, hafte die Beklagte aus Anstiftung bzw. mittelbarer Täterschaft kraft überlegenen Wissens ihres Vorstandsvorsitzenden, der zweifellos Organ der Beklagten gewesen sei. Der Kläger habe infolge seines Irrtums das Zeichnungszertifikat der K. H. S. A. erworben und dadurch in Höhe des Anlagebetrags einen Schaden erlitten. Dieser liege darin, dass eine Rückzahlung nicht gesichert gewesen sei und er deshalb ein "aliud" erworben habe.

II.

Die Revision ist begründet.

1. Mit Recht rügt die Revision durchgreifende Rechtsfehler hinsichtlich der dem Berufungsurteil zugrunde liegenden Feststellungen (§ 286 ZPO ).

a) Nach § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht nach § 559 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10, VersR 2012, 454 Rn. 13 mwN). Derartige Rechtsfehler sind vorliegend gegeben. Das Berufungsgericht hat bei seiner Beurteilung erheblichen Vortrag der Beklagten zur rechtlichen und wirtschaftlichen Selbständigkeit der K. H. S. A. nicht hinreichend berücksichtigt (Art. 103 Abs. 1 GG ). Darauf weist die Revision zutreffend hin.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Vortrag der Beklagten zum Fehlen ihrer Passivlegitimation nicht unerheblich. Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 16. November 2011 geltend gemacht, ihr fehle die Passivlegitimation, weil die einzelnen K. -Gesellschaften selbständig gewesen seien. Sie hat in der Berufungsbegründungsschrift vom 30. Januar 2012 darauf hingewiesen, dass sie in keiner rechtlichen und finanziellen Beziehung zur K. H. S. A. stehe und in den Vertrieb der Anteile nicht eingebunden gewesen sei.

Zutreffend weist die Revision hierzu auf Umstände hin, die dafür sprachen, dass das Geschäft mit der K. H. S. A. abgeschlossen wurde. In dem vom Kläger erworbenen Zeichnungszertifikat wurde als Vertragspartner die K. H. S. A. genannt. Zudem wies der auf dem Zertifikat befindliche Stempel den Zeugen S. als Mitarbeiter dieser Gesellschaft aus. Nach dem Vortrag des Klägers in der Klageschrift waren auf der Rückseite des Zeichnungszertifikats die "Geschäftsbedingungen" abgedruckt, in denen ausschließlich die K. H. S. A. als Vertragspartner genannt werde.

2. Durchgreifende rechtliche Bedenken bestehen auch gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte hafte aufgrund einer Verletzung einer Aufklärungspflicht aus einem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis auf Schadensersatz wegen Betrugs.

a) Dem Handeln im Sinne eines positiven Tuns steht ein Unterlassen nur gleich, sofern eine Rechtspflicht zum Handeln bestand (vgl. BGH, Urteile vom 14. Februar 1978 - X ZR 19/76, BGHZ 71, 86, 93; vom 5. Februar 1992 - IV ZR 94/91, VersR 1992, 487 , 488; NK-BGB/Katzenmeier, 2. Aufl., § 823 Rn. 4). Bei unechten Unterlassungsdelikten muss ein besonderer Rechtsgrund festgestellt werden, wenn jemand ausnahmsweise dafür verantwortlich gemacht werden soll, dass er es unterlassen hat, zum Schutz fremder Rechtsgüter aktiv zu werden. Der Täter muss rechtlich verpflichtet sein, den deliktischen Erfolg abzuwenden, also eine Garantenstellung innehaben (vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 18; BGH, Urteile vom 25. Juli 2000 - 1 StR 162/00, NJW 2000, 3013 , 3014 mwN; vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, NJW 2010, 1087 Rn. 57). Eine sittliche Pflicht oder die bloße Möglichkeit, den Erfolg zu verhindern, genügen nicht (vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, aaO; BGH, Urteil vom 24. Februar 1982 - 3 StR 34/82, BGHSt 30, 391 , 394; BVerfG, NJW 2003, 1030 ). Ob eine solche Garantenstellung besteht, die es rechtfertigt, das Unterlassen der Erfolgsabwendung dem Herbeiführen des Erfolgs gleichzustellen, ist nicht nach abstrakten Maßstäben zu bestimmen. Vielmehr hängt die Entscheidung von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab; dabei bedarf es einer Abwägung der Interessenlage und der Bestimmung des konkreten Verantwortungsbereichs der Beteiligten (vgl. BGH, Urteile vom 25. Juli 2000 - 1 StR 162/00, aaO; vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO Rn. 58; vom 17. Juli 2009 - 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44 Rn. 23 ff.; Stree/Bosch in Schönke/Schröder, StGB , 29. Aufl., § 13 Rn. 14). Dies gilt in ganz besonderem Maße, wenn die Garantenstellung aus einer rechtlichen Sonderbeziehung hergeleitet werden soll.

