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BFH - Entscheidung vom 15.04.2014

II B 71/13

Normen:
§ 171 Abs 10 AO
§ 180 Abs 1 Nr 1 AO
§ 182 Abs 1 AO
§ 351 Abs 2 AO
§ 69 Abs 3 S 1 FGO
Art 3 Abs 1 GG
Art 19 Abs 4 GG
§ 19 BewG 1991
§ 69 Abs 2 S 2 FGO
§§ 19ff BewG 1991
AO § 180 Abs. 1 Nr. 1
BewG § 19
AO § 171 Abs. 10
AO § 182 Abs. 1
AO § 351 Abs. 2

BFH, Beschluss vom 15.04.2014 - Aktenzeichen II B 71/13

DRsp Nr. 2014/16908

Zulässigkeit von Einwendungen gegen die Bewertung eines Grundstücks

1. NV: Mängel im System der Einheitsbewertung des Grundbesitzes können nur mit einem Rechtsbehelf gegen den Einheitswertbescheid und nicht im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Grundsteuermessbescheid geltend gemacht werden. 2. NV: Die Aussetzung der Vollziehung eines Einheitswertbescheids wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die ihm zugrunde liegenden Vorschriften setzt voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht. 3. NV: Das Interesse an der Aussetzung eines Einheitswertbescheids im Hinblick auf die Belastung mit Grundsteuer muss hinter das Interesse an einer geordneten (gemeindlichen) Haushaltswirtschaft zurücktreten.

1. Einwendungen gegen die Bewertung eines Grundstücks können nicht im Einspruchsverfahren gegen den Grundsteuermessbescheid geltend gemacht werden. Es ist vielmehr der als Grundlagenbescheid zugrunde liegende Einheitswertbescheid anzufechten. Ist dieser unanfechtbar geworden, so können Einwendungen nicht mehr berücksichtigt werden. 2. Auch wenn angesichts der lange zurück liegenden Hauptfeststellungszeitpunkte und der darauf beruhenden Wertverzerrungen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Einheitswertbescheiden besteht, besteht dennoch kein Aussetzungsinteresse hinsichtlich der Vollziehung des Einheitswertbescheides, da die Grundsteuer aufgrund ihres Charakters als Realsteuer grundsätzlich ohne Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse und die persönliche Leistungsfähigkeit des Grundstückseigentümers erhoben wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die jährlich zu zahlende Grundsteuer überschaubar erscheint (hier: 155,75 EUR).

Normenkette:

AO § 180 Abs. 1 Nr. 1 ; BewG § 19 ; AO § 171 Abs. 10 ; AO § 182 Abs. 1 ; AO § 351 Abs. 2 ;

Gründe

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erwarb 2008 einen Miteigentumsanteil an einem zunächst unbebauten und in der Folgezeit mit einer Eigentumswohnanlage bebauten Grundstück. Durch Bescheid vom 20. Dezember 2012 stellte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Einheitswert für die Eigentumswohnung im Wege der Wert- und Artfortschreibung auf den 1. Januar 2011 auf 12.731 EUR sowie die Grundstücksart Einfamilienhaus-Wohnungseigentum fest; durch Grundsteuermessbescheid vom 20. Dezember 2012 setzte das FA den Grundsteuermessbetrag zum 1. Januar 2011 auf 44,55 EUR fest. Beide Bescheide ergingen gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung ( AO ) vorläufig hinsichtlich der Frage, ob die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens verfassungsgemäß sind. Gegen diese Bescheide legte der Antragsteller Einspruch ein; die Einspruchsverfahren ruhen gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO .

Der Antragsteller beantragte zugleich mit der Einlegung der Einsprüche die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Einheitswert- sowie des Grundsteuermessbescheids. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Der hiergegen erhobene Einspruch sowie die nachfolgend beim Finanzgericht (FG) gestellten Anträge auf AdV hatten keinen Erfolg. Nach Auffassung des FG überwiege auch unter Berücksichtigung der möglichen Verfassungswidrigkeit der die Grundbesitzbewertung betreffenden Vorschriften des Bewertungsgesetzes ( BewG ) das besondere Aussetzungsinteresse des Antragstellers nicht das Vollzugsinteresse des Staates.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht der Antragsteller die Verfassungswidrigkeit der Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundbesitzes geltend. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass ein dauerhafter Eingriff in die Vermögensphäre vorliege.

Der Antragsteller beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des FG die Vollziehung des Einheitswert- sowie des Grundsteuermessbescheids vom 20. Dezember 2012 auszusetzen.

