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BGH - Entscheidung vom 03.04.2014

IX ZB 88/12

Normen:
Lugano-Übk Art. 22 Nr. 5
ZPO § 148
ZPO § 23
ZPO § 32
ZPO § 33
ZPO § 767
LugÜ Art. 1 Abs. 1
LugÜ Art. 2 Abs. 1
LugÜ Art. 27
LugÜ Art. 28
BGB § 823 Abs. 2
StGB § 266

Fundstellen:
BB 2014, 1281
IPRax 2015, 571
MDR 2014, 795
NJW 2014, 2798
NZI 2014, 495
NZI 2014, 521
WM 2014, 1003
ZIP 2014, 1552
ZInsO 2014, 1233
ZVI 2014, 265

BGH, Beschluss vom 03.04.2014 - Aktenzeichen IX ZB 88/12

DRsp Nr. 2014/8002

Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die zur Aufrechnung gestellten Forderungen i.R.e. Vollstreckungsgegenklage gegen die Zwangsvollstreckung (hier: Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. Schickedanz)

a) Eine Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO fällt nicht unter die Zuständigkeitsregelung in Art. 22 Nr. 5 LugÜ (2007), wenn das Erlöschen der zu vollstreckenden Forderung durch Aufrechnung mit einer Forderung geltend gemacht wird, für deren selbständige Geltendmachung das angerufene Gericht international unzuständig wäre.b) Zur Aussetzung des Verfahrens über eine Vollstreckungsgegenklage, mit der das Erlöschen der zu vollstreckenden Forderung durch eine Aufrechnung geltend gemacht wird, im Hinblick auf ein Verfahren über die aufgerechnete Forderung bei dem international allein zuständigen ausländischen Gericht.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 15. August 2012 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 258.939,44 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 23 ; ZPO § 32 ; ZPO § 33 ; ZPO § 767 ; LugÜ Art. 1 Abs. 1; LugÜ Art. 2 Abs. 1; LugÜ Art. 27; LugÜ Art. 28; BGB § 823 Abs. 2 ; StGB § 266 ;

Gründe

I.

Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des M. S. (fortan: Schuldner). Er wendet sich mit der Vollstreckungsgegenklage gegen die Zwangsvollstreckung der Beklagten, der geschiedenen Ehefrau des Schuldners mit Wohnsitz in der Schweiz, aus zwei Kostenfestsetzungsbeschlüssen.

Der verstorbene Vorgänger des Klägers im Amt des Insolvenzverwalters schloss mit der Beklagten am 30. April 2001 zur Abgeltung von Insolvenzanfechtungsansprüchen eine Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung. Nach der Vereinbarung hatte die Beklagte dem Insolvenzverwalter ihr gesamtes Vermögen zu übertragen. Im Hinblick auf ein Anwesen in M. , welches im Miteigentum der Beklagten und des Vaters des Schuldners stand, wurde die Vereinbarung am 17. September 2001 dahin ergänzt, dass die Beklagte dem Insolvenzverwalter eine unwiderrufliche Verkaufsvollmacht erteilt und ihre künftigen Verkaufserlöse an ihn abtritt, was mit Erklärungen vom selben Tag umgesetzt wurde. Ferner sollte sie gewährleisten, dass auch der Vater des Schuldners eine entsprechende Verkaufsvollmacht und Abtretungserklärung unterzeichnet, was dieser anschließend tat.

In der Folgezeit kam es zu Meinungsverschiedenheiten über die weitere Abwicklung der Vereinbarung und deren Wirksamkeit. Ende des Jahres 2005 veräußerte die Beklagte ihren Miteigentumsanteil an dem Anwesen in M. für 2,4 Mio. CHF an ihre Kinder gegen Eintragung eines lebenslangen Wohnrechts. Der Vater des Schuldners schenkte den Kindern seinen Miteigentumsanteil am Grundstück. Im Mai 2006 verkaufte die Beklagte im Namen der Kinder das Anwesen für 17,5 Mio. CHF an einen Dritten, ohne den Verkaufserlös an die Insolvenzmasse abzuführen.

