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BFH - Entscheidung vom 15.10.2014

X E 23/14

Normen:
Art 19 Abs 4 GG
Art 20 Abs 3 GG
§ 34 GKG
§ 128 Abs 3 FGO
GG Art. 19 Abs. 4

Fundstellen:
BFH/NV 2015, 219

BFH, Beschluss vom 15.10.2014 - Aktenzeichen X E 23/14

DRsp Nr. 2014/18369

Verfassungsrechtliche Grenzen der Festsetzung von Gerichtskosten

1. NV: Die Höhe der gesetzlichen Gerichtsgebühren kann mit dem verfassungsrechtlichen Justizgewährungsanspruch unvereinbar sein, wenn das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg derart außer Verhältnis steht, dass die Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint. 2. NV: Es ist verfassungsrechtlich noch hinzunehmen, dass für das Verfahren über eine unstatthafte Beschwerde gegen einen unanfechtbaren Beschluss des FG bei einem Streitwert von lediglich 21 € Gerichtsgebühren von 70 € entstehen. In einem solchen Fall tritt der verfassungsrechtliche Gesichtspunkt der Ermöglichung eines Zugangs zu den Gerichten in den Hintergrund, weil ein Zugang zur Rechtsmittelinstanz --in verfassungsrechtlich bedenkenfreier Weise-- von vornherein nicht eröffnet war.

Ist ein Rechtsmittel schon deshalb zurückzuweisen, weil ein Rechtsweg nicht gegeben war, so kann eine gerichtliche Gebühr für die Bearbeitung einer Eingabe, mit der ein Bürger einen nicht vorhandenen Rechtsweg beschreiten will, den Rechtsweg nicht in unzumutbarer Weise erschweren.

Normenkette:

GG Art. 19 Abs. 4 ;

Gründe

I. Der Kostenschuldner und Erinnerungsführer (Kostenschuldner) wendet sich gegen die Kostenrechnung für ein Beschwerdeverfahren, das er vor dem Bundesfinanzhof (BFH) gegen einen finanzgerichtlichen Beschluss geführt hatte, mit dem die vom Kostenschuldner beantragte Aufhebung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids versagt worden war. Der BFH verwarf die Beschwerde als unzulässig, weil sie mangels Zulassung durch das Finanzgericht (FG) nicht statthaft war (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) und der Kostenschuldner zudem den in § 62 Abs. 4 FGO angeordneten Vertretungszwang nicht beachtet hatte. Zuvor war der Kostenschuldner vom BFH bereits auf die Unzulässigkeit seiner Beschwerde sowie auf die Gebührenermäßigung für den Fall ihrer Rücknahme hingewiesen worden.

Die Kostenstelle des BFH legte der Kostenrechnung einen Streitwert von 21 € zugrunde (10 % des Betrags von 210,51 €, der in einer gegen den Kostenschuldner ergangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung ausgewiesen war). Gemäß Nr. 6220 des Kostenverzeichnisses zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes ( GKG ) setzte die Kostenstelle 2,0 Gebühren zu je 35 € (Mindestgebühr nach § 34 Abs. 1 Satz 1 GKG ), insgesamt also 70 € an.

Der Kostenschuldner übersandte dem BFH daraufhin --neben zahlreichen weiteren Eingaben-- eine Kopie der Kostenrechnung, auf der er handschriftlich notiert hatte: "hiermit beantrage ich d. Niederschlagung d. Kostenrechnung! ich will Prozeßkostenhilfe beanspruchen! Gegen den Bescheid d. Bundesfinanzhofs habe ich Widerspruch eingelegt!!!"

Die Kostenstelle teilte dem Kostenschuldner mit, dass sie sein Schreiben als Antrag auf Niederschlagung bzw. Erlass der Gerichtskosten ansehe, und bat um Mitteilung, ob damit auch der Rechtsbehelf der Erinnerung erhoben werden sollte. Der Kostenschuldner übersandte auch dieses Schreiben in Kopie dem BFH und notierte darauf handschriftlich, nachdem er die Passage zur Erinnerung unterstrichen hatte: "Natürlich, ich kann das nicht bezahlen!"

Die Vertreterin der Staatskasse beantragt,

die Erinnerung zurückzuweisen.

