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BGH - Entscheidung vom 29.07.2014

II ZR 199/13

Normen:
ZPO § 561

BGH, Urteil vom 29.07.2014 - Aktenzeichen II ZR 199/13

DRsp Nr. 2014/12978

Inanspruchnahme einer Anlagegesellschaft auf Schadensersatz wegen pflichtwidrigen Verhaltens i.R.d. Beitritts als atypische Gesellschafter

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 25. April 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

ZPO § 561 ;

Tatbestand

Die Klägerin und ihr Ehemann, der seine Ansprüche an die Klägerin abgetreten hat, beteiligten sich mit Beitrittserklärung vom 13. August 2001 als atypisch stille Gesellschafter an der Beklagten mit einer "Einmaleinlage" von 9.400 DM zuzüglich 6 % Agio.

Mit der Behauptung, der Vermittler, dessen Verhalten sich die Beklagte zurechnen lassen müsse, habe sie falsch beraten, ferner weise der für ihre Anlageentscheidung maßgebliche Emissionsprospekt Stand November 2000 zahlreiche, von der Klägerin im Einzelnen dargelegte Fehler auf und die Beklagte sei ihnen daher zum Schadensersatz verpflichtet, hat die Klägerin von der Beklagten Rückzahlung ihrer geleisteten Einlage nebst Agio abzüglich der erhaltenen Ausschüttungen in Höhe von 2.729,22 €, mithin insgesamt 2.365,29 €, Ersatz entgangenen Gewinns in Höhe von 1.121,23 € sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt. Ferner hat sie die Feststellung begehrt, dass der Beklagten ihnen gegenüber aus der Beteiligung keinerlei Ansprüche mehr zustehen.

Die Klage ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg und führt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin könne den begehrten Schadensersatz nicht verlangen, weil die Grundsätze der fehlerhaften, in Vollzug gesetzten Gesellschaft eingriffen. Nach diesen Grundsätzen sei eine Inanspruchnahme der Anlagegesellschaft selbst ausgeschlossen. Derjenige, der einer Publikumsgesellschaft beitrete, um sein Vermögen anzulegen, könne bei einer mangelhaften Aufklärung über die Risiken und Chancen des Anlageprojektes von der Gesellschaft weder Schadensersatz noch sonst Rückabwicklung seiner Gesellschaftsbeteiligung verlangen, weil die fehlerhafte Aufklärung der Gesellschaft nicht zugerechnet werden könne. Die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft seien auch auf den Fall einer mehrgliedrigen atypisch stillen Gesellschaft anwendbar. Der vom Bundesgerichtshof entschiedene Ausnahmefall betreffend eine zweigliedrige stille Gesellschaft greife nicht, weil im vorliegenden Fall eine Beteiligung an einer mehrgliedrigen atypischen Gesellschaft vorliege. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob der Prospekt unrichtig oder unvollständig und die Aufklärung durch den Vermittler fehlerhaft gewesen sei.

II. Die Revision der Klägerin ist begründet.

1. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass zwischen den Parteien kein bloß zweigliedriges Gesellschaftsverhältnis zustande gekommen ist, sondern die Klägerin und ihr Ehemann einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft in Form einer Publikumsgesellschaft beigetreten sind, bei der nach Invollzugsetzung für den Fall etwaiger anfänglicher Mängel die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft Anwendung finden, ist zwar aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wie der Senat in den am 19. November 2013 verkündeten Urteilen in entsprechende Beteiligungen an der Beklagten betreffenden Parallelverfahren im Einzelnen begründet hat (BGH, Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 Rn. 17 ff.; Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 320/12, [...], Rn. 14 ff.). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schließt die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft aber einen Anspruch der Klägerin auf Ersatz von Vermögensschäden, die ihr und ihrem Ehemann - nach ihrem Vorbringen - durch pflichtwidriges Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Zusammenhang mit ihrem Beitritt zur Gesellschaft entstanden sind, nicht von vornherein aus. Auch bei Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft kann, wie der Senat weiter entschieden hat, der Anleger, der sich an einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft beteiligt hat, das stille Gesellschaftsverhältnis unter Berufung auf den (behaupteten) Vertragsmangel durch sofort wirksame Kündigung beenden und unter Anrechnung des ihm bei Beendigung seines (fehlerhaften) Gesellschaftsverhältnisses gegebenenfalls zustehenden Abfindungsanspruchs von dem Geschäftsinhaber Ersatz eines darüber hinausgehenden Schadens verlangen, wenn dadurch die gleichmäßige Befriedigung etwaiger Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter nicht gefährdet ist (BGH, Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 Rn. 28 ff.).

2. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Klägerin nach diesen Grundsätzen ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zusteht, hat das Berufungsgericht von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt aus nicht geprüft. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Abweisung der Klage daher keinen Bestand haben. Sie stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO ).

Da in der Erklärung eines Gesellschafters, seinen Beitritt mit rückwirkender Kraft beseitigen zu wollen, in der Regel sein Wille zum Ausdruck kommt, die Bindung an die Gesellschaft und die Mitgesellschafter jedenfalls mit sofortiger Wirkung zu beenden (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1974 - II ZR 27/73, BGHZ 63, 338, 344 f.; Urteil vom 16. Dezember 2002 - II ZR 109/01, BGHZ 153, 214 , 223), kann auch im vorliegenden Fall von einer Kündigung des (stillen) Gesellschaftsverhältnisses durch die Klägerin und ihren Ehemann ausgegangen werden. Dass die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch nicht unter Anrechnung eines etwaigen Abfindungsguthabens berechnet hat, rechtfertigt eine (vollständige) Abweisung der Klage nicht, weil der Geschädigte nicht ohne weiteres an eine von ihm ursprünglich gewählte Art der Schadensberechnung gebunden ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 4 mwN) und der Klägerin daher Gelegenheit gegeben werden muss, ihr Klagevorbringen an die in den Vorinstanzen nicht erörterten, oben angesprochenen rechtlichen Vorgaben der Senatsentscheidungen vom 19. November 2013 anzupassen. Für die Berechnung ihres etwaigen Abfindungsanspruchs, dem die nur den weitergehenden Schadensersatzanspruch betreffende, auf die Sicherung ungeschmälerter eventueller Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der anderen stillen Gesellschafter gerichtete Sperre nicht entgegenstünde, ist die Klägerin zudem auf die Mitwirkung der Beklagten angewiesen, die gemäß § 16 Nr. 1 Buchst. g des stillen Gesellschaftsvertrags mit der Ermittlung des Abfindungsguthabens einen Wirtschaftsprüfer zu beauftragen hat.

Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts und des Vorbringens der Parteien kann auch nicht angenommen werden, dass einem über einen Abfindungsanspruch hinausgehenden Schadensersatzbegehren der Klägerin zur Sicherung etwaiger Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche der Mitgesellschafter der Erfolg zu versagen wäre. Ob und in welcher Höhe solche (hypothetischen) Ansprüche der anderen stillen Gesellschafter bestehen und aus dem Vermögen der Beklagten befriedigt werden können, steht nicht fest und müsste gegebenenfalls die Beklagte darlegen und beweisen, wenn sie sich einem Schadensersatzanspruch der Klägerin gegenüber darauf berufen wollte, dieser sei wegen einer Gefährdung der Abfindungs- und Auseinandersetzungsansprüche der übrigen stillen Gesellschafter zumindest gegenwärtig nicht oder nicht in voller Höhe durchsetzbar. Im Übrigen wäre selbst für den Fall des Bestehens eines solchen Hindernisses das auf Zahlung eines bestimmten Schadensersatzbetrages gerichtete Leistungsbegehren der Klägerin dahin auszulegen, dass jedenfalls die Feststellung des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs in dieser Höhe begehrt wird. Sofern die sonstigen Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs gegeben sind, stünde der Umstand, dass das Vermögen der Beklagten im Zeitpunkt der Entscheidung zur Befriedigung etwaiger (hypothetischer) Abfindungs- oder Auseinandersetzungsansprüche und des Schadensersatzanspruchs nicht ausreichte, einer Feststellung seines Bestehens nicht entgegen.

III. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ), damit es die bislang offen gebliebenen Feststellungen zu den tatsächlichen Voraussetzungen des von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruchs treffen kann.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 29. Juli 2014

Vorinstanz: OLG München, vom 25.04.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 23 U 4034/12
Vorinstanz: LG München I, vom 28.08.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 28 O 27948/11