In einem Vorprozess begehrte der Insolvenzverwalter vor deutschen Gerichten die Feststellung, dass die mit der Beklagten getroffene Vereinbarung wirksam sei. Die Klage wurde in zweiter Instanz mangels internationaler Zuständigkeit abgewiesen; die Revision des Insolvenzverwalters hatte keinen Erfolg (BGH, Urteil vom 27. April 2010 - IX ZR 108/09, BGHZ 185, 241). Die vom Insolvenzverwalter zugunsten der Beklagten zu erstattenden Kosten wurden mit Beschluss vom 29. Juni 2009 auf 850.792,80 € und mit Beschluss vom 25. Juni 2010 auf weitere 347.684,80 € festgesetzt.

Gegen die Zwangsvollstreckung aus diesen Beschlüssen wendet sich der Kläger mit der Vollstreckungsgegenklage. Er macht geltend, er habe gegen die zu vollstreckenden Forderungen mit seinem Anspruch auf Auskehrung des Veräußerungserlöses aus dem Verkauf der Immobilie in M. aufgerechnet. Nach erfolgreicher Vollstreckung der Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29. Juni 2009 hat der Kläger seine Klage insoweit als verlängerte Vollstreckungsgegenklage fortgeführt und begehrt nunmehr von der Beklagten die Rückzahlung des von ihr erlangten Betrages von 947.012,43 €. Betreffend den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25. Juni 2010 beantragt er weiterhin, die Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären.

Wegen der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung hatte der Kläger zunächst in eigenem Namen in der Schweiz einen Rechtsstreit gegen die Beklagte geführt. Die Klage war mit der Begründung abgewiesen worden, ein ausländischer Konkursverwalter sei in der Schweiz nicht aktivlegitimiert. Daraufhin beantragte der Kläger die Anerkennung der Konkurseröffnung in der Schweiz. Diesem Antrag gab das Bezirksgericht Me. mit Urteil vom 23. Februar 2012 statt. Es beauftragte das Konkursamt K. mit der Durchführung des Konkurses über das in der Schweiz gelegene Vermögen des Schuldners. Seitdem vertritt das Konkursamt die Konkursmasse in einem nach schweizerischem Recht vor einer Klage auf Herausgabe des Veräußerungserlöses durchzuführenden Schlichtungsverfahren.

Das Landgericht hat, nachdem es die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25. Juni 2010 gegen Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt hat, die Verhandlung nach § 148 ZPO ausgesetzt, bis das schweizerische Schlichtungsverfahren über die Aufrechnungsforderung rechtskräftig erledigt ist. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Oberlandesgericht den Aussetzungsbeschluss aufgehoben. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 252 , 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 575 Abs. 2 bis 4 ZPO ). Sie ist in der Sache jedoch unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht meint, es bestehe keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen, denn die Vollstreckungsgegenklage sei unbegründet. Die Entscheidung über eine im Wege der Prozessaufrechnung geltend gemachte Gegenforderung setze die internationale Zuständigkeit des Gerichts voraus (BGH, Urteil vom 12. Mai 1993 - VIII ZR 110/92, NJW 1993, 2753 ), es sei denn, die für die Aufrechnung verwendete Gegenforderung sei nicht streitig oder rechtskräftig festgestellt. Dies müsse erst recht gelten, wenn die Forderung nicht ein Verteidigungsmittel, sondern wie im Fall der Vollstreckungsgegenklage im Sinne des § 767 ZPO die Grundlage einer neuen Klage gegen einen rechtskräftigen Vollstreckungstitel bilde.

Für die Entscheidung über die vom Kläger geltend gemachte Gegenforderung seien die deutschen Gerichte international nicht zuständig. Die Zuständigkeit folge weder aus Art. 5 Nr. 1 Buchst. a noch aus Art. 5 Nr. 3 des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden auch: Lugano-Übereinkommen und LugÜ). Mangels Konnexität der Aufrechnungsforderung und der titulierten Forderung ergebe sich die Zuständigkeit auch nicht aus § 33 ZPO . Auf den exorbitanten Gerichtsstand des § 23 ZPO dürfe im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens von 2007 nicht zurückgegriffen werden.

Die danach gebotene Abweisung der Vollstreckungsgegenklage könne nicht dadurch vermieden werden, dass das Verfahren gemäß § 148 ZPO ausgesetzt werde. Die Aussetzung führe in Verbindung mit der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 769 ZPO dazu, dass die Beklagte auf unbestimmte Zeit an der Durchsetzung ihres titulierten Anspruchs gehindert sei, was nicht interessengerecht erscheine.