II. Die nach § 66 GKG statthafte Erinnerung ist unbegründet.

1. Allerdings bestehen Zweifel, ob der Kostenschuldner überhaupt eine Erinnerung hat einlegen wollen und eingelegt hat. Zwar hat er bei buchstabengetreuer Auslegung auf die Frage der Kostenstelle, ob seine Eingabe auch als Erinnerung anzusehen sei, mit der bejahenden Wendung "Natürlich" geantwortet. Zur Begründung seines Begehrens bringt er jedoch keinerlei materiell-rechtliche Einwendungen gegen die Richtigkeit der Kostenrechnung vor, sondern verweist allein auf seine fehlende Zahlungsfähigkeit.

Zur Vermeidung weiterer Verzögerungen des Beitreibungsverfahrens legt das Gericht die Eingabe des Kostenschuldners aber gleichwohl als Erinnerung aus.

2. Die Entscheidung über die Erinnerung ergeht gemäß § 1 Abs. 5 , § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG durch den Einzelrichter.

3. Der Zulässigkeit der Erinnerung steht nicht entgegen, dass sie durch den nicht postulationsfähigen Kostenschuldner persönlich eingelegt worden ist. Auch im zeitlichen Anwendungsbereich der Neufassung des § 62 Abs. 4 FGO sind Erinnerungsverfahren von dem für Verfahren vor dem BFH grundsätzlich angeordneten Vertretungszwang --ebenso wie nach § 62a FGO in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung-- ausgenommen (Senatsbeschlüsse vom 17. November 2011 X E 1/11, BFH/NV 2012, 428 , und vom 21. Juni 2012 X E 3/12, BFH/NV 2012, 1618 ).

4. Gegen den Inhalt der Kostenrechnung als solche erhebt der Kostenschuldner keine Einwendungen. Auch eine Prüfung von Amts wegen führt zu dem Ergebnis, dass die Kostenrechnung dem Grunde und der Höhe nach den gesetzlichen Vorschriften entspricht.

Die Höhe der Gerichtsgebühren richtet sich nach dem Streitwert (§ 3 Abs. 1 , § 34 Abs. 1 GKG ) sowie den in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG aufgeführten Gebührentatbeständen. Diese gesetzlichen Vorschriften sind von der Kostenstelle zutreffend angewendet worden. Auch gegen die Bemessung des Streitwerts bestehen keine Bedenken.

5. Der Umstand, dass die festgesetzten Gerichtskosten (70 €) den angenommenen Streitwert (21 €) um nahezu das Dreieinhalbfache übersteigen, führt jedenfalls unter den besonderen Verhältnissen des Streitfalls nicht dazu, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Korrektur der Kostenrechnung vorzunehmen wäre.

a) Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wiederholt entschieden, dass Vorschriften über Gerichtsgebühren sowohl den verfassungsrechtlichen Grenzen für Gebührenregelungen genügen als auch der Bedeutung des Justizgewährungsanspruchs im Rechtsstaat (Art. 19 Abs. 4 , Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes ) Rechnung tragen müssen. Dabei muss zum einen ein sachgerechtes Verhältnis zwischen der Höhe der Gebühren und den tatsächlichen Kosten der gebührenpflichtigen staatlichen Leistung gegeben sein. Zum anderen darf die Gebühr nicht außer Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert stehen, den das gerichtliche Verfahren für den einzelnen Beteiligten hat. Gesetzliche Vorschriften, die den Zugang zu den Gerichten ausgestalten, dürfen ihn weder tatsächlich unmöglich machen noch in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg derart außer Verhältnis steht, dass die Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint (zum Ganzen BVerfG-Beschlüsse vom 12. Februar 1992 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337 , unter C.I.1., und vom 23. Mai 2012 1 BvR 2096/09, Neue Juristische Wochenschrift 2013, 2882 , unter IV.1.a, m.w.N.).