b) Vor diesem Hintergrund wendet sich die Revision mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei aufgrund eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses deliktsrechtlich verpflichtet gewesen, den Kläger vor Erwerb der Aktien darüber aufzuklären, dass die Papiere nicht jederzeit gegen Rückzahlung des Kapitals von ihr zurückgenommen würden. Eine Garantenstellung der Beklagten, die sie verpflichtet hätte, den Kläger in der vom Berufungsgericht angenommenen Weise aufzuklären, ist nach den getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Der bloße Ankauf des Zeichnungsscheins, der zur Übernahme von Aktien der K. H. S. A. berechtigte, begründete kein besonderes Vertrauensverhältnis zur Beklagten, aufgrund dessen diese deliktsrechtlich gehalten gewesen wäre, dem Kläger eine besondere Aufklärung über die Risiken der Anlage zu erteilen. Auch dass der Kläger statt der im Zeichnungsschein genannten Aktien der K. H. S. A. solche der Beklagten erhalten hat, begründet nicht die Haftung der Beklagten, die bei Abschluss und Abwicklung des Anlagegeschäfts nicht beteiligt war. Eine etwaige rechtliche Verantwortung für die vorvertragliche Aufklärung des Klägers erwuchs für die Beklagte nicht aufgrund der Modalitäten der Abwicklung des Geschäfts im Nachhinein.

c) Eine Aufklärungspflicht der Beklagten lässt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht daraus herleiten, dass der Vorstandsvorsitzende B. der Beklagten in einem Rundschreiben vor dem Jahr 2000 betont habe, dass man selbstverständlich "sofort zahlen" werde. Unabhängig davon, dass für die rechtliche Beurteilung die Feststellung des genauen Inhalts und Adressatenkreises des Schreibens unverzichtbar sind (vgl. hierzu Senatsurteil vom 6. Juni 2013 - VI ZR 293/12, [...] Rn. 19 ff.), kann auf die Feststellung des Zeitpunktes, wann und in welcher Funktion B. das Rundschreiben verfasst und veröffentlicht hat, nicht verzichtet werden, zumal die Beklagte erst im Jahr 1997 gegründet worden ist. Darauf weist die Revision mit Recht hin.

d) Die Haftung der Beklagten für die gezeichnete Anlage lässt sich schließlich nicht - wie das Berufungsgericht meint - damit begründen, dass der Vorstandsvorsitzende B. zeitgleich mehreren Gesellschaften des K. Konzerns vorstand und die Beklagte deshalb jedenfalls für dessen Auftreten haftet. Die in § 31 BGB normierte haftungsrechtliche Zurechnung knüpft nicht nur an die Fähigkeit des Organs an, für die juristische Person zu handeln (vgl. Senatsurteile vom 13. Januar 1987 - VI ZR 303/85, BGHZ 99, 298 , 299 f.; vom 8. Juli 1986 - VI ZR 47/85, BGHZ 98, 148 , 151 und vom 14. Januar 2014 - VI ZR 469/12, [...] Rn. 10). Die Einstandspflicht der juristischen Person setzt außerdem voraus, dass das Organ auch in dem ihm zugewiesenen Wirkungskreis auftrat (vgl. Senatsurteile vom 5. Dezember 1958 - VI ZR 114/57, WM 1959, 80, 81; vom 20. Februar 1979 - VI ZR 256/77, VersR 1979, 523, 524; vom 8. Juli 1986 - VI ZR 47/85, aaO, 151 f.; vom 13. Januar 1987 - VI ZR 303/85, aaO, 300 und vom 14. Januar 2014 - VI ZR 469/12, aaO). Für ein zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten des B. müsste die Beklagte danach nur insoweit einstehen, als B. als ihr Organ gehandelt hat. Eine Haftung kommt

hingegen nicht in Betracht, wenn der Vorstandsvorsitzende B. für eine andere juristische Person gehandelt hat, die zum selben Konzern gehörte. Umstände, aufgrund derer sich die Beklagte Erklärungen des B. außerhalb seiner Funktion als ihr Vorstandsvorsitzender zurechnen lassen müsste, hat das Berufungsge

richt nicht festgestellt.

III.

Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei wird das Berufungsgericht gegebenenfalls dem in der Revision gebrachten Vortrag zur Frage eines Vermögensschadens des Klägers nachzugehen haben.

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 21.12.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 314 O 33/10
Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 14.10.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 13 U 26/13