2. Diese Ausführungen des Beschwerdegerichts halten rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand. Von einer Aussetzung des Verfahrens über die Vollstreckungsgegenklage konnte abgesehen werden, weil die Klage mangels internationaler Zuständigkeit des angerufenen Gerichts abweisungsreif ist.

a) Die Zuständigkeit des mit der Vollstreckungsgegenklage angerufenen Gerichts beurteilt sich im Streitfall grundsätzlich nach dem Lugano-Übereinkommen in der revidierten Fassung vom 30. Oktober 2007 (Amtsblatt der Europäischen Union 2009 L 147 S. 5 ff).

Dieses Abkommen ist zeitlich anwendbar, weil es in Deutschland am 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist und die Klage danach, am 18. Mai 2010, erhoben wurde (Art. 63 Abs. 1, Art. 69 Abs. 4 und 5 LugÜ). Allerdings ist das Übereinkommen in der Schweiz erst am 1. Januar 2011 in Kraft getreten. Soweit die für die Zuständigkeit maßgeblichen Vorschriften auf Anknüpfungspunkte in einem durch das Übereinkommen gebundenen Staat abstellen und als solcher die Schweiz in Rede steht, sind deshalb die Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens vom 16. September 1988 (BGBl. 1994 II S. 2660) anzuwenden. Eine abweichende Beurteilung ergibt sich aus den unterschiedlichen Fassungen jedoch nicht.

Der sachliche Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens ist eröffnet, weil der Rechtsstreit eine Zivilsache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 LugÜ zum Gegenstand hat. Der Ausschlussgrund des Art. 1 Abs. 2 Buchst. b LugÜ für Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren greift nicht ein. Ohne das Insolvenzverfahren über das Vermögen des früheren Ehemannes der Beklagten wäre es zwar nicht zu der Vereinbarung gekommen, aus der der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Auskehr des Erlöses aus dem Verkauf des Anwesens herleitet. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung über die Klage auf Feststellung der Wirksamkeit der Vereinbarung ausgeführt hat (BGH, Urteil vom 27. April 2010 - IX ZR 108/09, BGHZ 185, 241 Rn. 9), genügt dies aber nicht, um den erforderlichen engen, unmittelbaren Zusammenhang zwischen der vorliegenden Klage und dem Insolvenzverfahren zu begründen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Februar 1979 - Rs. 133/78, Gourdain/Nadler, Slg. 1979, 733 Rn. 4; vom 12. Februar 2009 - Rs. C-339/07, Seagon/Deko Marty Belgium NV, NJW 2009, 2189 Rn. 19 ff; vom 2. Juli 2009 - Rs. C-111/08, SCT Industri/ Alpenblume, ZIP 2009, 1441 Rn. 21, 25; vom 10. September 2009 - Rs. C-292/08, German Graphics, RIW 2009, 798 Rn. 26; vom 19. April 2012 - Rs. C-213/10, Lietuvos Auksèiausiasis Teismas, ZIP 2012, 1049 Rn. 29). Vielmehr ist die Klage als Zivilsache anzusehen, weil sie ihre Grundlage nicht im Insolvenzrecht hat und weder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch die Bestellung eines Insolvenzverwalters voraussetzt (vgl. EuGH, Urteil 10. September 2009, aaO Rn. 32).