Das BVerfG hat allerdings auch das Interesse des Fiskus an einer angemessenen Gebühr anerkannt. Deshalb kann nicht gefordert werden, dass der Staat bei geringfügigem wirtschaftlichen Interesse des Einzelnen seine Gerichte praktisch kostenlos zur Verfügung stellt. Eine unzumutbare Erschwerung des Rechtsweges wird aber regelmäßig dann zu bejahen sein, wenn es nicht nur um geringfügige Beträge geht und schon das Gebührenrisiko für eine Instanz das wirtschaftliche Interesse eines Beteiligten an dem Verfahren erreicht oder sogar übersteigt, da unter solchen Umständen ein vernünftig abwägender Rechtsuchender von einer Anrufung der Gerichte in aller Regel Abstand nehmen wird. Ihm würde die Möglichkeit, den Streit in einem geordneten Verfahren auszutragen, damit praktisch genommen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 85, 337 , unter C.I.1.b, m.w.N.).

b) Die sich aus den gesetzlichen Regelungen ergebende Kostenhöhe von 70 € genügt unter den besonderen Umständen des Streitfalls noch den angeführten verfassungsrechtlichen Maßstäben.

Der tatsächliche Aufwand, der dem Staat für die Bearbeitung der Beschwerde des Kostenschuldners insbesondere durch die Personalkosten für die drei mit der Entscheidung befassten Berufsrichter, die Geschäftsstellenbeamtinnen und die Mitarbeiterinnen des Schreibdienstes entstanden sind, übersteigt die angeforderten Gerichtskosten erheblich.

Zwar übersteigen andererseits die Gerichtskosten den angenommenen Streitwert erheblich. Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Streitwert --weil es sich um ein Verfahren der Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung handelte-- nur mit 10 % des in der Hauptsache gegebenen wirtschaftlichen Interesses des Kostenschuldners bemessen worden ist. Dieses wirtschaftliche Interesse belief sich immerhin auf einen Betrag von 210,51 € und damit das Dreifache der Gerichtskosten.

Bei der Entscheidung muss auch berücksichtigt werden, dass das BVerfG beim Vorliegen eines Missverhältnisses zwischen dem wirtschaftlichen Interesse und den Gerichtskosten eine unzumutbare Erschwerung des Rechtswegs vor allem dann bejaht, wenn es nicht nur um geringfügige Beträge geht. Vorliegend ist aber nur der gesetzliche Mindestbetrag einer Gebühr (35 € gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 GKG ) angesetzt worden. Noch geringfügigere Beträge sind nach der gesetzlichen Konzeption nicht denkbar.

Die wirtschaftliche Belastung durch Gerichtskosten wird auch dadurch abgemildert, dass Bedürftige einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe stellen können und dann von der Zahlung der Prozesskosten freigestellt sind (auf diesen Gesichtspunkt wird bereits im BFH-Beschluss vom 31. Mai 2007 V E 2/06, BFHE 217, 388 , BStBl II 2007, 791 , unter II.4.b bb hingewiesen).

Im Streitfall ist indes entscheidend darauf abzustellen, dass nach der --für sich genommen verfassungsgemäßen-- Regelung des § 128 Abs. 3 FGO ein Rechtsweg gegen die vom Antragsteller mit der unstatthaften Beschwerde angegriffene Entscheidung des FG ohnehin nicht eröffnet war. Fehlt es aber von vornherein an einem Rechtsweg, kann eine gerichtliche Gebühr für die Bearbeitung einer Eingabe, mit der ein Bürger einen nicht vorhandenen Rechtsweg beschreiten will, den Rechtsweg nicht in unzumutbarer Weise erschweren.

Hinzu kommt, dass der Kostenschuldner an seiner in mehrfacher Hinsicht unzulässigen Beschwerde auch dann noch festgehalten hat, nachdem er auf die Unzulässigkeit und die ihm im Fall einer Zurücknahme der Beschwerde zugutekommende Kostenermäßigung hingewiesen worden ist. Dies zeigt, dass der Kostenschuldner sich bei seiner Prozessführung nicht von wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt und offensichtlich aussichtslose Rechtsbehelfe unabhängig von der Höhe der hierdurch entstehenden Gerichtskosten einlegt. Ein in derartiger Weise bewusst unwirtschaftlich handelnder Kostenschuldner lässt sich von dem in der Rechtsprechung des BVerfG angelegten Schutz seiner wirtschaftlichen Interessen nicht bzw. allenfalls sehr eingeschränkt erreichen; ihm kann die Schutzwirkung dieser Rechtsprechung daher auch nur sehr eingeschränkt zugutekommen.

6. Das Verfahren über die Erinnerung ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG ).

Fundstellen
BFH/NV 2015, 219