Das FA beantragt,

die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

1. Das FG hat den auf AdV des Grundsteuermessbescheids gerichteten Antrag zutreffend als unzulässig verworfen. Der Einheitswertbescheid (§ 180 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 19 BewG ) ist als Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO ) für den Grundsteuermessbescheid gemäß § 182 Abs. 1 AO bindend. Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid können gemäß § 351 Abs. 2 AO nur durch Anfechtung dieses Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids angegriffen werden. Demgemäß können die hier vom Antragsteller allein gerügten Mängel im System der Einheitsbewertung des Grundbesitzes nur mit einem Rechtsbehelf gegen den Einheitswertbescheid geltend gemacht werden (Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 18. Februar 2009 1 BvR 1334/07, BVerfGK 15, 89). Der mit ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Grundlagenbescheids begründete Antrag auf AdV des Folgebescheids ist demgemäß unzulässig (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung , 7. Aufl., § 69 Rz 55 "Folgebescheide", m.w.N.).

2. Die beantragte AdV des Einheitswertbescheids hat das FG zu Recht abgelehnt.

a) Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) hat das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen.

b) Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. April 2013 V B 125/12, BFHE 240, 447 , BStBl II 2013, 973 , m.w.N.; vom 11. Juli 2013 XI B 41/13, BFH/NV 2013, 1647 , m.w.N.).

c) Die AdV eines Einheitswertbescheids wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die ihm zugrunde liegenden Vorschriften setzt voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (BFH-Beschluss vom 21. November 2013 II B 46/13, BFHE 243, 162 , BStBl II 2014, 263 ). Bei der Prüfung, ob ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der AdV eines Steuerbescheids vorliegt, ist das individuelle Interesse des Steuerpflichtigen mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Hierbei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer AdV auf den Gesetzesvollzug und das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung an (z.B. BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149 , BStBl II 2010, 558 ; vom 9. März 2012 VII B 171/11, BFHE 236, 206 , BStBl II 2012, 418 ; vom 9. Mai 2012 I B 18/12, BFH/NV 2012, 1489 ).

3. Im Streitfall bestehen zwar ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einheitswertbescheids. Das Interesse des Antragstellers an der AdV ist jedoch gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Vorschriften über die Grundbesitzbewertung nicht vorrangig.

a) Der Senat (BFH-Urteile vom 30. Juni 2010 II R 60/08, BFHE 230, 78 , BStBl II 2010, 897 , und vom 30. Juni 2010 II R 12/09, BFHE 230, 93 , BStBl II 2011, 48 ) hat zwar entschieden, dass die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens trotz der verfassungsrechtlichen Zweifel, die sich aus den lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkten des 1. Januar 1964 bzw. --im Beitrittsgebiet-- des 1. Januar 1935 und darauf beruhenden Wertverzerrungen ergeben, jedenfalls für Stichtage bis zum 1. Januar 2007 noch verfassungsgemäß sind. In diesen Entscheidungen hat der Senat jedoch ferner ausgeführt, dass das weitere Unterbleiben einer allgemeinen Neubewertung des Grundvermögens für Zwecke der Grundsteuer mit verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --), nicht vereinbar ist. Hiervon ausgehend ist die Rechtmäßigkeit des hier angefochtenen Einheitswertbescheids auf den 1. Januar 2010 ernstlich zweifelhaft.

b) Der Antragsteller hat aber kein besonderes berechtigtes Interesse an der AdV.

Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers muss schon angesichts der Höhe der sich auf der Grundlage des angefochtenen Einheitswertbescheids ergebenden, vom FG mit 155,75 EUR bezifferten jährlichen Grundsteuer hinter das Interesse an einer geordneten öffentlichen (gemeindlichen) Haushaltswirtschaft zurücktreten. Diese finanzielle Belastung ist dem Antragsteller auch deshalb zuzumuten, weil die Grundsteuer aufgrund ihres Charakters als Realsteuer (§ 3 Abs. 2 AO ) grundsätzlich ohne Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse und die persönliche Leistungsfähigkeit des Eigentümers erhoben wird (BFH-Urteil vom 18. April 2012 II R 36/10, BFHE 237, 169 , BStBl II 2012, 867 ; BVerfG-Beschluss in BVerfK 15, 89).

Vorliegend ist auch keine der Fallgruppen gegeben, in denen der BFH dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die einem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschriften den Vorrang vor den öffentlichen Interessen einräumt (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 228, 149 , BStBl II 2010, 558 , m.w.N.). Insbesondere hat der BFH die die Grundbesitzbewertung betreffenden Vorschriften des BewG bislang nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt.

Da Gegenstand des Aussetzungsantrags nur der hier angefochtene Einheitswertbescheid ist, müssen bei der Aussetzungsentscheidung die vom Antragsteller angeführten Grundsteuerrückstände in Bezug auf seinen anderweitigen Grundbesitz unberücksichtigt bleiben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG des Saarlandes, vom 26.06.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 1 V 1075/13