b) Grundsätzlich sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch das Übereinkommen gebundenen Staates haben, vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen (Art. 2 Abs. 1 LugÜ). Für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung zum Gegenstand haben, sind hingegen gemäß Art. 22 Nr. 5 LugÜ 2007 (Art. 16 Nr. 5 LugÜ 1988) ohne Rücksicht auf den Wohnsitz die Gerichte des Staates ausschließlich zuständig, in dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist. Diese Zuständigkeitsregel gilt wegen des engen Zusammenhangs mit dem Vollstreckungsverfahren auch für die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO (EuGH, Urteil vom 4. Juli 1985 - Rs. 220/84, AS-Autoteile Service GmbH/Malhé, Slg. 1985, 2273 Rn. 12, 19 zu Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ). Allerdings kann die internationale Zuständigkeit eines Gerichts für eine Vollstreckungsgegenklage dann nicht auf Art. 22 Nr. 5 LugÜ 2007 (Art. 16 Nr. 5 LugÜ 1988) gestützt werden, wenn mit der Klage geltend gemacht wird, der zu vollstreckende Anspruch sei durch die Aufrechnung mit einer Forderung erloschen, für deren selbständige Geltendmachung die Gerichte dieses Staates nicht zuständig wären (EuGH, Urteil vom 4. Juli 1985, aaO Rn. 19). Dies folgt aus der Systematik des Übereinkommens. Die grundsätzliche Allzuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Beklagten nach Art. 2 Abs. 1 LugÜ dient dessen Schutz (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juli 1985, aaO Rn. 15; vom 13. Oktober 2005 - Rs. C-73/04, Klein/Rhodos Management Ltd., Slg. 2005, I-8681 Rn. 15). Die Ausnahmen in Art. 22 LugÜ dürfen deshalb nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Ziel erfordert (EuGH, Urteil vom 13. Oktober 2005, aaO). Die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte am Vollstreckungsort nach Art. 22 Nr. 5 LugÜ 2007 (Art. 16 Nr. 5 LugÜ 1988) trägt der besonderen Beziehung eines Verfahrens zum Ort der Zwangsvollstreckung Rechnung. An dieser Beziehung fehlt es, wenn geltend gemacht wird, die zu vollstreckende Forderung sei durch Aufrechnung erloschen. Die Gerichte des Vollstreckungsstaats sind deshalb in einem solchen Fall nur dann international zuständig, wenn sie auch im Fall einer selbständigen Geltendmachung der aufgerechneten Forderung zuständig wären.

An dieser Beurteilung hat sich durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Juli 1995 (Rs. C-341/93, Danvaern Production/Schuhfabriken Otterbeck, Slg. 1995, I-2071) nichts geändert. Nach dieser Entscheidung bestimmen sich die Voraussetzungen, unter denen eine Prozessaufrechnung geltend gemacht werden kann, nicht nach den Bestimmungen des Übereinkommens (dort: Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ), sondern nach nationalem Recht, weil es sich bei der Prozessaufrechnung um ein bloßes Verteidigungsmittel handelt. Für die Geltendmachung einer Aufrechnung im Wege der Vollstreckungsgegenklage gilt dies nicht; insoweit bleibt es bei den Grundsätzen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Juli 1985 (aaO; OLG Hamburg, RIW 1998, 889, 891; MünchKomm-ZPO/Gottwald, 4. Aufl., Art. 22 EuGVO Rn. 47; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 22 EuGVO Rn. 61; Hk-ZPO/Dörner, 5. Aufl., Art. 22 EuGVVO Rn. 29; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO , 70. Aufl., Art. 22 EuGVVO Rn. 6; Thomas/Putzo/ Hüßtege, ZPO , 34. Aufl., Art. 22 EuGVVO Rn. 16; aA wohl Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., vor Art. 2 EuGVVO Rn. 15).

c) Im Streitfall ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die zur Aufrechnung gestellte Forderung zu verneinen. Sie folgt weder aus dem Lugano-Übereinkommen noch aus dem autonomen deutschen Verfahrensrecht.

aa) Der allgemeine Gerichtsstand des Beklagtenwohnsitzes nach Art. 2 Abs. 1 LugÜ begründet im Streitfall keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, weil die Beklagte in der Schweiz ansässig ist. Gemäß Art. 3 Abs. 1 LugÜ kann sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte daher nur aus den besonderen und ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art. 5 bis Art. 24 LugÜ 2007 (Art. 5 bis Art. 18 LugÜ 1988) ergeben. Diese führen indes nicht zu einem Gerichtsstand in Deutschland, wie das Beschwerdegericht zutreffend festgestellt hat.

(1) Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im Sinne von Art. 5 Nr. 1 LugÜ liegt nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz. Die zur Aufrechnung gestellte Forderung wird aus den getroffenen Vereinbarungen abgeleitet und konkurrierend auf die Behauptung gestützt, die Beklagte habe ihre vertraglichen Pflichten aus der Auseinandersetzungsvereinbarung verletzt. Damit werden Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne der Zuständigkeitsregelung geltend gemacht; hiervon sind auch vertragliche Sekundäransprüche umfasst (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1976, Rs. 14/76, de Bloos/Bouyer, Slg. 1976, 1497 Rn. 15/17 zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ; Oberhammer in Dasser/Oberhammer, LugÜ, Art. 5 Rn. 18; Hofmann/Kunz in Oetiker/Weibel, LugÜ, Art. 5 Rn. 114; Kropholler/von Hein, aaO Art. 5 EuGVO Rn. 14).

