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BGH - Entscheidung vom 29.07.2014

II ZR 230/13

BGH, Urteil vom 29.07.2014 - Aktenzeichen II ZR 230/13

DRsp Nr. 2014/13605

Schadensersatzanspruch auf Rückabwicklung ihrer atypisch stillen Beteiligung unabhängig von der Frage eines Aufklärungsmangels; Kein Ausschluss des Anspruchs auf Ersatz von Vermögensschäden durch Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Teilurteil des 11. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 17. Mai 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Klägerin beteiligte sich mit Beitrittserklärung vom 4. April 2003 als atypisch stille Gesellschafterin an der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit einem Gesamtbetrag von 33.800 € zuzüglich eines Agios von 6 %, und zwar in der Beteiligungsvariante „Classic“ mit einer „Einmaleinlage“ von 8.500 €, in der Variante „Classic Plus“, bei der die Ausschüttungen aus der Einmalanlage „Classic“ wieder angelegt werden, ebenfalls mit einem Betrag in Höhe von 8.500 € und in der Variante „Sprint“, bei der die Zahlung der Einlage in monatlichen Raten von 100 € vereinbart wurde, mit einem Betrag in Höhe von 16.800 €.

Mit Schreiben vom 7. Juli 2009 informierte die Beklagte die Klägerin und die weiteren Anleger über ihre wirtschaftlich schwierige Lage, die sich hieraus ergebende Notwendigkeit einer Liquidation und wies die Anleger darauf hin, dass sie die erhaltenen „Kapitalrückzahlungen“ an die Gesellschaft zu erstatten hätten. Mit Schreiben vom 15. Juli 2009 erklärte die Klägerin daraufhin die außerordentliche Kündigung ihrer stillen Beteiligung.

Mit der Behauptung, der Emissionsprospekt Stand 2003, den die Klägerin nicht vor Zeichnung der Beteiligung erhalten habe, weise zahlreiche, von ihr im Einzelnen dargelegte Fehler auf, außerdem habe der Vermittler die Risiken nicht richtig dargestellt und die Beklagte sei ihr daher zum Schadensersatz verpflichtet, hat die Klägerin von der Beklagten Rückzahlung ihrer bisher geleisteten Einlage nebst Agio in Höhe von 18.128 € Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte aus der stillen Beteiligung verlangt. Ferner hat sie die Feststellung begehrt, dass der Beklagten ihr gegenüber aus der Beteiligung keinerlei Ansprüche mehr zustehen. Hilfsweise hat sie die Feststellung beantragt, dass sie die Beteiligung am 15. Juli 2009 wirksam außerordentlich gekündigt habe, und Auszahlung des auf diesen Zeitpunkt von der Beklagten noch zu berechnenden Abfindungsguthabens verlangt.

Das Landgericht hat die Klage vollständig abgewiesen. Das Berufungsgericht hat durch Teilurteil die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, soweit sie gegen die Abweisung ihres Hauptbegehrens gerichtet war; hinsichtlich der Hilfsanträge hat es die Sache für noch nicht entscheidungsreif gehalten. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren nach Maßgabe ihrer Hauptanträge in der Berufungsinstanz weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg und führt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch auf Rückabwicklung ihrer atypisch stillen Beteiligung unabhängig von der Frage eines Aufklärungsmangels schon grundsätzlich nicht zu. Bei der Beklagten handele es sich um eine mehrgliedrige atypische stille Gesellschaft, auf die die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft wie bei einer Publikumsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG mit der Folge anzuwenden seien, dass der einzelne Gesellschafter gegen die Gesellschaft grundsätzlich nur einen etwaigen Abfindungsanspruch geltend machen könne.

Etwas anderes folge auch nicht daraus, dass die Klägerin ihre Beteiligung widerrufen habe. Unabhängig von der Frage, ob überhaupt ein Widerrufsrecht bestanden habe und ob es rechtzeitig ausgeübt worden sei, führe auch der Widerruf nur zu einer Beendigung der Beteiligung ex nunc.

II. Die Revision der Klägerin ist begründet.

1. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass zwischen den Parteien kein bloß zweigliedriges Gesellschaftsverhältnis zustande gekommen ist, sondern die Klägerin einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft in Form einer Publikumsgesellschaft beigetreten ist, bei der nach Invollzugsetzung für den Fall etwaiger anfänglicher Mängel die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft Anwendung finden, ist zwar aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wie der Senat zu dem in den wesentlichen Bestimmungen übereinstimmenden stillen Gesellschaftsvertrag einer anderen (mehrgliedrigen) stillen Gesellschaft ausgeführt hat (BGH, Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 Rn. 17 ff.; Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 320/12, juris, Rn. 14 ff.). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schließt die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft aber einen Anspruch der Klägerin auf Ersatz von Vermögensschäden, die ihr - nach ihrem Vorbringen - durch pflichtwidriges Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Zusammenhang mit ihrem Beitritt zur Gesellschaft entstanden sind, nicht von vornherein aus. Auch bei Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft kann, wie der Senat weiter entschieden hat, der Anleger, der sich an einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft beteiligt hat, das stille Gesellschaftsverhältnis unter Berufung auf den (behaupteten) Vertragsmangel durch sofort wirksame Kündigung beenden und unter Anrechnung des ihm bei Beendigung seines (fehlerhaften) Gesellschaftsverhältnisses gegebenenfalls zustehenden Abfindungsanspruchs von dem Geschäftsinhaber Ersatz eines darüber hinausgehenden Schadens verlangen, wenn dadurch die gleichmäßige Befriedigung etwaiger Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter nicht gefährdet ist (BGH, Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 Rn. 28 ff.).

2. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Klägerin nach diesen Grundsätzen ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zusteht, hat das Berufungsgericht von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt aus nicht geprüft. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Abweisung der Klage hinsichtlich der Hauptanträge daher keinen Bestand haben. Sie stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO ).

a) Dass das Berufungsgericht lediglich durch Teilurteil über den Hauptantrag auf Rückabwicklung entschieden hat, führt nicht etwa dazu, dass die Entscheidung im Einklang mit den oben dargestellten rechtlichen Vorgaben steht. Dabei kann dahinstehen, ob ein Teilurteil gemäß § 301 Abs.1 ZPO in diesem Fall überhaupt zulässig war oder wegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen hätte unterbleiben müssen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. November 2012 - V ZR 245/11, NJW 2013, 1009 ; Urteil vom 28. November 2003 - V ZR 123/03, BGHZ 157, 133 , 142 f.). Jedenfalls hätte der Klägerin Gelegenheit gegeben werden müssen, ihren Vortrag an die in den Vorinstanzen nicht erörterten, oben dargelegten rechtlichen Vorgaben anzupassen. Ein Geschädigter ist nicht ohne weiteres an eine von ihm ursprünglich gewählte Art der Schadensberechnung gebunden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 4 mwN). Die Klägerin kann insoweit nicht darauf verwiesen werden, dass über ihre Hilfsanträge gesondert entschieden werde. Mit diesen hat sie nämlich lediglich die Feststellung, dass sie die Beteiligung wirksam gekündigt hat, sowie die Verurteilung der Beklagten zur Berechnung und Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens begehrt. Einen daneben eventuell bestehenden Schadensersatzanspruch hat sie mit den Hilfsanträgen nicht verfolgt. Diese Möglichkeit muss ihr im Rahmen einer Umstellung ihres Hauptantrags eingeräumt werden.

b) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts und des Vorbringens der Parteien kann auch nicht angenommen werden, dass einem über einen Abfindungsanspruch hinausgehenden Schadensersatzbegehren der Klägerin zur Sicherung etwaiger Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der Mitgesellschafter der Erfolg zu versagen wäre. Ob und in welcher Höhe solche (hypothetischen) Ansprüche der anderen stillen Gesellschafter bestehen und aus dem Vermögen der Beklagten befriedigt werden können, steht nicht fest und müsste gegebenenfalls die Beklagte darlegen und beweisen, wenn sie sich einem Schadensersatzanspruch der Klägerin gegenüber darauf berufen wollte, dieser sei wegen einer Gefährdung der Abfindungsund Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter zumindest gegenwärtig nicht oder nicht in voller Höhe durchsetzbar. Im Übrigen wäre selbst für den Fall des Bestehens eines solchen Hindernisses das auf Zahlung eines bestimmten Schadensersatzbetrages gerichtete Leistungsbegehren der Klägerin dahin auszulegen, dass jedenfalls die Feststellung des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs in dieser Höhe begehrt wird. Sofern die sonstigen Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs gegeben sind, stünde der Umstand, dass das Vermögen der Beklagten im Zeitpunkt der Entscheidung zur Befriedigung etwaiger (hypothetischer) Abfindungsoder Auseinandersetzungsansprüche und des Schadensersatzanspruchs nicht ausreichte, einer Feststellung seines Bestehens nicht entgegen.

Ist die Gesellschaft zwischen allen stillen Gesellschaftern tatsächlich aufgelöst und bestehen nach Beendigung der Auseinandersetzung zwischen dem Geschäftsherrn und allen stillen Gesellschaftern keine Auseinandersetzungsansprüche mehr, so stehen die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft einem verbleibenden, ggf. dem Grunde und dem Betrag nach bereits festgestellten Schadensersatzanspruch eines geschädigten Anlegers gleichfalls nicht mehr entgegen. In dem zuletzt genannten Fall mag es zwar zu einem „Wettlauf“ zwischen geschädigten Anlegern mit ihren gegen den Geschäftsinhaber gerichteten Schadensersatzansprüchen kommen. Die Mitgesellschafter stehen sich dabei jedoch nicht als solche, sondern lediglich als wie auch sonst miteinander konkurrierende Gläubiger eines Schuldners gegenüber. Aus diesem Grunde genügt es für den Wegfall des sich aus den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft ergebenden Hindernisses auch, wenn das verbleibende Vermögen des Geschäftsinhabers im Zeitpunkt der Entscheidung über den gegen ihn gerichteten Schadensersatzanspruch neben diesem die (bestehenden und hypothetischen) Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter deckt. Es ist dagegen nicht erforderlich, dass es auch ausreicht, um vergleichbare Schadensersatzansprüche anderer (getäuschter) stiller Gesellschafter zu befriedigen (BGH, Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 Rn. 30).

III. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ), damit die Klägerin Gelegenheit hat, ihre Hauptanträge umzustellen und das Berufungsgericht die bislang offen gebliebenen Feststellungen zu den tatsächlichen Voraussetzungen des von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruchs treffen kann.

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 27.01.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 304 O 501/09
Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 17.05.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 11 U 30/12