Bei gegenseitigen Verträgen ist für die Ermittlung des Erfüllungsortes auf die konkret streitige Verpflichtung abzustellen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1976, Rs. 14/76, aaO; Oberhammer in Dasser/Oberhammer, aaO Art. 5 Rn. 24). Im Rahmen eines Rechtsstreits über die Folgen einer Vertragsverletzung kommt es auf die Verpflichtung an, deren Nichterfüllung zur Anspruchsbegründung geltend gemacht wird, also auf den Erfüllungsort für die primäre Hauptverpflichtung (Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., A.1 Art. 5 Rn. 107 f). Der Kläger meint, die Beklagte habe gegen ihre Verpflichtungen aus der Auseinandersetzungsvereinbarung vom 30. April 2001 und der Ergänzungsvereinbarung vom 17. September 2001 verstoßen, indem sie ihren Miteigentumsanteil am Anwesen in der Schweiz zunächst ohne Genehmigung des Insolvenzverwalters an ihre Kinder übereignet und das Anwesen schließlich in deren Namen unter Vereinnahmung des Kaufpreises veräußert habe.

Die Beklagte war nach der Vereinbarung in erster Linie dazu verpflichtet, dem Insolvenzverwalter die Veräußerung des Grundstücks zu überlassen und ihm die Vereinnahmung des Erlöses für die Insolvenzmasse zu gestatten. Diese Verpflichtungen hat die Beklagte bereits mit der Unterzeichnung der Ergänzungsvereinbarung vom 17. September 2001 nebst Verkaufsvollmacht und Abtretungserklärung zugunsten des Insolvenzverwalters erfüllt. Durch die Verkaufsvollmacht wurde der Insolvenzverwalter unwiderruflich bevollmächtigt, alle mit dem Verkauf des Schweizer Grundstücks notwendigen Rechtshandlungen, einschließlich etwa der Ablösung von Hypotheken sowie die Eintragung und Aufhebung von Dienstbarkeiten, Abgabe der Grundbuchanmeldung und das Inkasso des Kaufpreises, vorzunehmen. Ferner trat die Beklagte sämtliche bestehenden und künftigen Forderungen am Grundstück an den Insolvenzverwalter ab. Dies begründet die internationale Zuständigkeit der Schweizer Gerichte, denn Art. 5 Nr. 1 LugÜ stellt neben dem vertraglichen Erfüllungsort auch auf den Ort ab, an dem die Verpflichtung tatsächlich erfüllt worden ist. Die einvernehmliche Erfüllung einer Verpflichtung an einem anderen als dem ursprünglich vereinbarten Ort ist regelmäßig auch als Vereinbarung eines neuen Erfüllungsortes anzusehen (BGH, Urteil vom 27. April 2010, aaO Rn. 20 f; BayObLG, RIW 2001, 862, 863; Hofmann/Kunz in Oetiker/Weibel, aaO Art. 5 Rn. 342; vgl. auch Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 42; Kropholler/von Hein, aaO Art. 5 EuGVO Rn. 34; MünchKomm-ZPO/Gottwald, aaO Art. 5 EuGVO Rn. 38; Oberhammer in Dasser/Oberhammer, aaO Art. 5 Rn. 32). Durch die Abgabe der notwendigen notariellen Erklärungen am Beurkundungsort in B. erfüllte die Beklagte ihre vertraglichen Verpflichtungen in der Schweiz.

(2) Der Kläger stützt seine Ansprüche auch auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266 StGB . Dies begründet jedoch nicht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ. Der Anwendungsbereich dieser Norm erfasst Verfahren, die eine unerlaubte Handlung oder eine ihr gleich gestellte Handlung betreffen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bezieht sich dies auf alle nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens anknüpfende Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird (Urteil vom 27. September 1988 - Rs. 189/87, Kalfelis/Bankhaus Schröder u.a., Slg. 1988, 5565 Rn. 17; vom 26. März 1992 - Rs. C-261/90, Reichert u.a./Dresdner Bank, Slg. 1992, I-2175 Rn. 16; vom 27. Oktober 1998 - Rs. C-51/97, Réunion européenne u.a./Spliethoff's Bevrachtingskantoor, Slg. 1998, I-6534 Rn. 22; vom 11. Juli 2002 - Rs. C-96/00, Gabriel, Slg. 2002, I-6384 Rn. 33). Haftungsklagen, welche - wie im Streitfall - auf der Verletzung von vertraglichen Pflichten beruhen, fallen somit nicht unter Art. 5 Nr. 3 LugÜ (Oberhammer in Dasser/ Oberhammer, aaO Art. 5 Rn. 127; Hofmann/Kunz in Oetiker/Weibel, aaO Art. 5 Rn. 485). Im Hinblick auf die gebotene autonome Auslegung (EuGH, Urteil vom 27. September 1988, aaO Rn. 16) ist deshalb ohne Bedeutung, dass die Haftung nach dem nationalen Recht auch aus einer deliktischen Anspruchsgrundlage folgen kann.

(3) Aus Art. 6 Nr. 3 LugÜ ergibt sich die Zuständigkeit der deutschen Gerichte ebenfalls nicht, weil diese Norm schon dem Wortlaut nach voraussetzt, dass eine Hauptklage in einem Vertragsstaat bereits rechtshängig ist (Müller in Dasser/Oberhammer, aaO Art. 6 Rn. 102; Rohner/Lerch in Oetiker/Weibel, aaO, Art. 6 Rn. 76; vgl. Rauscher/Leible, aaO Art. 6 Brüssel I-VO Rn. 25). Das Angriffsmittel muss eine Reaktion auf die Hauptklage sein. Die Regelung sieht keine internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Vertragsstaates vor, in dem erstmals eine auf eine Gegenforderung gestützte Klage erhoben wird.

bb) Auch das autonome deutsche Recht begründet keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für eine Klage, mit welcher die zur Aufrechnung gestellte Forderung gegen die in der Schweiz wohnhafte Beklagte verfolgt werden kann. Für den Gerichtsstand des Vermögens nach § 23 ZPO stellt Art. 3 Abs. 2 LugÜ ausdrücklich klar, dass er nicht gegen Beklagte mit Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat des Übereinkommens geltend gemacht werden kann.

Im Übrigen folgt bereits aus Art. 3 Abs. 1 LugÜ, dass ein Beklagter nur dann vor den Gerichten eines wohnsitzfremden Vertragsstaates verklagt werden darf, wenn sich die internationale Zuständigkeit aus den besonderen oder ausschließlichen Zuständigkeiten der Art. 5 bis Art. 24 LugÜ 2007 (Art. 5 bis Art. 18 LugÜ 1988) ergibt. Begründen diese Normen keine internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, darf der Gerichtsstand des Beklagtenwohnsitzes nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass auf die autonomen nationalen Zuständigkeitsregeln zurückgegriffen wird (vgl. Oberhammer in Dasser/ Oberhammer, aaO Art. 3 Rn. 3 f; Kropholler/von Hein, aaO vor Art. 2 EuGVO Rn. 18, Art. 3 EuGVO Rn. 1). Es verbietet sich somit auch ein Rückgriff auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO und den Gerichtsstand der Widerklage nach § 33 ZPO (anders im Falle der Prozessaufrechnung als Verteidigungsmittel, vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2001 - VIII ZR 263/00, BGHZ 149, 120 , 127).

d) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts, das Verfahren über die Vollstreckungsgegenklage nicht bis zur rechtskräftigen Erledigung des in der Schweiz anhängigen Schlichtungsverfahrens über die Aufrechnungsforderung auszusetzen, ist unter diesen Umständen jedenfalls im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Eine Aussetzung nach den Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens scheidet aus. Die Art. 27, 28 LugÜ 2007 (Art. 21, 22 LugÜ 1988) sehen die Möglichkeit einer Aussetzung des Verfahrens vor, wenn in einem anderen Vertragsstaat entweder derselbe oder ein zusammenhängender Anspruch anhängig ist. Dadurch sollen insbesondere sich widersprechende Entscheidungen vermieden werden. Zur Aussetzung berechtigt ist jedoch nur das später angerufene Gericht. Eine Aussetzung des Verfahrens bei dem hier zuerst angerufenen deutschen Gericht kommt nicht in Betracht.

Im Übrigen gehen die Regelungen der Art. 27, 28 LugÜ 2007 (Art. 21, 22 LugÜ 1988) davon aus, dass eine internationale Zuständigkeit des aussetzenden Gerichts gegeben ist. Fehlt sie wie im Streitfall, muss die Klage in jedem Falle als unzulässig abgewiesen werden (vgl. Kropholler/von Hein, aaO vor Art. 27 EuGVO Rn. 2). Die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen besteht in diesem Fall von vorneherein nicht (vgl. Oetiker/Weibel/Mabillard, aaO Art. 27 Rn. 2). Außerdem würde eine Aussetzung dem Grundsatz einer effizienten Rechtspflege in den Vertragsstaaten zuwiderlaufen, welcher ebenfalls durch das Koordinierungssystem der Art. 27, 28 LugÜ 2007 (Art. 21, 22 LugÜ 1988) gewahrt werden soll (Oetiker/Weibel/Mabillard, aaO Art. 27 Rn. 3).

bb) Ob die Art. 27, 28 LugÜ 2007 (Art. 21, 22 LugÜ 1988) die Möglichkeit einer Aussetzung des Verfahrens im Blick auf ein in einem anderen Vertragsstaat anhängiges Verfahren abschließend regeln (so OLG Hamburg, RIW 1998, 889, 891; für "Vorrang" Stein/Jonas/Roth, ZPO , 22. Aufl., § 148 Rn. 56, 60) oder ob daneben auf die nationale Norm des § 148 ZPO zurückgegriffen werden kann, braucht nicht entschieden zu werden. Denn auch nach dem Maßstab von § 148 ZPO ist die Ablehnung einer Aussetzung durch das Beschwerdegericht nicht zu beanstanden. Dieses hat die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens (zur eingeschränkten Überprüfbarkeit der Ermessensentscheidung vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - IX ZB 33/04, NJW-RR 2005, 925 , 926; vom 22. Juni 2011 - I ZB 64/10, NJW-RR 2011, 1343 Rn. 11) nicht überschritten. Dient die Aussetzung des Verfahrens über eine Vollstreckungsgegenklage allein dem Zweck, die Abweisung der Klage mangels internationaler Zuständigkeit zu vermeiden, weil nach rechtskräftiger Zuerkennung der aufgerechneten Gegenforderung durch das ausländische Gericht die Aufrechnung mit dieser Forderung vom deutschen Gericht berücksichtigt werden muss, kann die Aussetzung zumindest dann abgelehnt werden, wenn in absehbarer Zeit nicht mit der Beibringung einer rechtskräftigen ausländischen Entscheidung über die aufgerechnete Forderung zu rechnen ist. Die vom Landgericht herangezogene Rechtsprechung, nach der das Verfahren bei einer Prozessaufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung in aller Regel auszusetzen ist (BGH, Urteil vom 11. Januar 1955 - I ZR 106/53, BGHZ 16, 124, 138), verlangt im Streitfall keine Aussetzung. Ob sie auf den Fall einer Prozessaufrechnung mit einer Forderung, für deren selbständige Geltendmachung das angerufene Gericht international unzuständig wäre, anzuwenden ist (vgl. Wagner, IPRax 1999, 65, 73; Rüßmann, jurisPK- BGB , 6. Aufl., § 388 Rn. 37), kann offen bleiben. Für eine Vollstreckungsgegenklage gilt sie jedenfalls nicht. Der bei der Prozessaufrechnung maßgebliche Gesichtspunkt, dass eine materiell unzutreffende (weil die sachlichrechtlich wirksame Aufrechnung nicht berücksichtigende) Entscheidung über die geltend gemachte Hauptforderung vermieden werden soll (BGH, Urteil vom 11. Januar 1955, aaO S. 132 f), hat bei einer Vollstreckungsgegenklage keine Bedeutung.

Vorinstanz: LG Karlsruhe, vom 23.05.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 11 O 12/10
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 15.08.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 8 W 48/12
Fundstellen
BB 2014, 1281
IPRax 2015, 571
MDR 2014, 795
NJW 2014, 2798
NZI 2014, 495
NZI 2014, 521
WM 2014, 1003
ZIP 2014, 1552
ZInsO 2014, 1233
ZVI 2014, 265